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Bewegungsarten von Körpern als Zugang zum Kraftbegriff

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Abb. 2: Der Körper ist im Gleichgewicht, die Seele anerkennt das nicht!

Langlich verformt und zornesrot bleibt auch das Ohr in groBer Not.

Die Themenübersicht auf der folgenden Seite zeigt die Abfolge der Unterrichts- schritte. Die Überschriften deranschlie- Renden Darstellung entsprechen dieser Übersicht. lm weiteren Text sind die einzelnen Unterrichtseinheiten nur inso- weit ausführlicher dargestellt, als der Unterrichtsgang von den üblichen Vor- gehensweisen abweicht.

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Unterrichtsmodell

Bewegungsarten von Körpern als Zugang zum Kraftbegriff

Ein einführender Unterrichtsgang in die Newtonsche Mechanik

Von Heinz MuckenfuB* (Bron: Naturwissenschaften im Unterricht Physik/Chemie; Heft 34:Kraftbegriff;

Mai 1988; Fachzeitschriften bei Friedrich in Velber in Zusammenarbeit mit Klett, 3016 Seelze)

1. Wesentliches als Vorbemerkung

des Unterrichtsganges wurden auch in einigen Hauptschulklassen realisiert, ohne daB wesentlich verschiedene Er- gebnisse bezüglich der Motivation und des kognitiven Lernerfolges festgestellt wurden.

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- "Welcher Körper treibt ein beschleu- nigtes Auto an (Abbildung 1)?"

Schuier und Studenten antworten meist spontan: "der Motor". Geht man der Fra- ge weiter nach, etwa mit dem Hinweis, ob das nicht vielleicht dasselbe ware, wie wenn sich Münchhausen am eige- nen Schopt aus dem Sumpfzieht.sowird meist deutlich, daB die Differenzierung von Wechselwirkungskraften und Gleichgewichtskraften nicht gerade zu den jederzeit abruf- und anwendbaren Denkstrukturen gehort. Die Idee, daB der Wechselwirkungspartner des Autos ja wohl schwerlich der Motor sein kann (sonst müBte er sich in der zum Auto entgegengesetzten Richtung verab- schieden), ist offenbar nicht sehr nahe- liegend.

Der Kraftbegriff gehort scheinbar nach wie vor zu den schwer zu lernenden Konzepten der klassischen Physik.

Sind die betreffenden Sachstrukturen wirklich so schwierig, oder liegt das Pro- blem an anderer Stelle, namlich in der etablierten Didaktik zum Kraftbegriff und damit in den methodischen Konventio- nen des Physikunterrichts?

Dem folgenden Beitrag liegt die These zugrunde, daB der konventionelle Unter- richt die Lernprobleme zum Kraftbegriff unbeabsichtigt versterkt, die er beheben sollte. Zur naheren Begründung dieser These sei auf den Basisartikel von R. Duit verwiesen.

Das vorliegende Unterrichtskonzept geht davon aus, daB die Anwendung des Kraftbegriffes für die Vorhersage physi- kalischer Wirkungen ohne Kenntnis der

"Newtonschen Axiome" spekulativ und damit unphysikalisch ist.

DieEinheit wurde u.a. im Unterricht einer 8. Realschulklasse (Baden-Württem- berg) erprobt. Für diese Klasse war das Thema zugleich der Einstieg in den Physikunterricht überhaupt. Varianten

Abb. 1: Der Fahrer trilt auf's Gaspedal, die StraBe spurt das allemal! S/e schiebt das Auto

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Themenübersicht:

2.1 Bewegung von Körpern - Klassifikation von Bewegungen - Geschwindigkeit als physikalische

GröRe

- Graphische Darstellung von Be- wegungen

2.2 Die Anderung von Bewegungs- zustanden

- Eine Kraft auf einen Körper, Tragheitssatz

- Mehrere Krafte auf einen Körper:

Kraftegleichgewicht und - ungleichgewicht an einem Körper

- Verformung von Körpern als Be- gleiterscheinung von Kraften.

