• No results found

Die Gestalt der Predigt im Kraftfeld des Geistes Nierop, Jantine Marike

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2021

Share "Die Gestalt der Predigt im Kraftfeld des Geistes Nierop, Jantine Marike"

Copied!
6
0
0

Bezig met laden.... (Bekijk nu de volledige tekst)

Hele tekst

(1)

Die Gestalt der Predigt im Kraftfeld des Geistes

Nierop, Jantine Marike

Citation

Nierop, J. M. (2006, November 16). Die Gestalt der Predigt im Kraftfeld des Geistes. Retrieved from https://hdl.handle.net/1887/4981

Version: Corrected Publisher’s Version

License: Licence agreement concerning inclusion of doctoral thesis in theInstitutional Repository of the University of Leiden Downloaded from: https://hdl.handle.net/1887/4981

(2)

Einführung: Die Frage der Darstellung

„Es ist dem philosophischen Schrifttum eigen, mit jeder Wendung von neuem vor der Frage der Darstellung zu stehen.“1 So lautet der erste Satz der

Erkenntniskriti-schen Vorrede, die Walter Benjamin seinem als Habilitationsschrift geplanten Ur-sprung des deutschen Trauerspiels (1925) voranstellte. Das Habilitationsgesuch

an die Universität von Frankfurt am Main wurde von ihm zurückgezogen, als sich herausstellte, dass es auf eine förmliche Ablehnung hinauslaufen würde. Die Zeit war offensichtlich noch nicht reif dafür, dass die Frage der Darstellung zum Zen-tralanliegen der Philosophie erhoben wurde. Heutzutage gilt Benjamin als einer der größten Philosophen des 20. Jahrhunderts; die Frage der Darstellung ist aus dem philosophischen Diskurs nicht mehr wegzudenken.

Nicht nur in der Philosophie, auch in der Theologie steht das Thema der Darstel-lung seit einiger Zeit auf der Tagesordnung.2 Gestalt und Gestaltung sind die neuen Stichworte der Praktischen Theologie.3 Für die aktuelle Homiletik gibt es keinen Inhalt mehr ohne Form. Sie orientiert sich vor allem an Prinzipien der Äs-thetik und Semiotik. Albrecht Grözinger wies schon 1987 darauf hin, „dass in der ästhetischen Dimension nicht mehr länger nach einem ‘Inhalt’ durch die ‘Form’

hindurch oder an ihr vorbei gefragt werden kann. Eine Unterscheidung zwischen

Form und Inhalt ist hier nicht mehr sinnvoll durchzuführen: der Inhalt ist die Form und umgekehrt.“4 Das Gleiche gilt für die Semiotik; im Zusammenhang ei-ner Überlegung über die Relevanz der Zeichenlehre für die Praktische Theologie schreibt Wilfried Engemann: „Sofern die Funktion jedes beliebigen Zeichens in einer Verbindung von Inhalt und Form, Gehalt und Gestalt, Bedeutung und Aus-druck, Signifikat und Signifikant usw. gründet, können auch in der praktisch-theologischen Theoriebildung Inhaltsfragen zureichend nur im Zusammenhang

1

Benjamin, (1925) 1974, 207.

2

Vgl. dazu Cornelius-Bundschuh: „Der Anspruch der ‚Postmoderne’ hat in der Praktischen Theologie seinen Niederschlag gefunden: die Verortung im kulturellen Zusammenhang, Fragen zum Verhältnis von Form und Inhalt und die Rezeption ästhetischer Theorien spielen gegenwärtig eine große Rolle im praktisch-theologischen Diskurs.“ (1995, 2) Der Begriff ‚Darstellung’ fällt explizit im Zusammenhang der Entwicklung einer semiotischen Grundlegung der Praktischen Theologie. Schleiermacher hat den Gottesdienst als „darstellende Mittheilung des stärker erregten religiösen Bewusstseins“ ((1850) 1983, 75) definiert. Auf diese Theorie der Darstellung greift die semiotisch-orientierte Praktische Theologie zurück (vgl. Volp, 1994, 794-823 und Meyer-Blanck/Weyel, 1999, 104).

