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De verkeersopvatting Memelink, P.

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De verkeersopvatting

Memelink, P.

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Memelink, P. (2009, February 5). De verkeersopvatting. Meijers-reeks. Boom Juridische uitgevers, Den Haag. Retrieved from https://hdl.handle.net/1887/13476

Version: Not Applicable (or Unknown)

License: Licence agreement concerning inclusion of doctoral thesis in the Institutional Repository of the University of Leiden

Downloaded from: https://hdl.handle.net/1887/13476

Note: To cite this publication please use the final published version (if applicable).

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Das niederländische Bürgerliche Gesetzbuch weist in einigen – wesentlichen – Paragrafen auf den Begriff Verkehrsauffassung(en) hin. Anders als in Deutsch- land wird dieser Begriff nicht nur in der Literatur und in untergeordneten Vorschriften angewendet. In den Niederlanden handelt es sich, seit der Neu- kodifizierung im Jahr 1992, um einen Begriff, der sowohl im Vermögensrecht auf gesetzlicher Grundlage – als auch, unabhängig von gesetzlichen Verweisun- gen, in der Rechtsprechung – häufig als ‘juristischer Maßstab’ zur Anwendung kommt.

Ebenso wie in Deutschland wird die Anwendung des Begriffs Verkehrs- auffassung in den Niederlanden kritisiert. Die Verkehrsauffassung stellt den Juristen vor Probleme der Rechtsfindung. In welchen Fällen ist die Anwendung des Begriffs angebracht und wo oder wie muss der mit der Rechtsfindung befasste Jurist den Inhalt der Verkehrsauffassung aufdecken? Es muss vermie- den werden, dass die Verkehrsauffassung zum Machtwort, zum Füllwort, zur hohlen Phrase oder zur gefährlichen Leerformel wird. Das Problem, das in dieser Dissertation erläutert wird, ist der fehlende theoretische Rahmen für den Begriff Verkehrsauffassung(en) und die damit zusammenhängende Gefahr der Rechtsunsicherheit und Willkür bezüglich seiner Anwendung. Das Buch versucht zunächst einen theoretischen Rahmen zu umreißen, um anschließend eine Hilfestellung für die Rechtsfindung anhand der Verkehrsauffassung zu bieten.

Nach einer näheren Erkundung des Themas in Kapitel 1 werden in Kapitel 2 die Vor- und Nachteile des Begriffs Verkehrsauffassung inventarisiert. Eine der Möglichkeiten zur Verringerung der Spannung zwischen dynamischer Gesellschaft und oftmals statischem Gesetz ist die Aufnahme so genannter offener Normen in das Gesetz. Nach dem Vorbild der deutschen Dogmatik wird die Verkehrsauffassung in diesem Buch ein unbestimmter Begriff genannt, der Bestandteil einer offenen Norm ist. In diesem Zusammenhang wird näher eingegangen auf die Doppeldeutigkeit des Begriffs Norm, der sich – im Nieder- ländischen – sowohl auf eine Verhaltensnorm als auch auf eine Norm im Sinne von Maßstab oder Kriterium beziehen kann. Die Verkehrsauffassung ist niemals eine Verhaltensnorm, sie ist jedoch als unbestimmter Begriff ein Bestandteil gesetzlicher Normen (Maßstäbe). Die Anwendung der Verkehrsauffassung hat den wichtigen Vorteil, nicht nur weitreichend genug zu sein, um einer Vielzahl von Fällen gerecht zu werden, sondern auch, dem Recht zu ermög-

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lichen, sich an die Entwicklungen in der Gesellschaft anzupassen, ohne dass hierfür Gesetzesänderungen erforderlich wären. Die Anwendung unbestimmter Begriffe und offener Normen ist unvermeidlich und notwendig, wenn das Recht flexibel und elastisch gehalten werden soll.