2.3 Tragheit und Schwere, Masse und Gewichtskraft

- Zusammenhang zwischen Trag- heit, Schwere und Masse - Masse und Gewichtskraft

2.4 Kraftmessung und Kraftmesser 2.5 Das Wechselwirkungsgesetz - Kraft und Gegenkraft

- Gleiche Krafte, verschiedene Wir- kung

2. Die Unterrichtseinheiten

2.1 Bewegungen von Körpern Klassifikation von Bewegungen lm Pausenhof der Schule werden viele unterschiedliche Spielzeuge in Bewe- gung gesetzt (Z.B. Schwungradauto, Uhrwerkauto, Windrad, Eisenbahn auf Kreisbahn und auf gerader Schienen- strecke, Luftballon, u.v.a.m.). Die Schu- ier haben den Auftrag, die Bewegung jedes einzelnen Spielzeugs in Stichwor- ten schriftlich zu beschreiben. In der anschlieBenden Gruppenarbeit werden die Bewegungen von den Schülern nach Kriterien geordnet, die ihnen sinnvoll erscheinen.

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Unterrichtsmodell

Die Klassifikationen der Schuler entspre- chen sicher nicht spontan der physikali- schen Einteilung der Bewegungsarten.

Die anfallenden Beobachtungsergeb- nisse und Begriffe fordern aber eine Strukturierung der Bewegungsarten mit Hilfe vereinbarter Oberbegriffe heraus.

Begriffskonventionen wie gleichförmige und ungleichförmige Bewegungen wer- den dazu mitgeteilt.

Der Geschwindigkeitsbegriff wurde nicht in seiner umfassenden Bedeutung als VektorgröBe eingeführt, um den Un- terricht nicht von Anfang an theoretisch zu überladen. Vielmehr schien es uns zweckmaBig, vorlaufig der Alltagsspra- che zu folgen, in der "konstante Ge- schwindigkeit" M= const. bedeutet.

Richtungsanderungen werden also nicht als Geschwindigkeitsanderungen bzw. Beschleunigungen aufgefaBt.

Sprachlich bedeutet dies, daB ein Kör- per sowohl seine Geschwindigkeit an- dern kann (schneller oder langsamer werden) als auch seine Richtung.

Geschwindigkeit als physikalische Grosse

Einzelheiten dieses Abschnittes - Z.B.

der Weg der Begriffsbildung - können hier nicht weiter erörtert werden. Am Ende dieser Einheit kennen die Schuier die Definition der Geschwindigkeit, ihre Berechnung aus MeBwerten, sowie Umrechnungen von Geschwindigkeits- angaben in verschiedene Einheiten.

Graphische Darstellung von Bewegungen

Um Bewegungen eines Körpers symbo- lisch charakterisieren zu können, wer- den "Bewegungspfeile" eingeführt. Es wird vereinbart, daB diese immer blau zu zeichnen sind, um sie spater von den rot gezeichneten Kraftpfeilen zu unter- scheiden, und daB sie in den Abbildun- gen über oder unter den bewegten Kör- per eingetragen werden. Die Richtung des Pfeils zeigt die Bewegungsrichtung, die Lange ist ein MaB für die (Momentan) -Geschwindigkeit. Damit ergeben sich Z.B. für verschiedene Spielzeuge die Bewegungsablaufe der Abbildungen 3, 4 und 5. Die Bildlegenden entsprechen den Sprachregelungen des Unterrichts.

Man gewinnt die Diagramme dadurch, daB man neben den Spielzeugen eine Papierrolle (Kassenzettel) ausrollt. Auf dem Papierstreifen werden im Takt des Metronoms Wegmarken am jeweiligen Ort des Fahrzeuges eingezeichnet.

AnschlieBend werden die Streifen ge- maB den Zeiteinheiten zerschnitten und an die Tafel in das Diagramm geklebt (s.

dazu auch [1 ]). Eine Testaufgabe zu die- ser Unterrichtseinheit zeigt Abbildung 6.

2.2 Die Anderung von Bewegungszustanden Eine Kraft au f einen Körper, Tragheitssatz

Ich skizziere diesen zentralen Unter- richtsabschnitt knapp gemaB der Abfol- ge einzelner Erkenntnisschritte:

1. Schritt

Experimentelle Problemstellung: Ein mit Wagestücken beladener Wagen der Spielzeugeisenbahn(Spurweite45mm!) wird auf einem langen (6m!) geraden Schienenstück angestoBen. Er rollt mit kaum beobachtbarer Verzögerung. Wie laBt sich verhindern, daB der Wagen am Schienenrand von den Gleisen rollt?

(Abbildung 7).

Ergebnisse (Beispiele): Man muB den Wagen mit der Hand anhalten; am Schie- nenrand muB ein Bremsklotz angebracht werden, u.a.

