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,Vernetzung' als neuer Effektivitätsmythos für die ,innere Sicherheit'

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(1)

APuZ

Aus Politik und Zeitgeschichte

12/2007 ´ 19. Mårz 2007

Innere Sicherheit im Wandel

Bernhard Frevel

Sicherheit gewåhren ± Freiheit sichern

Henning van den Brink ´ Andr Kaiser

Kommunale Sicherheitspolitik

Lars Normann

Sicherheitspolitische Reformergebnisse zur Terrorpråvention

Peter Stegmaier ´ Thomas Feltes

Vernetzung als neuer Effektivitåtsmythos fçr innere Sicherheit

Jo Reichertz

Die Medien als selbståndige Akteure

Herbert Schubert ´ Holger Spieckermann ´ Katja Veil

(2)

Editorial

Das Politikfeld ¹innere Sicherheitª unterliegt seit dem Zerfall des kommunistischen Herrschaftssystems in Mittel- und Osteu-ropa einem deutlichen Wandel. Mit dem Wegfall der alten Feind-bilder entfielen zwar bisherige Bedrohungen, aber die Globa-lisierung brachte neue Gefahren, auf die es sich einzustellen gilt: die Internationalisierung des Verbrechens und den weltweit agie-renden Terrorismus. Die Terroranschlåge vom 11. September 2001 in New York und Washington haben in starkem Maûe zur Verånderung der staatlichen Sicherheitspolitik beigetragen. Damit wurden und werden weit reichende Verånderungen nicht nur der internationalen, sondern auch der nationalen, regionalen und kommunalen Sicherheitspolitik legitimiert. Die Berichter-stattung der Medien trågt dazu bei, dass weite Teile der Bevælke-rung dem stårker werdenden staatlichen Zugriff wenig entgegen-setzen.

Kritische Beobachterinnen und Beobachter warnen vor einer Entwicklung des deutschen Rechtsstaates zum Pråventionsstaat mit der Folge einer Aushæhlung der Bçrgerrechte. Mit der Zu-nahme staatlicher Kompetenzen und Ansprçche gehe eine spçr-bare Einschrånkung der Freiheitsrechte der Bçrgerinnen und Bçrger einher. Datenschçtzer sehen das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit gefåhrdet.

Wie viel Sicherheit vertrågt die Freiheit und wie viel Freiheit die Sicherheit? Diese Frage stellt sich immer wieder neu. Der Diskurs muss ± gerade unter verånderten åuûeren Rahmenbe-dingungen ± verantwortungsvoll gefçhrt werden. Sonst ist die Gefahr groû, dass Sicherheitsmaûnahmen die Freiheit, die sie doch schçtzen sollen, letztendlich gefåhrden oder gar beseitigen.

(3)

Bernhard Frevel

Sicherheit

gewåhren ±

Freiheit sichern

Essay

D

as hært sich doch aus dem Mund des Bundesinnenministers ganz gut an, wenn er bei der Pråsentation des Zweiten Periodischen Sicherheitsberichts der Bundes-regierung im November 2006 feststellt, ¹dass die Bundesrepublik Deutschland ± insbe-sondere im europå-ischen Vergleich ± zu den sichersten Lån-dern gehærtª. Damit schlieût er an das an, was er schon bei der Vorstellung der ¹Poli-zeilichen Kriminal-statistik 2005ª im Mai desselben Jahres for-muliert hatte: ¹Wir kænnen fçr das Jahr 2005 einen deutlichen Rçckgang der polizeilich re-gistrierten Kriminalitåt verzeichnen. Gleich-zeitig ist die Aufklårungsquote noch einmal leicht angestiegen. Dies zeigt: Deutschland ist per se und im internationalen Vergleich eines der sichersten Lånder der Welt.ª

Glaubt ihm das Volk, wenn er die Erfolge der Sicherheitspolitik und der Polizei so lobt? Augenscheinlich wohl, denn die Kriminali-tåtssorgen der Bçrgerinnen und Bçrger gehen zurçck, das Sicherheitsempfinden verbessert sich. Sowohl bei expliziten Kriminalitåts-furchtstudien als auch bei den Untersuchun-gen zu den ¹Øngsten der Deutschenª werden seit 1993 stetige Verbesserungen des Sicher-heitsempfindens gemessen. Da lieû sich das Volk auch durch den Terror 9/11 in New York nicht groû bange machen.

Aber wo kåmen wir denn hin, wenn sich das Volk zu sicher fçhlte, seiner Polizei in

groûem Vertrauen Beifall klatschte und sich beim Nachdenken çber den Zusammenhang von Freiheit und Sicherheit wieder stårker der Gestaltung der Freiheitsrechte zuwenden wçrde? Es muss wohl nicht so weit gehen, das ¹Angst essen Seele aufª-Prinzip zu fær-dern, aber ein bisschen Furcht und Sorge darf schon sein, damit sich die Bçrgerinnen und Bçrger an den Schutz versprechenden Staat anlehnen. Die Sicherheitspolitiker werden nicht mçde zu betonen, die Bedrohungen seien vielfåltiger, unberechenbarer geworden. Und der Bundesinnenminister formuliert neue Sachzwånge: ¹Aus ermittlungstakti-schen Grçnden ist es unerlåsslich, dass die Strafverfolgungsbehærden die Mæglichkeit haben, eine Online-Durchsuchung nach ent-sprechender richterlicher Anordnung ver-deckt durchfçhren kænnen.ª Das hohe Ge-fåhrdungs- und Anschlagspotenzial stellt an die Sicherheitsbehærden neue und komplexe Anforderungen.

Das hært sich nun etwas schizophrener an, als es tatsåchlich ist. Denn sicherlich haben sich Qualitåt und Quantitåt von Kriminalitåt und Terror gewandelt, werden neue Anforde-rungen deutlich, sind die rechtlichen Kom-petenzen der Strafverfolger und Gefahren-abwehrer den technischen Fåhigkeiten der Tåter irgendwie anzupassen. Aber die Art und Weise des staatlich gefçhrten Diskurses låsst gleichwohl stutzen.

Polizei und Sicherheitspolitik versuchen dem Volk mit der Beschreibung der mal nur ¹latentenª und dann wieder ¹konkretenª Ge-fahr und mit einem lauten Bedauern der in der Strafprozessordnung aufgestellten Begren-zungen der polizeilichen Befugnisse zu sugrieren, dass zwar die Sicherheit insgesamt ge-wåhrleistet sei, aber das Damoklesschwert der Gefahr an doch schon arg gespanntem Ross-haar çber den Kæpfen hånge. ¹Gebt uns mehr Befugnisse, da wir sonst nicht mehr fçr eure Sicherheit garantieren kænnen!ª lautet der staatliche Ruf ± hoffend, dass die verschreck-ten Bçrgerinnen und Bçrger der Lebenslçge des Obrigkeitsstaates auf den Leim gehen: Wer sich nichts zuschulden kommen låsst, braucht doch auch keine Angst vor der Ver-wanzung der Wohnung, vor der Videoçber-wachung auf dem Rathausplatz, dem Trojaner im PC, vor der Speicherung seiner DNA und der verdachtsunabhångigen Personenkontrol-le am Bahnhof zu haben.

Bernhard Frevel

Dr. rer. soc., geb. 1959; Dozent für Sozialwissenschaften an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW, Abt. Münster, Nevinghoff 8±10, 48147 Münster. bernhard.frevel@fhoev.nrw.de

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Von solch jahrelangem Beschall mçrbe ge-worden, sind inzwischen groûe Teile der Be-vælkerung bereit, diesem Drången nachzuge-ben. Andererseits machen sie die Erfahrung, dass die Sicherheits- und Ordnungslage in ihrem sozialen Nahraum nicht ganz ihren Wçnschen entspricht. Es ist wohl nicht eine richtige Kriminalitåtsfurcht, aber doch mehr als ein Unwohlsein, das sich beim Anblick von Graffiti an Håuserwånden, von Gruppen obdachloser und Alkohol trinkender Men-schen am Marktplatz, von nach dem Disko-besuch laut streitenden Jugendlichen oder dumpf pæbelnden Neonazis einstellt. Droht auch dieses Rosshaar zu reiûen, und enthaup-tet uns dann das Damoklesschwert?

Kann der Staat uns denn schçtzen? Gibt es hinreichend Polizeikråfte? Wie kænnen wir uns der Bedrohung erwehren? ± fragen viele. Und mit der liberal-konservativen Programm-aussage ¹Privat vor Staatª im Kopf wird zu-nehmend die Hilfe bei der Sicherheitswirt-schaft gesucht ± und zum Teil gefunden. Schwarze Sheriffs in der Fuûgångerzone und im Wohnviertel, geleaste Kaufhausdetektive, aufgeschaltete Einbruchsmeldeanlagen oder auch der Bodyguard fçr den Manager sind Teile eines expandierenden Marktes, der in-zwischen mehr Personen umfasst als die Poli-zei. Teilweise sind die ¹Securitiesª gar çber Private-public-partnerships in die Gewåhrung der æffentlichen Sicherheit eingebunden.

