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Zwiespältige Illusionen an der Ostfront. Propaganda und Kriegswahrnehmung in deutschen Feldpostbriefen.

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ZWIESPÄLTIGE ILLUSIONEN AN

DER OSTFRONT

Kriegswahrnehmung und Propaganda in deutschen Feldpostbriefen

MASTERARBEIT DUITSLANDSTUDIES Erstleser: dhr. dr. W.F.B. (Willem) Melching

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Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG... 2

DIE FELDPOST... 12

Organisation, Feldpostbriefe und Zensur...12

1.1 ORGANISATION...12

1.2 BRIEFEALSHISTORISCHE QUELLE...14

1.3 ZENSURIN FELDPOSTBRIEFEN...17

Äußere Zensur... 17

Innere Zensur... 19

DER KRIEG IM OSTEN... 23

DIE WEHRMACHTIN RUSSLAND...23

1941 - DER ÜBERFALL: OPERATION BARBAROSSA...25

1942 - NEUER VERSUCH: OPERATION BLAU...29

1943 - LETZTE HOFFNUNGEN: OPERATION ZITADELLE...31

1944 - DER ANFANGVOM ENDE...32

1945 - DERLETZTE SCHLAG...33 1. FEINDBILDER... 35 1.1 RASSISTISCH...38 Zivilbevölkerung... 38 Fremdes Russland... 44 1.2 MILITÄRISCH...49 Russische Soldaten... 49 Rote Armee... 51 2. DIE HEIMATFRONT... 54 2.1 SORGEN... 54 Familie... 55 Luftkrieg... 60

2.2 DAHEIMUND HEIMWEH...66

Heimweh... 68

Sehnsucht... 72

3. BIS ZUM ENDE... 76

3.1 IDEOLOGIE... 76

Glaube an den Sieg... 77

Zweifel am Endsieg... 82

Pflichtbewusstsein... 86

3.2 ROLLEDERDER HEIMAT...90

Gedanken an die Familie... 90

Wunsch nach Urlaub... 92

FAZIT... 95

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Einleitung

Vor einiger Zeit fand ich ein paar meiner alten Blogeinträge aus dem Jahr 2012. Als ich die Einträge las, war ich völlig schockiert, das ich diese selbst geschrieben hatte. Ich wusste, dass diese Zeit für mich schwer war und ich damals an leichten Depressionen litt. Zumindest dachte ich das. Aus dem Geschriebenen wurde mir klar, dass die Depressionen in Wirklichkeit viel schlimmer gewesen sein müssen als in meinen Erinnerungen und ich nicht wusste, was die Zukunft bringen würde. In den darauffolgenden Jahren wurde ich glücklicherweise von dem psychischen Leiden erlöst, was aber Einfluss auf meine Erinnerungen ausgeübt haben muss. Mir wurde klar, dass ohne diese Blogeinträge, die Intensität dieser schweren Zeit verloren gehen würde und ich mein vergangenes Ich aus der Zeit nicht mehr nachvollziehen könnte.

Im Wesentlichen fungieren die Feldpostbriefe der Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg auf eine ähnliche Weise. Dadurch, dass die Briefe zu Zeiten des Krieges verfasst wurden, geben sie die zeitlichen Umstände und Überzeugungen ohne Einfluss aus heutiger Perspektive wieder. So wie ich damals nicht wusste, was die Zukunft bringen würde, so wussten die deutschen Soldaten auch nicht, wie der Krieg ausgehen würde. Vieles, was im Krieg passierte, ist aus heutiger Sicht eindeutig zu erklären, war aber zu Zeiten des Krieges nicht so eindeutig, wie wir glauben. Außerdem kann man auch feststellen, wie die Autoren der Briefe über die zeitgenössischen Ideologien und Ideen dachten. Diese Erinnerungen wurden im Gegensatz zu Erinnerungen von Zeitzeugen durch gegenwärtige Umstände und Erlebnisse nicht beeinflusst. Die Briefe sind also wegen ihrer geschriebenen Art ein Ausschnitt aus der damaligen Zeit. Gerade deshalb sind sie als historische Quelle relevant und ist es sinnvoll, diese zu erforschen.

Briefe waren schon immer ein sehr effizientes Kommunikationsmittel für Menschen, um sich über eine größere Distanz hinweg zu verständigen. Dies trifft sicherlich auch im Krieg zu. Schon in den Kriegen des 19. Jahrhunderts schrieben die Soldaten Briefe an ihre Angehörigen nach Hause und diese Tradition wurde sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg fortgesetzt. Die sogenannte Feldpost war sehr wichtig für die Soldaten, da es der einzige Weg war, sich mit der Familie zu Hause effizient zu verständigen. Das Schreiben nach Hause und das Empfangen von Briefen stärkte auch die Verbundenheit zur Heimat. Klaus Latzel beschreibt dieses Phänomen in

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seinem Buch Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg? als „existentieller Wert.“1 So half das Schreiben auch das Geschehene zu verarbeiten, da Schreiben oft als therapeutisches Mittel eingesetzt wurde. Die Briefe vermitteln darum einen guten Eindruck, wie der Krieg für den individuellen Soldaten ausgesehen haben muss und welche Gefühle er dabei empfand. So entsteht ein Bild der individuellen Wahrnehmung des Krieges.

Zur Zeit des Zweiten Weltkriegs wurden circa 40 Milliarden Briefe zwischen der Heimat und den Fronten verschickt. Viele davon gingen verloren oder wurden zerstört.2 Bei der Feldpostforschung ist es wichtig, die Zensur zu berücksichtigen. Dabei wird zwischen Selbstzensur und Zensur von außerhalb unterschieden.3 Soldaten schrieben nicht alles, was sie erlebten, um damit die Familie von exzessiver Gewalt zu schonen. Oder der Autor wollte die Familie nicht weiter mit Sorgen belasten. Dazu gab es noch die Zensur des Militärs selbst. Diese verlief stichprobenartig und wurde benutzt, um die Moral der Heimatfront zu schützen und die Kriegsstimmung zu überwachen. So durfte nichts Negatives über den Krieg geschrieben werden oder durfte man nicht im Detail über Verbrechen berichten. Ausnahmen bilden diejenigen Briefe, die mit einem Kameraden in die Heimat geschickt worden sind und nicht von der Zensur überprüft wurden. Da das Thema der Zensur kompliziert ist, aber eine wichtige Rolle bei der Untersuchung spielt, wird sie im ersten Kapitel ausführlicher erklärt.

Die Briefe sind, wie schon gesagt, als historische Quelle insofern interessant, wegen ihrer Nähe zum Geschehen.4 Sie beschreiben den Kriegsalltag und das Leben der Soldaten im Krieg, sowohl von den einfachen Soldaten als auch den Offizieren, und können sogar einen Eindruck über das Denken der Menschen zur Zeit des Dritten Reichs als auch über die Mentalitäten und die Wirksamkeit der Ideologie verschaffen. Oft ist in der Feldpostforschung auch die Rede von einer „Geschichte von unten,“ dass die Briefe den Krieg aus einer anderen Perspektive beschreiben, nämlich die des Individuums.5 Doch die Briefe wurden als historische Quelle erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt.6 Sie wurden zu der Zeit benutzt, um die Rolle der Wehrmacht im Vernichtungskrieg zu untersuchen. Jedoch sind Feldpostbriefe als

1 Klaus Latzel, Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg? Kriegserlebnis – Kriegserfahrung

1939-1945 (Paderborn: Schöningh, 1998), S.30.

2 Museumsstiftung für Post und Telekommunikation http://www.briefsammlung.de/.

3 Latzel, Deutsche Soldaten S.25ff.

4 Latzel, Deutsche Soldaten S.18.

5 Latzel, Deutsche Soldaten S.23.

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historische Quelle anspruchsvoll. Bei der Feldpostforschung gibt es viele methodische Schwierigkeiten, wie z.B. die Zensur. Deshalb wird der Wert der Briefe als Quelle in einem eigenen Teilkapitel genauer erläutert.

Forschungsstand

Wie wichtig die Briefe als Quelle sind, zeigen die vielen, bereits existierenden Feldpostuntersuchungen. Mittlerweile gibt es zahlreiche internationale Forschungen der Feldpost, die unterschiedliche Themen inkorporieren, was die Feldpostforschung zu einer interdisziplinären Forschung macht. Die Feldpostforschung ist ein Teil der Alltagsgeschichte geworden, aber auch eine Kategorie der neuen Militärgeschichte. Es wurde mithilfe von Feldpostanalysen bereits einiges über das Kriegserlebnis, Männlichkeitsideale, Feindbilder und Verbrechen der Wehrmacht geschrieben.

Auch sind viel Publikationen über Feldpost im Ersten Weltkrieg erschienen. Eine der bekannte Briefsammlung davon war die Ausgabe Kriegsbriefe gefallener Studenten, was eine Sammlung der Feldpostbriefe aus dem Ersten Weltkrieg befasste. Diese dienten jedoch auch zur Propaganda und Politisierung in der Nachkriegszeit, so wurden beispielsweise im Nationalsozialismus einige Briefe, die negativ über den Krieg berichteten, herausgenommen und neue hinzugefügt. Nach dem Zweiten Weltkrieg erschien eine neue Auflage, mit den Briefen der Wehrmacht. Diese Briefe berichteten vor allem, was die Soldaten zusammen erlebt hatten und nicht was sie getan hatten.

Wie bereits erwähnt, wurde schon viel über die Feldpost im Ersten Weltkrieg erforscht. So zum Beispiel eine Monografie von Bernd Ulrich names Die Augenzeugen.

