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Die Gestalt der Predigt im Kraftfeld des Geistes Nierop, Jantine Marike

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Die Gestalt der Predigt im Kraftfeld des Geistes

Nierop, Jantine Marike

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Nierop, J. M. (2006, November 16). Die Gestalt der Predigt im Kraftfeld des Geistes. Retrieved from https://hdl.handle.net/1887/4981

Version: Corrected Publisher’s Version

License: Licence agreement concerning inclusion of doctoral thesis in theInstitutional Repository of the University of Leiden Downloaded from: https://hdl.handle.net/1887/4981

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Ausblick: Träumen, tanzen, fliegen

„Es ist dem philosophischen Schrifttum eigen, mit jeder Wendung von neuem vor der Frage der Darstellung zu stehen.“1 Mit diesem Satz von Walter Benjamin aus der Erkenntniskritischen Vorrede hat diese Studie angefangen. In dem gleichen Text schreibt er über die Philosophie: „Darstellung ist der Inbegriff ihrer Me-thode. Methode ist Umweg. Darstellung als Umweg – das ist denn der methodi-sche Charakter des Traktats.“2

In den Schriften Walter Benjamins ist das Problem der Form, der Darstellung, ein zentrales Thema.3 Pierre Missac schreibt: „Es ist häufig auf das große In-teresse verwiesen worden [...], das Benjamin Fragen der Form durchgängig entge-gengebracht hat. Viele Probleme, die er sich im Bereich der Literatur vornimmt und die seine Schriften behandeln, stehen zudem in einem unmittelbaren Zusam-menhang mit grossen Subdivisionen der Rhetorik: seine Reflexionen über die Kunstgattungen oder über die Rolle des Einfalls verweisen auf die inventio; seine Verwendung und Konzeption der Metapher auf die elocutio; und schließlich und vor allem sein Bemühen um den Aufbau, dessen unablässige Überarbeitung kei-neswegs mit dem Beginn der Niederschrift aufhört, auf die dispositio; gemeinsa-mer Nenner all dieser Versuche ist das – fast schon als Besessenheit zu bezeich-nende – sehnsüchtige Verlangen nach Darstellung.“4 In bezug auf die eigenartigen Formen seiner Texte redet er von einem „dispositio dialectico-benjaminiana“5. Was ist der Ursprung dieser auf Darstellung angelegten Besessenheit? Die Ant-wort liegt in Benjamins Konzeption von Wahrheit. Benjamin unterscheidet in sei-ner Erkenntniskritischen Vorrede streng zwischen Wahrheit und Erkenntnis. Wäh-rend letztere ein Haben, ja sogar ein Besitz des Bewusstseins ist, steht erstere ihrem Wesen nach ganz im Zeichen der Darstellung. Wahrheit existiert nach Benjamin wesentlich als „ein Sich-Darstellendes“6. Damit erhebt sich die Frage nach der philosophischen Darstellung dieser Wahrheit wie von selbst. Das Ringen um die richtige Form und Präsentation ist also kein wesensfremdes, sekundär da-zukommendes Element, sondern versteht sich ganz und gar von dem Benjamin-schen Begriff von Wahrheit her.

„Ich habe nichts zu sagen. Nur zu zeigen“7, so fasste er das Motto seiner Philoso-phie in seinem hochgradig experimentellen Passagen-Werk, das leider nie vollen-det wurde, zusammen. Benjamin will in diesem Buch keine gesammelten

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phischen Erkenntnisse zur Papier bringen, sondern die Wahrheit zeigen. Damit stellt sich die Aufgabe der Darstellung. Dazu dient ihm die eigenartige Form die-ses Passagen-Werkes, das leider nie vollendet wurde. Er sagt darüber: „Diese Ar-beit muss die Kunst, ohne Anführungszeichen zu zitieren, zur höchsten Höhe entwickeln. Ihre Theorie hängt aufs engste mit der der Montage zusammen.“8 Das Zitat und die Montage sind für Benjamin wichtige Techniken bei der Darstellung der Wahrheit.

Benjamins Philosophie hat mit der Biblischen Theologie viele – zumindest struk-turelle – Gemeinsamkeiten. Grözinger hat deswegen sehr entschieden auf das Ge-spräch der Praktischen Theologie mit Benjamin gedrängt. Er schreibt: „Insofern ist das theologische Gespräch mit Benjamin fruchtbar und notwendig zugleich, als sich dort der theologischen Ästhetik ein Gegenüber darbietet, das mit dieser ge-meinsame Prinzipien (nicht alle!) teilt und dabei die Konsequenzen dieser Prinzi-pien explizit bis ins kleinste Detail hinein durchdenkt.“9

Bei Benjamin vollziehe sich die ästhetische Erfahrung der Wahrheit in der Dia-lektik von Präsentation und Entzug und trage damit die strukturellen Merkmahle eines ‚Offenbarungsgeschehens’, so Grözinger.