Beide Tendenzen ± sowohl die Aufrçstung des Staates als auch die Privatisierung von Si-cherheit ± sollten uns unter dem Aspekt des Rechtsstaates nachdenklich machen. Die Bçr-ger haben mit dem Verzicht auf die ¹Macht des Stårkerenª und das alte Prinzip der Rache dem Staat das Gewaltmonopol çbertragen. Hierdurch sollen die individuellen und kol-lektiven Persænlichkeits- und Freiheitsrechte gesichert werden. Diese Aufgabe ist eine zen-trale Pflicht des Staates. Sicherheit darf weder ein kåufliches ± und damit sozial ungleich verteiltes ± Gut sein, noch darf die Betonung der Sicherheit dazu fçhren, das einzuschrån-ken, was gesichert werden soll: die Freiheit.

Henning van den Brink ´

Andr Kaiser

Kommunale

Sicherheitspolitik

zwischen

Expan-sion, Delegation

und Kooperation

D

ie Gewåhrleistung innerer Sicherheit steht im Zentrum des politischen Selbstverståndnisses des modernen Staates. Es gehært zu dessen

Kerngeschåft, eine objektiv stabile und subjektiv als stabil wahrgenommene so-ziale Ordnung zu ga-rantieren. Die Siche-rung des Gemein-wesens gegençber inneren und åuûeren Bedrohungen als Ziel des Regierens war von grundlegender Bedeutung bei der Herausbildung des Nationalstaates. Inne-re Sicherheit spielte als politischer Begriff auch eine maûgebli-che Rolle bei der Formierung der

bçr-gerlichen Gesellschaft und fand bereits Ein-gang in die franzæsische Verfassung von 1793. Thomas Hobbes machte die Læsung des Sicherheitsproblems im ¹Naturzustandª zum Prçfstein fçr die Frage nach der Herr-schaftslegitimation.1Allein das Versprechen,

eine ¹æffentliche Ordnungª dauerhaft auf-rechtzuerhalten, verhalf dem Leviathan zu

Henning van den Brink

geb. 1975; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Duisburg-Essen, Forsthaus-weg 2, 47048 Duisburg. henning.vandenbrink@uni-due.de

Andr Kaiser

Dr. phil., geb. 1960; Professor für Vergleichende Politikwissen-schaft am Forschungsinstitut für Politische Wissenschaft und Europäische Fragen der Univer-sität zu Köln, Postfach 41 10 20, 50870 Köln.

andre.kaiser@uni-koeln.de

1 Vgl. Thomas Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form

und Gewalt eines bçrgerlichen und kirchlichen Staates (hrsg. von Iring Fetscher), Neuwied±Berlin 1966.

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seiner Geburt und sicherte ihm das ¹Mono-pol legitimer physischer Gewaltsamkeitª.2

Die sicherheitspolitische Gewåhrleistung in-dividueller Handlungsfreiheit blieb auch fçr die nachfolgenden liberalen Vertragstheoreti-ker von John Locke bis Immanuel Kant ein zentrales Motiv fçr die Rechtfertigung der Ausçbung staatlichen Zwangs.3 Die

Aus-weitung dieser Legitimationsfigur auf den Bereich der sozialen Sicherheit vollzog sich erst mit einigem Abstand.4

Die Ûbertragung von Sicherheitsaufgaben an halbstaatliche und private Akteure ist daher ein qualitativ anderer Vorgang als der in vielen Politikfeldern der modernen Daseins-fçrsorge ± etwa der Sozial- und Wirtschafts-politik ± zu beobachtende Wandel von einem hierarchischen Steuerungs- zu einem koopera-tiven Netzwerkmodus, in dem der Staat sich auf Regulierungsaufgaben konzentriert.5

Gleichwohl scheint sich im Politikfeld Innere Sicherheit eine åhnliche Entwicklung hin zu kooperativen Strukturen anzubahnen, und die Entstaatlichung von Sicherheitsaufgaben wird offenbar mit åhnlichen Effektivitåts- und Effi-zienzargumenten begrçndet.6Politik kann im

Zeichen des Ûbergangs vom Interventions-staat zum kooperativen Staat nicht mehr als Entscheidung dazu befugter staatlicher Ak-teure betrachtet werden, sondern muss aus der Interaktion zahlreicher Beteiligter aus Staat und Gesellschaft heraus rekonstruiert wer-den.7¹Das politische System, zugespitzt: die

Regierung, ist keineswegs das souveråne Steuerungszentrum, das von oben her und auf direkte Weise die Geschicke der Gesellschaft lenkt. Das politische System wird vielmehr von einer Fçlle von Institutionen, Organisa-tionen und Funktionssystemen begrenzt, die

ihrer eigenen Logik folgen und nicht den Vorgaben der staatlichen Direktiven.ª8 Die

Steuerungsfåhigkeit im Sinne eines unbe-schrånkten Zugriffs des Staates auf die gesell-schaftlichen Akteure, Teilsysteme und Pro-zesse nimmt ab.9 Dieser neue politische

Steuerungsmodus macht den Einsatz neuer Anreiz-, Regulierungs- und Interventionsin-strumente erforderlich.

Dementsprechend ist die gegenwårtige Si-tuation gekennzeichnet durch eine Neu- und Umverteilung staatlicher Sicherheitsaufgaben. Ohne dass sich der Staat aus dem Prozess der Herstellung von Sicherheit und Sicherheitsge-fçhl vællig zurçckzieht, çbertrågt er doch zu-nehmend Aufgaben an private Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Ver-bånde und Vereine. Auch die Medien und die Bçrgerinnen und Bçrger sind långst nicht mehr bloûe ¹Resonanzkærperª eines gesell-schaftlichen Sicherheitsdiskurses, sondern aktiv gestaltende Akteure, die ± bewusst und unbewusst ± in den Prozess der Sicherheitsge-wåhrleistung eingreifen.10Dadurch veråndert

sich der Kontrollmodus çber und die Verant-wortung fçr die Bereitstellung und Erbrin-gung von Sicherheitsleistungen. Sich wechsel-seitig beeinflussende Prozesse der De-, Re-und Neuregulierung vollziehen sich mit un-terschiedlichen Vorzeichen, in unterschiedli-che Richtungen, mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und mit unterschiedlichen Auswirkungen auf die einzelnen gesellschaft-lichen Funktionssysteme und das Gesamt-system.

Vieles von dem kann zum gegenwårtigen Zeitpunkt noch nicht eindeutig identifiziert und interpretiert werden. Und wo Diagno-sen schon schwierig zu stellen sind, lasDiagno-sen sich Prognosen bekanntlich noch schwieriger

2 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss

der verstehenden Soziologie, Tçbingen 19805, S. 822. 3 Vgl. Wolfgang Kersting, Der groûe Mensch und das

kleine Gemeinwesen. Der Begriff der Person in der politischen Philosophie, in: Dieter Sturma (Hrsg.), Person, Paderborn 2001, S. 401±443.

4 Vgl. John Rawls, A Theory of Justice, Cambridge

1971; ders., Political Liberalism, New York 1993.

5 Siehe den Beitrag von Thomas Feltes und Peter

Stegmaier in diesem Heft.

6 Vgl. Hans-Jçrgen Lange (Hrsg.), Staat, Demokratie

und Innere Sicherheit in Deutschland, Opladen 2000.

7 Vgl. Fritz W. Scharpf, Interaktionsformen.

Akteur-zentrierter Institutionalismus in der Politikforschung, Opladen 2000; Rçdiger Voigt (Hrsg.), Der kooperative Staat. Krisenbewåltigung durch Verhandlung?, Baden-Baden 1995.

8 Helmut Kænig, Orientierung Politikwissenschaft.

Was sie kann, was sie will, Reinbek 1999, S. 23.

9 Vgl. Edgar Grande, Vom Nationalstaat zum

trans-nationalen Politikregime ± Staatliche Steuerungsfåhig-keit im Zeitalter der Globalisierung, in: Ulrich Beck/ Christian Lau (Hrsg.), Entgrenzung und Entschei-dung, Frankfurt/M. 2004, S. 384±401; David Held, Regulating Globalization? The Reinvention of Politics, in: International Sociology, 15 (2000) 2, S. 394±408; Fritz W. Scharpf/Vivien A. Schmidt (Hrsg.), Welfare and Work in the Open Economy, Vol. 2, Oxford 2000; Linda Weiss, The Myth of the Powerless State ± Go-verning the Economy in a Global Era, Cambridge 1998.