Konventionen: In der Physik sagt man, auf den Wagen muB eine Kraft ausgeübt werden, urn ihn zu verzögern. Die Kraft muB entgegen der Bewegungsrichtung wirken.

Krafte werden mit Kraftpfeilen darge-

stellt. Kraftpfeile werden immer rot ge- zeichnet, urn sie deutlich von den Bewe- gungspfeilen zu unterscheiden.

Die Symboleigenschaften Lange, Pfeil- richtung und Angriffspunkt werden er- lautert (s. dazu auch die Bemerkungen im Basisartikel). Es wird vereinbart, den Angriffspunkt an der Stelle des Körpers einzuzeichnen, an der die Kraft angreift (Abbildung 8). Ist diese Stelle nicht be- kannt oder für das Problem unwichtig, so kann der Kraftpfeil auch in der Mitte des Körpers eingezeichnet werden.

2. Schritt

Problem: Ein anderer Wagen ist so vor- bereitet, daB er nur ein kurzes Stück weit

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Unterrichtsmodell

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ist eine regelmaBig zu beobachtende Reaktion vieler Schuier auf diesen Ge- dankengang.

Es wird das Planetensystem an die Tafel gezeichnet. Die Reise von Voyager 2 wird beschrieben (Abbildung 11): 10 Jahre unterwegs, über 3 Milliarden Kilo- meter zurückgelegt, Durchschnittsge- schwindigkeit ca. 40 000 km/h (ausrech- nen lassen) - also soviel wie 1 mal urn die Erde in jeder Stunde und das seit zehn Jahren - Treibstoffverbrauch: so gut wie keiner (!), lediglich für Richtungsande- rungen wurde etwa soviel Sprit ver- braucht, wie ein Autotank faBt.

Bilder von Voyager 2 werden gezeigt die Aufgaben der Sonde werden erlau- tert [3]. In einigen Jahren wird sie weitere

1,5 Milliarden Kilometer zurückgeleg haben und am Planeten Neptun vorbei fliegen - antriebslos, mit unvorstellba groBer Geschwindigkeit!

Die Informationen über Voyager 2-Wor te, Bilder, Berechnungen- machen die kraftefreie Bewegung vorstellbar. Wem im spateren Unterricht immer wieder die scheinbare Erfahrung durchbricht, das kraftefreie Körper "von sich aus" zu Ruhe kommen, hat sich das Beispiel de Raumsonde bisher glanzend bewahr Irgend ein Schuler ruft mit dem Stichwort "Voyager!" immer wieder insGedachtni zurück, daB sich antriebslose Körper mit unverminderter Geschwindigkeit weite bewegen, wenn auf sie keine Kraft en gegen der Bewegungsrichtung ausge übtwird.

Die Stabilitat dieser Einsicht hangt sich<

nicht zuletzt davon ab, wie plastisch un , anschaulich die Schilderung reibung;

freier bzw. reibungsarmer Bewegunge gelingt. Eine Unterstützung durch Die rollt und dabei stark verzögert wird. (Die

Reibung wird an den Achsen mit Plastilin künstlich erhöht). Auf dem Wagen ist eine Hartschaumplatte quer zur Fahrt- richtung befestigt (Abbildung 9). Wie können wir erreichen, daB der Wagen besser rollt?

Möglichkeiten: Styroporplatte in Langs- richtung stellen oder entfernen, um den Luftwiderstand zu verringern. Radach- sen ölen, um die Reibung zu verkleinern.

Es gelingt, den Wagen so weit zu prapa- rieren, daB er nur noch minimal verzö- gert wird.

Folgerung: Es gibt Bewegungswider- stande (Lagerreibung, Rollreibung, Luft- widerstand) die zur Verzögerung des Wagens führen. Sie haben dieselbe Wirkung, wie Z.B. die Hand oder der Bremsklotz, mit denen der Wagen ange- halten wird. Die Bewegungswiderstande rufen also eine Kraft auf den Wagen entgegen der Bewegungsrichtung her- vor. Je gröBer diese Kraft ist, desto grös- ser ist die Verzögerung. Man kann die Bewegungswiderstande sehr klein ma- chen, dann wird der Wagen kaum noch verzögert.

3. Schritt

Geschwindigkeit und Bewegungswider- stand (Klassengesprach): Am Beispiel

des Fahrradfahrens und ahnlichen Er- fahrungen wird diskutiert, daB die Bewe- gungswiderstande und damit die Kraft entgegen der Bewegungsrichtung in der Regel gröBer werden, wenn die Ge- schwindigkeit eines Körpers wachst (Abbildung 10).

