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VAN FILMTEKST NAAR THEATERTEKST } Een vergelijkend narratologisch onderzoek naar de gemanipuleerde blik in A short Film about Love (Kieslovski) en Die zehn Gebote (Simons)

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Duitse samenvatting van de masterscriptie J.Knoops Van Filmtekst naar theatertekst, voor het congres Orbis Pictus van Theatrum Mundi; Amsterdam, oktober 2008. Perspektivenverschiebungen

... Zur theatralen Übersetzung narrativer und filmischer Strategien am Beispiel von Johan Simons "Die Zehn Gebote"

Am Beispiel von Johan Simons Theaterarbeit Die Zehn Gebote (Münchner

Kammerspiele, 2005), die auf Kieślowskis Filmreihe Dekalog (Polen, 1988) basiert, sollen die unterschiedlichen Techniken der Perspektivierung des Dargestellten im Film und auf der Bühne untersucht werden. Methodologisch wird dabei auf die Narratologie-Theorie von Mieke Bal (Introduction to the Theory of Narrative, Toronto 1997) rekurriert und ihre Unterscheidungen zwischen „text“, „story“ und „fabula“ wie auch zwischen „narrator“ und „focalizator“ auf das filmische und theatrale Artefakt übertragen. Anhand dreier Beispiele aus dem – das Thema des Voyeurismus

aufgreifenden – 6. Teil (Ein kurzer Film über die Liebe) des Dekalog von Kieślowskis bzw. der Zehn Gebote von Simons wird die jeweilige narratologische Funktion durch die Fokalisierungen der Kameraperspektive einerseits und der szenischen

Konfiguration andererseits miteinander verglichen. Dabei soll insbesondere ins Blickfeld genommen werden, wie in der mise en scène die

Wahrnehmungsperspektive des Zuschauers durch das Auseinanderfallen von linguistischer Äußerung und Kinetik permanent durchkreuzt und durch den Wechsel von narrator und personae die Identität der Dargestellten zugunsten einer „Identität der Zeugenschaft“ ersetzt wird. (Bal 1997: 28). Auf diese Weise findet auf der Bühne eine „offene Montage“ (Lehmann, Postdramatisches Theater, Frankfurt/M 1999: 291) statt, die Raum- und Zeitsprünge ermöglicht und dadurch letztlich eine multifokale Perzeption ermöglicht. In der Deskription von Körper und Handlungen einer Figur entstehen „Sprachkörper“ (Heeg, Das Phantasma der natürlichen Gestalt, Basel 2000: 291), die im Wahrnehmungsprozess letztlich ähnliche, theatral transformierte Projektionen hervorbringen wie die filmische Technik des „wechselnden Blickwinkels“ mittels Montage und beweglicher Kamera („mobile framing“). Dabei erweist es sich, dass die von Johan Simons verwendeten verschiedenen Strategien der Episierung nicht etwa wie bei Brecht der Distanzierung des Dargestellten dienen, sondern gerade umgekehrt eine Ausstellung der Affekte und Emotionen bewirken.

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Der gelenkte Blick bei Johan Simons Die Zehn Gebote

Ein trostloses Hochhaus mit unzähligen Fenstern oder ein Möbellager mit abgelebte Tische, Stühle und Schränke in Reihen aufgestellt; zwei verschiedene Motive die jeder auf ihrer Art, das Spielfeld bilden für die gleiche Geschichte. Das Hochhaus bildet den Mikrokosmos für den Dekalog der Polnische Filmregisseur Krzystof

Kieslowski, ein zehnteiliger Filmzyklus aus dem Jahre 1988. Die Sammlung Möbel ist das Bühnenbild für Die Zehn Gebote, einer Theaterbearbeitung von Kieslowskis Dekalog, an den Münchner Kammerspielen von dem Niederländischen

Theaterregisseur Johan Simons in 2005 inszeniert.