Deutsche Feldpostbriefe in Kriegs- und Nachkriegszeit 1914-1933,7 in der er die

Authentizität der Briefe, die über den Krieg sprechen, hinterfragt. Er stellt sich die Frage, ob sie ein wahrheitsgetreues Bild des Krieges wiedergeben. Das Buch zeigt, unter welchen Umständen die Briefe entstanden sind und dass diese deutlich politisch und kulturell geprägt waren. Ulrich zeigt außerdem, dass jeder Brief eine andere Interpretation des Krieges bietet, was stark mit der Zensur zusammenhängt. Die Zensur wurde eingeführt, weil das Militär die Briefe zu Propagandazwecken benutzen wollte und die Briefe vorher erst kontrolliert werden mussten, was jedoch missglückte. Zudem zeigt Ulrich, dass eine Veränderung in der kollektiven Wahrnehmung des Krieges

7 Bernd Ulrich, Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in Kriegs- und Nachkriegszeit 1914-1933, (Essen: Klartext, 1997).

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entstand: 1914 war man dem Krieg gegenüber noch relativ begeistert, doch ein Jahr später veränderte sich diese zur Logik des Pflichtbewusstseins, da man dem Krieg sonst keinen Sinn geben konnte. Weitere Autoren über den Ersten Weltkrieg sind Wolt-Dieter Mohrmann, der die Feldpostbriefe als Quelle für das „Leiden und Sterben des Individuums“8 sieht und Volker Kretschmer und Detlef Vogel9, die untersuchen, welche Schäden der Krieg bei den einfachen Soldaten und ihren Familien angerichtet hat.

Auf dem Gebiet der Feldpostforschung des Zweiten Weltkriegs ist die Monografie von Klaus Latzel, Deutsche Soldaten – nationalsozialistischer Krieg?, einer der wichtigsten Beiträge. Sie ist eine der ersten Publikation mit einer sehr großen Anzahl untersuchter Feldpostbriefe und bewältigt die methodischen Schwierigkeiten des gigantischen Quellenmaterials. Latzel benutzt die Briefe hier, um die Soldaten selbst ans Wort kommen zu lassen, um ihre Erlebnisse des Krieges zu erzählen, aber auch um zu zeigen, welche Rolle sie im Vernichtungskrieg hatten. Er hat dazu insgesamt fast 5000 Briefe benutzt, um somit auch eine Kriegsgeschichte von „unten“ zu schreiben. Die Briefe stammen aus dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Wichtig ist auch, dass er die individuellen Geschehnisse in den großen Rahmen des Krieges einordnet und sie somit mit den Kriegserlebnissen verbindet.

Im ersten Teil des Buches, beschreibt er eine „Kriegsbiografie“ von Hans Olte und zeigt anhand davon, wie sich Oltes Begeisterung im Laufe des Zweiten Weltkrieges in Entsetzen umwandelt. Diese Stimmungsveränderung ist in den Briefen gut zu erkennen. Der zweite, größere Teil des Buches besteht aus individuellen Kriegserlebnissen, die mithilfe verschiedener Aspekte, z.B. Beschreibungen der besetzten Ländern und Bevölkerung, Feindbilder, Sinn des Krieges und das Töten bzw. der Tod, analysiert worden sind. Dabei werden Vergleiche zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg gezogen. Die Briefe verleihen ein authentisches Bild des Krieges, weil die Soldaten den Krieg durch ihr soziales Wissen erlebten, d.h. jeder Brief bietet eine andere Perspektive des Krieges. Latzel argumentiert, dass der Krieg bereits durch die NS-Ideologie vorkonstruiert war und dies kommt in den Briefen zum Ausdruck. Zum Beispiel hatten Soldaten Bücher, die mit NS-Ideologie beladen waren, über Russland und den Kommunismus gelesen. Im Russlandfeldzug wurden die geschilderten Bilder aus den Büchern im Nachhinein bestätigt.

8 Latzel, Deutsche Soldaten S.23.

9 Volker Kretschmer und Detlef Vogel, Feldpostbriefe im Zweiten Weltkrieg, Propagandainstrument und

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Es gibt auch andere Publikationen von Klaus Latzel über die Feldpost, so zum Beispiel auch Vom Kriegserlebnis zur Kriegserfahrung.10 Auch wichtig ist der

Sammelband,11 herausgegeben von Veit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jander in Zusammenarbeit mit dem Museum für Kommunikation in Berlin. In diesem Band wurden viele kurze Beiträge über die Feldpostforschung publiziert. Das Buch wurde nach einer Konferenz, die durch das Museum für Kommunikation organisiert wurde und die über den damaligen Forschungsstand berichtete, veröffentlicht. Unter anderem handeln die Beiträge vom Wert der Briefe als historische Quellen, aber auch von der Feldpost in Europa und anderen Ländern. Außerdem wurden Genderaspekte in der Forschung mit einbegriffen, vor allem die Rolle der Frau. Die Zusammenstellung der Beiträge ist international und interdisziplinär. Im Allgemeinen bietet dieses Buch eine gute Zusammenfassung der Feldpostbriefforschung zu der Zeit (2010).

Zum Thema Feindbilder und Verbrechen der Wehrmacht sind die Aufsätze von Michaela Kipp gut geeignet. In einem der Aufsätze Großreinmachen im Osten12

beschreibt die Autorin, wie die Soldaten ihre symbolische und ideologische Welt, die sie als gewöhnliche Zivilisten erfahren hatten, nun unter Umständen des Krieges bestätigten. Durch eine Feldpostanalyse erläutert sie, wie die deutschen Soldaten das Konzept von Hygiene benutzten, um ihre Feinde zu beschreiben; nämlich als ‚dreckig’ oder ‚schmutzig’. Dies trifft nicht nur auf das Äußerliche und die Umgebungen der besetzten Länder, sondern auch auf ihr Benehmen zu. Oft wurden die russischen Soldaten als hinterlistig beschreiben (so auch die Partisanen). Der Stereotyp der Deutschen über ihre Feinde wurde damit bestätigt und dadurch konnten sie auch das Morden in einem Vernichtungskrieg rechtfertigen. Ein weiterer Aufsatz von ihr, der an dieses Thema anknüpft, ist eine Publikation über den Holocaust in den Briefen der deutschen Soldaten.13 Hier wird durch eine Feldpostanalyse festgestellt, dass der Holocaust nie explizit erwähnt wurde, natürlich auch weil der Begriff damals noch nicht explizit auf die Jundenvernichtung angewendet wurde. Aber dennoch schreiben die Soldaten kaum von Gewalttaten gegen Juden noch über Massenerschießungen oder

10 Klaus Latzel, „Vom Kriegserlebnis zur Kriegserfahrung. Theoretische und methodische Überlegungen zur erfahrungsgeschichtlichen Untersuchung von Feldpostbriefen,“ Militärgeschichtliche Zeitschrift 56:1

(Juni 1997): S.1-30.

11 Veit Didczuneit, Jens Erbert und Thomas Jander, Schreiben im Krieg. Schreiben vom Krieg. Feldpost im

Zeitalter der Weltkriege, (Essen: Klartext, 2011).

12 Michaela Kipp, ‚Großreinmachen im Osten’: Feindbilder in deutschen Feldpostbriefen im Zweiten

Weltkrieg, (Frankfurt und New York: Campus Verlag, 2014).

13 Michaela Kipp, „The Holocaust in the letters of German soldiers on the Eastern front (1939-44),“

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anderen Kriegsverbrechen. Sie stellt fest, das dies mit der Zensur zusammenhängen muss. Wegen der militärischen Zensur durfte von diesen Verbrechen gar nicht berichtet werden und zweitens wollten die Männer ihre Frauen nicht traumatisieren. Es kann aber auch so sein, dass die Briefe, die über den Holocaust berichten, kurz nach dem Krieg vernichtet worden sind.

Ein Aspekt, über den auch bereits viel geforscht wurde, ist der Gender-Aspekt. Hier wurden bereits einige Publikationen über die Rolle der Frau in der Heimat geschrieben, so zum Beispiel ein Aufsatz von Hester Vaizey.14 Darin erläutert sie die Schwierigkeiten, die Ehepaare während des Krieges überwinden mussten, da sie den Ehepartner oder die Ehepartnerin monatelang nicht zu Gesicht bekamen. Sie geht dabei sowohl auf die Sicht der Frauen als auch die Perspektive der Männer ein. Aus Feldpostbriefen folgert sie, dass die Soldaten teilweise große Sehnsucht nach ihrer Ehefrau hatten und andersrum genauso. Während des Briefaustausches konnten beide Seiten frustriert werden, wenn sie wochenlang keine Post bekamen und hatten Angst, der Ehepartner oder Ehepartnerin hätte das Interesse verloren oder sei im Krieg gefallen. Vaizey stellt fest fest, dass es oft nach der Rückkehr der Soldaten, wegen der monatelangen Trennung und Schwierigkeiten der Kommunikation während des Kriegs, Scheidungen gab – nichtsdestotrotz auch durch das, was die Soldaten im Krieg erlebten. Im zweiten Teil beschreibt sie viele Fälle von Ehepaaren, die es trotz aller Schwierigkeiten schafften, während und nach dem Krieg ihre Beziehung zu retten.

Eine andere Publikation über den Gender-Aspekt ist von Frank Werner15, er schreibt in seinem Aufsatz über soldatische Männlichkeit. Um Antworten auf seine Frage zu finden, wie die Soldaten ihre Gewalt im Osten rechtfertigten, untersuchte und analysierte er Feldpostbriefe. Er stellt fest, dass die Rechtfertigung der Gewalt auf der Angst, nicht als „echter“ Mann anerkannt zu werden, basiert. Diese „soldatische Männlichkeit“, wie Werner sie nennt, wurde vom 19. Jahrhundert geerbt und wurde im Zweiten Weltkrieg politisch aufgeladen. Doch das Ideal der Männlichkeit erschien unpolitisch und konnte als Rechtfertigung der Gewalt gelten. Als Kontrast zur Männlichkeit stand natürlich die Weiblichkeit oder Weichehit. Das bedeutete, dass man als „echter“ Soldat kein Mitleid empfinden durfte. Werner schreibt auch, dass sich das

14 Hester Vaizey, „Husbands and Wives: An Evaluation oft he Emotional Impact of World War Two in Germany,“ European History Quarterly, 40:3 (2010): S.389-411.