4. Schritt

Die Idee der reibungsfreien Bewegung (Klassengesprach): Lassen sich Bewe- gungswiderstande vollstandig aus- schalten? Was ware die Folge davon?

Es werden Bilder vom Curling gezeigt.

Die Bemühungen der Wintersportler in allen möglichen Sportarten werden dis- kutiert, die Bewegungswiderstande zu minimieren. Verkleidungen von Solar- mobilien, Rennwagen u.a. werden dis- kutiert. Die Einsicht ist schnell erzielt, daB sich in der Praxis Bewegungswiderstan- de nie vollstandig ausschalten lassen.

Aber was ware wenn...??

Es ist interessant zu beobachten, daB Schuler in dieser Phase des Unterrichts sich immer wieder über ihre eigenen SchluBfolgerungen wundern: Klar, die Geschwindigkeit des Wagens würde immer gleich bleiben. Körper-einmal in Bewegung gesetzt- würden sich ohne Bewegungswiderstande immer weiter- bewegen!?-"Das kann ja gar nicht sein",

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Mehrere Kräfte auf einen Körper:

Kräftegleichgewicht und

- Ungleichgewicht an einem Körper Kräfte oder Körper im Gleichgewicht?

Vor der Schilderung des Unterrichts- gangs möchte ich auf einige Probleme methodischer und sprachlicher Art hin- weisen: Sehr absichtsvoll hat der bishe- rige Unterrichtsgang immer den Körper in den Mittelpunkt der Betrachtung ge-

stellt, auf den eine Kraft ausgeübt wird.

Zwangsläufig kamen auch immer wieder die Körper in den Blick, welche die jewei- lige Kraft ausüben. In solchen Fällen wurden die Schüler angehalten, beide Körper streng zu unterscheiden. Außer- dem wurde darauf verwiesen, daß wir uns später noch ausführlich mit der Fra- ge befassen, wie denn eine Kraft auf einen Körper überhaupt erst zustande kommt (Wechselwirkungsgesetz, s.u.).

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Unterrichtsmodell

oder Bilder scheint unerläßlich. Gegenü- ber den 70-er Jahren konnte ich bei 12- 14-Jährigen auch wieder ein gesteiger- tes Interesse an Vorgängen im Weltall feststellen. Die Mondflüge sind für sie bereits Geschichte, kaum realer als Science-fiction-Darstellungen und ent- sprechend interessant.

5. Schritt

Kräfte in Bewegungsrichtung: Es ist si- cher der schwierigere Teil, zu vermitteln, daß Körper nur unter dem Einfluß einer Kraft zur Ruhe kommen, die entgegen der Bewegungsrichtung ausgeübt wird.

Ist dies eingesehen, so hat die Frage, wie denn eine beschleunigte Bewegung zustande kommt, fast nur noch rhetori- schen Charakter. "Von alleine wird nichts schneller" ist eine Alltagserfahrung. Daß eine Kraft in Bewegungsrichtung auf den Körper wirken muß, kann an vielen Bei- spielen plausibel gemacht werden (Abbildung 12).

6. Schritt

Kräfte schräg zur Bewegungsrichtung:

An Stahlkugeln, die über eine ebene Tischplatte rollen, wird gezeigt, daß die

Kugeln -sich selbst überlassen- ihre Richtung nicht ändern. Das Experiment wird unterstützt durch stroposkopische Aufnahmen von Billiardkugeln. (Hervor- ragende Bilder hierzu finden sich z.B. in [4]).

7. Schritt

Formulierung des Trägheitssatzes: Der Trägheitssatz wird nicht in der allgemein üblichen "Merkform" fixiert. Lernpsycho- logisch sind das Verharren in Ruhe ei- nerseits und das Beibehalten des Bewe- gungszustandes andererseits zwei ziemlich verschiedene Aspekte; denn die Phänomene von Ruhe und Bewe- gung stehen im Alltagsdenken nicht in einer Teilklassenbeziehung, sondern bilden Gegensätze. Den Ruhezustand als Sonderfall eines Bewegungszustan- des zu begreifen, ist eine Abstraktion, die im Grunde erst nach der Einsicht in das Trägheitsgesetz sinnvoll erscheint.

Die ausführliche Formulierung soll dem Rechnung tragen und außerdem den definitorischen Charakter des Trägheits- gesetzes für den Kraftbegriff verdeutli- chen.