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abgeben. Aus der Vielzahl der unterschiedli-chen Entwicklungen sollen hier diejenigen herausgegriffen und nåher beleuchtet werden, die am ehesten als Vorboten eines sich ab-zeichnenden Paradigmenwechsels betrachtet werden kænnen. In diesem Beitrag soll es weniger darum gehen, ein Gesamtbild dieser Verånderungs- und Anpassungsprozesse zu zeichnen als vielmehr darum, die Vielschich-tigkeit, Verflochtenheit und Dynamik der mo-mentan ablaufenden Umwålzungen zu skiz-zieren und Verbindungslinien zu ziehen. Es soll gezeigt werden, dass sich die Prozesse der Delegation, Expansion und Kooperation, die die aktuelle Sicherheitspolitik maûgeblich kennzeichnen, sich ihrerseits wiederum inner-halb einer zum Teil diffusen und ambivalenten Gemengelage von unterschiedlichen Entwick-lungen vollziehen.

Expansion: Zwischen Entgrenzung und

Entstrukturierung

Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges und der Berliner Mauer ist das politische Hand-lungsfeld der inneren Sicherheit unzweifelhaft in ± teils hektisch-hysterische ± Bewegung ge-raten. Denn damit verbunden verschwanden auch alte politische Feindbilder und institutio-nelle Selbstverståndnisse. Militår und Ge-heimdienste mussten sich nach jahrzehntelang feststehender Aufgabenbeschreibung plætz-lich vællig neu orientieren. Gleichzeitig galt es, sich auf neue Bedrohungen einzustellen, die mit der politischen und ækonomischen Úff-nung der Grenzen nach dem Kalten Krieg auf den Nationalstaat zukamen und sich parallel zum rasanten Tempo der einsetzenden Glo-balisierung ausbreiteten. Wie die westliche Wirtschaft, die sich neue Vertriebswege, Pro-duktionsståtten, Absatz- und Kapitalmårkte vorwiegend im osteuropåischen und sçdost-asiatischen Raum erschloss, globalisierte sich auch das Verbrechen.11

Und so scheinen die einst getrennten Berei-che der inneren und åuûeren SiBerei-cherheit mit-einander zu verschmelzen, um ± so die politi-sche Argumentation ± dem international agie-renden Terrorismus und Schwarzhandel

etwas entgegensetzen zu kænnen.12 Diese

Diskussion erhielt durch die Terroranschlåge am 11. September 2001 in New York und Wa-shington freilich eine vællig neue Dimension. Die Symbolkraft dieses Terroraktes reichte aus, um damit weit reichende Verånderungen der Sicherheitspolitik zu legitimieren.13

Die aus rechtsstaatlichen Grçnden gezoge-nen und institutionell abgesicherten Grenzen zwischen Bundes- und Landespolizei, Verfas-sungsschutz und Geheimdienst werden mit dem gleichen Argumentationsmuster aufge-weicht, um den inter- und intrainstitutionel-len Informations- und Datenaustausch zu verbessern und zu verstetigen. Diese sprich-wærtliche Entgrenzung der Sicherheitskate-gorien fçhrt dazu, dass zwischen nach Kom-petenzen separierten Staatsaufgaben und Ein-griffsmaûståben nicht mehr trennscharf unterschieden wird. In der æffentlichen De-batte taucht der Begriff der ¹erweiterten Si-cherheitª, hinter dem sich eine Entgrenzung des militårischen Rollenverståndnisses ver-steckt, immer håufiger auf. Es wird darçber diskutiert, ob das Militår zu Kampfhandlun-gen, die nicht mit der Landesverteidigung, ihren Pflichten innerhalb des NATO-Bçnd-nisses oder der UNO-Mitgliedschaft in Zu-sammenhang stehen, ebenso eingesetzt wer-den soll wie zur Unterstçtzung von Polizei-maûnahmen bei Groûereignissen wie der Fuûball-WM 2006. Dieser normativ und poli-tisch-psychologisch aufgeladene Begriff steht stellvertretend dafçr, dass im Sicherheitsdis-kurs unterschiedliche Bedrohungspotenziale wie Terrorismus, Umweltkatastrophen, orga-nisierte Kriminalitåt oder politischer Radika-lismus miteinander vermengt und primår mit sicherheitspolitischen ± und nicht etwa mit entwicklungs-, umwelt-, wirtschafts- oder so-zialpolitischen ± Forderungen und Ansprç-chen verknçpft werden.

Wie hilflos der Staat aber tatsåchlich gegen-çber diesen neuen, netzwerkartig

operieren-11Vgl. Moises Naim, Das Schwarzbuch des

globa-lisierten Verbrechens. Drogen, Waffen, Menschen-handel, Geldwåsche, Markenpiraterie, Mçnchen± Zçrich 2005.

12 Vgl. Patricia Bauer, Die politische Entgrenzung von

Innerer und Øuûerer Sicherheit nach dem 11. Septem-ber 2001, in: GisSeptem-bert van ElsSeptem-bergen (Hrsg.), Wachen, kontrollieren, patrouillieren ± Kustodialisierung der Inneren Sicherheit, Wiesbaden 2004, S. 49±73; Jærg Callieû (Hrsg.), Die Verflochtenheit von åuûerer und innerer Sicherheit, Rehburg±Loccum 2003.

13 Vgl. Ronald Hitzler/Jo Reichertz (Hrsg.), Irritierte

Ordnung. Die gesellschaftliche Verarbeitung von Terror, Konstanz 2003.

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den und flaggenlosen nichtstaatlichen Fein-den ist, zeigt die Reaktion der Weltmacht USA, die sich ungeachtet dieser Kenntnisse fçr einen Krieg gegen Nationalstaaten ent-schied.14Dieser Krieg ± von Abu Ghraib bis

Guant—namo ± macht auch deutlich, welche gewaltige legitimatorische Kraft 9/11 inne-wohnt und dass diese Kraft ebenso stark an den Grundfesten der Werte zu rçtteln ver-mag, auf denen demokratische Gesellschaften fuûen, wie deren Feinde. Paradoxerweise werden die drastischen Abwehrmaûnahmen gegen die Terrorgefahr nicht nur als Beweis fçr die vermeintliche Bedrohung von auûen angefçhrt, wie der Schriftsteller Peter Schnei-der kritisiert,15sondern auch fçr die

Gefåhr-dung der Demokratien im Innern.16

Bei der Bereitstellung von Sicherheitsleis-tungen rçckt ± neben den erwåhnten Kosten-Nutzen-Ûberlegungen ± auch die Notwen-digkeit einer Erweiterung der staatlichen Kontroll- und Ûberwachungsfunktionen wieder stårker in den Vordergrund. Dabei låsst sich nicht nur eine intensivierte Anwen-dung des traditionellen Instrumentariums des Staates konstatieren, sondern auch eine Ex-tensivierung der Ûberwachung und Kontrolle durch ¹Kustodialisierungª.17 Dieser Begriff

fasst die Einfçhrung und Etablierung neuarti-ger Formen der inneren Sicherheit zwischen klassischer Polizeiarbeit und sozialer Kon-trolle zusammen, die das herkæmmliche, rechtlich verankerte Gefçge des staatlichen Gewaltmonopols aufbrechen und entstruktu-rieren. Die neuen Verbindungen von staat-lich-æffentlichen, privatwirtschaftlichen und kommunitåren Institutionen ergeben eine Al-lianz aus Sicherheitsherrschaft und Lebens-formkontrolle.18 Sind die einzelnen

Verbin-dungen noch konkret erlebbar, ist die Ge-samtheit aufgrund der Vielzahl der Konzepte und der Vielfalt der Institutionalisierung kaum fassbar und damit rechtlich und poli-tisch weniger angreifbar. Die

Kustodialisie-rung der inneren Sicherheit ist somit Motor einer ¹Entstrukturierung und Extensivierung kriminalistischer Verhaltenskontrolleª.19

Delegation: Zwischen Kommunalisierung

und Kommunitarisierung

Die Verånderungen im Politikfeld Innere Si-cherheit spåtestens seit 9/11 lassen sich auch als ¹Re-Organisationª fassen.20 Sie ist vor

allem dadurch gekennzeichnet, dass es zu Verschiebungen und Verabschiedungen von staatlicher Verantwortung und Zuståndigkeit kommt.

Ein wesentlicher Bestandteil dieser Re-Or-ganisation ist die Re-Kommunalisierung der Polizeiarbeit.21Die Polizei als zentraler

Ak-teur im Politikfeld der inneren Sicherheit be-findet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Das Zielspektrum polizeilicher Tåtigkeit um-fasst nicht mehr nur Strafverfolgung und Ge-fahrenabwehr ± als die klassischen Aufgaben-felder der Polizei ±, sondern zunehmend auch Kriminalpråvention und Sicherheitsgefçhl der Bevælkerung. Die Gewåhrleistung von Si-cherheit wird immer mehr als Dienstleistung und damit einhergehend immer weniger als hoheitliche Aufgabe verstanden. Dazu gehæ-ren neue, lokal orientierte Service- und Mo-derationsfunktionen, die die Polizei çber-nimmt, um zum Beispiel bei den steigenden Nutzungs- und Kulturkonflikten im æffentli-chen Raum deeskalierend eingreifen und ver-mitteln zu kænnen. Zeugen dieser Entwick-lung sind auch die zahlreichen

Pråventions-14 Vgl. M. Naim (Anm. 11), S. 343.