15 Frank Werner, „’Hart müssen wird hier draußen sein.’ Soldatische Männlichkeit im Vernichtungskrieg 1941-1944,“ Geschichte und Gesellschaft, 34:1(Jan. – März, 2008): S.5-40.

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Denken und die Sprache der Männlichkeit in den Briefen widerspiegelt: Sie schreiben nicht explizit über Gewalttaten um die Frauen zu Hause zu schonen. So wird Geschlecht auch zur Kontrollinstanz. Werner untersucht in diesem Aufsatz auch, wie das Feindbild der Deutschen durch das Ideal der Männlichkeit geprägt wurde. So wurden zum Beispiel die Partisanen als „weich“ und „unehrenhaft“ beschrieben, was das Überlegenheitsgefühl der Deutschen verstärkte und somit auch ihre Gewaltanwendung legitimierte. Werner nennt noch weitere Beispiele für „Ordnungsbrüche“, die die Gewalt und Brutalität deutscher Soldaten rechtfertigten. Er folgert daraus, dass durch diese Ordnungsbrüche und Verstöße gegen die Kriegsordnung, die eigenen Schranken ebenfalls fielen.

Die Briefe bieten sich natürlich auch hervorragend an, den Kriegsalltag der Soldaten zu beschreiben. Detlef Vogel hat dies in gewissen Maßen in seinem Aufsatz Der

deutsche Kriegsalltag im Spiegel von Feldpostbriefen getan.16 Zunächst erläutert er, wie wichtig die Zensur bei der Feldpostforschung sei und wie das Regime sogar Einfluss auf die Briefschreiber ausübte, damit diese “vorbildliche” Briefe schrieben. Dem Staat war das wichtig, weil die Briefe auch zur Überwachung der Kriegsmoral benutzt wurden. Vogel stellt fest, dass die Adressatin oder der Adressat die Schreiber ebenfalls beeinflussten, denn folglich wollten die Männer ihre Frauen nicht weiter beunruhigen und umgekehrt. Er schreibt auch über die Siegesüberzeugungen der Soldaten, die während des Krieges variierten. Die Briefe zeigen, dass die Hoffnungen auf einen Sieg durch die eigene Erfahrungen herbeigeführt wurden und nicht durch die gesamte militärische Lage, von denen die Soldaten sich nicht bewusst waren. Die Hoffnungen und die Wirklichkeit des Krieges drifteten aber auseinander. Als den Deutschen klar wurde, dass der Krieg wahrscheinlich verloren war, fanden sich in den Briefen verschiedene Strategien wieder, damit umzugehen. Vogel folgert, dass die meisten Soldaten auf ihren unrealistischen Hoffnungen beharrten, die auch durch die Propaganda verstärkt wurden. Es gab aber dennoch eine Minderheit, die realistisch blieb und die Propaganda durchschauten.

An dieses Thema schließt auch die Feldpostforschung von Katrin Killian über die Emotionen und Stimmungen der Soldaten an. In ihrem Aufsatz Kriegsstimmungen,

Emotionen einfacher Soldaten in Feldpostbriefen schreibt sie, dass die Schreiber neben

16 Detlef Vogel, “Der Kriegsalltag im Spiegel von Feldpostbriefen (1939-1945),” in Andere Helme - Andere

Menschen? Heimaterfahrung und Frontalltag im Zweiten Weltkrieg ; ein internationaler Vergleich, hrsg.

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der Zensur auch von den äußeren Umständen (Wetter, Versorgung, Schmerzen etc.) beim Verfassen der Briefe beeinflusst wurden.17 So stellt sie zum Beispiel fest, dass die schweren Arbeitsbedingungen der Soldaten zu Schlafmangel führten, was sich wieder auf ihre Stimmung und das Schreiben ausübte. Krankheiten wirkten sich ebenfalls auf die Stimmungen aus, vor allem dann, wenn die Soldaten nicht vom Dienst freigeschrieben wurden. Eine gute Stimmung der Soldaten und der Bevölkerung war aber für das Regime von Vorteil, argumentiert Killian, denn dann sei die Propaganda weniger kritisch wahrgenommen worden. Sie stellt außerdem fest, dass Optimismus und Pessimismus in den Briefen zu erkennen ist und diese auch von der Stimmung des Autors abhing.

Briefkorpus

Der Briefkorpus dieser Arbeit besteht aus 265 Briefen, die von 62 verschiedenen deutschen Soldaten geschrieben wurden und alle in einer Abschrift auf der Website der Museumsstiftung Post und Telekommunikation zu finden sind. Es wurde von der Stiftung bereits eine Vorauswahl getroffen, welche Briefe veröffentlicht wurden und welche nicht. Diese Auswahl stand aber keinen Kriterien zu Grunde und war völlig willkürlich. Das bedeutet, dass Briefe, in denen mögliche Gewalttaten beschrieben wurden, nicht ausgeschlossen wurden.

Alle Briefschreiber waren zur Entstehungszeit der Briefe (Juli 1941 bis Juli 1944) entweder in Russland oder in Weißrussland stationiert. Aufgrund der hohen Quantität wurden nur von der Ostfront stammende Briefe benutzt. Wegen der Zensur ist der genaue Aufenthaltsort der Autoren leider nicht bekannt. Dies trifft nur in einigen Ausnahmen zu. Die Dienstgrade der Männer unterscheiden sich von Autor zu Autor; es sind sowohl Mannschaften als auch Offiziere inbegriffen. Dies bedeutet, dass nicht nur ausgebildete Offiziere zu Wort kommen, sondern auch “der kleine Mann.” Der Großteil der Männer war bei der Infanterie oder der Artillerie tätig. Das Alter der Autoren liegt im genannten Zeitraum zwischen 20 und 35 Jahren, wobei es einige Ausnahmen gibt. Etwas mehr als die Hälfte der Briefschreiber war verheiratet und hatte bereits Kinder, deshalb sind die meisten Briefe an ihre Ehefrauen gerichtet. Von den 62 Autoren haben

17 Katrin Killian, “Kriegsstimmungen. Emotionen einfacher Soldaten in Feldpostbriefen,” in Das deutsche

Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 9/2: Die deutsche Kriegsgesellschaft 1939-1945, hrsg. Jörg

Echterkamp (Militärgeschichtliches Forschungsamt), (München, Deutsche Verlags-Anstalt, 2005), S. 251-288.

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22 den Krieg nicht überlebt, 20 von ihnen kamen wieder nach Hause, 12 wurden vermisst und bei den restlichen 8 Autoren ist das Schicksal unbekannt. Alle Hintergrundinformationen wurden von der Website der Museumsstiftung Post und Telekommunikation übernommen.

Die 265 Briefe wurden zum Zweck dieser Masterarbeit gelesen um die Frage zu beantworten, wie die Briefe der Wehrmachtssoldaten zur Wahrnehmung des Krieges von unten beitragen konnten. Dabei wird vor allem der Fokus auf die Wirkung der Propaganda und Ideologie als auch die Rolle der Heimat gelegt. Vordem diese Frage überhaupt beantwortet werden kann, wird zunächst eine kurze Übersicht der Feldpost, ihrer Organisation, der Zensur und die Wichtigkeit der Briefe als historische Quellen gegeben. Um die Briefe weiterhin in einen Kontext setzen zu können, wird danach ein Kapitel dem militärischen Verlauf des Krieges an der Ostfront gewidmet.

Die Hauptfrage untergliedert sich in weitere Teilfragen. Im ersten Kapitel des Hauptteils wird erläutert, wie sehr die Soldaten von den propagierten Russlandfeindbildern überzeugt waren und ob sich diese Überzeugung im Verlauf des Krieges vielleicht veränderte. Dabei wird zwischen Zivilbevölkerung, der Landschaft Russlands und den russischen Soldaten und der Roten Armee unterschieden.

Im zweiten Kapitel wird die Rolle der Heimat(front) besprochen. Dabei wird genauer auf die Sorgen der Soldaten um ihre Familien in Deutschland, insbesondere zur Zeit der zunehmenden Luftangriffe ab 1943, eingegangen und wie sich diese auf ihre Kampfmoral und Stimmung auswirkten. Dazu wird das Heimweh als auch die Sehnsucht der Soldaten nach ihren Familien besprochen.

Zum Schluss wird im dritten und letzten Kapitel auf den Willen zum Weiterkämpfen, trotz einer hoffnungslosen Lage, genauer eingegangen. Die Fragen, weshalb die Deutschen trotz der aussichtslosen Lage weiterkämpften, wird zunächst ideologisch beantwortet. Das bedeutet, dass als erstes Äußerungen über den Glaube an einen Endsieg untersucht und danach die Zweifel daran erläutert werden. Dies beinhaltet auch den Glauben an den Führer. Im weiteren Teil wird auf das Pflichtbewusstsein der Soldaten eingegangen und wie diese in Verbindung mit der Kampfmotivation stand. Anschließend wird noch einmal auf die Rolle der Heimat eingegangen, jedoch nun wie diese die Soldaten zum Weiterkämpfen motivierte und wie sich das Spannungsfeld zwischen Pflicht und Heimweh entwickelte.

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Alle verwendeten Briefzitate wurden von den Abschriften, die von der Website der Museumsstiftung Post und Telekommunikation stammen, mit Rechtschreib- und Zeichenfehlern übernommen. In einigen Fällen wurden in Klammern Verdeutlichungen hinzugefügt. Der Sprachgebrauch der Autoren ist sehr unterschiedlich und zeugt von den verschiedenen intellektuellen Niveaus, die zur “Perspektive von unten” beitragen und ansonsten verloren gehen würden.