An dieser Stelle wird der Unterrichtsfilm "Mit voller Wucht" gezeigt (FWU Nr. 32 3242). Dieser Film enthält eine Reihe eindrucksvoller Szenen zum Trägheits- gesetz, überwiegend in verkehrserzie- herischer Absicht. Bei Gesprächen mit den Schülern zeigte sich noch ein Jahr später, daß der Film bis in Details hinein in Erinnerung geblieben war. Er bildete somit einen zentralen assoziativen "Auf- hänger" für die Unterrichtsinhalte.

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Konsequenterweise führt diese Betrach- tung zu der Aussage, ein Körper (nicht die Kräfte!!) befinde sich im Gleichge- wicht, nämlich dann, wenn sich die Kräf- te, die auf ihn ausgeübt werden, kom- pensieren. Der Begriff "Kräftegleichge- wicht" ist insofern etwas unglücklich, aber kaum zu vermeiden. Umso eindeu- tiger müssen die experimentellen und bildhaften Darstellungen zeigen, daß sich die Gleichgewichtssituation auf einen bestimmten Körper bezieht.

Im Gegensatz dazu zeigen die Abbil- dungen 15 und 15a Beispiele für unge- eignete Darstellungen der Gleichge- wichtssituation. Hier tritt nämlich der

Körper im Gleichgewicht sowohl optisch als auch psychologisch in den Hinter- grund. Beim Tauziehen befinden sich alle Körper des Systems im Gleichge- wicht, also z.B. beide Mannschaften, das Seil und der Fußboden. Die Situation ist am einfachsten noch dann zu durch- schauen, wenn man die Betrachtung auf das Seil reduziert, an welchem Kräfte- gleichgewicht herrscht. Genau dieses Seil ist aber das psychologisch unbe- deutendste Element des Bildes.

Solange sich das System in Abbildung 15a im Gleichgewicht befindet, greifen

an jedem (Teil-)Körper mindestens zwei Kräfte in entgegengesetzter Richtung an, wobei jede Kraft zugleich Gleichge- wichtspartner und Wechselwirkungs- partner einer jeweils anderen Kraft ist.

Diese komplexe Situation erschwert die Differenzierung von Gleichgewichts- und Wechselwirkungskräften.

Kernpunkte der Unterrichtssequenz Es mag zunächst widersprüchlich anmu- ten, das Kräftegleichgewicht vor der Kraft- messung zu behandeln. Denn Gleichheit stellen wir i.d.R. über den Vergleich mit einer Norm fest. Aber das Kräftegleichge- wicht ist ein Postulat für den Fall der Ruhe oder gleichförmigen Bewegung, das sich aus dem axiomatischen Charakter des Trägheitssatzes als Folgerung ergibt.

Experimente haben dann den Status, die Behauptung eines Kräftegleichgewichts sinnvoll und plausibel erscheinen zu las- sen, nicht dieses zu beweisen. Insofern sind Messungen entbehrlich bzw. sogar ir^

reführend, weil sie eine "Beweisführung"

suggerieren.

Abbildung 16 zeigt eine experimentelle Situation zum Kräftegleichgewicht, in dem sich der Güterwagen befindet.

Die Schüler wissen bereits, daß eine Lokomotive alleine den Wagen in die

jeweilige Richtung beschleunigen wür- de. Die Lokomotive symbolisiert insoweit die Kraft, die auf den Wagen ausgeübt wird. Soll der Wagen von beiden Loko- motiven in jeweils entgegengesetzte Richtung beschleunigt werden, dann passiert garnichts; Der Wagen bleibt in Ruhe, an ihm herrscht Kräftegleichge- wicht. Der entscheidende Punkt bei die-

sem Versuch ist, daß der Wagen expres- sis verbis der Körper ist, der betrachtet wird. Die Lokomotiven symbolisieren lediglich die Kräfte.

(Experimenteller Hinweis: Beide Lokomoti- ven befinden sich auf elektrisch getrenn- ten Gleisstücken, die mit vertauschter Po-

lung an einen Trafo angeschlossen sind.) Dieser Darstellung schließen sich aus- führliche Diskussionen zu dynamischen Situationen des Kräftegleichgewichts an. Beispiele zeigen die Abbildungen

17, 18 und 19. Selbstverständlich wer- den auch Situationen zum statischen Gleichgewicht erörtert (Abbildung 20.) Bei der Diskussion von Beispielen wie in Abbildung 19 und 20 wird das Wort "Gewichtskraft" noch nicht verwendet.