Die inhaltliche Kritik auf die Anwendung des Begriffs Verkehrsauffassung bezieht sich auf zwei Aspekte. Einerseits wird die Verkehrsauffassung vage, ungreifbar und undefinierbar genannt, andererseits auch als Machtwort, Füllwort oder hohle Phrase bezeichnet. Wie sich herausstellt, werden die Probleme vor allem verursacht durch: i) mangelhafte Erkennbarkeit der Ver- kehrsauffassung, ii) Unklarheit bezüglich ihrer Geltung und iii) Unklarheit über ihr Verhältnis zum geschriebenen Recht.

In Kapitel 3 steht die Art des Begriffs Verkehrsauffassung im Mittelpunkt, über den in den Niederlanden seit seiner ersten Anwendung durch den Obersten Gerichtshof Hoge Raad (im Jahr 1936) lebhaft diskutiert wird. Bezieht sich die Verkehrsauffassung auf ein Faktum oder auf ungeschriebenes Recht?

Im Anschluss an die Feststellung, dass sich Verkehrsauffassungen nicht gut messen oder nachweisen lassen beziehungsweise, dass Verkehrsauffassun- gen rechtlich nicht oder kaum gemessen oder nachgewiesen werden, was diverse Probleme nach sich zieht, folgt eine Analyse der Literatur und der Rechtsprechung. Unter niederländischen juristischen Autoren gibt es sowohl Anhänger der Auffassung, dass die Verkehrsauffassung ein Faktum sei, als auch Anhänger der Auffassung, dass sie sich auf ungeschriebenes Recht beziehe. Einige Autoren vertreten einen dritten Standpunkt und meinen, dass die Verkehrsauffassung manchmal das eine und manchmal das andere sei.

Die in der Literatur ebenfalls vertretene Ansicht, dass die Verkehrsauffas- sung – stets oder in einigen Fällen – auf ein Sein und nicht auf ein Sollen hinweise, hat sich als unhaltbare erwiesen. Die Verkehrsauffassung enthält stets eine Auffassung über ‘wie es sich gehört’ und ist normativ. Es zeigt sich, dass ihre Anwendung in allen Fällen nicht beliebig und ihr Inhalt intern konsistent ist. Der Hoge Raad prüft den Begriff zudem als juristischen Begriff.

Der Begriff Verkehrsauffassung bezieht sich kurzum auf ungeschriebenes Recht, das sich im Kontext der Gesellschaft manifestiert.

Dieses ungeschriebene Recht hat drei Erscheinungsformen. Manchmal bezieht sich der Begriff auf unmittelbar erkennbare und evidente Auffassungen darüber ‘wie es sich gehört’, die in der Gesellschaft herrschen.Wenn diese nicht vorhanden sind, wird der Begriff zum Anhaltspunkt für einen Rechtsfindungs- prozess. Schließlich bezeichnet dieser Begriff die gefundene Regel, die das Ergebnis dieses Rechtsfindungsprozesses ist.

In Kapitel 4 werden einige spezifische Merkmale von Verkehrsauffassungen unter die Lupe genommen. Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal der Verkehrsauffassung ist, dass sie sich nicht auf Verhaltensnormen bezieht.

Verhaltensweisen können jedoch – als erfolgte Tatsache – Bestandteil der zu

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beurteilenden Gesamtheit von Tatsachen und Umständen sein. Mit Hilfe der Verkehrsauffassung werden die Tatsachen und Umstände des Falls juristisch qualifiziert.

Ein zweites Merkmal der Verkehrsauffassung ist ihre innere Wandelbarkeit.

Als maßgeblich für den Inhalt der Verkehrsauffassung zeigen sich vor allem – oft implizite – normative Erwartungen über den ‘normalen Gang der Dinge’.

Diese Erwartungen können sich im Laufe der Zeit ändern. Oft sind jedoch Verkehrsauffassungen auch erstaunlich stabil, so dass die Folgen dieser Wan- delbarkeit für ihren Präzedenzwert weniger negativ ausfallen.