15 Vgl. Peter Schneider, Kultur der Angst, in: Die Zeit

vom 24. 2. 2005, S. 47.

16 Vgl. Michael Ignatieff, Das kleinere Ûbel. Politische

Moral in einem Zeitalter des Terrors, Berlin 2005.

17 G. van Elsbergen (Anm. 12).

18 Vgl. Trutz von Trotha, Ordnungsformen der

walt oder Aussichten auf das Ende des staatlichen Ge-waltmonopols, in: Brigitta Nedelmann (Hrsg.), Politi-sche Institutionen im Wandel, Opladen 1995, S. 129± 166.

19Vgl. Detlev Frehsee, Entstrukturierung und

Ex-tensivierung kriminalistischer Verhaltenskontrolle, in: Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Armer Rechtsstaat, Ba-den-Baden 2000.

20Werner Lehne, Pråventionsråte, Stadtteilforen,

Sicherheitspartnerschaften. Die Reorganisation des Politikfelds ¹Innere Sicherheitª, in: Trutz von Trotha (Hrsg.), Politischer Wandel, Gesellschaft und Krimi-nalitåtsdiskurse, Baden-Baden 1996, S. 299±319.

21Vgl. Peter Nitschke, Rekommunalisierung der

Po-lizei? Chancen und Probleme fçr die postmoderne plurale Gesellschaft, in: Fritz Sack/Michael Voss/Det-lev Frehsee/Albrecht Funk/Herbert Reinke (Hrsg.), Privatisierung staatlicher Kontrolle ± Befunde, Kon-zepte, Tendenzen, Baden-Baden 1995, S. 261±274; Rafael Behr, Rekommunalisierung von Polizeiarbeit: Rçckzug oder Dislokation des Gewaltmonopols? Skizzen zur reflexiven Praxisflucht der Polizei, in: Rainer Pråtorius (Hrsg.), Wachsam und kooperativ? Der lokale Staat als Sicherheitsproduzent, Baden-Ba-den 2002, S. 90±107.

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projekte, die auf Initiative der Polizei hin ent-standen sind. Die Themen reichen von der Drogenaufklårung çber die Jugendgewalt bis zum Stådtebau. All diese neuen Tåtigkeitsfel-der haben einen deutlichen lokalen Zuschnitt. In Anlehnung an neue Dezentralisierungs-und Steuerungskonzepte wie New Public Management, die die æffentliche Verwaltung in den vergangenen Jahren erfasst haben, hat auch die Polizei in jçngster Zeit wieder ver-stårkt Entscheidungskompetenzen auf die Kreispolizeibehærden çbertragen.22

Auch die Kommune als Ort der politischen Entscheidung und des unmittelbaren Umset-zungsbezuges erfåhrt bei der Erledigung von Sicherheitsaufgaben eine vællig neue Bedeu-tung. Das Bewusstsein, dass die Polizei als al-leiniger Akteur sowohl im Hinblick auf die ihr tatsåchlich zugewiesenen Aufgaben als auch bezçglich ihrer rechtsstaatlich veranker-ten Handlungschancen çberfordert ist, schuf die Voraussetzungen fçr eine (Neu-)Etablie-rung kommunaler Sicherheitspolitik. In den Groûstådten als den verdichteten Råumen so-zialen Wandels wird dieser Vorgang beson-ders sichtbar. Hier ist der sicherheits- und ordnungspolitische Handlungsbedarf konti-nuierlich angestiegen, und es lastet ein græûe-rer Problemdruck hinsichtlich der Bekåmp-fung und Vorbeugung von Kriminalitåt und Kriminalitåtsfurcht auf den Entscheidungs-trågern als in Mittel- und Kleinstådten. Allein aufgrund des Umfangs der Aufgaben existie-ren zudem viel mehr Anknçpfungspunkte fçr Um- und Neuregulationen. Im Wettbewerb um finanzkråftige Bçrger und Investoren, auf welche die Kommunen angewiesen sind, ge-winnt der Standortfaktor der æffentlichen Si-cherheit und Ordnung an Stellenwert. Ausga-ben fçr die æffentliche Sicherheit und Ord-nung werden als notwendige Investitionen fçr die Attraktivitåtssteigerung und Image-pflege der Stadt verstanden. Die kommunale Sicherheitspolitik wird Teil einer postmoder-nen Standortpolitik.

Somit ist unschwer zu erkennen, dass die Herstellung von Sicherheit in zunehmendem Maûe lokal kontextabhångig wird. Das bedeu-tet, dass sich die polizeiliche Arbeit dem

Pro-duktionsmodus ¹Sicherheiten statt Sicher-heitª durch eine forcierte kommunale Einbin-dung immer weiter annåhert.23 So wie die

Groûstådte sich in ihren finanziellen Gestal-tungsmæglichkeiten immer stårker voneinan-der unterscheiden und die intra- und inter-kommunale sozioækonomische Polarisierung weiter voranschreitet (Dçsseldorf versus Duisburg, Kæln-Chorweiler versus Kæln-Ma-rienburg), entwickeln sich ± håufig entlang dieser Grenzen ± unterschiedlich sichere Råu-me.24

Weiterhin ist auffållig, dass der Diskurs çber die Deregulierungsstrategien sowohl mit den neoliberalen Diskursen zur individuellen Eigenverantwortung der Bçrgerinnen und Bçrger fçr ihren Selbstschutz und zur Entlas-tung von traditionellen Ansprçchen an den Staat verbunden wird als auch mit den kom-munitaristischen Diskursen nach sozialer Gerechtigkeit und gemeinschaftsbezogener Verantwortung. Kriminalitåt und die zur Ver-unsicherung der Bçrgerschaft ebenfalls bei-tragenden, aber unterhalb der Strafbar-keitsgrenze liegenden Unzivilisiertheiten des tåglichen Umgangs miteinander im æffentli-chen Raum werden von den Kommunitaris-ten auch als Folge von Entsolidarisierung, Werteverfall, Legitimations- und Sinnkrisen gewertet. Die Rçckbesinnung auf die Bedeu-tung und den Wert der Gemeinschaft ist das zentrale Anliegen des Kommunitarismus, der fçr die Ûberwindung der Krise auf eine gemeinwohlorientierte Politik und auf die Selbstheilungskråfte der ¹Communityª setzt.25 Forderungen nach mehr

bçrgerli-chem Engagement und der Stårkung der Zi-vilgesellschaft gehen einher mit solchen nach Dezentralisierung staatlicher Aufgaben, um die Anonymitåt des administrativ-bçrokrati-schen Systems zu brechen und lokale Ge-meinschaften und direkte Demokratie zu

fær-22Vgl. Hans-Jçrgen Lange/Jean-Claude Schenck

(Hrsg.), Polizei im kooperativen Staat. Verwaltungsre-form und Neue Steuerung in der Sicherheits-verwaltung, Wiesbaden 2004.

23 Rainer Pråtorius, Lokaler Staat und æffentliche

Si-cherheit, in: ders. (Hrsg.), Wachsam und kooperativ? Der lokale Staat als Sicherheitsproduzent, Baden-Ba-den 2002, S. 7±21 (13).

24 Siehe den Beitrag von Herbert Schubert, Holger

Spieckermann und Katja Veil in diesem Heft.

25 Vgl. Amitai Etzioni, Die Entdeckung des

Gemein-wesens. Ansprçche, Verantwortlichkeiten und das Programm des Kommunitarismus, Stuttgart 1995; Hartmut Rosa, Integration, Konflikt und Entfremdung ± Die Perspektive des Kommunitarismus, in: Hans-Joachim Giegel (Hrsg.), Konflikt in modernen Gesell-schaften, Frankfurt/M. 1998, S. 202±244.

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dern. Kommunitaristische Ideen bekommen bei der ¹Rçckeroberung der Allmendeª26

wieder Aufwind und schlagen sich in zahlrei-chen Konzepten kommunaler Sicherheit nie-der.