Da wegen der Zensur vieles nicht in den Briefen geschrieben wurde, wird zur Kontrolle der Gesprächsthemen die Monografie Soldaten: Protokolle vom Kämpfen, Töten

und Sterben von Sönke Neitzel und Harald Welzer benutzt. In ihrer Forschung haben sie

zahlreiche Abhörprotokolle von deutschen Soldaten, die durch die Briten gefangen genommen und verhört bzw. abgehört wurden, untersucht. Die Protokolle bieten viele Themen an, auch einige, die nicht in den Briefen erwähnt werden, da es schließlich weder Selbstzensur oder überhaupt Zensur gab. Mithilfe dieser Quelle, kann man kontrollieren, welche Gesprächsthemen unter den Männern herrschten, an was sie glaubten und was sie von den Verbrechen wussten, obwohl sie davon nichts in den Briefen schrieben.

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Die Feldpost

Organisation, Feldpostbriefe und Zensur

Martin Humburg teilt den „Feldpostbriefen” in seinem Aufsatz Deutsche Feldpostbriefe

im Zweiten Weltkrieg zwei Bedeutungen zu. Erstens versteht er unter Feldpost die

Organisation der Feldpost, die die Briefe zwischen Front und Heimat transportiert hat. Die Feldpostbriefe galten während des Krieges als einziges „Bindeglied” zwischen den Familien und wurden auch als Lebenszeichen zur Beruhigung der Angehörigen benutzt.18 Zweitens bedeutet Feldpost laut Humburg auch, gesammelte Feldpostbriefe in Bänden, die durch unter anderem der NSDAP, Archiven, Firmen und anderen Institutionen erstellt wurden. Die aussagekräftigen Feldpostbriefe wurden gesammelt und in verschiedenen Bänden veröffentlicht. Dies wurde schon im Ersten Weltkrieg gemacht. Das bekannteste Beispiel ist die Sammlung der Kriegsbriefe gefallener

Studenten. Im Zweiten Weltkrieg wurde etwas Ähnliches von der NSDAP organisiert, wie

auch Klaus Latzel schreibt. Diese Briefe wurden dann zu Propagandazwecken genutzt.19 Bei der Arbeit mit Feldpostbriefen ist es sinnvoll zunächst zu erläutern, wie die Feldpost überhaupt organisiert war. So kann man die Leitwege der Briefe und auch weshalb viele Briefe verloren gegangen sind, bzw. weshalb die Postverbindungen zu Zeiten von Krisen logistisch schlecht organisiert waren, nachvollziehen. Außerdem ist wichtig zu erwähnen, weshalb Feldpostbriefe als historische Quelle relevant sind und welche methodischen Schwierigkeiten es bei der Untersuchung gibt. Die Zensur spielt dabei die bedeutsamste Rolle, darum wird im weiteren Verlauf dieses Kapitels ausführlich darauf eingegangen.

1.1 Organisation

Die Feldpost bestand zwar schon vor dem Krieg als unabhängige Organisation, die Briefe der Berufssoldaten an ihre Familien beförderte, wurde aber ab 1939 Teil der

18 Martin Humburg, “Deutsche Feldpostbriefe im Zweiten Weltkrieg,” in Andere Helme - Andere

Menschen? Heimaterfahrung und Frontalltag im Zweiten Weltkrieg ; ein internationaler Vergleich, hrsg.

Detlef Vogel und Wolfram Wette, (Essen: Klartext Verlag, 1995), S.13-36, hier: S.17.

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Wehrmacht, die die weitere Organisation übernahm. Sie transportierte die Briefe mit Landfahrzeugen, mithilfe der Luftwaffe und der Marine.20 Die Feldpost gliederte sich in viele Strukturen, die hier kurz erwähnt werden.

An oberster Stelle war der Heeresfeldpostmeister, der eine Dienststelle beim Oberkommando des Heeres (OKH) hatte und damit Teil des Stabs war. Er war der Leiter der Feldpost und trug die Verantwortung der Feldpostübersicht. Darunter befand sich der Armeefeldpostmeister, dieser koordinierte den Feldpostablauf.21 Die Feldpostdienstellen waren in weitere drei Stellen aufgeteilt. Die Armeebriefstellen, welche sich noch im Reich befanden, verteilten die Briefe für Heeres- und Armeetruppen. Diese wurden an die Feldpostleitstellen weitergeleitet, welche für den Transport bzw. den Umschlag der Briefe verantwortlich waren. Diese waren an der Grenze Deutschlands aufgestellt. Die Briefe kamen schließlich bei den Feldpostämtern, welche meistens bei Verpflegungsstellen im Felde aufgestellt waren, an. Hier wurden die eingehenden Briefe anhand der Feldpostnummern sortiert und schließlich durch die Postabholer an die Soldaten ausgeteilt.22

Die Feldpostbriefe mussten als solche gekennzeichnet werden und mit der Feldpostnummer des jeweiligen Empfängers versehen werden. Es gab ein Höchstgewicht für Sendungen, das im Verlauf des Krieges wegen den Transportschwierigkeiten hin und wieder geändert wurde.23 Ab 1942 wurde auch Luftpost in den Osten verschickt. Diese musste aber mit speziellen Marken gekennzeichnet werden, die es nur an der Front gab, um Missbrauch zu vermeiden. Pro Monat gab es vier Luftpostmarken und ab Oktober 1943 gab es zehn Luftpostmarken pro Monat für die Soldaten.24

Briefe von der Front an die Heimat wurden vom Postabholer bei den Einheiten geholt und bei den Feldpostämtern, die noch im Feld aufgestellt waren, abgegeben. Danach gelangten die Briefe über die Feldpostumschlagstellen an der Grenze zu den Armeebriefstellen im Reich. Dort wurde die weitere Verteilung durch die Reichspost übernommen.25 Post, die aus der Heimat an die Front geschickt wurde, musste zunächst von der allgemeinen Post aussortiert werden. Dies geschah in den Postsammelstellen

20 Horst Hinrichsen, Die deutsche Feldpost. Organisation und Ausrüstung 1939-1945, (Eggolsheim: Nebel Verlag, 1998) S. 7f. 21 Ebd., S.9 und 12. 22 Ebd., S.12ff. 23 Ebd., S.22. 24 Ebd., S.14 und 18. 25 Ebd., S.27.

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des Reichs. Danach gelangte sie zu den Feldpoststellen, bzw. Armeebriefstellen, die sie wiederum an die Feldpostumschlagstellen an der Grenze weiterleiteten. Die Post kam schließlich zu den Feldpostämtern, bei der sie nach Einheiten und Dienststellen sortiert wurde. Der Postabholer nahm diese dann zur jeweiligen Einheit mit, um sie an die Soldaten auszuteilen.26

Die Feldpost griff auf verschiedene Fahrzeuge zurück, um die Briefe zu transportieren. So wurden Landfahrzeuge, wie LKWs, PKWs und Kettenfahrzeuge, eingesetzt. Die Fahrzeuge wurden von der Reichspost zur Verfügung gestellt. Es wurden auch Schienenfahrzeuge zum Transport von Briefen verwendet. Vor allem mit der sich ausweitetenden Distanz zwischen Feldpoststellen wurde die Bahn im Verlauf des Krieges öfter eingesetzt. Flugzeuge kamen erst ab dem zweiten Kriegsjahr zum Einsatz. Die Post wurde durch zivile Linien in die entsprechenden Gebiete mitgenommen und von dort aus ins Feld transportiert. Briefe wurden sogar auf Schiffen transportiert, bei denen aber viel durch Feindeinwirkung verloren ging.27

1.2 Briefe als historische Quelle

Da in dieser Arbeit mit Feldpostbriefen als primäre Quelle gearbeitet wird, ist es wichtig eine kurze Erklärung zu geben, weshalb die Briefe eine bedeutende historische Quelle und warum sie für Forschungen sehr nutzbar sind.

Die Wichtigkeit von Feldpostbriefen wurde laut Klaus Latzel bereits nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 entdeckt und es wurde gleichzeitig begonnen, diese zu archivieren. Später, im Ersten Weltkrieg, sind die Briefe, so Latzel, sogar zu Propagandazwecken benutzt worden, indem sie in verschiedenen Bänden veröffentlicht wurden. Ein Beispiel dafür sind die Kriegsbriefe gefallener Studenten, was ein Sammelband aussagekräftiger Feldpostbriefe von jungen deutsche Soldaten im Ersten Weltkrieg ist. Im Zweiten Weltkrieg hatten die Briefe immer noch einen propagandistischen Stellenwert, schreibt Latzel, jedoch konkurrierte sie mit den Mitteilungen der Wochenschau.28

Ab den 1980ern wurden die Feldpostbriefe als Quelle für Historiker immer wichtiger und man begann diese zu sammeln und zu archivieren, auch mithilfe von

26 Ebd., S.26.

27 Ebd., S.24f.

28 Klaus Latzel, Deutsche Soldaten - nationalsozialistischer Krieg? Kriegserlebnis - Kriesgerfahrung

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privaten Sammlern.29 In der Forschung nahm die Bedeutung der Feldpostbriefe als historische Quelle zu. Zunächst wurden nur Briefe aus dem Ersten Weltkrieg untersucht, später wurden aber auch Briefe aus dem Zweiten Weltkrieg als Quelle benutzt.30

Latzel argumentiert, Feldpostbriefe würden wegen ihrer „Nähe zum Geschehen”31 als Quelle benutzt. Er erläutert, die Briefe können Erinnerungen und Erfahrungen der Soldaten in einem gewissen Maße wiedergeben und als Historiker kann man diese Erinnerungen untersuchen.32 Auch Elke Scherstjanoi schreibt in ihrem Aufsatz Als Quelle nicht überfordern im Sammelband Schreiben im Krieg, Schreiben vom

Krieg, dass Feldpostbriefe als Quelle eine Neugier erwecken, denn die Briefe seien

interessant, weil sie aus dem „Felde” stammen.33 Sabine Grenz argumentiert ebenfalls, dass die Briefe von Soldaten von der Front für Wissenschaftler interessanter bzw. wichtiger seien, als Briefe aus der Heimat. Dies liegt, so argumentiert sie, nicht nur an der Quantität dieser Briefe, sondern auch daran, dass Fronterlebnisse und mögliche genannte Kriegsverbrechen für Forschungen interessanter seien, als Erlebnisse aus der Heimat.34

Da es bereits viele Forschungen über die Wehrmacht und das Dritten Reich im Allgemeinen gibt, bieten die Feldpostbriefe eine andere Perspektive, nämlich die des Individuums. Latzel beschreibt dies als die „subjektive Seite.”35 Außerdem, so Latzel, könne man untersuchen, wie die Soldaten den Krieg interpretiert, für sich selbst dem Krieg einen Sinn gegeben und diesen durch ihr „soziales Wissen” gerechtfertigt haben.36 Er fasst zusammen, dass viele Forscher den Feldpostbriefen nicht nur wegen ihrer Quantität einen hohen Quellenwert zuschreiben, sondern auch weil diese eine Geschichte von „unten” wiedergeben und den Kriegsalltag sowie auch Wirkungen der Ideologie, Gefühlszustände der Soldaten und Mentalitäten beschreiben. Die Briefe können, so Latzel, heute genauso wie zu Zeiten ihrer Entstehungszeit als ein

29 Ebd., S.21.

30 Ebd., S.22.

31 Ebd., S.14.

32 Ebd., S.14.

33 Elke Scherstjanoi, “Als Quelle nicht überfordern! Zu Besonderheiten und Grenzen der

wissenschaftliche Nutzung von Feldpostbriefen in der (Zeit-)Geschichte,” in Schreiben im Krieg, Schreiben

vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, hg. Veit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jander (Essen:

Klartext Verlag, 2010), S.117-126, hier: S.119.