Ich meine, dass Benjamin uns nicht nur generell die Wichtigkeit der Frage nach der Form zeigt, sondern auch, wie sehr sie implizit in einem Begriff von Wahrheit als Etwas, das sich darstellt (und gleichzeitig entzieht), mitenthalten ist. Damit lehrt er, dass die praktisch-theologische Beschäftigung mit der Frage der Form keine vorübergehende Modeerscheinung sein darf. Er lehrt damit freilich auch, dass die Frage nach der Form der Präsentation der Wahrheit aufs engste mit der Frage nach der Wahrheit selbst zusammenhängt. Auf die Predigt bezogen heißt das, dass man die Frage nach ihrer Form nicht ohne Absehen von der Theologie beantworten sollte.

Ich hoffe, in dieser Studie gezeigt zu haben, wie eine theologische Beantwortung der Frage nach der sprachlichen Gestalt der Predigt aussehen kann. Ich bin der Meinung, dass die Predigtlehre von Bohren dafür einen guten Ansatzpunkt bietet, weil sie von der Pneumatologie ausgeht und damit die theologische Wahrneh-mung der menschlichen Subjektivität im Predigtgeschehen gewährleistet.10 Dabei

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Benjamin, 1982, 572

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Grözinger, 1987, 150. In einem anregenden Aufsatz hat Grözinger später das theologische Ge-spräch mit Benjamin sogar explizit im Blick auf die Homiletik gefordert. Dieser Aufsatz behandelt die Frage nach der Form des homiletischen Arguments. Grözinger zeigt, wie die Form des logi-schen Syllogismus der Botschaft von der Liebe Gottes vollkommen unangemessen ist. Gibt es eine andere Form, die hier angebracht wäre? „Der postmoderne Prediger und die postmoderne Predige-rin müssen [...] mit Walter Benjamin nach den Sternen greifen. In der ‚Erkenntnistheoretischen Vorrede’ [...] entwickelt Benjamin die ersten Ansätze einer Hermeneutik der Konstellation, die dann sein weiteres Denken grundieren sollte [...]. Ein homiletisches Argument [...] folgt dieser von Benjamin entwickelten Hermeneutik der Konstellation.“ (2002, 42, 43) Ich meine, dass sich Ben-jamins Hermeneutik der Konstellation sehr gut mit Bohrens Konzept der Zeitformen des Wortes verbinden ließe.

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verhindert das Konzept der theonome Reziprozität, dass der menschliche Geist als autonomer Faktor genommen und dadurch mit dem Geist Gottes verwechselt wird. Somit wird die reformatorische Auffassung respektiert, dass der menschli-che Glaube und damit verbunden die Versprachlichung dieses Glaubens Gaben Gottes sind.

Wichtiger als ihre faktische Gestalt ist für mich das Prinzip hinter Bohrens Ho-miletik. Die einzelnen Motive seiner rhetorica sacra mögen zum Teil erweite-rungsbedürftig oder sogar verbesseerweite-rungsbedürftig sein. Den Gedanken dahinter halte ich nach wie vor für unübertroffen und zukunftweisend. Wir sollen uns in der Homiletik und generell in der Praktischen Theologie mehr trauen, zu träumen von der Gegenwart Gottes. Wir sollen davon träumen, wie Gott durch seine Mit-arbeiter zu uns spricht in der Predigt, wie er durch sie seelsorglich an uns handelt, wie er durch sie seine Gemeinde aufbaut. Kurzum, wir sollen davon träumen, was passiert, wenn Gott seine Menschen bei ihrer Arbeit in seinem Weinberg an die Hand nimmt und führt, ja, mit ihnen ‚tanzt’ (vgl. 5.2.3). Wir sollen den Traum von diesem Tanz in unseren praktisch-theologischen Entwürfen eine Rolle spie-len, ja sogar Maßstäbe setzen lassen. Dabei kommt der Biblischen und Systemati-schen Theologie die wichtige Funktion der Traumdeutung zu11: Sie sollen den Traum mit Hilfe ihrer eigenen Kategorien auslegen und prüfen. Ist der Traum ge-deutet, nimmt er ins Gebet. Das Beten ist ein Suchen des Geistes von ganzem Herzen, im Vertrauen darauf, dass er sich von uns finden lassen will. Bei unserer Arbeit im Weinberg Gottes suchen wir Gott dort, wo wir ihn geträumt haben. Das heisst: Wir handeln so wie wir denken, dass wir handeln, wenn Gott durch uns handelt. Das Ganze vollzieht sich spielerisch und verführerisch als ein Tanz. Tan-zend gehen wir auf Gott zu in der Hoffnung, dass Er kommt und die Führung übernimmt.

Träumen, tanzen, fliegen. Wer träumt und tanzt, soll sich nicht wundern, wenn er auf einmal Flügel bekommt.

aanbeveling voor nader onderzoek en theorievorming bepleiten wij daarom het belang van de bezinning op het wezen en werk van de Heilige Geest met betrekking tot het spanningsveld tussen tekst en toe-eigening.“ (2005, 466)

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Referenties

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