Daß die Erde Körper anzieht, muß den- noch nicht unerwähnt bleiben. Die Schü-

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Ergebnis dieses Gesprächs ist, daß der Begriff Gewicht in der Alltagssprache in zwei unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wird. Einmal im Sinne der Masse (Trägheit) zum anderen jedoch auch im Sinne der Kraft, die von der Erde auf einen Körper ausgeübt wird. Mehr- deutige Begriffe versucht man in der Physik zu vermeiden. Für den Unterricht wird daher vereinbart, das Wort Gewicht durch den Begriff zu ersetzen, der je- weils gemeint ist, also entweder durch Gewichtskraft oder Trägheit bzw. Mas- se. Die Gewichtskraft wird als besonde- rer Fall der Gravitation bzw. Auswirkung der Schwere erläutert. Weil alle Körper aufgrund ihrer Schwere Kräfte auf ande- re Körper ausüben, zieht auch die Erde alle Körper an. Die Anziehungskraft der Erde auf andere Körper ist umso größer, je größer deren Masse ist. Man nennt diese Kraft auch Gewichtskraft (Die For- mulierung "der Körper hat eine Ge- wichtskraft" wird vermieden). An unter- schiedlichen Stellen der Erde kann die Gewichtskraft auf einen Körper ver- schieden sein. Auch mit wachsender Entfernung von der Erde wird sie kleiner.

Die Masse (Trägheit) eines Körpers ist jedoch unveränderlich.

2.4 Kraftmessung und Kraftmesser Im Unterrichtsgespräch wird erörtert, daß die Messung der Kraft mit Hilfe einer der Wirkungen erfolgen muß, die beob- achtbar sind. Prinzipiell könnte man jede Wirkung heranziehen, also Beschleuni- gung, Verzögerung, Richtungsände- rung und Verformung. Es werden ver- schiedene Möglichkeiten diskutiert. Die Schüler erkennen rasch, daß die Bewe- gungsänderungen nicht ganz einfach quantitativ zu erfassen sind. Die Verfor- mung eines Gummis, einer Feder o.a.

könnte man leichter messen. Sie hat außerdem den Vorteil, daß sie auch noch im Falle des Kräftegleichgewichts auf- tritt, bei dem ja die anderen Wirkungen verschwinden. Es werden Federkraft- messer verschiedener Belastbarkeit ausgeteilt, mit der Aufforderung zu ver- suchen, mit diesen Kraftmessern Kräfte zu bestimmen. Die Schüler kommen schnell auf die Idee, verschiedene Gewichtskräfte zu ermitteln (Schulmap- pe, Kugelschreiber, Jacke usw.). Rasch taucht die Frage auf, was denn das "N"

bedeutet. Die Krafteinheit "1 Newton"

wird den Schülern als Gewichtskraft auf einen Normkörper verdeutlicht. Als sol- cher Normkörper kann eine Tafel Scho- kolade (m = 100g) füngieren. Daraufhin werden jeder Gruppe mehrere Wäge- stücke mit m = 100g ausgeteilt (als Normkörper für 1N). Auf jedes Wäge- stück übt die Erde eine Kraft von etwa 1 N aus. In üblicher Weise kann damit das

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Verhalten elastischer Federn und der Aufbau von Kraftmessern besprochen werden.

2.5 Das Wechselwirkungsgesetz Kraft und Gegenkraft

Bis zu dieser Stelle des Unterrichts kommen unvermeidlicherweise immer wieder auch diejenigen Körper ins Blick- feld der Schüler, welche die Kräfte aus- üben.

(In der Realschulklasse waren es z.B. fol- gende Situationen, bei denen Schüler be- reits Fragen zur Wechselwirkung stellten:

- Die filmische Darstellung eines Crashtests löste die Vermutung aus, daß die Kraft auf die Wand größer ist als die auf das Auto.

- Bei der Besprechung der Gravitation ergab sich das Problem, ob ein Apfel auch an der Erde ziehe,

- Bei der Besprechung des Kräftegleich- gewichts vermuteten die Schüler, daß der Ast, an dem der Apfel hängt, mit größerer Kraft am Apfel ziehe als der Apfel am Ast.) Es ist sehr zu empfehlen, Schüleräuße- rungen hierzu mit dem Versprechen festzuhalten, daß die entsprechenden

Fragen zu gegebener Zeit behandelt werden. Dieser Stand des Unterrichts ist nun erreicht:

Zwei Schüler werden jeweils auf ein Brett gestellt, an dem vier Möbelrollen befe- stigt sind (Abbildung 21).