34 Sabine Grenz, “Feldpostbriefe, die nie versandt wurden. Das Brieftagebuch der Ursel H. - Konstruktion einer Beziehung,” in Schreiben im Krieg, Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, hg. Veit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jander (Essen: Klartext Verlag, 2010), S.253-262, hier: S.254.

35 Latzel, Deutsche Soldaten, S.15.

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Stimmungsbarometer der Truppen verwendet werden.37 Was versteht man aber nun unter einer “Geschichte von unten”?

Der Krieg war für die Soldaten der Wehrmacht anders als für die Generäle, die nicht direkt beim Kampfgeschehen dabei waren. Doch war es für die Soldaten nicht nur das „Gemetzel”, wie Elke Scherstjanoi schreibt, sondern auch die „Abwesenheit des zivilen Lebens”38, was ihre Kriegserfahrung anders als die ihrer Generäle machte.39 Sie argumentiert weiter, dass der Soldatenalltag eintönig war und den Zivilisten „kaputt” machte, denn das Kampfgeschehen gehörte nur zu den extremen Eindrücken.40 Der Soldat erlebte einen “Ausschnitt vom Krieg”41 und nahm nur das auf, was er wahrnehmen konnte. Dieser wahrgenommene Teil wurde vom Soldaten zu Papier gebracht und für die Empfängerin angepasst bzw. gefiltert. Folglich wurde die Zensur so gut wie möglich mit Codes umgangen, um der Familie in der Heimat doch einen Eindruck der Front zu verschaffen.42

Es gibt dennoch methodische Herausforderungen beim Benutzen der Briefe als Quelle. Scherstjanoi meint, die Soldatenbriefe beschreiben nicht die Wirklichkeit des Wohlergehens der Soldaten. Sie seien „nicht repräsentativ für sämtliche realen inneren Zustände.”43 Weiterhin schreibt sie, dass Briefe mit langen Beschreibungen über seelisches Wohlergehen nur die Ausnahme bilden. Kurze und herkömmliche Briefe werden laut Scherstjanoi gar nicht als Quelle benutzt, schon deshalb nicht, weil diese nicht aufbewahrt wurden. Meistens werden lange Briefe von geübten Schreibern als Quelle verwendet.44 Außerdem argumentiert Scherstjanoi, sollte die Feldpostforschung sich nicht auf Opfer-Täter Beziehungen richten, denn dafür seien die Briefe unbrauchbar. Dies hänge damit zusammen, dass viele der Briefe nicht über die Kriegsverbrechen berichten, sondern von Alltagsgesprächen geprägt seien.45 Außerdem erwähnen alle genannten Autoren, dass die Zensur der Briefe immer in Betracht gezogen werden muss und die Briefe deshalb nicht immer ein Bild der Wirklichkeit wiedergeben. Die Zensur wird im unteren Teil genauer erläutert.

37 Ebd., S.23f.

38 Scherstjanoi, “Als Quelle nicht überfordern!,” S.119.

39 Ebd., S.119. 40 Ebd., S.120. 41 Ebd., S.122. 42 Ebd., S.123. 43 Ebd., S.121. 44 Ebd., S.121. 45 Ebd., S.119.

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1.3 Zensur in Feldpostbriefen

Wenn man mit Feldpostbriefen arbeitet, ist es immer wichtig die Zensur zu berücksichtigen. Freilich steht in einem Brief nicht immer das, was der Autor wirklich denkt oder fühlt. Es ist daher schwieriger nachzuvollziehen, wie die Autoren wirklich über den Krieg und das Regime dachten, da Kritik grundsätzlich verboten war. Die Zensur ist nichts Neues im Zweiten Weltkrieg, sie war bereits im Ersten Weltkrieg und sogar im deutsch-französischem Krieg im 19. Jhd. anwesend.

Beim Verfassen wurde der Schreiber von außen beeinflusst, so meint Martin Humburg in seinem Aufsatz Deutsche Feldpostbriefe im Zweiten Weltkrieg. Er listet zwei Arten äußeren Einflusses auf. Als Erstes erwähnt er die Zensur, die durch das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) aufgestellt wurde und im folgenden Teil ausführlich erläutert wird. Als Zweitens nennt er die “Propagandistische Einwirkung.”46 Damit meint er den Einfluss des Regimes und der Propaganda auf die Schreiber, also was das Regime gerne in Feldpostbriefen sehen wollte. Humburg nennt dies “modellhafte Feldpostbriefe”47, die manchmal in Zeitungen, Broschüren oder in Heften veröffentlicht und an die Truppen geschickt wurden.

Äußere Zensur

In der Literatur wird zwischen der äußeren und der inneren Zensur unterschieden. Die äußere Zensur wurde durch Mittel von Stichproben durch die militärischen Kontrollinstanzen des Staates durchgeführt. Die Prüfung der Briefe wurde demnach nicht von Beamten der Feldpost, sondern von Prüfern des Militärs durchgeführt.48 Klaus Latzel schreibt in seinem Buch Deutsche Soldaten, dass die Zensur dazu diente, die Kriegsstimmung zu überwachen.49 Davon schreibt auch Detlef Vogel in seinem Aufsatz

Der deutsche Kriegsalltag im Spiegel von Feldpostbriefen. Die Feldpostbriefe dienten laut

Vogel nicht nur zur Kommunikation zwischen den Soldaten und ihren Familien, sondern auch zur „Absicherung des militärischen Apparates”50 und um sich ein „Stimmungsbild

46 Humburg, “Deutsche Feldpostbriefe,” S.16.

47 Ebd.

48 Hinrichsen, Die deutsche Feldpost, S.22f.

49 Latzel, Deutsche Soldaten, S.28.

50 Detlef Vogel, “Der Kriegsalltag im Spiegel von Feldpostbriefen (1939-1945),” in Andere Helme - Andere

Menschen? Heimaterfahrung und Frontalltag im Zweiten Weltkrieg ; ein internationaler Vergleich, hrsg.

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vom größten Teil der Bevölkerung”51 zu schaffen. Das bedeutet, die Zensur half nicht nur die militärischen Ziele vom Feind geheimzuhalten, sondern auch um sich ein Bild von der Kriegsmoral in der Heimat und an der Front zu schaffen, so Vogel.52

In seinem Aufsatz Vom Schreiben und Schweigen in der Feldpost schreibt Martin Humburg, dass die äußere Zensur im Grunde Vorschriften zur Geheimhaltung waren. Das OKW instruierte die Feldpostprüfstellen, die Briefe in Stichproben zu prüfen und wenn nötig zu zensieren. So, argumentieren Humburg und auch Latzel, sollte verhindert werden, dass zum Beispiel militärische Vorgänge, feindliche Propaganda oder Kritik an der Wehrmacht oder dem Regime an die Heimat verschickt wurden.53 Dies beinhaltete auch Bilder von z.B. Erschießungen, Leichen oder Gefangenenlagern, von denen das Fotografieren ohnehin schon verboten war, was aber von vielen Soldaten ignoriert wurde.54 Vogel schreibt, dass es verschiedene Kategorien der Zensur gab, wie “‘Haltung und Stimmung,’ ‘Stand und Disziplin,’ ‘Geheimhaltung,’ ‘Zersetzung’ [und] ‘Spionage und Sabotage’.”55 Er fügt hinzu, dass private Geschäfte bzw. Inhalte die Prüfer der Feldpostprüfstellen nicht interessierten.56

Die Soldaten waren sich, laut Humburg, von dieser Zensur bewusst und einige versuchten deshalb sie zu umgehen, indem sie z.B. Tarnnamen verwendeten. Er erwähnt ein anderes Beispiel: Bei der Familie Weizsäcker bedeutete ein Gedankenstrich hinter einem Satz das Gegenteil des Inhalts.57 Es war sogar verboten, den Standort des Autors mitzuteilen, denn falls der Brief in die Hände des Feindes fiel, konnte dieser Hinweise auf die deutschen Stellungen finden, so Humburg.58 Aber auch hier fanden Soldaten Wege, dieses Verbot zu umgehen. Humburg berichtet von einem Paar, dass ihr Briefpapier in der Form von Russland zuschnitt und durch ein Loch im Briefbogen konnte die Adressatin sehen, wo sich ihr Mann befand.59

51 Ebd.

52 Ebd.

53 Martin Humburg, “”Jedes Wort ist falsch und wahr - das ist das Wesen des Worts.” Vom Schreiben und Schweigen in der Feldpost”, in Schreiben im Krieg, Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der

Weltkriege, hg. Veit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jander (Essen: Klartext Verlag, 2010), S.75-86,

hier: S.80.

