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Kirchenbilder : der Kirchenraum in der holländischen Malerei um 1650

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Kirchenbilder : der Kirchenraum in der holländischen Malerei um 1650

Pollmer, A.

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Pollmer, A. (2011, January 20). Kirchenbilder : der Kirchenraum in der holländischen Malerei um 1650. Retrieved from https://hdl.handle.net/1887/16352

Version: Not Applicable (or Unknown)

License: Licence agreement concerning inclusion of doctoral thesis in the Institutional Repository of the University of Leiden

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9 Fazit

Ausgangspunkt der Kirchenbilder von Gerard Houckgeest, Hendrick van Vliet und Emanuel de Witte war in den Jahren um 1650 die Stadt Delft. Diese Arbeit hat sich zur Aufgabe gemacht, das Wechselspiel von Faktoren zu verfolgen, die zur Ausprägung der spezifischen Form des Kirchen- interieurs beitragen haben. Unter fünf Stichpunkten sollen sie noch einmal zusammengefaßt werden, bevor ein methodisches Fazit gezogen und Thesen zur Weiterarbeit formuliert werden:

Erstens wurde die künstlerische Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Raumdarstellung untersucht, die den Betrachter einbeziehen. Der Fokus lag zweitens auf dem kultur- und religionsgeschichtlichen Hintergrund in der Stadt Delft, in dem sich die Frage konfessioneller Legitimität und deren Beweismittel, die Besetzung des Kirchenraums, als entscheidend und auch für den weiteren holländischen Kontext als relevant erwiesen. Drittens ging es um die Spezifika konfessionell veränderter Raumwahrnehmung bzw. die sichtbare künstlerische Reflexion auf die Tatsache, daß konfessionelle Aneignung form- und gestaltbar ist. Die Aneignung des Kirchenraumes für eine Bekenntnisgemeinschaft wurde, viertens, sowohl zugunsten von Re- formierten als auch von Katholiken tatsächlich „virtuell“ durchgeführt. Daß öffentliche und ge- malte Kirchenräume auch Funktionen für andere Gruppen, für Land, Stadt und Familie, besaßen, darf in diesem Kontext nicht übersehen werden. Sie stehen, fünftens, oftmals im Zeichen der Memoria, der individuellen und kollektiven Erinnerungsleistung.

Gerard Houckgeests bildnerische Experimente gaben den Ausschlag für eine andere Auffassung von der Darstellung des gebauten Raums, als sie Pieter Saenredam vertrat: Ausschlaggebend waren weniger Dokumentation und glaubwürdige Erstellung architektonischer Gegebenheiten als das, was die gemalten Kirchen für den Betrachter bedeuten konnten (Kap. 2.1). Houckgeest schuf Seherlebnisse, die, wie die Bilder teilweise selbst formulieren, dem Betrachter eine aktive Haltung abverlangen. Gemalte Architektur zu erschließen, war die Herausforderung von Gerard Houckgeests schrägen Durchblicken durch den Chor der Delfter Nieuwe Kerk, Oraniergrablege und Ort des berühmten Grabmals für Statthalter Wilhelm I. (Abbn. 2, 22, 24). Hinzu kam das im Betrachten vollzogene Erinnern, bei dem das Erkennen und „Aufbauen“ des bildlich fragmentierten skulpturalen Kunstwerks und dessen politische Dimension ineinandergriffen.

Der Blick auf die Stadt Delft bildete einen Schwerpunkt der Arbeit. Ihr Streben, sich als beson- ders harmonische und fromme Gemeinde zu präsentieren, wird gerade dann offensichtlich, wenn man sich vor Augen hält, daß die selbstverständlich scheinende Einheit von Stadt und Öffent- lichkeitskirche immer wieder hinterfragt wurde (Kap. 3-4). Besiegelte die Besetzung des öffent- lichen Raums in der Zeit des Aufstands die politische Überlegenheit der Minderheit, blieb die Benutzung der Stadtkirchen in der Folge das Argument für die Legitimität der Reformierten. Die

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bild-gemachte Präsenz einer Konfession in der Stadtkirche vermochte ähnliches: Viele Delfter Kirchenbilder eigneten sich denn auch, die legitime öffentliche Präsenz der reformierten Kirche gleichsam bildnerisch zu bestätigen. Die Mittel der Verdeutlichung gingen über das Zeigen einer Predigt hinaus und schließen die veränderte Raumwirkung, die bewußte Benutzung schräger Durchblicke, mit ein (Kap. 5).