Es besteht ein großer Unterschied in der Art worauf bei Film einerseits und Theater andererseits der Blick des Zuschauers gelenkt werden kann. Das hat einen großen Einfluss auf den Prozess der Rezeption. Trotzdem gelingt es Johan Simons in Die Zehn Gebote, mit epischen Darstellungsmitteln die Geschichte aus den gleichen „point of views“ zu erzählen wie im Film, womit der Zuschauer die gleiche Vision auf die Geschichte bekommt. Wie entsteht diese Vision und auf welcher Art werden die verschiedenen filmischen „point of views“ in dem Medium Theater

erreicht? Um das zu untersuchen habe ich Teil sechs der Filmzyclus ausgewählt, mit dem Titel: A Short Story About Love, die Grundlage für Teil sechs von Die Zehn Gebote. Dieser Teil bezieht sich auf das jüdische/orthodoxe Gebot: „Du sollst nicht ehebrechen“. Es handelt über Voyeurismus und ist damit außerordentlich geeignet zur Analyse der verschiedenen Perspektiven die hierin eine Rolle spielen. Mieke Bal macht in ihrer Narratologietheorie einen expliziten Unterschied zwischen den

Visionen des Erzählers und derjenigen worüber er erzählt. Daher verwende ich als analytisches Instrument ihre Arbeit: Introduction to the theory of narrative aus dem Jahre 1997.

Bals Narratologietheorie kurzgefasst

Mieke Bal sieht jedes Artefakt als einen narrativen Text an. Im Gegensatz zur früheren Unterteilung vom Text in Story und Plot, die sich nur bezog auf die Produktion, bezieht sie die Rezeption des Zuschauers mit ein und macht eine dreigliederige Unterteilung in „text“, „story“ und „fabula“. Die Textebene ist das was

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der Zuschauer zuerst sieht, nur diese Ebene ist direkt zugänglich. Hier findet Narration statt durch einen narrativen „agent“, er äußert sich in der Sprache worin den Text verfasst ist. Die „fabula“ ist die Interpretation des Zuschauers, sie entsteht erst in der Wahrnehmung des Zuschauers und enthält daher immer seine subjektive Vision. Die „story“ ist die Ebene wo eine Auswahl an Perspektiven den Inhalt färbt mit Subjektivität. Dieses Ereignis bezeichnet Mieke Bal als Focalisation, es ist

verantwortlich für den Standpunkt den der Zuschauer zum Geschehen einnimmt und sorgt dafür, dass die Story sich unterscheidet von anderen Storys basierend auf dem selben Geschehen. Der „narrator“ ist die subjektive Position von wo aus die

Geschichte erzählt wird, der focalisator ist die subjektive Position von wo aus wir die im Text präsentierte Situation sehen. Spielt der „narrator“ innerhalb der Textebene eine Rolle als „Charakter“ in der „story“, ist er ein charaktergebundener, „interner narrator“. Bleibt er hingegen an der Seitenlinie stehen um von da aus die Ereignisse zu observieren und verhält er sich zu der „story“ aus seinem „point of piew“, nennt Mieke Bal ihn einen Zeuge. „Narrator“ und „focalisator“ fallen dann zusammen in der Identität der Zeugenschaft. Wenn der Punkt von woraus die Elemente gesehen werden, zusammen fällt mit einem Charakter, spricht sie von einem internen „focalisator“, Focalisation wird dann eingesetzt als eine Identifikationsstrategie. Neben einen oder mehreren internen „focalisators“ existiert immer der externe

„focalisator“, der anonyme „agent“ durch welches Auge wir die Arbeit, so wie sie sich an uns präsentiert, sehen. Die Verschiedenheit der Perspektiven innerhalb der Arbeit ist ja schon eine Interpretation und enthält einen Point of view.

Das Geschehen im Film- und Theatertext

Tomek arbeitet im Postamt, ist neunzehn Jahre alt, in einem Waisenhaus

aufgewachsen und wohnt bei der Mutter eines Freundes zur Untermiete in einer polnischen Hochhaussiedlung.

Seit einem Jahr beobachtet er täglich mit einem Fernrohr die achtundzwanzigjährige Magda im Haus gegenüber. Sie lebt alleine, hat aber Affären mit vielen Männern. Eine feste Beziehung scheint sie mit keinem von ihnen zu führen. Außerdem unterschlägt Tomek ihre Briefe und manchmal ruft er sie an, um ihre Stimme zu hören. Er meldet sich dann aber nicht mit Namen. Als Magda zum wiederholten Mal einen von Tomek gefälschten Benachrichtigungsschein erhält, beschwert sie sich im

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Postamt bei ihm. Er gesteht ihr, dass er sie beobachtet, und, dass er sie liebt. Sie wiegelt sein Liebesgeständnis ab: Was Tomek „Liebe“ nenne, das gebe es nicht. Sie nimmt ihn mit zu sich und verführt ihn: Das sei alles, die ganze Liebe. Völlig

beschämt rennt Tomek nach Hause. Als Magda realisiert, wie ehrlich der Junge und wie verletzend ihr Verhalten war, will sie sich bei ihm entschuldigen. Im Postamt sagt ihr ein Kollege, Tomek sei im Krankenhaus. Er habe sich die Pulsadern

aufgeschnitten. Angeblich aus Liebe.