Beide Schüler sind über ein Seil verbun- den, an dem jeweils ein Kraftmesser befestigt ist, den die Schüler in der Hand halten. "A" wird aufgefordert an "B" zu ziehen. "B" wird ermahnt, nach Möglich- keit nicht an "A" zu ziehen. Beide Kraft- messer zeigen jedoch die gleiche Kraft an. Die Klasse fordert von "B" nicht zu ziehen. Dieser protestiert, das gehe nicht. "B" wird ausgewechselt, aber andere Mitschüler schaffen es auch nicht. Die Gleichheit beider Kräfte wird zunächst von den Schülern damit be- gründet, "daß 'A' und 'B' ungefähr gleich schwer sind." Nun besteigen der schwerste und der leichteste Schüler jeweils ein Brett. Auch hier ist es unmög- lich, auf einen der beiden Schüler eine größere Kraft auszuüben, als sie der andere erfährt. Selbst wenn ein Schüler auf dem Boden steht, ändert sich daran nichts. Wir können sogar noch weiter gehen und einen Schüler durch eine Wand ersetzen (Abbildung 22): Die Wand zieht am Schüler immer mit dersel- ben Kraft, wie dieser an ihr.

Die Schüler werden nicht müde, weitere Modifikationen der Versuchsanordnung vorzuschlagen mit dem Ziel, doch noch eine Situation zu finden, bei der die Kraft auf den einen Körper größer ist als auf den anderen. Man sollte sich die Zeit nehmen, allen Vorschlägen nachzuge-

hen, um die Universalität des Wechsel- wirkungsgesetzes plausibel werden zu lassen.

Gleiche Kräfte, verschiedene Wirkung Im vorangegangenen Unterrichtsab- schnitt kommt es auch dazu, daß die Schüler unterschiedliche Kräfte vermu- ten, weil die Wechselwirkungspartner unterschiedlich stark beschleunigt wer- den. (z.B. wenn ein schwerer und ein leichter Schüler auf dem Rollbrett ste- hen). Lediglich die Anzeige des Kraft- messers scheint dem zu widersprechen.

Dieses Problem wird nun mit der Anord- nung in Abbildung 23 genauer analy- siert.

Die Feder in der Mitte der Wagen hat einen Saugnapf, der sie einige Sekun- den lang zusammenhält (im Spielwaren- handel erhältlich). Entspannt sich die Feder, und hatten die Wagen eine gleich große Masse, so bewegen sich diese mit gleicher Geschwindigkeit auseinander.

Sie wurden also gleich stark beschleu-

nigt. Vergrößert man die Masse eines Wagens, so ist bei diesem trotz gleicher Kraft eine kleinere Beschleunigung zu erwarten. Denn es ist ja bereits bekannt, daß Körper mit größerer Masse auch größere Kräfte für bestimmte Bewe- gungsänderungen erfordern. Das Ver- suchsergebnis entspricht dieser Erwar- tung. Nun kann die Masse des einen Wagens beliebig vergrößert werden. Er wird dann trotz gleichbleibender Kraft immer weniger beschleunigt. Diese Si- tuation läßt sich z.B. auf einen anfahren- den Radfahrer übertragen: Er stößt die Erde nach hinten weg, und diese schiebt ihn mit gleicher Kraft nach vorne. Die Erde bewegt sich aber praktisch nicht, weil sie eine unvorstellbar viel größere Masse als der Radfahrer hat. Ein Apfel zieht an der Erde mit gleicher Kraft wie diese an ihm. Daß die Erde auf den Apfel zufällt, kann trotzdem nicht beobachtet werden, weil die riesige Masse eine merkliche Geschwindigkeitsänderung nicht zuläßt. Es empfiehlt sich, möglichst

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viele Beispiele dieser Artzubesprechen.

Begrifflich erscheint das Wort "Wechsel- wirkungskraft" umständlich. Es wird von den Schülern nicht gerne aufgenom- men. Wir haben uns damit beholfen, daß wir die Wechselwirkungskraft als Ge- genkraft von der Gleichgewichtskraft sprachlich unterschieden haben.