Kooperation: Zwischen Verflechtung

und Vereinnahmung

Ûber die Appelle an die Selbst- und Mitver-antwortung der Bçrgerinnen und Bçrger hin-aus werden diese vermehrt als Co-Produzen-ten bei der staatlichen Erbringung von Sicher-heit herangezogen. Die eher konservativ geprågte bayrische ¹Sicherheitswachtª und die eher kommunitaristisch geprågte bran-denburgische ¹Sicherheitspartnerschaftª sind zwei Modelle, die ± wie schon am Namen deutlich wird ± unterschiedliche Formen der Bçrgereinbindung realisieren. Wåhrend dem Sicherheitswåchter, der als ¹Hilfspolizistª weisungsgebunden ist, lediglich ein institutio-nell-eingekapselter Handlungsrahmen zur Verfçgung steht, kann der Sicherheitspartner, der ohne Anbindung an die Polizei und das Legalitåtsprinzip autonom agieren kann, in-termediår-vielgestaltig aktiv werden.27

In Deutschland spielt die Beteiligung der Bçrgerinnen und Bçrger an der Sicherheits-bereitstellung jedoch eine eher untergeord-nete Rolle. Dafçr rçckt die Kooperation der einzelnen Akteure immer stårker ins Blick-feld. Sie ist kein Nebenprodukt, sondern viel-fach intendierte Folge von Delegationsmaû-nahmen, die damit die durch die Entregulie-rung aufgerissene Lçcke wieder schlieût. So sind im Laufe der vergangenen Jahre zahlrei-che Kooperationsmodelle in die Praxis umge-setzt worden ± von Bundesland zu Bundes-land, von Kommune zu Kommune mit sehr unterschiedlichem Konzept und Erfolg. Das Kooperationsprinzip ist inzwischen zur neuen Leitlinie kommunalen Verwaltungs-handelns avanciert. Die Stadtverwaltung ist

bemçht, die Koordination der Maûnahmen und die Verflechtung der Akteure gezielt vor-anzutreiben, und wandelt sich so zu einer aktiv vermittelnden Instanz zwischen Staat und Bçrger. Damit steht auch die Vorstellung von traditionellen Ressortgrenzen innerhalb der Verwaltung und vom klassischen Rollen-verhåltnis Bçrger-Staat zunehmend zur Dis-position.

Fçr den Bereich der kommunalen Sicher-heit ist das amerikanische Konzept des ¹com-munity policingª Vorbild fçr diesen Wandel. Um der steigenden Kriminalitåt und Krimi-nalitåtsfurcht effizient und pråventiv begeg-nen zu kænbegeg-nen, ist ± so der Kern von ¹com-munity policingª ± eine zielgerichtete Co-Produktion von Sicherheit durch gezielte Ko-operation der Polizei mit der Bçrgerschaft, aber auch mit der Kommunalverwaltung not-wendig. Neben den Sicherheitspartnerschaf-ten haben sich zwischen Polizei und Ordnungsamt ± allein in Nordrhein-Westfa-len inzwischen rund 1 000 ± ¹Ordnungspart-nerschaftenª gebildet, die sich gegenseitig çber Vorfålle informieren, ihre Maûnahmen abstimmen und gemeinsame Aktionen planen und durchfçhren.

Auch diese Entwicklung ist Teil der Re-Organisation des Politikfeldes Innere Sicher-heit. Vor dem Hintergrund der schrecklichen Erfahrungen des Dritten Reiches, wo Gesta-po, Polizei, SS, SA und Wehrmacht eine ver-heerende Symbiose eingingen, nahmen die Alliierten im Zuge des Wiederaufbaus von Deutschland eine ¹Gewaltenteilung in der Si-cherheitsverwaltungª vor.28 Ebenso wie sie

polizeiliche und nachrichtendienstliche Si-cherheitsaufgaben trennten, entzogen sie den Stådten die Zuståndigkeit fçr polizeiliche An-gelegenheiten ± wåhrend die Ordnungsbehær-den weiterhin in kommunaler Hand blieben ± und verlagerten sie auf die Ebene der Bundes-lånder. Die damalige Trennung von Polizei-und Ordnungsbehærden fçhrte dazu, dass ihre Zusammenarbeit fortan nicht mehr eine intrabehærdliche Kooperation, sondern Amtshilfe çber Behærdengrenzen hinweg darstellte. Zur effizienteren Problembearbei-tung und -bewåltigung sind diese Ressort-grenzen durchlåssig geworden, was von

Poli-26 Uwe Volkmann, Die Rçckeroberung der Allmende,

in: Neue Zeitschrift fçr Verwaltungsrecht, 19 (2000) 4, S. 361±368.

27 Vgl. Jens Wurtzbacher, Sicherheit durch

Gemein-schaft? Bçrgerschaftliches Engagement fçr æffentliche Sicherheit. Opladen 2004; Ronald Hitzler, Der in die Polizeiarbeit eingebundene Bçrger. Zur symbolischen Politik mit der bayerischen Sicherheitswacht, in: Jo Reichertz/Norbert Schræer (Hrsg.), Qualitåten poli-zeilichen Handelns. Studien zu einer verstehenden Polizeiforschung, Opladen 1996, S. 30±47.

28Christoph Gusy/Gerhard Nitz, Vom

Legitima-tionswandel staatlicher Sicherheitsfunktionen, in: Hans-Jçrgen Lange (Anm. 6) S. 335±354, hier S. 347.

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tik, Verwaltung und Wissenschaft nicht nur positiv, sondern durchaus kritisch gesehen wird.

Eine Schlçsselrolle innerhalb der kommu-nalen Sicherheitspolitik nehmen kommunale Pråventionsgremien ein, in denen die Akteure ihre Maûnahmen abstimmen und bçndeln, in denen ¹kurze Dienstwegeª gefunden und ge-nutzt werden, in denen aber auch alte kon-kurrierende Arrangements und institutionelle Ressentiments fortbestehen und sich neue Asymmetrien in den Kooperationsbeziehun-gen und bei der Problemdefinition und -læ-sung einstellen kænnen.29 Trotzdem ziehen

die Akteure aus diesem Netzwerk persænli-cher Bekanntschaften innerhalb eines Kreises von Einfluss- und Entscheidungstrågern in der kommunalen Behærden- und Verbånde-struktur soziales Kapital, das sie als Ressour-ce im Alltagsgeschåft des Verwaltens einset-zen kænnen.

Diese ¹innerbçrokratischen Konsultations-gremienª, die die institutionalisierte Ord-nungsidee der kommunalen Kriminalprå-vention repråsentieren, sind ± wie auch die meisten anderen genannten pråventiven Institutionen ± mit politischer Symbolik auf-geladen.30 Die politischen Akteure wollen

mit der Einrichtung und Etablierung von kommunalen Pråventionsgremien håufig ihren Handlungswillen, ihre Handlungsfåhig-keit und ihre Handlungskompetenz signali-sieren, etwas gegen die Kriminalitåt, vor allem aber gegen die Kriminalitåtsfurcht der Bevælkerung zu tun.31Ebenso håufig werden

diese pråventiven Einrichtungen, die in der Mehrzahl eine starke Selektivitåt und Exklu-sivitåt hinsichtlich ihrer personellen Zusam-mensetzung und inhaltlichen Themenauswahl aufweisen, als Foren der kommunalpoliti-schen Artikulation missbraucht und verein-nahmt. Der Kriminalitåts- und der daran ge-koppelte Pråventions- und

Interventionsdis-kurs ist deshalb auch besonders anfållig fçr politische Vereinnahmungen, weil er sowohl durch Anlehnung als auch durch Abgrenzung zu medial wirksamen ¹law and orderª-Per-spektiven erfolgreich genutzt und bestimmt werden kann, wie der Wahlerfolg der Schill-Partei in Hamburg vor Augen fçhrte.32

Fazit: Fortschreitende Hybridisierung

staatlicher und privater Sicherheitspolitik

Innere Sicherheit kann somit durchaus als eine im stetigen Wachsen und Wandel befind-liche Hybride angesehen werden. Bei der Produktion und Gewåhrleistung von Sicher-heit wirken in den vergangenen Jahren immer mehr Akteure mit. Die Grenze zwischen æf-fentlichen und privaten, staatlichen und ge-sellschaftlichen Tåtigkeitsfeldern wird durch-låssiger. Prozesse von De- und Neuregu-lierung sind ebenso zu beobachten wie Steuerungsversuche von oben nach unten neben solchen in umgekehrter Richtung. Das Produkt des teils kollektiven, teils separaten Zusammenwirkens von privater und staat-licher Seite stellt immer mehr das dar, was zuvor als Kernaufgabe des hoheitlichen Staa-tes betrachtet wurde.

Es ist allerdings fraglich, ob durch das Zu-sammenfçgen der hier nur kursorisch aufge-zåhlten Doppel- und Mehrfachlæsungen fçr die gleiche Funktion (nåmlich Sicherheit) tat-såchlich mehr erwçnschte als unerwçnschte Innovationen hervorgebracht werden. Frag-lich ist auch, wie die verstårkte und neuartige Pråsenz des Nationalstaates trotz seiner of-fensichtlich abnehmenden Steuerungsfåhig-keit zu interpretieren ist. Ist er nur noch ein Akteur unter vielen, ist er immer noch der zentrale Akteur oder vielleicht eine Art ¹Dompteurª eines Netzwerks von Akteuren? Oder spiegelt sich darin bereits der ¹Trend von der staatlichen Gesellschaftsstabilisierung zur staatlich garantierten gesellschaftlichen Selbststabilisierungª33wider?