Ein drittes Merkmal, das besprochen wird, ist, dass die Verkehrsauffassung im niederländischen Recht durch unterschiedliche Vorgehensweisen (implizit und explizit) und auf unterschiedlichen Ebenen wirksam ist. Aus methodischer Sicht kann die Verkehrsauffassung eine Rolle als Hilfsmittel bei der Auslegung von gesetzlichen Begriffen spielen oder, auf der Ebene der Rechtsnorm selbst, als selbstständiges Entscheidungskriterium. Beide Ebenen lassen sich jedoch schwie- rig voneinander unterscheiden und dieser Unterschied ist vor allem akade- mischer Art. Inhaltlich kann die Verkehrsauffassung bei Fragen auf verschiede- nen Ebenen innerhalb eines einzigen Lehrsatzes eine Rolle spielen. Es ist durchaus von Bedeutung, zwischen diesen inhaltlichen Ebenen zu unterschei- den, und zwar im Hinblick auf die richtige Wahl der relevanten Tatsachen und auf die Identifikation der Gesichtspunkte für die Lösung der spezifischen Frage der Qualifikation.

Die Verkehrsauffassung ist – viertens – topisch. Stets handelt es sich um einen allgemeinen Gesichtspunkt, der relativ ist und in einem jeweiligen Verhältnis zu anderen Gesichtspunkten allgemeiner Art (topoi) steht. Im Schuld- recht fällt auf, dass der Gesetzgeber häufig allerlei Kombinationen von Fund- stellen von Argumenten benutzt. Im Sachenrecht ist dies weniger der Fall und wird die Verkehrsauffassung – dem Anschein nach – öfter als einziges topos angewendet. Über das Verhältnis zwischen dem topos Verkehrsauffassung, anderen gesetzlichen Gesichtspunkten und gesetzlichen Normen besteht offensichtlich sowohl im Schuldrecht als auch im Sachenrecht viel Unklarheit.

Schließlich kommt als fünftes Merkmal der Verkehrsauffassung ihre Ver- knüpfung mit den Fakten zur Sprache. Diese Faktengebundenheit führt oft dazu, dass die Auswahl der für die Entscheidung relevanten Tatsachen häufig durch die Unbestimmtheit der Verkehrsauffassung erschwert wird. Erst mit der Entscheidung ist die konkretisierte Verkehrsauffassung einleuchtend und wird deutlich, welche Tatsachen und Umstände des individuellen Falls der Entscheidung zugrunde liegen. Gleichzeitig übersteigt die Verkehrsauffassung jedoch den individuellen Fall.

Im fünften Kapitel wird das Verhältnis zwischen Verkehrsauffassung und verwandten Begriffen untersucht. Es stellt sich heraus, dass die Verkehrsauffas- sung eine mittlere Position zwischen einerseits allgemein bekannten Fakten und Erfahrungsregeln und andererseits Verhaltensnormen wie beispielsweise

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die der gesellschaftliche Schicklichkeit und der guten Sitten einnimmt. Sie unterscheidet sich von den allgemein bekannten Fakten und Erfahrungsregeln dadurch, dass sie normativ ist. Von einem doppelt normativen Einschlag, wie beispielsweise bei den guten Sitten und der gesellschaftlichen Schicklichkeit (eine normative Beurteilung eines Verhaltens und damit verbunden eine – ebenfalls normative – Rechtsfolge) kann jedoch keine Rede sein. Es zeigt sich, dass die Verkehrsauffassung einfach normativ ist.