3

Nach Meyer-Blanck / Weyel stellt sich der Gottesdienst als „Gestaltungsaufgabe“ (1999, 100) dar. Bieritz hatte bereits 1987 das Werkbuch Gottesdienstgestaltung herausgegeben. Für die vielen aktuellen praktisch-theologischen Studien mit Gestalt, Gestaltung oder Gestalten im Titel nenne ich exemplarisch: Gottesdienst Gestalt geben (Kerner, 2001), Grundfragen der Liturgik. Ein Stu-dienbuch zur zeitgemässen Gottesdienstgestaltung (Grethlein, 2001) und Gottesdienst verstehen und selbst gestalten (Hirsch-Hüffell, 2002).

4

(3)

von Gestaltungsfragen bedacht werden“5. Auch die aktuelle nordamerikanische Homiletik will nicht länger zwischen dem Inhalt und der Form der Predigt tren-nen, sondern von ihrer organischen Einheit ausgehen. Paul Wilson schreibt: „A new appreciation of organic unity contributes to the current homiletical revolu-tion.“6 Das aktuelle Interesse der Homiletik an der Form der Predigt geht im Grunde auf die sogenannte empirische Wende der Praktischen Theologie in den sechziger Jahren zurück. In ihrer Abgrenzung zu der Homiletik im Umkreis der dialektischen Theologie verwiesen die neuen Praktischen Theologen damals die theologische Frage nach der Predigt in die Dogmatik und rückten Themen wie Rhetorik und Kommunikation ins Zentrum der homiletischen Aufmerksamkeit.7

Angesichts dieser Entwicklung könnte man nun den Satz Benjamins variierend auf die Praktische Theologie übertragen: Es ist der Praktischen Theologie eigen, mit jeder Wendung von neuem vor der Frage der Darstellung zu stehen. Auch die vorliegende praktisch-theologische Arbeit ist dieser Frage gewidmet. Ihr Ziel ist es, sie im Blick auf die Predigt neu zu durchdenken. Das bedeutet konkret, dass in dieser Arbeit die sprachliche Gestaltung der Predigt zentral steht. Es geht in dieser Arbeit letztendlich um die Frage, die jeden Prediger bei der Vorbereitung seiner Predigt umtreibt: Wie sage ich es?

Als bekennendes Mitglied der reformatorischen Gemeinde Jesu Christi möchte ich diese Frage freilich behandeln unter der Voraussetzung, dass es passieren kann, dass wir bei der Vorbereitung der Predigt, beim Predigen und beim Predigt-Hören nicht alleine gelassen sind. Ich glaube und hoffe, dass es passiert – nicht immer, aber immer wieder – dass Gott selbst sich in der Gestalt seines Heiligen Geistes in unser Reden und Hören einmischt.8 Ausgangspunkt meiner Überle-gungen ist darum eine Homiletik, die die Predigt dezidiert in einem pneumatolo-gischen Rahmen bespricht, nämlich die Predigtlehre aus 1971 von Rudolf Boh-ren.

Nach den vielen Jahren der Theologie- und Dogmatikverdrossenheit in der Ho-miletik erklingt jetzt immer häufiger der Ruf nach einem intensiveren Bedenken

5

Engemann, 2000, 136.

6

Wilson, 1995, 199.

7

Vgl. Wintzer, 1989, 36, 37; vgl. auch Kap. 2.

8

(4)

der Theologie, ohne dass man dabei freilich in das Zeitalter der dialektischen Theologie und ihre Scheu der Empirie gegenüber zurückfallen will. Friedrich Wintzer sprach schon 1989 von einem „Interesse an einer homiletischen Gesamt-theorie, in der die systematisch-theologischen, erfahrungswissenschaftlichen und

wissenschaftsgeschichtlichen Probleme und Erkenntnisse aufeinander bezogen

werden“9. Auch Manfred Josuttis hat dafür plädiert, „die Einsichten der empiri-schen Homiletik neu in einen theologiempiri-schen Rahmen zu binden“.10 Martin Nicol sieht schließlich die gesamte aktuelle homiletische Diskussion unter diesem As-pekt: „Die homiletische Diskussion deutet, keineswegs nur in Deutschland, darauf hin, dass es an der Zeit ist, die rhetorischen und empirischen Erkenntnisse der vergangenen Jahrzehnte neu in einen Deutehorizont der Theologie einzuholen.“11 Wintzer, Josuttis und Nicol machen ihre Vorschläge zur Retheologisierung der Homiletik nicht in einem luftleeren Raum; alle drei weisen auf Bohrens