Eine Beantwortung solcher Fragen ist der-zeit schwierig und allenfalls vorlåufig. Die

29Vgl. Henning van den Brink, Kommunale

Krimi-nalpråvention. Mehr Sicherheit in der Stadt? Eine qua-litative Studie çber kommunale Pråventionsgremien, Frankfurt/M. 2005; Stefan Hornbostel, Die Konstruk-tion von Unsicherheitslagen durch kommunale Prå-ventionsråte, in: Ronald Hitzler/Helge Peters (Hrsg.), Inszenierung: Innere Sicherheit. Daten und Diskurse, Opladen 1998, S. 93±111.

30Vgl. S. Hornbostel (Anm. 29), S. 109; R. Hitzler

(Anm. 27), S. 30.

31Vgl. W. Lehne (Anm. 20), S. 308.

32 Vgl. Frank Berner/Axel Groenemeyer, ¹. . . denn sie

wissen nicht, was sie tunª ± Die Institutionalisierung kommunaler Kriminalpråvention im Kriminalpråven-tiven Rat, in: Soziale Probleme, 11 (2001) 1/2, S. 83± 115, hier: S. 107.

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vielen Verånderungen hinsichtlich der Kom-munizierung, der Institutionalisierung und der Legitimierung von innerer Sicherheit haben dazu gefçhrt, dass die Struktur und Kultur der Sicherheitsherstellung und -ge-wåhrleistung neue Formen und Farben ange-nommen haben. Noch schimmern und schil-lern diese Formen und Farben sehr unter-schiedlich und ambivalent, und es sind viele Unschårfen der Entwicklungsrichtung zu fin-den.34

So zeichnet sich etwa im Bereich des Ju-gend- und Erwachsenenstrafrechts eine Di-vergenz zwischen einerseits zunehmender formeller Kriminalisierung und Strafverschår-fung und andererseits informeller Entkrimi-nalisierung ab. Bisherige informelle Bezie-hungen zwischen den Akteuren im Hand-lungsfeld der inneren Sicherheit werden an einer Stelle institutionalisiert, an anderer Stel-le entformalisieren sich die Arbeits- und Ko-operationsbeziehungen. Delegationsprozesse kænnen zunåchst einen Verlust von staatlicher Kontrolle bedeuten, aber auch neue Koopera-tionserfordernisse auslæsen, die wiederum der Sicherheitspolitik neue Expansionsmæglich-keiten eræffnen. Die beiden Entwicklungs-strånge ± ¹mehr Staatª auf der einen, ¹weni-ger Staatª auf der anderen Seite ± bilden keine Gegenpole, sondern ergånzen und verdichten sich vielmehr zu einer ¹oligopolistisch-prå-ventiven Sicherheitsordnungª.35Oftmals

las-sen sich bestimmte Entwicklungen gar nicht eindeutig als Expansion, Delegation oder Ko-operation identifizieren. Ob nun Kooperati-on durch DelegatiKooperati-on oder ExpansiKooperati-on durch Kooperation ± Kustodialisierung scheint der-zeit der Begriff zu sein, mit dem man die ak-tuelle Umbruchsituation im Politikfeld der inneren Sicherheit am ehesten adåquat um-schreiben kænnte. Gerade weil aber ± wie ein-gangs festgestellt ± die Gewåhrleistung von Sicherheit und Freiheit das Kerngeschåft staatlichen Handelns ausmacht, mçssen diese Prozesse mit besonderer Intensitåt und Wachsamkeit verfolgt werden.

Lars Normann

Neueste

sicher-heitspolitische

Reformergebnisse

zur

Terror-pråvention

S

eit der Epochenzåsur 1989 und dem damit verbundenen Ende der bipolaren Welt manifestierten sich zahlreiche Sicher-heitslçcken durch einen globalen islamistisch motivierten Terror. Auf

diese neuen Herausfor-derungen war die west-liche Sicherheitspolitik nicht vorbereitet gewe-sen. Dass die mit mo-dernsten Mitteln asym-metrisch kåmpfenden jungen

Antimodernis-ten auch den europåischen WesAntimodernis-ten nachhaltig gefåhrden, zeigte zuletzt eine aktuelle Statis-tik des Bundeskriminalamtes (BKA), die auf der BKA-Herbsttagung 2006 bekanntgege-ben wurde. Danach mussten bis zu diesem Zeitpunkt 220 Ermittlungsverfahren mit einem islamistisch-terroristischen Hinter-grund eingeleitet werden. Die totalitåre Ge-fåhrdungslage entwickelte sich somit von einer vormals vom ehemaligen Bundesinnen-minister Otto Schily lediglich als ¹abstraktª eingestuften zu einer sehr konkreten Gefahr nun auch fçr die Bundesrepublik Deutsch-land und das europåische AusDeutsch-land. Diese Einschåtzung wird im Ûbrigen durch die bis-lang bekannt gewordenen Anschlagsversuche auf nationale Verkehrseinrichtungen unter-strichen.

Wie die neuesten Beschlçsse zur Gewalt-pråvention zeigen, wirkt diese Gefahr nach Meinung des Gesetzgebers auch weiterhin fort. Besonders seit dem Anschlag am 11. Mårz 2004 in Madrid und dem vereitelten An-schlag im August 2006 auf Passagierflugzeuge in London, welche fçr die gesamteuropåische

Lars Normann

M.A., geb. 1972; Politikwissen-schaftler, Doktorand

und Publizist, Schleidener Straûe 19, 53121 Bonn. Lars.Normann@web.de.

34 Vgl. Anja Mensching, Ist Vorbeugen besser als

hei-len?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), (2005) 46, S. 17±23; H. van den Brink (Anm. 29), S. 45 ff.

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Sicherheitsarchitektur eine Zåsur darstellten, wurde ein umfassender und beschleunigter si-cherheitspolitischer Reformprozess eingelei-tet. Die Versåumnisse einer kohårenten Ein-wanderungs- und Integrationspolitik werden in diesem Zusammenhang aber nach wie vor wenig diskutiert, obwohl sich diese gegenwår-tig als ein massives Zugangsproblem fçr die Sicherheitsbehærden etwa zu Moscheege-meinden oder so genannten ¹Kulturvereinenª erweisen. Seitens der Verfassungsschutzbe-hærden wird nun versucht, diese Zugangsbar-rieren durch Aufrufe an die muslimische Be-vælkerung zur Mitarbeit aufzuheben. Aus der ¹integralistischen muslimischen Parallelge-sellschaftª ergehen nåmlich ± nach Bundes-verfassungsschutzpråsident Heinz Fromm ± so gut wie keine Hinweise auf terrorverdåch-tige Personen oder Netzwerke.1Anstatt sich

zunåchst dieser Problemlagen anzunehmen, werden in den Reformdiskussionen der poli-tischen Feuilletons Befçrchtungen geåuûert, die neuen sicherheitspolitischen Maûnahmen wçrden zunehmend die allgemeinen Men-schen- und Bçrgerrechte einschrånken. Damit wird aber von den ursåchlichen Fragen abgelenkt: nåmlich der zu analysierenden beunruhigenden Ausgangslage, dass weder quantitative noch qualitative Daten zu der heterogenen muslimischen Bevælkerung in Deutschland vorhanden sind, so dass es schwierig bis unmæglich ist, eine gelenkte Ansprache fçr pråventive Maûnahmen durch Kontakt zu implementieren.

Tatsåchlich wurden als Reaktionen auf die Anschlåge seit dem 11. September 2001 eine ganze Reihe von unterschiedlichen Instru-menten in den so genannten ¹Anti-Terror-Paketenª I und II (¹Otto-Katalogeª) zeitlich befristet von der damaligen rot-grçnen Bun-desregierung verabschiedet. Diese zielen in ihrer Gesamtheit maûgeblich darauf, eine bessere Koordination, Kooperation und einen verbesserten Informationsfluss unter den 38 Sicherheitsbehærden zu erreichen und die gewonnenen Informationen hiernach auch multilateral, etwa dem Schengener In-formationssystem (SIS), zur Verfçgung zu stellen.

Die beiden noch Ende 2006 vom Gesetzge-ber endgçltig auf den Weg gebrachten

maû-geblichen Entschlçsse verdienen es, unter si-cherheitspolitischen Gesichtspunkten genau-er beleuchtet zu wgenau-erden. Kritisch untgenau-ersucht werden soll in diesem Aufsatz zudem, ob die erweiterten Reformen dem schwerpunktmå-ûig diskutierten Trennungsgebot entgegenste-hen, und wie der Datenschutzbeauftragte als unabhångige Kontrollinstanz zukçnftig in diese Konzeptionen eingebunden ist.