Narration und Focalisation im Film- und Theatertext

Die Narration in A Short Story About Love findet statt durch eine Aufeinanderfolge von Filmbildern. Die Kamera zeigt nicht nur was eine Person sieht, sondern auch wie er es sieht. So wird der Zuschauer räumlich und in emotionaler Hinsicht versetzt. Es gibt hier nur einen „narrator“, der zugleich „focalisator“ ist. Durch die Technik, oftmals im Bild ein unscharfes Element auf der Vordergrund zu setzen, durch die Bewegung der Kamera und die geringe Tiefeschärfe der Linse, macht der „narrator“ seine Voyeurposition explizit und versetzt den Zuschauer ebenfalls in die Position des anonymen Zeugen. Dieser „narrator/focalisator“ fällt gleichzeitig zusammen mit dem externen „focalisator“, dessen Vision sichtbar wird in den angebotenen Perspektive. Er lässt uns wahrnehmen durch den Augen desjenigen der leidet unter seiner Verliebtheit. Mit diesen Point-of-views entsteht Empathie mit den Figuren. Wie in einem Essay wird Tomeks romantische Auffassung von wahre Liebe, Magda´s Auffassung von Liebe als Ware entgegen gesetzt.

In der Theaterinszenierung Die Zehn Gebote sieht der Zuschauer die Szenen in einer räumlichen Totalität. Und er sieht die Szene aus einer unveränderten

Perspektive, seinem Sitzplatz. Die Narration geschieht mit allem was sich auf der Bühne befindet und abspielt. Auffallend ist, dass die ganze Konstellation auf der Bühne aus Menschen besteht, die einander observieren. Tomek belauert Magda, Magda belauert Tomek, die Wirtin und eine anonyme Beobachterin observieren Tomek und Magda. Die übrigen Schauspieler, die in der Szene keine Rolle spielen, sitzen im Hintergrund rechts an einem großen Tisch, und nehmen wieder die ganze Szene wahr. Sie sind so zu sagen die Zuschauer die im vollen Licht stehen und spiegeln die Position der Zuschauer im Saal, die den Wahrnehmungsprozess

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abrunden. Diese Wiederholung der voyeuristischen Perspektive zeigt ein ähnliches Muster wie im Film.

Die Vorstellung ist mit epische Darstellungstechniken inszeniert. Das Bühnenbild mit den Reihen alter Möbel und das kalte Neonlicht, erzählt vom Verlorensein innerhalb einer Uniformität. Durch eine Verschiebung von

Möbelstücken, werden stets neue Domäne kreiert. Innerhalb der Szenen die sich hier abspielen, wird der Abstand zwischen den Schauspielern nicht realistisch, sondern deutend eingesetzt. Zum Beispiel Tomek sitzt, als er erzählt, dass er Magda durchs Fernrohr belauert, neben ihr auf einem Klappbett. Die Schauspieler wechseln in ihrer Sprache von der ersten zum dritten Person und sie wechseln ihre Rollen. Ihr Text ist das Resultat von Denken, Denken als einen Prozess des Erinnerns. Sie erzählen die Ereignisse im Präsens, doch es ist als ob sie das Geschehen für sich memorieren, und dann plötzlich mitten hinein geraten und alles erneut erleben. In solchen

Momenten gehen sie zu einem dramatischen Dialog mit den anderen Figuren über. Die Sprache wird sinnlich umgesetzt, aber der Körper illustriert die Wörter nie. So hebt Tomek die Schuhe und die Jacke von Magda vom Boden und riecht flüchtig daran, während er erzählt, dass er die Autoreifen von Magdas Liebhaber kaputt sticht.