54 Petra Bopp, “”Rein ins Loch und weitergezeichnet.” Tagebücher, Feldpostbriefe, Zeichnungen und Fotos eines Wehrmachtsoldaten,” in Schreiben im Krieg, Schreiben vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der

Weltkriege, hg. Veit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jander (Essen: Klartext Verlag, 2010), S.297-306,

hier: S.302.

55 Vogel, “Der Kriegsalltag im Spiegel von Feldpostbriefen,” S.37.

56 Ebd.

57 Humburg, “Jedes Wort ist falsch und wahr,” S.80.

58 Ebd., S.80/81.

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Auf der Website der Museumsstiftung Post und Kommunikation steht auch, dass die Zensur die Soldaten am Anfang des Krieges abgeschreckt hatte, sich dies aber im Laufe der Zeit veränderte. „Viele Soldaten kritisierten die Zensur oder wiesen auf den Zwang zur Selbstzensur hin. Einige erfanden Umgehungsstrategien, um der Heimat ein genaueres Bild ihrer Erfahrungen zu übermitteln.“60 Dies schreibt auch Humburg und gibt ein Beispiel vom Obergefreiten Otto H., der 1941 noch beruhigend über das Öffnen der Feldpost durch die Prüfer schrieb. 1943 änderte sich aber seine Meinung; er wurde vorsichtiger und gab zu, dass er einige Dinge nicht schreiben dürfe.61 Vogel erwähnt noch, dass das Regime Einfluss auf die Schreiber auszuüben versuchte, denn nur durch Inhalte, die in den Augen des Regimes befürwortet wurden, konnte die „Kriegstüchtigkeit aufrechterhalten”62 werden, was Humburg als „modellhafte Feldpostbriefe”63 beschreibt. Somit entstand das Heft „Mitteilungen für die Truppe,” in dem Regeln und Richtlinien für das Schreiben von Briefen aufgelistet wurden. Vogel fügt hinzu, dass es harte Strafen beim Nichteinhalten dieser Regeln gab, welche aber im Laufe des Krieges die Soldaten nicht mehr abschreckten, wie er in seinem Aufsatz schlussfolgert.64

Innere Zensur

Die innere Zensur geschah durch den Autor selbst. Die Männer an der Front nahmen Rücksicht auf die Empfängerinnen zu Hause, denn sie wollten diese nicht beunruhigen. Laut Vogel haben die Soldaten nicht immer alle Erlebnisse nach Hause geschrieben, da diese womöglich die Sorgen und Ängste der Angehörigen bestätigten oder verschlimmerten. Gleichzeitig schrieben die Angehörigen der Soldaten nicht immer die Wirklichkeit von zu Hause, sondern schilderten nur die Welt so, wie sie sein sollte, um den Soldaten gleichwohl nicht zu beunruhigen.65 So entstand eine Art Selbstkontrolle beim Schreiben.66 Humburg fügt hinzu, dass alle Themen bei der inneren Zensur betroffen waren, vor allem diejenigen, für die man sich schämte. Deshalb findet man fast keine Passage über die Kriegsverbrechen in den Briefen, auch weil diese wegen der

60 “Feldpost und Zensur,” Museumsstiftung Post und Kommunikation, zuletzt besucht am 25.10.2018,

http://www.museumsstiftung.de/briefsammlung/feldpost-zweiter-weltkrieg/feldpost.html.

61 Humburg, “Jedes Wort ist falsch und wahr,” S.80f.

62 Vogel, “Der Kriegsalltag im Spiegel von Feldpostbriefen,” S.38.

63 Humburg, “Deutsche Feldpostbriefe,” S.16.

64 Vogel, “Der Kriegsalltag im Spiegel von Feldpostbriefen,” S.38 bzw. S.47.

65 Ebd., S.38.

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äußeren Zensur verboten waren.67 Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Soldaten davon nichts gewusst haben, so meint Humburg. Er argumentiert, dass traumatische Erfahrungen, wie eine Massenerschießung, für die Soldaten zu schwer zu beschreiben waren. Außerdem wollte man die Gefühle der Angehörigen (meistens Frauen) zu Hause schützen.68

Eine andere Herangehensweise bietet Frank Werner in seinem Aufsatz

Soldatische Männlichkeit. Er untersucht Feldpostbriefe im Rahmen der

Geschlechterrollen und erklärt, dass die Männlichkeit vom 19. Jahrhundert geerbt wurde, in der die “soldatische Männlichkeit zu den Tiefenstrukturen des sozialen Wissen [zählte].”69 Die Männlichkeit wurde während des Dritten Reichs politisch aufgeladen als Konsequenz der gescheiterten Republik, die in der nationalsozialistischen Hinsicht als weiblich (schwach) gesehen wurde. Dadurch, so folgert Werner, wurde der soldatische Charakter noch wichtiger und die politisch aufgeladene Männlichkeit wurde demnach im Vernichtungskrieg angewendet. Somit wurde das Geschlechterideal eine Rechtfertigung für das Anwenden von Gewalt.70 Beim Schreiben von Briefen galt das Geschlecht auch als Kontrolle, da die Soldaten die Schrecken des Kriegs den Frauen zu Hause vorenthalten wollten.71

Hinzu kommt auch, dass viele der Männer keine geübten Schreiber waren und es für sie schwierig war, ihr Wohlergehen in Worte zu fassen. In ihrem Aufsatz schreibt Elke Scherstjanoi, dass lange Briefe mit ausführlichen Beschreibungen über das seelische Wohlergehen des Autors eher die Ausnahme seien. Die Feldpostbriefe „sind in der Regel keine Spiegel innerer Befindlichkeit in Gänze,“ meint sie.72 Weiterhin argumentiert sie, dass die Männer, die Schwierigkeiten beim Schreiben hatten, oft Vorlagen wie Gedichte oder Liedtexte kopierten und diese modifizierten.73 Humburg schreibt in seinem Aufsatz Deutsche Feldpostbriefe im Zweiten Weltkrieg auch, dass viele mit dem Schreiben von Briefen nicht vertraut waren, jedoch mussten sie es tun, wollten sie ihren Angehörigen etwas Erlebtes mitteilen. Für die Soldaten bot dies eine zusätzliche Schwierigkeit, da die Erlebnisse oft sehr extrem waren und sie

67 Humburg, “Jedes Wort ist falsch und wahr,” S.82.

68 Ebd., S.83.

69 Frank Werner, ""Hart Müssen Wir Hier Draußen Sein". Soldatische Männlichkeit Im Vernichtungskrieg 1941-1944, Geschichte Und Gesellschaft 34, no. 1 (2008): 5-40, hier: S.8.

70 Ebd., S.9.

71 Ebd., S.14.

72 Scherstjanoi, “Als Quelle nicht überfordern!” S.121.

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Schwierigkeiten hatten, dieses Erfahrungen zu Papier zu bringen, so Humburg.74 Er erwähnt auch, um durch die andere Partei verstanden werden zu können, griffen die Schreiber/innen auf spezifische Themen zurück, die sowohl Mann und Frau verstehen und in ihrer eigenen Situation interpretieren konnten. Humburg zählt vier davon auf. Erstens Themen aus Friedenszeiten, wie z.B. Pläne für das Haus oder Studium bzw. den Lehrgang. Zweitens Themen aus dem Kriegsalltag, die die Adressatinnen in der Heimat in ihre Situationen “übersetzen” können: Schmutz, Kälte, Insektenplagen, Langeweile, Hitze, staubige Straßen oder Ähnliches. Drittens, das Hungern, wie Humburg schreibt, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Als Letztes erwähnt er, dass die Realität des Krieges immer nur abgeschwächt in den Briefen zu Wort kam,75 was wie erwähnt mit der inneren Zensur zu tun hatte.

Wie wichtig waren die Briefe nun aber für die Front und die Heimat? Clemens Schwender schreibt in seinem Aufsatz Feldpost als Medium sozialer Kommunikation, dass die Feldpostbriefe von Soldaten kaum von militärischen Erlebnissen berichten, denn dies durfte wegen der Zensur ohnehin nicht. Die Briefe waren laut Schwender dazu da, die Kontakte zu Hause aufrecht zu erhalten. Deshalb zeigen die Briefe auch überwiegend Alltagsgespräche auf, denn schließlich war es das einzige Kommunikationsmittel zu dieser Zeit76 Es gab neben den Briefen auch den Heimaturlaub, der jedoch nur zwei Mal pro Jahr aus jeweils zwei Wochen bestand. Oftmals gab es gar keinen Urlaub, denn es war aus Personalmangel gar nicht möglich. Er argumentiert auch, dass die Schreiber/innen mehr nach den Erfahrungen der Empfänger/innen fragten, als über ihre eigenen Erfahrungen berichteten, da diese oft zu schmerzhaft waren.77 Beiden Parteien, so Schwender, war das Wohlergehen des Anderen wichtig.78 Außerdem argumentiert er, beide Seiten sprachen zwar manche schwere Themen zwar an, aber nur indirekt, d.h. durch Erfahrungen von Anderen. Bekannte Themen davon sind z.B. Tod und Angst.79

Mit diesem Wissen der äußeren als auch der inneren Zensur im Hinterkopf kann man nun die Feldpostbriefe auf ihre Inhalte untersuchen. Bekannte Themen aus

74 Humburg, “Deutsche Feldpostbriefe,” S.17.

75 Humburg, “Deutsche Feldpostbriefe,” S.17.

76 Clemens Schwender, “Feldpost als Medium sozialer Kommunikation,” in Schreiben im Krieg, Schreiben

vom Krieg. Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, hg. Veit Didczuneit, Jens Ebert und Thomas Jander (Essen:

Klartext Verlag, 2010), S, hier: S.127.