In Delft übersetzten Emanuel de Witte und Hendrick van Vliet Houckgeests bildkünstlerische Errungenschaften in einen reformierten Kontext. Wie Houckgeests Darstellungen des Oranier- grabes verlangte De Wittes Ansicht der Oude Kerk in Delft während einer Predigt (Abb. 39) ein Engagement im Schauen, das mit Erinnerungsleistung einher ging: Das Bild erinnerte nicht nur an den verstorbenen Prädikanten Dionysius Spranckhuysen, die aufgerufene Erinnerung ihn implizierte gleichsam, dessen Worte (bzw. die Lehren von dessen Amtsbrüdern und Nachfolgern)

„zu hören“, wie der Vergleich mit der Leichenpredigt auf den Verstorbenen verdeutlicht hat.

„Wer ihn sehen will, muß ihn hören“ – dieser bekannte, von Vondel auf Rembrandts Berliner Anslo-Porträt angewandte Topos drückt aus, was De Witte in die Form eines Kircheninterieurs gebracht hat.1 Die von De Witte vorgenommenen Anpassungen in der Architektur der Oude Kerk unterstützten das Kreisen um die Kanzel als Mitte und Stütze des Gebäudes – sich dies bewußt zu machen, gehört zum Witz dieser Konstruktion (Kap. 2.3).

Die zahlreichen Darstellungen derselben Kirche von Van Vliet, die im fünften Kapitel untersucht wurden, machen den Betrachter im Sehen zum Teil der Predigtgemeinde. Willentlich oder nicht – indem die Kanzel zum unübersehbaren Zentrum des Kirchenschiffs wird, „baut“ der Betrachter die Möglichkeit, daß der Kirchenraum zum Ort des reformiertes Wortes wird, vor seinem inneren Auge auf. Daß der schräge Blick in diesem Fall überhaupt zum Zeichen der reformierten Konfession werden konnte, setzt die Reflexion auf die veränderte Wahrnehmung des Kirchenraums voraus. Nach der Reformation ist sein Erleben konfessionell bestimmt. Die Negation der zentralen Achse zum Chor, gebaute Voraussetzung in spätmittelalterlichen Kirchen, ist ebenso sichtbarer Ausdruck der Konfessionalisierung wie es die Wiederkehr der betonten Zentral- perspektive in katholischen Interieurs Van Vliet oder De Wittes ist.

Gemalte Kirchen waren gleichermaßen geeignet, die mögliche Präsenz der anderen, katholischen, Konfession vorzuführen, sei es als ernsthafte politische Provokation oder mit Augenzwinkern (Kap. 7). Ob im Fall des Utrechter Doms, der Komplexität von einander überlagernden konfessionellen Zeichen und Zeitschichten in der Leidener Pieterskerk oder beim wissenden Spiel mit dem Chor der Delfter Nieuwe Kerk und dem Oraniergrab als Erinnerungsort und Bildmotiv (Abbn. 136, 148, 151, 152) – immer ging es darum, bekannte Architektur wiederzuerkennen und diese, deren Darstellung und dargestellten Gebrauch jedoch gerade in der Differenz zum

 

1 Dazu grundlegend und prägend EMMENS 1981B, kürzlich auch SCHUSS 2006.

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Erwarteten wahrzunehmen. Mehr zu sehen als dargestellt ist, bedeutet hier, das Gesehene zu hinterfragen und es sowohl „interbildlich“ als auch in einem Netz von Assoziationsmöglichkeiten zu verorten. Die Beteiligung des Betrachters an der Interpretation des Gemäldes ist so verstanden für das Verständnis von Reichweite und Brisanz der hier besprochenen Kirchenbilder essentiell.