Anschließend wird auf das Verhältnis zwischen Verkehrsauffassungen und dem Grundsatz von Treu und Glauben eingegangen, indem das Verhältnis zu den Begriffen gesellschaftliche Auffassungen und den in den Niederlanden herrschenden Rechtsansichten dargelegt wird. Es stellte sich heraus, dass ‘gesell- schaftliche Auffassungen’ ein weiter gefasster Begriff ist als ‘Verkehrsauffassun- gen’. Sie umfassen nicht immer juristische Auffassungen. Näher verwandt ist die Verkehrsauffassung mit dem Begriff ‘in den Niederlanden herrschende Rechtsansichten’. Diese Ansichten sind, ebenso wie die Verkehrsauffassungen, immer juristischer Art und mit Rechtsfragen verbunden. Beide Begriffe bilden eine Gattung des Begriffs Rechtsansichten im allgemeinen Sinne. Die Ver- kehrsauffassung ist jedoch keine Gattung des in Artikel 12 in Buch 3 des nieder- ländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs angewandten Begriffs ‘in den Niederlan- den herrschende Rechtsansichten’, weil es sich bei diesem letzteren Begriff offensichtlich immer um Verhaltensnormen handelt. Beide letztgenannten Begriffe stehen nebeneinander und überlappen sich nicht. Über das Verhältnis zwischen Treu und Glauben und Verkehrsauffassungen konnten hiernach folgende Schlussfolgerungen gezogen werden. Die Verkehrsauffassung eignet sich nicht als Hilfsmittel für die weitere Konkretisierung der Verhaltensnormen, von denen angenommen werden muss, dass sie nach dem Grundsatz von Treu und Glauben im Rahmen eines Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien gelten. Umgekehrt spielt Treu und Glauben als Metanorm sehr wohl eine Rolle bei der Konkretisierung der Verkehrsauffassung.

Was das Verhältnis zwischen dem Begriff und dem Gewohnheitsrecht betrifft, lautet das Fazit, dass die Verkehrsauffassung große Ähnlichkeit auf- weist mit jener Rechtsansicht, die opinio iuris oder opinio necessitatis genannt wird. Zudem stellt sich heraus, dass der Verkehrsauffassung oft – aber nicht immer – eine dauerhafte Verhaltensregel (usus) zugrunde liegt, so dass in diesen Fällen von Gewohnheitsrecht in einer neuen Gestalt die Rede ist. Die allgemein geteilte Auffassung in der niederländischen Literatur, dass das Gewohnheitsrecht im Vermögensrecht nur noch eine marginale Rolle spiele, muss deshalb erneut überdacht werden. In den Fällen, in denen usus nicht vorhanden ist, weist der Begriff jedoch auf ein ‘anderes ungeschriebenes Recht’

hin und nicht auf das, was normalerweise ‘Gewohnheitsrecht’ genannt wird.

In Kapitel 6 werden die Funktionen der Verkehrsauffassung im vermögensrecht- lichen System beschrieben. Ihre methodischen Funktionen liegen in der Rezep- tion der in der Gesellschaft herrschenden Verkehrsauffassungen, in der Trans-

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formation, sofern derartige Auffassungen nicht vorhanden sind, aber dennoch vom Gericht eine Entscheidung erwartet wird, und deshalb in der Delegation von rechtsbildender Befugnis. Ebenso wie in Deutschland gilt in den Niederlan- den, dass offene Normen und unbestimmte Begriffe dahin tendieren, immer weniger eine Rezeptionsfunktion zu erfüllen (Funktionswandel).

Die materiellen Funktionen des Begriffs liegen in seinem Vermögen zur juristischen Qualifikation von Tatsachen und Umständen und in der dem Begriff inhärenten Verpflichtung zur Objektivierung und Relativierung, wobei zudem meiner Meinung nach der Verkehrsauffassung im Hinblick auf das Gesetz nur eine ergänzende Funktion vorbehalten ist.

Die Hauptfunktion der Verkehrsauffassung liegt in der juristischen Qualifi- kation von Tatsachen und Umständen und weniger in der Beurteilung von Verhalten. Ein Problem, das sich bei der Qualifikation der Tatsachen und Umstände stellt, ist, dass in Zweifelsfällen nicht immer im Voraus deutlich ist, welche Tatsachen relevant sind. Es handelt sich jedoch immer um eine

‘polare’ oder ‘Ja-oder-Nein-Entscheidung’, was die Rechtsfindungsprobleme verringert.