Die ¹Anti-Terror-Dateiª

Das Terrorismusbekåmpfungsgesetz und die so genannte ¹Anti-Terror-Dateiª stellen bis-lang die letzten Reformansåtze innerhalb der deutschen Sicherheitsarchitektur dar. Seit den Empfehlungen der Innen- und Justizminister aller EU-Mitglieder im Jahre 1997 ist eine EU-weite Harmonisierung aller sicherheits-politischen Belange automatisch mitzuden-ken, da sich die Gefåhrdungsråume in diesem Fall multilateral erstrecken, insbesondere vor dem Hintergrund einer instabilen palåstinen-sischen Regierung, der fortgesetzten Ausein-andersetzungen zwischen Israel und der His-bollah, der Unruhen in Afghanistan, einer lockeren Organisationsstruktur von Al-Quai-da und eventueller Gefåhrdungspotenziale aus den eigenen muslimischen Bevælkerungs-teilen. Das aktuelle nationale Terrorismusbe-kåmpfungsergånzungsgesetz (TBEG) passt hierzu die bereits ab 2001 beschlossenen Si-cherheitspakete an. Im Klartext bedeutet dies, dass besonders die Kompetenzen der Ge-heimdienste erweitert und diese dann nach ihrer ¹Evaluierungª fçr weitere fçnf Jahre verlångert wurden.

Im Ûbrigen fand anstelle der 2001 be-schlossenen umfassenden und vor allem un-abhångigen Evaluierung lediglich eine ver-kçrzte hausinterne Bewertung durch das Bundesinnenministerium statt. Diese vorerst letzte Stufe der Erweiterung låsst nach Ablauf einer erneuten Fçnfjahresfrist auf eine wis-senschaftliche Ûberprçfung hoffen, denn die Regelungen laufen zunåchst einmal unweiger-lich aus. Weiterhin wurde das dritte Sicher-heitspaket an die Kontrollmechanismen der G-10-Kontrolle angeschlossen, so dass vier Mitglieder des Parlamentarischen Kontroll-gremiums (PKG) monatlich einen Bericht an das Bundesinnenministerium senden mçs-sen, und zwar vor Vollzug der einzelnen Maûnahmen. Diese enthalten

Stellungnah-1Dirk Hautkapp, Verfassungsschutz bittet Muslime

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men çber Zulåssigkeit und Notwendigkeit jeder angeordneten Beschrånkungsmaûnahme des Art. 10 Abs. 1 GG. Bedeutende Eingriffe in den Datenschutz wurden durch die Ertei-lung von Auskunftsrechten besonders dem Bundesnachrichtendienst ermæglicht, denn im Inland durfte bislang lediglich der Verfas-sungsschutz Daten folgender Sektoren analy-sieren und weitergeben: Banken, Luftverkehr, Kommunikation, Post, Vereine und Auslån-derbehærden. Bezçglich der Migrationsent-wicklung wurde das Auslånderzentralregister beim Bundesverwaltungsamt zu einem um-fassenden Informationssystem ausgebaut und mit dem administrativen Verfassungsschutz vernetzt. Weiterhin wurde ein ¹Gemeinsames Analyse- und Strategiezentrum illegale Mi-grationª (GASiM) eingerichtet, in dem Poli-zei und Geheimdienste Informationen aus-tauschen.

Die gemeinsame ¹Anti-Terror-Dateiª, wel-che nach einem Beschluss der Innenminister-konferenz vom 4. September 2006 in der heu-tigen Form als Kompromiss zwischen einer Volltext- und Indexdatei beschlossen und vier Monate spåter von Bundestag und Bundesrat verabschiedet wurde, stellt demgegençber ein echtes Reformnovum dar. Sie soll das veralte-te ¹Nachrichveralte-tendienstliche Informationssys-temª (NADIS) ersetzen, welches als Daten-verbundsystem in Form einer reinen ¹Index-dateiª lediglich einige Grunddaten beinhaltete und vom Verfassungsschutz sowie den Abtei-lungen des BKA genutzt wurde. Damit wird diese ¹Dateiª die wesentlichste inhaltliche Ønderung in der Sicherheitsarchitektur seit der organisatorischen Implementierung des ¹Gemeinsamen Terrorismus Analyse Zen-trumsª (GTAZ) in Berlin darstellen. Die neue Speichermæglichkeit lediglich eine ¹Dateiª zu nennen, wird aber ihrem Umfang und ihrer Bedeutung innerhalb der zukçnftigen Sicher-heitsarchitektur nicht gerecht. Man sollte in diesem Zusammenhang besser von einer um-fassenden Datenbank sprechen. Denn war bei den am Reformprozess beteiligten Akteuren vormals noch von einer hinsichtlich ihres Ausmaûes beschrånkten ¹Islamistendateiª die Rede, welche ebenfalls als ¹Indexdateiª auf-gebaut werden sollte, ist eine solche ¹Dateiª der Sicherheitsbehærden nun deutlich um weitere Dimensionen ergånzt worden. Ge-plant ist, åhnlich den Erweiterungen im TBEG, die Erfassung aller in Deutschland zu analysierenden extremistischen

Erschei-nungsformen zu speichern und bei Bedarf in einem abgestuften Prozess umfassend abruf-bar zu halten. Eine ursprçnglich geplante Zweckbindung der ¹Anti-Terror-Dateiª, die einen konkreten internationalen terroristi-schen Tathorizont voraussetzt, ist in diesen Beschlçssen nicht mehr ersichtlich. Nach dem Verhåltnismåûigkeitsprinzip mçsste die mit einer erweiterten nachrichtendienstlichen Arbeitsweise verbundene Grundrechtseinbu-ûe aber durch einen Zugewinn an innerer Si-cherheit ausgeglichen werden. Letzteres ist jedoch nicht festzustellen, da nach den Er-kenntnissen des Verfassungsschutzes zurzeit weder von einem Rechts- noch von einem Linksterrorismus eine institutionalisierte Ter-rorgefahr ausgeht. Aus einem ehemals zweck-gebundenen Antiterrorinstrument mit Aus-nahmecharakter ist somit eine Regelbefugnis des Alltags geworden.

Trennungsgebot von Verfassungsschutz

und Polizeibehærden

Wie bereits angedeutet, liegt ein Schwerpunkt der derzeitigen Debatte çber den Selbstschutz des Staates auf dem Trennungsgebot von fassungsschutz und Polizeibehærden in Ver-bindung mit dem Recht zur vorverlagerten Ermittlungsmæglichkeit in Verdachtsfållen. Folgt man einer engen Auslegung des Tren-nungsgebotes, låsst sich in der Tat ein Span-nungsfeld zwischen administrativem Verfas-sungsschutz und den Polizeibehærden analy-sieren, welches sich aber nicht auf eine informationelle Zusammenarbeit bezieht. Zur besseren Orientierung scheint ein kurzer ge-schichtlicher Ûberblick zur Genese des Tren-nungsgebotes angebracht.

Die Mæglichkeit eines Missbrauchs durch eine Ûbermacht der Nachrichtendienste soll, so die Meinung zum Zeitpunkt der Grçn-dung der Bundesrepublik, durch eine weitest-gehende Dezentralisierung der Sicherheitsbe-hærden ausgeschlossen werden, so wie wir sie bislang in einem fæderalen Aufbau der Exe-kutiven mit ihren jeweils unterschiedlichen Aufgaben kennen. Eine spezielle, im Ver-gleich zum europåischen Ausland einzigarti-ge, rechtliche Ausgestaltung der deutschen Nachrichtendienste zeigt sich im so genann-ten Trennungsgebot. Insbesondere der Wir-kungskreis des administrativen Verfassungs-schutzes soll hier seine Grenzen finden. Als

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Grundlage dieser ausdrçcklichen Trennung wird gern ein Polizeibrief der alliierten Mili-tårgouverneure vom 14. April 1949 bemçht: ¹Der Bundesregierung wird es ebenfalls ge-stattet, eine Stelle zur Sammlung und Vorbe-reitung von Auskçnften çber umstçrzleri-sche, gegen die Bundesregierung gerichtete Tåtigkeiten einzurichten. Diese Stelle soll keine Polizeibefugnisse haben.ª2Daher

wer-den dem Verfassungsschutz polizeiliche Be-fugnisse im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) ausdrçcklich verwehrt. Nach § 8 Abs. 3 und § 2 Abs. 1, 3. Satz BVerfSchG sind erstens dem Bundesamt fçr Verfassungs-schutz (BfV) polizeiliche Befugnisse versagt, zweitens stehen ihm Weisungsbefugnisse ge-gençber anderen, vor allem polizeilichen Dienststellen nicht zu und drittens ist es un-tersagt, das BfV einer polizeilichen Dienst-stelle anzugliedern.