Die Möglichkeit für Auftraggeber oder Käufer, im gemalten Raum eigene Überzeugungen oder Erinnerungen wiederzufinden, war ein weiterer Aspekt, den es zu berücksichtigen galt. Es geht dann um individuelle Aneignung. Dies erstreckte sich in den Bereich der politischen Memoria von Oranien und den „Seehelden“ über die Darstellung der Kirche als städtischer und prinzipiell konfessionsübergreifender Erinnerungslandschaft bis hin zur Thematisierung des Gedenkens an die eigenen Vorfahren (Kap. 6). Die der Memoria inhärente religiöse Dimension konfessionell zuzuspitzen, war möglich, doch keineswegs zwingend. Außer der Identifikation Dionysius Spranckhuysens in einem Gemälde, das als Memorialstück für diesen Delfter Prädikanten gedeutet worden war, konnten keine weiteren in Kircheninterieurs eingefügten Porträts bestimmt werden. Zu hoffen ist, daß dies einmal gelingen wird; insbesondere Emanuel de Wittes Amsterdamer Werke bieten nicht nur in dieser Frage Potential für weitere Untersuchungen, die diese Arbeit aufgrund ihrer Konzentration auf die Stadt Delft nicht leisten konnte.

Nur einzelne der vielschichtigen sozialen Funktionen des realen Stadtkirchenraums konnten die Kirchenbilder aufnehmen. Diese aber thematisierten und verstärkten sie. Doch als gemalte Wirklichkeiten gingen sie auch darüber hinaus und führten eigene Welten vor. De Witte etwa produzierte kuriose, manchmal verstörende architektonische „Mengformen“, die wohl in Amster- dam ihr fasziniertes Publikum gehabt haben müssen (Abbn. 167, 179). Die Bilder lassen sich auch als Ausdruck des Ideals des schaffenden Künstlers lesen und verdeutlichen wohl am besten, wie stark ihn die an seine Malerei gestellte Aufgabe, Kirche im Bild zu fassen, beschäftigte. Auch bei Gerard Houckgeest und Hendrick van Vliet haben wir gesehen, daß sie sich der bildnerischen Gestaltung von theologischen Grundsätzen der Konfessionen mit je eigenen Möglichkeiten zur Aufgabe gemacht haben.

Im Kontext der Memoria wurde gefragt, inwiefern die Gemälde vor dem Hintergrund der gängigen Todesmeditation verstanden werden, ja ob sie in der Konsequenz gar antizipierten, für Meditation instrumentell sein zu können (Kap. 6.5). Ähnliches geschah zuvor: indem Psalmen, deren Nummern auf Delfter Kircheninterieurs angegeben waren, als Hintergrundfolie für die Bilder herangezogen wurden, wurde davon ausgegangen, daß sich Zeitgenossen während des Betrachtens zugleich auf die Ebene geistlicher Überdenkung begeben und daß beides – Sehen und Meditation (in ihrem weitesten Sinne) – einander durchdringen und befruchten konnten. Durch

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vergleichendes „Lesen“ von Bild und Text konnte in diesen Einzelfällen gezeigt werden, daß die Gemälde wohl tatsächlich angelegt waren, religiöse Schlußfolgerungen zu provozieren (Kap. 5.3).

Die Frage nach ‚konfessionellen‘ Bildstrategien im Werk Emanuel de Wittes wurde an späterer Stelle dadurch untersucht, indem der Akt des Sehens als „imaginäre Reise“ durch den gezeigten Raum beschrieben wurde (Kap. 7.2). In allen Fällen begibt sich die kunsthistorische Interpretation auf die Ebene des Betrachters und stößt dabei an ihre Grenzen. Wie wichtig es ist, den „Anteil des Betrachters“ einzurechnen, haben verschiedene Studien zur Rezeptionsästhetik in unserem Bewußtsein verankert. Auch wenn sie sich nicht ausdrücklich auf die eine oder andere Theorie gestützt haben, war der Ausgangspunkt der Bildanalysen dieser Arbeit stets, die Wirkung der Gemälde auf den implizierten Betrachter zu untersuchen.