Mit dem Bühnenbild, der räumlichen Konfiguration der Schauspieler, der physischen Handlung und der Sprache, sind im Theatertext auf der Textebene

gleichzeitig mehrere „narrators" anwesend, die innerhalb der „story“ „focalisator“ sind. Auch im Filmtext funktionieren innerhalb der „story“ mehrere „focalisators“, doch der Zuschauer nimmt ihren Perspektive nacheinander wahr. Es herrschst also das Prinzip der Succession vor. Im Theatertext hingegen, werden mehrere Perspektive gleichzeitig präsentiert; hier herrscht das Prinzip der Simultanität. Um diese

Perspektive wahrzunehmen muss der Zuschauer selber aktiv sein. Er muss sich in die Positionen der verschiedenen „focalisators“ versetzen und sich eine Vorstellung machen ihrer Vision.

Im Filmtext ist die subjektive Position des „narrator“ identisch mit dem externen „focalisator". Im Theatertext hat der externe „focalisator“ mehrere

„narrators“ eingesetzt, die ähnlich wie im Film, aus einer voyeuristischen Position erzählen. Auch im Theatertext liegt die interne Focalisation, und damit die

Identifizierung der Zuschauer, erst bei Tomek und später bei Magda. Der Zuschauer bekommt die Geschichte unterm hellen Neonlicht wie auf einem Operationstisch

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seziert, und ähnlich wie beim Filmtext, erlebt er hier eine empathische Auseinandersetzung über Liebe.

Vergleich der medienspezifischen Mittel mit denen Narration und Focalisation stattfinden

In beiden Texten verläuft das Muster der interne Focalisation auf ähnliche Weise. Ebenfalls findet man in beiden Texten „narrators“ in der Identität der Zeugenschaft. Die Art und Weise in der sie sich in beiden Medien manifestieren, ist unterschiedlich. Um anzudeuten, welche unterschiedlichen Mitteln benutzt werden, um diese

Positionen zu materialisieren, werde ich zwei Szenen aus dem Film- und Theatertext mit einander vergleichen. Es sind Momentaufnahmen aus diesen Szenen, die in beiden Texten dasselbe mitteilen.

1. Tomek belauert Magda, der “narrator/Zeuge” schaut zu.

Während wir in dem Film Magda durch das Fernglas von Tomek sehen, sehen wir auf der Bühne, Tomek neben Magda auf dem Klappbett sitzen. (Abb. 1 en 2). Magda verschwindet für den Zuschauer hinter der Wand vom Klappbett. Aus einer

verdeckten Position schauen die Wirtin und eine anonyme Beobachterin auf dem Punkt wo Magda verschwunden ist. Im Gegensatz zum Zuschauer können sie von ihren Positionen aus Magda sehen. Tomek erzählt was er Magda tun sieht. Dabei pendelt sein Blick zwischen Magda neben ihm auf dem Bett, und dem Zuschauer im Saal, dem er mitteilt was er sieht. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer wird gesteuert durch die Beschreibungen und die Blickrichtung von Tomek, und die Positionen und Blickrichtungen der Wirtin und der anonymen Beobachterin. Die Linien ihrer Blicke konvergieren zum Punkt hinter der Scheidewand vom Klappbett, dort wo, unsichtbar für den Zuschauer, Magda sich befindet. Ab und zu erscheinen ihre Beine oberhalb der Scheidewand, eine Verweisung nach dem erotischen Charakter der von Tomek beschriebenen Szene. Sprache, Bewegung und Blickrichtung von Tomek sind ein Mittel, womit der Zuschauer sich ein Bild von seiner Perspektive machen kann, es sind die Mittel womit Tomek sich als interner „focalisator“ manifestiert. Er äußert sich direkt, ohne Intervention eines „narrator“. Im Film ist es der “narrator/Zeuge”, der uns an Hand der Kamera dieses Bild zeigt. (Abb. 3) In der Theateraufführung manifestiert sich neben Tomek als der internen „focalisator“ gleichzeitig ein “narrator/Zeuge“

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innerhalb der mise-en-scène mit den beobachtenden Figuren. Aus ihren

Blickrichtungen lässt sich schließen, dass sie Magda sehen, ihre Blicke erzählen und fokussieren gleichzeitig; sie lenken die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Die

Anwesenheit dieser Figuren erfüllt dieselbe Funktion wie der “narrator/Zeuge” im Film. Sie sagen: „Schau hin, Tomek sieht Magda“.