Objektivierend und relativierend ist die Verkehrsauffassung in dem Sinne, dass stets gesucht werden muss nach ‘dem, was man findet’ und danach ‘ob man es immer noch findet’. Die dabei auftretende große Schwierigkeit ist, dass ein Konsens über den Inhalt der Verkehrsauffassung im Voraus oft fehlen wird, gerade weil in Zweifelsfällen auf sie zurückgegriffen wird. In Fällen, in denen der Konsens im Voraus fehlt, muss deshalb – zwecks Objektivierung – im Nachhinein nach der werbenden Kraft der Entscheidung gestrebt werden. Die werbende Kraft wird dadurch gefördert, dass nach objektiven und überprüf- baren Anknüpfungspunkten für die Entscheidung anhand der Verkehrsauf- fassung gesucht und diese Entscheidung gut und verständlich (rational) begründet wird.

Schließlich wird deutlich, dass die Verkehrsauffassung nur eine ergänzende Funktion hat und auch haben muss. Es gibt nichts, woraus hervor ginge, dass der Gesetzgeber eine – das Gesetz – derogierende Wirkung der Verkehrsauffas- sung befürworten würde. Eine derogative Wirkung der Verkehrsauffassung im Hinblick auf das geschriebene Recht liegt auch deshalb nicht auf der Hand, weil die Entscheidung des Gesetzgebers für die Einführung dieses Begriffs zu einer Rechtsfindung intra legem führen würde und das niederländische Bürgerliche Gesetzbuch darüber hinaus zurzeit gegenwartsnah ist. Verkehrsauf- fassungen contra legem sind nicht bekannt und das soll auch so bleiben.

Im Anschluss an diese Schilderung der theoretischen Hintergründe des Begriffs Verkehrsauffassung bietet Kapitel 7 einen Ansatz für die Beantwortung der Frage, wie die Verkehrsauffassung ermittelt werden kann und muss. Unter Berücksichtigung des Rechtscharakters dieses Begriffs handelt es sich dabei um Rechtsfindungsmethoden. Die Ausrichtung auf die Merkmale und Funktionen

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der Verkehrsauffassung führt zu drei kontextgebundenen Anhaltspunkten für die Rechtsfindung:

i) dem Kontext des Gesetzes;

ii) dem Kontext des spezifischen Falls; und iii) dem Kontext der sich ändernden Gesellschaft.

Der Kontext des Gesetzes bietet vier Anhaltspunkte für die Rechtsfindung.

Der mit der Rechtsfindung befasste Jurist muss an allererster Stelle daran denken, dass das geschriebene Recht den Vorrang hat vor der – ergänzenden – Verkehrsauffassung. Wenn eine spezifische gesetzliche Regelung fehlt, können Ratio, Gesetzesgeschichte und der gegenseitige Zusammenhang zwischen ge- setzlichen Normen und andere im Gesetz genannte topoi Anknüpfungspunkte für die Konkretisierung der Verkehrsauffassung in einem konkreten Fall bieten.

Der Kontext des spezifischen Falls bietet Möglichkeiten für einen Fallver- gleich. Dabei wird zwischen vier Formen für einen Fallvergleich, die für die Konkretisierung der Verkehrsauffassung geeignet sind und sich bewährt haben, unterschieden. Es werden die Subsumtion des Falls unter eine evidente Ver- kehrsauffassung, der Fallvergleich mit Hilfe von Präzedenzfällen, der Vergleich mit Hilfe der Anwendung eines Kataloges von Gesichtspunkten oder Umstän- den (topische Methode) und der Vergleich mit hypothetischen Fällen bespro- chen. Die immanente Wandelbarkeit der Verkehrsauffassung steht einer – bedingten – Präzedenzwirkung nicht nennenswert entgegen. Bei allen Ver- gleichsmethoden ist zu berücksichtigen, dass die Verkehrsauffassung natur- gemäß stets eine allgemeine Subregel und nie zuerst eine Fallnorm ist, welche nur für einen spezifischen Fall gilt.