Methodisch begegnet man dabei Problemen, die es zu benennen gilt. Vorausgesetzt ist zu allererst der Idealtypus eines aufmerksamen Betrachters, der historisch so nicht zu fassen ist. Wie die Schwierigkeiten mit der Interpretation der Inventareinträge gezeigt haben, gelingt es zwar, sich eine allgemeine Rezeptionssituation zu vergegenwärtigen, doch kaum, auf empirischer Basis Schlußfolgerungen über eine bestimmte Betrachtungsintention zu ziehen (Kap. 1.4.1). Die Hoffnung, mit Hilfe archivalischer Quellen Aussagen über die Gründe des Besitzes (und damit über die Voraussetzungen für die Art und Weise der Betrachtung) zu treffen, wurde insofern enttäuscht, als sie verschiedenste Szenarien zu stützen vermochten. Da wir über die Inventar- beschreibungen hinaus keine schriftlichen Zeugnisse kennen, die über Reaktionen auf gemalte Kirchenräume Auskunft geben könnten, blieb nur, die möglichen „Aufgaben“ eines Gemäldes, die im Bereich der Repräsentation von Stand bzw. Vermögen, politischer oder konfessioneller Überzeugung oder Kunstverstand liegen, im Hinterkopf zu behalten, zu berücksichtigen, daß ein Bild sowohl von einem einzelnen betrachtet als auch zum Objekt einer Konversation werden konnte, und prinzipiell dafür offen zu sein, daß sich diese Faktoren sehr wahrscheinlich durch- drungen haben werden.

Zwei Wege der Interpretation waren daher zu verfolgen: einmal die Analyse der Gemälde selbst.

Als Massenphänomen kann man auf sie durch die Herausarbeitung sich wiederholender Bild- strategien zugreifen; erst vor diesem Hintergrund werden Ausnahmen, die von einer besonderen Absicht des Künstlers oder eines Auftraggebers zeugen, deutlich und bedeutsam. Zum anderen galt es, sich auf die Suche nach parallelen Rezeptionswegen zu begeben, nach Vorprägungen und zeitgenössischen Mustern von Wahrnehmung und Deutung, nach außerkünstlerischen Quellen also, mit deren Hilfe sich Diskurse rekonstruieren lassen, vor deren Hintergrund die Bilder betrachtet oder besprochen worden sein könnten. In der kunsthistorischen Literatur werden Stadtbeschreibungen öfter herangezogen, da sie Auskunft über die Formierung eines lokalen (von der politischen Elite geprägten) Selbstbewußtseins – und der Rolle von Kirche und Kirchen darin

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– geben können. Predigten und Erbauungsliteratur verschiedener Art dagegen sind noch kaum konsultiert worden, vielleicht auch, weil man zunächst einer schier unübersichtlichen Fülle gegenübersteht, die die religiöse Diversität wie den hohen Grad der Alphabetisierung in der Republik widerspiegelt. Der schriftliche Niederschlag von interkonfessionellen Debatten und Kontroverstheologie, wie sie von Prädikanten, einfachen Priestern und Laien betrieben wurde, ist zudem kaum bibliographisch aufgearbeitet und erschlossen. Neben gründlichem Einarbeiten erfordert die Beschäftigung die nötige Faszination für das Genre. Der Blick auf den „Mikro- kosmos“ Delft konnte daher nur einen Ansatz bieten, wie Literatur dieser Art für die kunsthistorische Arbeit fruchtbar gemacht werden kann. Obwohl die in den Schriften zum Aus- druck kommenden Grundprobleme kaum originell zu nennen sind und sich nicht von den gängigen Problemen im Streit der Konfessionen unterscheiden (Geschichtlichkeit und Legitimität, Bildersturm und Bilderverehrung, Verteidigung oder Infragestellung der Trans- substantation), war es wichtig zu zeigen, wie lebendig diese Debatte in Holland geführt wurde.

Sie spielte sich auf verschiedenen intellektuellen Ebenen ab – bis in die Tavernen – und verlor nie an Aktualität.