77 Ebd., S.128.

78 Ebd., S.132.

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anderen Forschung des Zweiten Weltkriegs, wie z.B. der Kriegsverbrechen, die in den Briefen nicht vorkommen, kann man also auf die Zensur zurückleiten. Man muss aber dazu auch erwähnen, dass die Angst vor den Strafen für das Brechen der Zensur im Laufe der Kriegsjahre weniger wurde. Das ergibt eine ausführliche Untersuchung meines Korpuses, in der zunehmend “gefährliche” Äußerungen der Soldaten zu finden sind.

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Der Krieg im Osten

Jeder Feldzug beginnt mit einem sorgfältig durchdachten Plan. Der Feldzug der Wehrmacht in Russland unterscheidet sich davon nicht. Es gab einen Plan, der aber aufgrund mehrerer Faktoren und Denkfehler, sowie Unterschätzungen in einem Desaster endete.

In diesem Kapitel wird eine kurze militärische Übersicht des Zweiten Weltkriegs gegeben, zum weiteren Verständnis der später behandelten Briefe. Diese Übersicht bildet gleichzeitig auch einen Kontext, in dem die Briefe eingeordnet werden können. Zunächst wird auf den Plan des Oberkommandos des Heeres (OKH) eingegangen, danach werden die militärischen Ereignisse der Jahre 1941 bis 1945 genauer erläutert.

Die Wehrmacht in Russland

Manfred Rauh beschreibt in seinem Buch Geschichte des Zweiten Weltkriegs den Plan des Oberkommandos des Heeres (OKH) für den Krieg in Russland. Ihr Ziel war es, einen schnellen Vormarsch zu planen, um eine Mobilisierung des Feindes zu verhindern. Die Industriegebiete bis zur Wolga sollten schnell besetzt werden und somit den Feind von seinen Materialien abzuschneiden. Die Hauptstoßrichtung sollte nach Moskau gesteuert werden. Durch diese Maßnahmen sollte ein „Verschleißkrieg“80 verhindert werden, da die Wehrmacht einem langen Krieg gegen die Sowjetunion nicht gewachsen war. Jedoch wurde der Plan durch die Unstimmigkeiten der militärischen Führung erschwert und deshalb war die Wehrmacht bereits im Herbst 1941 so geschwächt, dass die Rote Armee genug Zeit hatte, ihre Truppen und Materialien zu mobilisieren und aufzurüsten.81 David Stahel erwähnt dazu noch, dass das OKH die Fähigkeit der Roten Armee sich schnell zu erholen unterschätzt hatte, denn die Mobilisation der Russen ging so schnell voran, dass sie ihre Verluste schneller ausgleichen konnten, als die Wehrmacht.82

80 Manfred Rauh, Geschichte des Zweiten Weltkriegs Band 3 (Berlin: Duncker und Humbolt, 1998), S. 71-136., hier: S.72

81 Rauh, Geschichte des Zweiten Weltkriegs, S.71f.

82 David Stahel, „Radicalizing Warfare: The German Command and the Failure of Operation Barbarossa,“ in Nazi Policy on the Eastern Front, 1941, hrsg. Alex J. Kay, Jeff Ruthenford und David Stahel (Rochester: University Press, 2012), S.19-44, hier: S.26f.

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Christian Hartmann stellt in seinem Buch Operation Barbarossa fest, dass die Wehrmacht während des Ostkrieges immer im Sommer ihre Offensiven startete und die Rote Armee im Winter. Außerdem, argumentiert er, nahm die deutsche Kampfkraft von Jahr zu Jahr ab. Im Jahr 1941 konnte die Wehrmacht noch entlang der gesamten Front angreifen. 1942 war es nur noch eine Heeresgruppe, im Jahr darauf noch zwei kleinere Heeresgruppen und 1944 konnte die Wehrmacht überhaupt keinen Gegenangriff mehr erzielen.83 Antony Beevor schreibt in einem Kapitel seines Buches The Second World

War, dass die schnellen Siege im Westen Europas den Deutschen ein

Überlegenheitsgefühl gaben und darum von deutscher Seite an einen schnellen Sieg über die Sowjetunion geglaubt wurde.84 David Stahel erwähnt zusätzlich in seinem Aufsatz Radicalizing Warfare: The German Command and the Failure of Operation

Barbarossa, dass die deutsche Führung sich bei den Vorbereitungen der Invasion

Russlands auf die technologische Innovation verließ, denn diese hatte ihnen schließlich beim Sieg über Frankreich geholfen.85 Er erwähnt zusätzlich, dass bei den Vorbereitungen auch einige Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten zwischen Hitler und dem OKH entstanden. Jedoch leistete das OKH nur wenig Widerstand gegen Hitler.86

Hartmann erklärt, dass obwohl die erreichte Kampfkraft der Wehrmacht die Größte war, die Deutschland je Zustande gebracht hatte, es nicht genug war, einen Sieg über die Sowjetunion zu erzielen. Dies lag unter anderem daran, dass die Ressourcen aus Deutschland nicht ausreichten. Zwar waren die Soldaten sehr gut ausgebildet und wurden durch gut ausgebildete Befehlshaber geführt, trotzdem war es ein mehr oder weniger improvisiertes Heer. Hartmann meint, dies hänge mit der Geschichte der deutschen Armee zwischen 1919 und 1933 zusammen, in dem die Reichswehr durch den Versailler Vertrag auf 150.000 Mann verkleinert wurde. Außerdem war die Modernisierung der Fahrzeuge zurückgeblieben und limitiert. Infolgedessen mussten die Soldaten im Zweiten Weltkrieg sehr viel marschieren.87 Die Infanterie war zwar, so meint Hartmann, das Kernstück der Wehrmacht, aber die motorisierten Einheiten konnten auch ohne diese operieren und konnten die feindlichen Linien durchbrechen,

83 Christian Hartmann, Operation Barbarossa. Nazi Germany’s War in the East 1941-1945 (Oxford: University Press, 2013), S.46.

84 Antony Beevor, The Second World War (London: Orion Publishing Group Ltd, 2012), S.190f.

85 Stahel, „Radicalizing Warfare,” S.22.

86 Ebd. S.24.

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wodurch Blitzkrieg möglich war. Aber, so sind sich alle Autoren einig, scheiterte dieses Manöver beim Vormarsch in die Sowjetunion bereits im Herbst 1941. Deutsche Verluste waren erheblich, weil es nicht genügend Reserven gab, die die Lücken auffüllen konnten. Ab 1943 wurden die Divisionen immerhin mit modernisierten Waffen ausgestattet, doch, so folgert Hartmann, war es bereits zu spät um den Krieg noch gewinnen zu können.88

1941 - Der Überfall: Operation Barbarossa

Der Überraschungseffekt spielte laut David Stahel beim Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni, 1941 eine große Rolle. Der Angriff verlief entlang der gesamten Front (1800 km) und die deutschen Truppen brachen durch die feindlichen Linien. Antony Beevor argumentiert, dass die Rote Armee auf diesen Angriff völlig unvorbereitet war.89 Hinzu kommt, dass die Rote Armee durch Stalins „Säuberung“ kaum noch erfahrene Befehlshaber hatte. 90

Die Wehrmacht, so Beevor, manövrierte wie sie es im Feldzug gegen Polen und Frankreich bereits getan hatte, um durch einen weiteren Blitzkrieg den Sieg zu erringen. Dazu konnten die Panzergruppen in das Gebiet der Sowjets vordringen und ihren Gegner einkesseln. Die Infanterie würde dann nachkommen und diese Kessel „bereinigen“ bzw. die Soldaten gefangen nehmen. Heeresgruppe Nord sollte Richtung Leningrad vorstoßen, Heeresgruppe Mitte bewegte sich nach Weißrussland. Dort kesselten sie die Stadt Minsk ein, die wenig später in die Hände der Deutschen fiel.91 Heeresgruppe Süd stieß in die Ukraine vor und wurde durch zwei rumänische Armeen unterstützt.92 Beevor erwähnt, dass Heeresgruppe Süd am langsamsten war, weil die sowjetischen Kräfte im Süden am stärksten waren, da die sowjetische Führung damit gerechnet hatte, dort der Hauptstoßraft der deutschen Wehrmacht zu begegnen. Das Ziel der Heeresgruppe Süd war es, Kiew einzunehmen. 93

Zunächst schien diese Taktik zu funktionieren; in drei Wochen hatte die Wehrmacht einen schnellen Vormarsch in die Sowjetunion erzielt. Laut Beevor dachten viele, dass der Krieg bald entschieden sei, auch Großbritannien und die USA. Doch war

88 Ebd. S.28.

89 Beevor, The Second World War, S.191ff

90 Ebd. S.194.

91 Ebd. S.193.

92 Ebd. S.194.

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die Kraft der deutschen Wehrmacht schnell erschöpft. Die Panzergruppen konnten die eingekesselten Einheiten nicht halten. Die Infanterie, die den Kessel „säubern“ sollten, mussten die Panzereinheiten noch einholen und waren sehr oft völlig erschöpft vom Marschieren. Außerdem hatten die Deutschen keine Luftüberlegenheit mehr, da die Luftwaffe durch den Kampf gegen England 1940 sehr geschwächt war. Die Zeit bis zum Überfall der Sowjetunion wurde nicht genutzt, um die Luftwaffe aufzurüsten. Daher waren sie in der Luft den Sowjets unterlegen. Beevor erwähnt auch noch, dass die russischen Soldaten nicht einfach aufgaben, sondern mit fanatischer Widerstandskraft weiterkämpften, entweder aus freiem Willen oder sie wurden dazu gezwungen. Laut Beevor machten sich trotz der raschen Fortschritte beim OKH erste Zweifel breit, ob ein Sieg auf deutscher Seite 1941 noch möglich sei. Die Wehrmacht hatte schlimme Verluste erlitten und konnte die Versorgungswege nicht verteidigen. Dazu kommt auch noch, dass die Front sich in Kilometern fast verdoppelt hatte, nämlich von 1800 km auf 2500 km.94