2. Die Cafészene, in der die interne Fokussierung bei Tomek und Magda liegt und ein “narrator/Zeuge” anwesend ist.

In der Cafészene, der ersten direkten Begegnung von Tomek und Magda, stehen die beiden in der Theateraufführung ziemlich weit aus einander. Sie müssen ihre

Stimmen erheben, während sie in ihren gesprochenen Text mitteilen, dass sie an einem Tisch gegenüber sitzen. (Abb. 4) Wir sehen, dass sie einander betrachten, während die Blickrichtung der Wirtin, der anonymen Beobachterin und einige Schauspieler am Tisch wieder die Aufmerksamkeit lenken. Tomek und Magda beschreiben ihren Handlungen und ab und zu gehen sie über zu einem direkten Dialog mit einander. Im Film sitzen sie einander gegenüber an einem Tisch und wir sehen Magda durch die Augen von Tomek, und Tomek durch die Augen von Magda. (Abb. 5 und 6), oder wir sehen beide innerhalb einer Kameraeinstellung, während der Kamera hinter einer Türöffnung „zusieht“. (Abb. 7) Hierbei betont ein Passant die verdeckte Position der Kamera, womit die voyeuristische Perspektive des „narrators“ akzentuiert wird. Dass was das Auge der Wirtin und die anonyme Beobachterin auf der Bühne sehen, wird im Film mittels der Kamera gezeigt.

3. Magda sucht Tomek, in Anwesenheit eines narrator-Zeugens.

Wenn Magda zum Schluss auf die Suche geht nach Tomek, ist er verschwunden. Sie erzählt den letzten Teil ihrer Suche nach Tomek während sie auf dem Bett sitzt, und daraufhin, nach einen Dialog mit der Wirtin, während sie an der Rand der

Vorderbühne läuft (Abb. 8). Dabei wird sie beobachtet von der Wirtin, der anonyme Beobachterin und einigen Schauspieler am Tisch. Im Film sehen wir dieses in subjektiven Shots aus Magdas Blickwinkel heraus, und aus dem Blickpunkt des “narrator/Zeugens“ (Abb. 9 und 10). Durch den Schauplatz, an dem sich die

balancierende Magda sich befindet, nämlich am äußersten Vorderrand der Bühne, frontal zum Publikum gerichtet, wird das Publikum, zusammen mit den Spielern hinten am Tisch in die Position eines Zeugens gebracht. Die mise en scène bewirkt

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hier einen vergleichbaren Effekt wie zuvor die Kamera im Film: sie bringt das Publikum ebenfalls auf der Position eines Voyeurs.

Schlussfolgerung

Die Feststellung, dass trotz des Unterschieds zwischen den Medien, der Zuschauer in beiden Texten denselben Blick auf der Geschichte bekommt, wird dadurch

verursacht, dass die subjektiven Positionen aus der die Geschichte in beiden Medien erzählt wird, einander ähneln. Einen Beweiß dafür, dass das „Erzählen“ an sich, die „Narration“ als Tiefenstruktur, unabhängig ist von jeweiligen Medium.

Was der “narrator/Zeuge” im Film in einer bestimmten Reihenfolge von Bildern erzählt, wird im Theater kommuniziert mittels der Position und Blickrichtung der Wirtin, der anonymen Beobachterin und der Schauspieler am Tisch. Hieraus läst sich folgern, dass, auch wenn im Theater keine explizite Erzählinstanz auftritt, trotzdem ein „narrator“ in der Identität der Zeugenschaft aktiv sein kann. Er manifestiert sich innerhalb der szenischen Konfiguration der anwesenden Schauspielern.

Johan Simons kreiert einen episch-lyrischen Spielstil, in der mit einer reflektierenden Art von Sprechen, die Schauspieler gleichzeitig die Intensität der Erfahrung der Figuren darstellen. Mit „gesprochenen“ Bildern die eingehend

Situationen beschreiben, die man nur in detaillierten close-ups wahrnehmen könnte, wird das Vorstellungsvermögen der Zuschauer angesprochen. Bei Brecht wurde mit dem epischen Theater eine gewisse Distanz geschaffen zwischen dem Zuschauer und der Figur. Der Zuschauer musste auf dieser Weise befähigt werden, sich ein objektives Bild von den Umständen zu machen, damit er Einsicht bekam in die Mechanismen die zu dieser Situation geführt hatten. In Die Zehn Gebote jedoch, werden die epischen Darstellungstechniken benützt um gerade gegenteilig einen imaginäre Annäherung der Zuschauer an den Figuren zu bewirken.