In der Konsequenz ist zu fragen, ob das Ineinandergreifen von religiöser Dimension und der Dimension des Kunstwertes nicht sogar programmatisch sein könnte, wenn nicht für alle, so doch für nicht wenige unserer Kirchenbilder. In ihrer Vielfalt könnten dabei zwei Verständnis- alternativen wichtig werden, die im Rahmen des bisher Geleisteten nur am Rande thematisiert, nicht aber mit den zur Verfügung stehenden Mitteln untersucht werden konnten: zum ersten ein quasi-„kennerschaftlicher Blick“ auf die Auseinandersetzung der Konfessionen. Dazu sei ein Gedankenexperiment vorgeschlagen. Man könnte einmal den Begriff des liefhebbers in seiner kulturellen Bedeutung als Kenner und Unterscheider von Qualität bis zu einem gewissen Grade mit demselben Begriff in seinem ebenso historisch belegten religösen Gebrauch paralleliseren – dem liefhebber als Kenner und Interessierter an einer Konfession, der sich gleichwohl noch nicht an diese gebunden hat.2 Dann verbietet sich von selbst, Kirchenbilder jederzeit als sichtbaren Ausdruck von Orthodoxie zu werten (eine Annahme, die manche Inventare und die Konstruktion einiger Bilder durchaus zu stützen vermochten). Vielmehr könnte sich die Unterscheidungs- leistung in der konfessionellen Diskussion sogar auf der Ebene von Bilderkenntnis abgespielt haben, der mit dem Ausdruck „Spiel“ nur ungenügend Rechnung getragen wäre. Die Bilder forderten dann zur Bestimmung und „Unterscheidung der Geister“ heraus, denen Betrachter gleichwohl mit einer gewissen Präferenz begegnet sein konnten.

 

2 Zum Begriff oben, Kap. 1.3, Anm. 64.

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Zum zweiten gerät in der Frage nach der Überlagerung von religiösem und Kunstwert noch ein- mal der Bildergebrauch in den Blick. In der Meditation meint diese Arbeit eine konfessions- übergreifende „Technik“ innerer Disponierung gefunden zu haben, woran im Hinblick auf Gemälderezeption weiterzuarbeiten sich lohnt. Auf äußere Stimuli, die den Inhalt der „Betrach- tung“ mehr oder weniger vorprägen konnten, reagierte der Meditierende, indem er mit seinen inneren Seelenkräften von Erinnerung und Vorstellungskraft (memoria und imaginatio) seine Gedanken strukturierte, den Gegenstand ausschmückte und durchdrang. Die Frage, ob Bildwerke – und eben gemalte Kircheninterieurs – instrumentell zur Meditation gewesen sein konnten, ist kaum historisch konkret zu beantworten, sie zu stellen gleichwohl legitim, sensibilisiert die Fragestellung doch für Möglichkeiten und Grenzen von Gemälden. Da sie im gemeinsamen mittelalterlichen Erbe gründet, war die meditative Praxis, dies ist noch einmal zu betonen, ein konfessionsübergreifendes Phänomen. Wie fruchtbar der Blick auf Meditation als Kulturtechnik des Ordnens von Gedanken im Hinblick auf Bild, Bildlichkeit und verbeelding (imaginative Vorstellung) für die kunst- und literaturwissenschaftliche Arbeit sein kann, zeigen Studien zum späten Mittelalter und für den katholischen Bereich.3 Für den Protestantismus und die reformierte Konfession im besonderen sind entsprechende Fragestellungen nicht weit gediehen, zweifellos, weil mit den Prämissen von Ikonoklasmus und der Ablehnung des Bildergebrauchs in der Kirche die Grenzen gesetzt zu sein scheinen. Wenn der fromme protestantische Naturwissenschaftler Jan Swammerdam allerdings Nachstiche einer der bekanntesten Serien katholischer Herz-Jesu-Devotion (Cor Iesu Amanti Sacrum mit den Stichen Antonius Wierix’) nicht nur besessen, sondern auch ausführlich mit eigenen Überschriften und Versen annotiert hat,4 zeigt das, wie fließend die konfessionellen Grenzen im Mediengebrauch waren. Konfessions- übergreifende Momente hielten nicht zuletzt die drei nachgezeichneten Malerbiographien im Bewußtsein (Kap. 1.3.1). Auf diese Weise überlagerten sich diese „ökumenischen“ Aspekte ständig mit neugewonnenen Einsichten zur bildlichen Definition von Konfessionskirchen.