Im Nachhinein, so argumentiert Hartmann, wird deutlich, dass die Wehrmacht ungenügend auf die Invasion der Sowjetunion vorbereitet war. Dies galt für das Klima als auch für Reserven und Vorräte aller Art, die bereits in den ersten Wochen knapp wurden.95 Der deutsche Vormarsch kam daher relativ schnell zum erliegen. Stahel fügt hinzu, dass die schlechten Straßen und der Mangel an Treibstoff und Munition die Angriffe der Wehrmacht verlangsamten. Außerdem versagten die Motoren der Fahrzeuge durch den aufgewirbelten Staub und es kostete Zeit, diese wieder zum Laufen zu bringen, falls dies überhaupt gelang. Es gab laut Stahel ab Herbst 1941 auch keine entscheidenden Siege mehr, die den Fall der Roten Armee hätten verursachen können und so wurde der Blitzkrieg zu einer lang andauernden Kampagne, die das OKH eigentlich verhindern wollte.96 Dies sah auch Fritz Todt, der Bauminister und später auch noch Leiter der Rüstungs- und Munitionsproduktion Deutschlands ein. Er hatte bereits 1940 Zweifel an einem Sieg, denn als Leiter der Kriegsproduktion erkannte er, dass Deutschland im Vergleich zu England, welches von Amerika unterstützt wurde, nicht genügend produzierte.97 Nach Beginn des Russlandfeldzuges wurden seine Zweifel bestätigt. “Der Krieg ist militärisch nicht mehr zu gewinnen,” hatte er zu Hitler gesagt

94 Ebd. S.199f.

95 Hartmann, Operation Barbarossa, S.47ff.

96 Stahel, Radicalizing Warfare, S.27ff.

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und auf Hitlers Frage, wie er denn sonst zu beenden sei, meldete Todt: “Er ist nur noch auf politischem Wege zu beenden.”98

Nach diesen Erkenntnissen war die deutsche Führung sich nicht sicher, was sie als Nächstes tun sollten, denn eine Besatzung ohne einen erfolgreichen Sieg im Felde stand außer Frage, so schreibt Rauh.99 Durch sowjetische Gegenangriffe bei Smolensk, musste Heeresgruppe Mitte in die Verteidigung übergehen. Heeresgruppe Nord ging weiter Richtung Leningrad, welches sie Mitte August 1941 einkesselten und ab dem 8. September belagerten, doch laut Beevor fehlte ihnen die nötige Kraft um durch die Verteidigungslinien zu stoßen.100 Für einen Erfolg musste ein zentraler Punkt angegriffen werden und dieser war Moskau. Heeresgruppe Süd bewegte sich zunächst Richtung Kiew, denn bevor ein Angriff auf Moskau gestartet werden konnte, musste Kiew eingenommen werden, was schließlich im September geschah.101

Der Angriff auf Moskau begann daher erst im Oktober 1941 als das Wetter sich bereits änderte. Regen und Schlamm erschwerten die Fortbewegung der Truppen, bis schließlich Heeresgruppe Mitte im Schlamm stecken blieb und nur sehr langsam vorankam, schreibt Hartmann. Außerdem brach der Winter schon langsam ein, doch die deutsche Führung hatte nicht genügend Winteruniformen organisiert.102 Als klar wurde, dass ein Angriff auf Moskau nichts erreichen würde, wurde der Rückzug befohlen, so Rauh. Aber Hitler war damit nicht einverstanden und brachte somit die Pläne des OKH durcheinander. Die Generäle versuchten noch Einfluss auf Hitler auszuüben und somit gelang es doch noch die Verteidigung bei Moskau zu erzielen.103

Am 5. Dezember startete eine Gegenoffensive der Roten Armee, die die Wehrmacht 150 bis 300 Kilometer zurückzwang. 104 Die Rote Armee rechnete schon fast sicher mit einem Erfolg, da die Wehrmacht durch das Fehlverhalten Hitlers geschwächt war.105 Das OKH forderte einen Rückzug von 100 bis 200 Kilometern, doch Hitler hatte Mühe einen Rückzug zu bewilligen.106 Die Heeresgruppe Mitte schaffte es Mitte Dezember ihre Winterstellungen zu beziehen, so wie es vom OKH geplant war - jedoch

98 Ebd., S.356.

99 Rauh, Geschichte des Zweiten Weltkriegs, S.73.

100 Beevor, The Second World War, S.202ff.

101 Ebd. S.200f.

102 Hartmann, Operation Barbarossa, S.50f.

103 Rauh, Geschichte des Zweiten Weltkriegs, S.74.

104 Hartmann, Operation Barbarossa, S.53f.

105 Rauh, Geschichte des Zweiten Weltkriegs, S.77.

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verspätet. Heeresgruppe Süd musste jedoch die Stellungen halten und Nord musste sich zurückziehen.107 Hitler war laut Rauh eigentlich der Meinung, dass man nirgendwo ausweichen sollte, schon gar nicht freiwillig. Wenn die Stellung wirklich nicht gehalten werden konnte, dann nur teilweise zurückziehen. „An die Stelle militärischer Führungskunst trat der bloße Wille; weitblickende Stabsarbeit wurde ersetzt durch sprunghafte Augenblicksfälle eines Laien.“108 Somit kam auch Hitlers „Haltebefehl“ am 18. Dezember 1941: Rückzug war verboten, die Truppen sollten fanatischen Widerstand leisten und die Stellungen halten.109 Der Haltebefehl wurde aber von Befehlshabern als „undurchführbar“110 erklärt, schreibt Rauh. Der Stab wusste, dass mit diesem Befehl die Front irgendwann zusammenbrechen würde. Doch Hitler beharrte weiterhin auf seinen Haltebefehl, obwohl ein früher Rückzug keine Gefahr darstelle. Diese trat erst mit Hitlers Haltebefehl ein.111 Der Winter 1941/42 verlieh schließlich, so Hartmann, beiden Seiten eine willkommene Atempause um ihre Kräfte zu sammeln.112

Durch den gescheiterten Angriff auf Moskau und auch weiterhin nicht erreichte Ziele im Osten, war die Wehrmacht geschwächt und es entstanden Leerstellen in den Divisionen, die gefüllt werden mussten. Rauh schreibt, dass das OKH dazu andere Divisionen auflöste, um die Leerstellen zu füllen. Die Reserven, die aus dem Westen kamen (Westdivisionen), hatten wenig Erfahrung und kamen durch die Wetterverhältnisse viel später bei der Front an als geplant. Es sollten auch Kriegsfähige aus dem Reich kommen, um das Heer zu stärken.113 Rauh argumentiert weiter, dass es insgesamt drei Monate dauerte, bis alle Leerstellen ausgefüllt waren. Die Heeresgruppe Mitte, zum Beispiel, hatte große Verluste, wofür nur ungenügend Ersatz eintraf. Erst ab Januar/Februar 1942 war sie wieder vollständig. Währenddessen war die russische Verstärkung viel umfangreicher. Somit hatten die Deutschen wertvolle Zeit verloren.114

107 Ebd. S.81.

108 Ebd. S.82.

109 Ebd.

110 Ebd. S.83.

111 Ebd. S.87.

112 Hartmann, Operation Barbarossa, S.53f.

113 Rauh, Geschichte des Zweiten Weltkriegs, S.79.

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1942 - Neuer Versuch: Operation Blau

Das Auffrischen der Truppenverbände und die Stabilisierung der Front dauerten laut Rauh noch bis Februar/März 1942. Nach der Lösung dieser Krise wurde mit den Vorbereitungen für eine neue Offensive begonnen.115 Operation Blau war im wesentlichen der gleiche Plan wie das Unternehmen Barbarossa, das aber im vergangen Jahr scheiterte. Operation Blau, so schreibt Beevor, hatte ursprünglich drei Phasen. Erstens sollte Varonezh eingenommen werden, dann sollte die 6. Armee die Sowjets am Don einkesseln und nach Stalingrad vorstoßen – nicht unbedingt einnehmen. Schließlich sollten sie von dort aus in den Kaukasus vordringen und die Ölfelder besetzen.116

Die Sommeroffensive war, so schildert Rauh, allerdings wegen Materialmangel und Mangel an Öl nicht durchzuführen bzw. erfolgreich zu Ende zu bringen. Ein Zusammenbruch der Sowjetunion war angesichts dieser Umstände ausgeschlossen.117 Dies lag vor allem daran, dass das Ostheer noch immer Lücken aufwies und die eigentliche Kampfkraft nicht wiederhergestellt werden konnte. Rauh schreibt, dass 1942 die Zahl der Divisionen und Soldaten nicht im richtigen Verhältnis war: Die Infanterie war zu schwach und die unterstützenden Truppen zu groß. Außerdem gab es nicht genügend Material, um die vorhandenen Divisionen auszustatten. Zudem konnte die Munitionsproduktion den Gebrauch gerade noch decken, jedoch traf dies nicht auf den Treibstoff zu, der laut Rauh bis September 1942 gereicht hätte.118 Die Schwäche des Ostheers bestand also darin, dass erstens der Ersatz nicht logisch eingegliedert werden konnte, um die Kampfkraft wiederherzustellen. Zweitens gab es nicht genug Material um die Divisionen aufzurüsten und drittens gab es einen „Mangel an Materialreserven.“119 Aufgrund dieser Umstände war sich das OKH nicht sicher, ob es im Jahr 1942 noch einen Teilerfolg auf deutscher Seite geben würde.120

Die Offensive startete am 28. Juni 1942 und die Wehrmacht machte zunächst schnelle Fortschritte. Doch durch das Eingreifen Hitlers wurde der Ablauf verändert. Er entzog dem Angriff bei Varonezh Kräfte, indem er die eigenen Truppen überschätze, so argumentiert Beevor.121 Außerdem schlug das Einkesseln der sowjetischen Truppen am

115 Ebd. S.90.

116 Beevor, The Second World War, S.333.

117 Rauh, Geschichte des Zweiten Weltkriegs, S.93-96.

118 Ebd. S.99f.

119 Ebd. S.100.

120 Ebd. S.101

Referenties

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