Predigt-lehre hin. Wintzer meint: „Die von R. Bohren eindrücklich thematisierte

pneu-matologische Fragestellung sollte in der künftigen Homiletik eingehend erörtert werden.“12 Josuttis plädiert für eine Neuentdeckung der Predigtlehre: „Auch wer in der Zwischenzeit einen anderen Weg eingeschlagen hat, kann die Weisheit die-ser ‚Predigtlehre’ in der Gegenwart neu entdecken.“13 Nicol weist auf die immer-währende Aktualität der Predigtlehre hin: „Sie ist noch heute als genialer Wurf kenntlich.“14 Und: „Predigt als Kunstwerk, Rezeptionsästhetik, poetische Sprache, homiletische Schriftauslegung, Pneumatologie, Biographie – manche Visionen, die der Verfasser damals hatte, werden heute, oft unter anderem Etikett, von der Homiletik eingeholt.“15 Er meint, dass Bohrens Leistung bis zum heutigen Tag nicht übertroffen ist: „Bis heute hat keine Predigtlehre wieder vermocht, Theolo-gie und homiletisches Handwerk zu einem ähnlich geschlossenen, ähnlich inspi-rierenden Entwurf zu verknüpfen.“16 Nicol fragt sich darum, „ob nicht in der aktuellen Situation Rudolf Bohrens ‚Predigtlehre’ unter neuem Vorzeichen einzuholen wäre“17.

Die vorliegende Arbeit will sich genau dieser Herausforderung stellen. Ich werde die Predigtlehre in der aktuellen homiletischen Situation einholen unter dem As-pekt der sprachlichen Gestaltung der Predigt. Mich interessiert, wie Bohren die Frage nach der Form und der Sprache der Predigt in genuin theologischer Per-spektive bespricht. Dabei untersuche ich auch, inwiefern sein Ansatz geeignet ist, die von Josuttis und Nicol gewünschte Einbindung der rhetorischen und empiri-schen Erkenntnisse in eine theologische Predigttheorie herbeizuführen.

9 Wintzer, 1989, 44. 10 Josuttis, 1996a, 11. 11 Nicol, 1998, 1063. 12 Wintzer, 1989, 35. 13 Josuttis, 1996a, 11. 14 Nicol, 1998, 1066 15

Nicol, 1998, 1066. Im Vorwort zu der von ihm edierten Homiletik-Vorlesung Bohrens aus dem Wintersemester 1976/77 Auslegung und Redekunst (2005) spricht Nicol im Blick auf die Predigt-lehre von einer “ästhetisch-theologisch motivierte[n] ‘Redekunst’ der Predigt” (5) und lobt “die Modernität von Bohrens Denkbewegungen in den 1970er Jahren” (5).

16

Nicol, 1998, 1066.

17

(5)

In den ersten vier Kapiteln dieser Arbeit steht der theoretische Rahmen der

Pre-digtlehre zentral. Zuerst beschreibe ich ihr genaues Anliegen und versuche, es

zeitgeschichtlich einzuordnen (Kapitel 1). In den zwei folgenden Kapiteln stehen Karl Barths Äußerungen zur Homiletik zentral (Kapitel 2 und 3). Die Bespre-chung von Texten eines Systematischen Theologen in einer

praktisch-theologi-schen Studie hat an dieser Stelle ihr gutes Recht: Sie bildet den unentbehrlichen