 

3 Hinzuweisen ist auf dieser Stelle auf die Beiträge im Sammelband Image und Imagination, FALKENBURG, MELION &RICHARDSON 2007, die Beiträge des Second Lovis Corinth Colloquium an der Emory University, Atlanta/GA („Ut pictura meditatio: The Meditative Image in Northern Art, 1500-1700“, 12.-14. Oktober 2006, siehe URL: http://arthistory.emory.edu/calendar/flyer-2-Corinth-pdf.pdf (zuletzt gesehen am 15. Aug.

2009)), sowie der Tagung „Discourses of Meditation in Art and Literature, 1300-1600“, Wassenaar (23.-25.

April 2009, Tagungsband im Druck: Karl A.E. Enenkel & Walter Melion (Hgg.), Meditatio – Selfrefashioning.

Theory and Practice in Late Medieval and Early Modern Intellectual Culture (Intersections. Yearbook for Early Modern Studies; Bd. 17), Leiden/Boston 2010. Zur Emblematik im religiösen Diskurs DEKONINCK &

GUIDERDONI-BRUSLÉ 2007; die Herausgeber leiten die Groupe d’Analyse Culturelle de la Première Moder- nité/Group for Early Modern Cultural Analyses (GEMCA), die sich mit eben jenen Fragen vor allem anhand der Analyse von Buchillustration und Druckgraphik sowie französischsprachiger Literatur zuwendet, siehe URL:

http://gemca.fltr.ucl.ac.be/ (zuletzt gesehen am 15. Aug. 2009). Eine Ausnahme, die den literarischen Nieder- schlag von Meditation konfessionell übergreifend behandelt, ist, hier mehrfach zitiert, WODIANKA 2004, vgl.

auch die Beiträge in KURZ 2000.

4 DE BAAR 2005.

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Letztere erhalten gerade vor dem Hintergrund des ersteren ihre besonderen Konturen. In Bezug auf die Frage, ob die Rezeptionshaltung historischer Betrachter von der Meditation geprägt und Gemälde dementsprechend konzipiert worden sein konnten, kann diese Arbeit an dieser Stelle nur auf das Desiderat hinweisen. Das Erbe der Meditation als Kulturtechnik von Sehen, Ordnen und Erkennen muß für die Frühe Neuzeit noch in ihrem jeweils veränderten Kontext – und eben auch mit ihren Modifizierungen im reformiert geprägten Protestantismus – untersucht und dar- gestellt werden.

Was heißt dies für den Status unsere Kirchenbilder? Sie waren sicherlich keine „Andachtsbilder“

im klassischen Sinne,5 die eine geistliche Beziehung zu einer göttlichen Person aufbauen helfen, indem sie dem Betrachter einen direkten Blickkontakt zur einer Darstellung von Jesus oder Maria ermöglichen. Der Blick in ein Kircheninterieur gilt vielmehr der Kirche in ihrer vielfachen Bedeutung, die vom Bauwerk und Versammlungsort bis hin zur heilsvermittelnden Instanz reicht. Deshalb darf eine Bedeutung im religiösen Vollzug nicht von vornherein ausgeschlossen werden – nicht mehr und nicht weniger.

In ihrer Arbeit zu den Veränderungen im Interieur der Haarlemer Bavokerk hat Mia Mochizuki jüngst dafür plädiert, Religion als Faktor für Kultur ernst zu nehmen, nicht nur in emanzipatori- scher, sondern eben auch in kreativer Hinsicht, Neues entstehen zu lassen.6 Die von ihr unter- suchten Textgemälde interpretierte sie als „materialisierte“ Religion (material religion). Mochizu- kis Feststellung erscheint dazu zunächst konträr: „Cognition, rationalism and human under- standing were the province of text paintings, leaving little or no room for the miraculous or supernatural“.7 Trotzdem faßt der gemalte Text das Übernatürliche zeichenhaft, da, so würde ein Reformierter wohl antworten, Gott selbst sich in der Schrift offenbart habe. In reformierter Perspektive setzte die Offenbarung im Text das Gelesen- (oder doch zumindest Vorgelesen-) Werden voraus. Die in den Kirchen angebrachten, und teilweise auch auf Kircheninterieurs sicht- baren8 gemalten Texte verkörpern sehr schön die neue, reformierte Aufmerksamkeit für die Schrift, die sich gleichwohl bildhaft zu zeigen vermochte. In der Reduktion auf diese neuen Bilder im Kirchenraum zeigte sich, so Mochizukis Stoßrichtung, das weithin unterschätzte schöpfende Potential des holländischen Reformiertentums nach dem Bildersturm. Die hier behandelten Kirchenbilder zeichnen sich dagegen durch die Präsentation neu entwickelter Komplexität aus.