Der Kontext der sich ändernden Gesellschaft veranlasst vor allem zu Objektivierung und Relativierung der Verkehrsauffassung. Für die Objektivie- rung der Verkehrsauffassung erweist sich die Perspektive des objektiven Dritten als entscheidend. Es zeigt sich, dass es im Sachenrecht vor allem um die Betrachtungsweise dieses Dritten der äußeren Tatsachen geht, während im Schuldrecht vielmehr die Frage gestellt wird, welche – hypothetische – Auffas- sung der objektive Dritte, als eine redlich denkende Vergleichsperson, über die – weniger gut erkennbaren – relevanten Umstände des Falls hat. Schließlich zeigt sich, dass eine Begrenzung des Kreises relevanter Personen bei der Konkreti- sierung und Objektivierung der Verkehrsauffassung manchmal dienlich sein kann. Für die Relativierung der Verkehrsauffassung gilt, dass sich der mit der Rechtsfindung befasste Jurist vor allem der Tatsache, dass die Verkehrsauf- fassung an die Rechtsfrage gebunden ist, bewusst sein muss und versuchen sollte, die Entwicklungslinien innerhalb der Gesellschaft zu sehen.

Nach einer Schilderung der Anhalts- und Anknüpfungspunkte für die Rechtsfindung wird auf die Begründung (Legitimation) der Entscheidung eingegangen. Die Verkehrsauffassung entartet zu einem Machtwort, einem Füllwort, einer hohlen Phrase oder einer gefährlichen Leerformel, wenn in der Entscheidung nicht gut expliziert wird, welche Verkehrsauffassung gefun-

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den wurde und – in geringerem Maße – wie sie gefunden wurde. An die Begründung von Entscheidungen anhand der Verkehrsauffassung können zwei Anforderungen gestellt werden. Die gefundene Verkehrsauffassung muss – damit die Entscheidung in der Revision nicht aufgehoben wird – : i) so präzise wie möglich formuliert sein. Auch ergibt sich aus der immanenten Wandelbar- keit der Verkehrsauffassung und aus ihrer objektivierenden Funktion, dass das Gericht ii) in seiner Entscheidung erkennen lassen muss, dass es die Verkehrsauffassung objektiviert und relativiert hat. Es kommt den Kon- trollmöglichkeiten in einem Berufungs- oder Revisionsverfahren zugute, wenn die gefundene Verkehrsauffassung deutlich formuliert und nicht nur die Abweichung von einer früheren Verkehrsauffassung, sondern auch das Urteilen in Übereinstimmung mit dem früheren Präzedenzfall gerechtfertigt wird.

Diese Dissertation enthält vor allem ein Plädoyer für die Akzeptanz des Rechtscharakters von Verkehrsauffassungen, so wie es im niederländischen Vermögensrecht gehandhabt wird. Ein zweiter roter Faden ist das Merkmal, durch das sich die Verkehrsauffassung gerade von anderen unbestimmten Begriffen unterscheidet. Verkehrsauffassungen weisen nicht auf Verhaltensnor- men hin, sondern auf andere Auffassungen über ‘wie es sich gehört’ als Verhaltens- normen. Sie sind insbesondere relevant für die Bestimmung: a) der Art und des Umfangs von Sachen, b) des Unterschieds zwischen Besitz und Inhaber- schaft und c) der Zurechnung von Risiken.

Eine restriktive Anwendung des Begriffs, derart, dass seine Anwendung auf die Fälle, in denen im Gesetz auf die Verkehrsauffassung hingewiesen wird, beschränkt wird, ist nicht opportun. Ihre Anwendung muss jedoch wohl auf die juristische Qualifikation von Gesamtheiten von Tatsachen und Umständen, beziehungsweise auf die normativen Nichtverhaltensnormen, beschränkt werden. Kurzum: es wird aus funktionellen Gründen für eine Beschränkung ihrer Anwendung plädiert.

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