Hintergrund für das nächste Kapitel, in dem ich Bohrens homiletischen Ansatz in der Pneumatologie behandeln werde (Kapitel 4).18 Im vierten Kapitel kommt auch die Kritik an diesem Ansatz ausführlich zur Sprache. In den folgenden sechs Ka-piteln liegt die Betonung auf den praktischen Konsequenzen des theoretischen Rahmens der Predigtlehre. Zuerst bespreche ich die Form- und Sprachanwei-sungen der Predigtlehre (Kapitel 5 und 6) und interpretiere und konkretisiere sie anhand von Predigten von Bohren (Kapitel 7). Im nächsten Kapitel stell ich Boh-rens Konzept einer rhetorica sacra dar (Kapitel 8). Darauf folgt ein Kapitel über Tendenzen in der gegenwärtigen Homiletik, die Bohrens rhetorische Impulse be-wusst oder unbebe-wusst weiterführen, beziehungsweise ergänzen (Kapitel 9). Mit einem Kapitel über zwei weitere – zeitgenössische – Entwürfe einer theologischen Homiletik19 und deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit, bzw. zu Bohrens Homiletik schließt die Arbeit ab (Kapitel 10). Es geht im Folgenden also darum, Bohrens Predigtlehre unter dem Aspekt der sprachlichen Gestaltung der Predigt neu darzustellen und sie im Spiegel der gegenwärtigen Homiletik zu reflektieren. Der Ausgangspunkt bei der Frage des Predigers ‚wie sage ich es?’ sowie die Rede von der Form und Sprache der Predigt könnten missverständlich wirken. Es könnte den Anschein haben, dass ich von einem form- und sprachunabhängigen Inhalt ausgehe, der nur noch in eine äußere Gestalt gegossen werden müsste.20 Mein Festhalten an der Unterscheidung zwischen Form und Inhalt will ihre un-trennbare Einheit aber in keiner Weise in Frage stellen21; diese Einheit wird in dieser Arbeit überall vorausgesetzt. Dass ich dennoch explizit nach der Form und Sprache der Predigt frage, weist auf eine ästhetische Blickrichtung hin. Denn wenn Grözinger die Frage nach dem unterscheidend Ästhetischen stellt, heißt seine Antwort: „Das Ästhetische scheint also aufs engste mit der Frage nach der

Form zusammenzuhängen, dies allerdings nie abgetrennt von der Frage nach dem 18

Vgl. hierzu Anmerkung 4 in Kapitel 2.

19

Es betrifft Charles Campbells Preaching Jesus aus dem Jahr 1997 und David Loses Confessing Jesus Christ aus dem Jahr 2003.

20

Vgl. zu dieser Auffassung Long: “We tend to talk about a sermon’s content, on the one hand, and its form, on the other, as if form and content were two distinct realities. The picture we have in our heads is that of a preacher developing the content of the sermon and then hunting around for a suitable form, something like a shipping container, in which to box this content for delivery. In other words, content is the important stuff of the sermon; form is mere packaging, an afterthought. Outside of the mail room, however, the notion of the form as a package does not work.” (1989, 92)

21

(6)

Inhalt. [...] Der Ausgangspunkt bei der Form-Frage charakterisiert dabei das un-terscheidend Ästhetische.“22

22

Referenties

GERELATEERDE DOCUMENTEN

„Würde er das tun: antworten auf das, was die Menschen fragen, aber antworten als ein selber von Gott gefragter Mensch, ja dann dürfte man wohl sagen, dass er – Gottes Wort redet,

Im gleichen Abschnitt hebt Barth jedoch auch erstmals die Unter- schiede zwischen dieser Einheit und dem Verhältnis von Gotteswort und Men- schenwort in der Predigt hervor, wenn

Barth: „Eben in seiner Gestalt als der eine Spre- cher des Wortes Gottes nimmt er, indem er sich ihnen [bestimmten Menschen JN] in der Macht seines Heiligen Geistes zu erkennen

Wer seine Predigt in der Perspektive des Bittstellers vorbereitet, wird die Stilmittel der Verfremdung und der Dramatik darum nicht einsetzen als Garantie für eine

In Auslegung und Redekunst vergleicht Bohren den Prediger mit einem „Kuppler, der Bibelspra- che und Alltagssprache miteinander vermählt“ ((1976/77) 2005, 101). Bohren: „Er

In der Predigt habe ich auch weitere Beispiele entdeckt für eine eigene, unver- wechselbare Sprache im Blick auf Jesus Christus, auch wenn Bohren hier nicht namentlich von

In dem Artikel Die energetische Predigt (2001) fragt Josuttis: „Was geschieht beim Lesen – jedenfalls dann, wenn es nicht nur zu einer flüchtigen Be- rührung durch

Auch auf andere Art und Weise kann die Predigt verletztlich sein, nämlich wenn der Prediger sich selbst und seine Erfahrung in die Predigt einbringt, und zwar nicht als