Trotzdem darf man den Gemälden, welche den Überlegungen dieser Arbeit zufolge spezifisch die

 

5 Prägend: PANOFSKY 1927.

6 MOCHIZUKI 2008, 114ff. Sie bezieht sich dabei auf Bruno Latour und dessen grundlegendes Verständnis des Bildersturms, der destruktiv und konstruktiv zugleich sein kann und mit dem ein vielleicht sogar kulturell not- wendiger Zyklus des Brechens und Aufbauens einher geht, LATOUR 2002.

7 MOCHIZUKI 2008, 258.

8 Vgl. unsere Abbn. 93, 101, 107, 110, 132.

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„Konfessionskirche“ zum Thema machten, die Tendenz zur Vereinfachung wohl kaum ab- sprechen. Dies gilt nicht nur für den Blick auf „reformierte“, sondern auch auf „katholische“

Kirchen: an diesen Stellen war die Anbindung an theologische Grundsätze wie auch die vermutete bildnerische Provokation weiterführender religiös-andächtiger Gedanken am besten nachzuvoll- ziehen. Die Bilder selbst gaben den Rahmen vor, innerhalb derer sie die imaginative Kraft der Betrachter herausforderten – und die unkontrollierbare, abschweifende Phantasie dabei in bestimmten Grenzen hielten. Die enge Beziehung zwischen Bildmöglichem und Interpretations- hoheit machte das „Konfessionalisierte“ der gemalten Kircheninterieurs aus. Ähnlich, wie die historische Forschung Konfessionalisierung als parallele Prozesse von Festschreibung von Glaubens-, Denk- und Verhaltensmustern bestimmt hat,9 mag es Muster im Sehen und Betrachten gegeben haben, deren beschrittene Wege nicht so weit von einander entfernt sind, wie ihre grundsätzlichen Ziele konträr erscheinen. Die äußeren Enden des breiten Spektrums der hier betrachteten Kirchenbilder werden vielleicht nicht so sehr durch „reformierte“ bzw. „katholische“

Räume bestimmt, als vielmehr von Darstellungen des der Allgemeinheit zur Verfügung stehenden öffentlichen Raumes mit seiner Wichtigkeit für Familie, Stadt und Staat auf der einen Seite, dem die Inszenierung des Konfessionellen auf der anderen gegenüberstand. Operierten diese mit Strategien der Festlegung von Bildformen und, so ist zu vermuten, Interpretationsmöglichkeiten, so setzten die Maler zum Zeigen des öffentlichen Raumes Strategien der Öffnung ein, die Fest- legungen infragestellten oder doch zumindest künstlerisch brachen. Beides geschah und beides konnte nicht ohne einander geschehen.

Der außergewöhnliche Reichtum des frühneuzeitlichen Holland betraf auch die „Medien- kompetenz“ seiner Bewohner: zahlreiche neue Bildformen wurden entwickelt und verstanden. Als Bilder gebauter Kirchen faßten die hier betrachteten Gemälde oft genug Kirche im Bild. Sie zeigen, daß Diskurse auf der Ebene der Religion mit bildnerischen Mitteln nicht nur ausgetragen, sondern auch gestaltet und kommentiert wurden. Lohnend dürfte sein, dies auch für andere Bereiche der niederländischen Bildkultur zu untersuchen.

 

9 Genaueres oben, Kap. 1.4.

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79 Die Frage ist auch, ob sie sich für die Betrachter von Emanuel de Wittes Gemälde auf diese Weise erschlossen haben werden – wahrscheinlich ist dies nicht.. Wenn