Weil die Mise-en-Scène auf der Bühne jedes Mal andere, neue Spielfelder kreiert, begibt der Zuschauer sich imaginär von Motiv zum Motiv. Dies ermöglicht Zeit- und Raumsprünge die zu vergleichen sind mit der Montage beim Film. Eine Verschiebung vom Blick eines Darstellers lässt den Fokus wechseln, wo durch ein Fragment des Bühnengeschehens eine Montageeinheit wird. Hans-Thies Lehmann bezeichnet dieses Verfahren in Das Postdramatisches Theater, in seinem Kapitel über Postdramatische Raumästhetik, als „offne szenische Montage“.

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„Offne szenische Montage“ und „gesprochene“ Bilder verursachen

Projektionen im Kopf der Zuschauer. Beim Filmtext schaut der Zuschauer durch das mobile Auge der Kamera. Der Theatertext appelliert an das Vorstellungsvermögen der Zuschauer und verursacht in seiner Verbildung eine gleichartige Mobilität. „Mobile Framing“, bei dem die Kamera als ein bewegter, perspektivischer Blick mit den Figuren eine dynamische Choreographie angeht, ist eine spezifische filmische Erzählweise. Im Theatertext werden die Mittel bereit gestellt womit der Zuschauer diese Funktion der Kamera übernehmen kann. In seinem Artikel Theater zwischen den Medien, in Der Deutsche Bühne, Jahrgang 2003, nennt Christopher Balme den Versuch die ästhetische Konventionen und/oder Seh- und Hörgewohnheiten eines anderen Mediums zu realisieren, Intermedialität im engeren Sinne. Bei dieser Art von Intermedialität zitiert er ein Schreiben von Brecht. Brecht hat dieses Phänomen bereits in 1931 auf eine einfache Formel gebracht, in seiner Schrift über den

Dreigroschenprozess. Er schrieb:“ Der Filmsehende liest Erzählungen anders. Aber auch der Erzählungen schreibt, ist seinerseits ein Filmsehender.” Was Brecht als „Filmisches Schreiben“ bezeichnet, wäre zu definieren als Simulation filmischer Konventionen in einem nicht filmischen Medium. So findet in dem Theatertext Die zehn Gebote, eine Simulation statt von filmischen Konventionen. Der große

Unterschied zum Film bleibt, dass der bewegter, perspektivische Blick der Kamera sich hier im geistigen Auge der Zuschauer befindet. Die resultierenden Bilder sind imaginär und individuell verschieden.

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Abb. 10

THEATRUMMUNDI.COM panel 407 section Aesthetics

Texturen und Lektüren - Drama, Sprech- und Texttheater auf den Bühnen der Bilder Jacqueline Knoops Netherlands;

Amsterdam; (Drs.) Univ. Amsterdam

Jacqueline Knoops ist Choreographin und Theaterwissenschaftlerin. Sie war Gründerin und während vieler Jahre Leiterin der Nieuwe Dansgroep (1979-1992), später `Jacqueline Knoops und Tänzer´(1992-1995). Für diese Tanzkompagnie kreierte sie u.a. die abendfüllenden Choreographien: 'OSMOSE' (1980), 'IN GOLVEN' (1984), 'FIGURES IN MOVEMENT' (1987), 'SLIPS AND STREAMS' (1989), 'STILLS AND PHOTOGRAPHS' (1992), 'ANATOMY OF A SCREAM' (1993) und 'THE THREE-LEGGED HORSE' (1995). Daneben unterrichtete sie

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Choreographie- und Repertoire-Workshops an verschiedenen Tanzakademien. Seit 1995 choreographiert sie freiberuflich für Film und Theater, u.a. bei den

Passionsspielen in Tegelen/Niederlande (2000, Co-Regie J.K.), am Stadttheater Ulm `COSI FAN TUTTE´ (2006, Regie Antje Lenkheit) und `HERR BELLO` (2007, Regie Ben Verbong). 2000-2006 studierte sie Theaterwissenschaft an den Universitäten Amsterdam und München. In der Spielzeit 2004/2005 hospitierte sie an den Münchner Kammerspielen bei `DIE ZEHN GEBOTE´ in der Regie von Johan Simons. 2006 diplomierte sie mit einer vergleichenden narratologischen Studie zur theatralen Umsetzung von Kieslovskis DEKALOG durch Johan Simons.

Referenties

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