Gleichgewichts- und Gegenkräfte treten beide paarweise auf. Dies erschwert ihre Unterscheidung. Es ist deshalb empfeh- lenswert, folgende Differenzierungs- merkmale zu unterstreichen:

- Gleichgewichtspaare greifen an ein und demselben Körper an: (Abbil- dung 24).

- Gegenkraftpaare greifen immer an zwei verschiedenen Körpern an.

- Gegenkraftpaare treten immer auf, unabhängig davon, ob sich ein Kör- per im Kräftegleichgewicht befindet oder nicht.

- Gleichgewichtspaare sind nur dann aufzufinden, wenn ein Körper seinen Bewegungszustand nicht ändert.

3. Ergänzende Anmerkungen

Pflege der Denkstrukturen

Die dargestellten Unterrichtsinhalte sind keine schlichten Erfahrungstatsachen, sondern Folgerungen aus einer Theorie, für deren Entwicklung eine intelligente Menschheit mehrere Jahrtausende be- nötigte. Vielfach scheint die Newtonsche Mechanik den Alltagserfahrungen zu

widersprechen, insbesondere aber wird der Kraftbegriff im täglichen Leben in anderer Bedeutung verwendet, als er durch das Trägheitsgesetz und das Wechselwirkungsgesetz definiert wird.

Zum dauerhaften und aktiven Wissens- bestand wird der Newtonsche Kraftbe- griff nur, wenn die Strukturen -woimmer möglich- gepflegt, d.h. erinnert und angewendet werden. Dies gilt natürlich zunächst für weitere Unterrichtseinhei- ten aus der Mechanik, z.B. "einfache Maschinen", "Arbeit, Energie und Lei- stung". Wie dies im einzelnen erfolgen sollte, kann in diesem Rahmen nicht mehr erörtert werden.

Aber auch in anderen Teilgebieten der Physik ist oft von Kräften die Rede, z.B. in der Elektrik oder beim Magnetismus. Da ist dann eine gehörige Portion Wach- samkeit vonnöten, will man verhindern, daß aufgebaute Denkstrukturen nicht schon durch einen unangemessenen Sprachgebrauch zerstört werden. Z.B.

suggeriert die Rede von "starken" oder

"schwachen" Magneten die Kraft als

"Besitzstand" und läßt vergessen, daß nicht nur der Magnet das Eisen anzieht, sondern auch umgekehrt, und daß der

"starke" ebenso wie der "schwache"

Magnet eine Nadel nicht stärker anzie- hen kann wie diese ihn.

Eindrücke und Bewertungen des Unter- richtserfolgs

Eine systematische Erhebung des Lern- erfolgs hat bisher in den unterrichteten Klassen nicht stattgefunden. Aber in al- len Klassen wurde der Unterricht neben dem Unterrichtenden von mindestens einem weiteren Lehrer oder Fachdidakti- ker beobachtet. Der übereinstimmende Eindruck ist, daß das Unterrichtskonzept keine Überforderung im Anfangsunter- richt Physik darstellt. Dies zeigen nicht nur die Klassenarbeiten, sondern vor

allem auch die Klassengespräche und Diskussionen mit den Schülern. Wäh- rend der Mechanikunterricht oftmals unter Motivationsproblemen leidet, war die kognitive und emotionale Beteiligung der Schüler während dieser Unterrichts- einheit erfreulich groß. Dies berechtigt zu der Hoffnung, daß der vorgeschlage- ne Unterrichtsgang manchem Lehrer und vielen Schülern ein Quentchen mehr Erfolg und Freude im Physikunterricht bescheren kann.

Literatur

[1] H. Muckenfuß, Bewegungslehre mit der elektrischen Eisenbahn. In: Naturwissen- schaften im Unterricht Physik/Chemie, 26/

1978, S. 198ff.

[2] H. Muckenfuß, Kritische Bemerkungen zur etablierten Form des Schulexperiments in psychologischer und methodologischer Sicht. In physica didactica, 6/1979, Heft 2, S. 61 ff.

[3] R.P. Laeser/W.I. McLaughIin/D.M. Woiff:

Fernsteuerung und Fehlerkontrolle von Voyager 2. In: Spektrum der Wissenschaft, Januar 1/87, S. 60-70.

[4] Hexerei mit Ball und Bande. In: GEO, Heft 9, September 1987, S. 122-140.

•Abbildungen 1, 2, 13, 14, 17, 20, 21, 22 von G. Frank, Ravensburg.

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