Diese expliziten Einschrånkungen der ver-fassungsschçtzerischen Tåtigkeit sind eine Konsequenz aus den historischen Erfahrun-gen des ¹Dritten Reichesª. Die ¹Gestapoª vereinte in sich Exekutiv- und Ûberwa-chungsfunktionen, wodurch sie willkçrlich und ohne jede Beschrånkung im Namen des diktatorischen Regimes tåtig werden konnte. Vergleichbare Kompetenzen hatte das Minis-terium fçr Staatssicherheit (MfS), der Ge-heimdienst der DDR. Nach dem historischen Grundprinzip war das Trennungsgebot vor den Terroranschlågen långst zu einem wichti-gen gewohnheitsrechtlichen Element des Selbstverståndnisses unserer rechtsstaatlichen Ordnung geworden, obwohl eine explizite Vorschrift gemåû dem Polizeibrief weder im Deutschlandvertrag von 1955 noch im Eini-gungsvertrag von 1990 (bundes-)verfassungs-rechtlich normiert worden ist. Entgegen håu-fig vertretenen Auffassungen besitzt das Trennungsgebot somit keinen ausdrçcklichen Verfassungsrang, zudem stellt es auch keinen Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips dar. Es gilt derzeit kraft schlichten Parlamentsrechts und unterliegt damit der Disposition des Bundes-tages. Eine weitere Einschrånkung erfåhrt das Trennungsgebot in den meisten Bundeslån-dern, denn soweit die Lånder das Gebot nicht in ihre jeweiligen

Landesverfassungsschutz-gesetze aufgenommen haben ± wie etwa NRW±, unterliegen diese Verfassungsschutz-behærden nach dem BVerfSchG nicht dem Trennungsgebot. In einzelnen Bundeslåndern erhalten die Verfassungsschutz- und Polizei-behærden somit theoretisch die Befugnis, sich organisatorisch miteinander zu verbinden; dem Geheimdienst kænnte sogar das Recht eingeråumt werden, selbst zu ermitteln bzw. Zwangsmittel anzuwenden.

Diese Ûberlappung der Befugnisse er-scheint aber auch aus ermittlungspraktischen Grçnden wenig geeignet. Schon bisher zeigte sich in gemeinsam bearbeiteten Fållen ein Kompetenzgerangel zwischen den beteiligten Behærden, welches zu einem eher unglçckli-chen Vorgehen und damit zu Ermittlungsver-zægerungen beispielsweise im Fall des ¹Hass-predigersª Metin Kaplan und seiner Gruppie-rung ¹Kalifatstaatª im Jahr 2002 fçhrten. Grundsåtzlich ist eine mægliche Zusammenar-beit zwischen den Behærden auch aus allge-meinen ermittlungspraktischen Grçnden nicht immer reibungslos durchzufçhren, denn die Behærden behindern sich in bestimmten Fållen aufgrund unterschiedlicher Zielverfol-gung gegenseitig in ihrer Arbeit. So ist be-kannt, dass der Verfassungsschutz zum Teil deshalb der Polizei keine Mitteilungen çber mægliche Straftaten macht, weil er durch deren sofortige Strafverfolgungsmaûnahmen die Mæglichkeit gefåhrdet sieht, an weitere In-formationen zu gelangen. Eine Kooperation wird auûerdem durch den gesetzlichen lenschutz und die oftmals fragwçrdige Quel-lenqualitåt erschwert. Zudem entstehen nicht selten Irritationen beim ¹Sich berçhrenª von V-Leuten von Verfassungsschutz und Polizei-behærden im Einsatz. Diese Missstånde fçhr-ten unter anderem zu der Einrichtung des Ge-meinsamen Terrorismus Analyse Zentrums (GTAZ) in Berlin, welches seine Hauptaufga-be darin sieht, den Informationsfluss zwischen den Behærden zweckgebunden zum Thema totalitårer Islamismus zu koordinieren.

Das Trennungsgebot ist also nicht als Ver-bot jeglicher Zusammenarbeit zwischen un-terschiedlichen Behærden zu verstehen, es zwingt jedoch zu Regelungen çber die Aus-gestaltung der Kooperation. Diese bezieht sich nach heutiger Gesetzeslage auf die orga-nisations- und kompetenzrechtliche Behær-denausgestaltung. Folgendermaûen låsst sich das praktisch angewandte Gebot auf einen

2Zit. bei: Herrmann von Mangoldt/Friedrich Klein/

Christian Pestalozzo, Bonner Grundgesetz, Kommen-tar zu Art. 73 Nr. 10 GG, Mçnchen 1996, Rdnr. 584, S. 429.

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Nenner bringen: Wer (fast) alles weiû, soll nicht alles dçrfen; und wer (fast) alles darf, soll nicht alles wissen. Fraglich bleibt aber, ob eine gånzlich einheitliche Behærdenstruktur nicht dem Grundsatz des Trennungsgebotes widerspricht. Befçrchtungen, das GTAZ kænnte eine solche ¹Mammutbehærdeª dar-stellen, sind jedoch nicht begrçndet. Auch wenn eine råumliche Trennung aufgrund zu-nehmenden Handlungsdruckes in einzelnen Fållen aufgehoben wird, liegt erstens eine Konzentration auf ein bestimmtes Gefåhr-dungsfeld und zweitens eine Kooperation le-diglich einzelner Vertreter der einzelnen Be-hærden vor.

Grundsåtzlich ist der administrative Ver-fassungsschutz bei Anhaltspunkten fçr eine eventuelle bestehende Bedrohung nach wie vor pråventiv tåtig (Opportunitåtsprinzip). Im Gegensatz hierzu wirken konkrete Poli-zeieinsåtze stets gefahrenbezogen und punk-tuell am Tatort (Legalitåtsprinzip). Nach dem Grundsatz des Trennungsgebotes sammelt und wertet der Verfassungsschutz Informa-tionen lediglich aus und leitet die analysierten Lagebilder dann an die zuståndigen Ermitt-lungsbehærden wie Polizei und Staatsanwalt-schaften weiter. Die Arbeit des Verfassungs-schutzes beginnt folglich weit im Vorfeld von Straftaten, wåhrend die polizeilichen Aufga-ben zwar erst spåter einsetzen, dann aber einen Schritt weiter gehen. Im Gegensatz zum Verfassungsschutz, der darauf ausgerich-tet ist, Informationen zu sammeln, hat die Polizei zugleich die Aufgabe, festgestellte Gefahren selbst abzuwehren oder durch an-derweitig zuståndige Behærden bereinigen zu lassen. Ein wichtiges Unterscheidungskriteri-um ist dabei, dass die Arbeit der Polizei, an-ders als die des Verfassungsschutzes, grund-såtzlich fçr die Bçrgerinnen und Bçrger çber-wiegend transparent bleibt. Wie bereits dargestellt, mangelte es in der Vergangenheit besonders in der Auseinandersetzung mit der neuen Gefåhrdungslage oftmals aufgrund eines ¹Kompetenzwirrwarrsª an einem schnellen Informationsfluss.

Mit dieser Unterscheidung von Aufgaben sind die Kompetenzen und Grenzen der ver-fassungsschçtzerischen Tåtigkeit klar umris-sen. Gefahren fçr die Trennung entstanden bis zu den Diskussionen der neuen Sicherheits-pakete auch nicht originår durch eine Kom-petenzerweiterung des Verfassungsschutzes,

sondern durch Reformansåtze der Polizeibe-hærden bereits seit den 1980er Jahren.

Eine erste Vermischung von Kompetenzen durch die Polizeibehærden deutete sich zu-nåchst in den Bereichen der Bekåmpfung von organisierter Kriminalitåt und Rechtsextre-mismus an. Bis zum Volkszåhlungsurteil vom 15. Dezember 1983 war die Aufgabentren-nung weitestgehend klar. Dieses Urteil stellte jedoch eine Zåsur fçr die pråventiven Ermitt-lungsmæglichkeiten der Polizei dar. Pikanter-weise unterliegen die deutlich intensiveren Eingriffsmæglichkeiten der Polizei in der Vor-feldermittlung nicht wie die des Verfassungs-schutzes erheblichen Kontrollmechanismen, sondern lediglich einem Behærdenleiter- oder Richtervorbehalt. Die mit den ¹Vorbeu-gungsmethodenª einhergehende Heimlich-keit widerspricht zudem tendenziell dem Gebot der Offenheit und Erkennbarkeit poli-zeilichen Handelns. An dieser Stelle sind also Aushæhlungen des Trennungsgebotes nicht von Seiten des Inlandsgeheimdienstes Verfas-sungsschutz, sondern vielmehr von Seiten einer politisch gewollten Kompetenzerweite-rung der Polizei zu analysieren. Hier scheint sich ± auch durch die aktuelleren Entwick-lungen und europåischen Homogenisierun-gen ± ein Kulturwandel im praktischen Be-hærdenalltag abzuzeichnen, welcher nicht zu den in diesem Beitrag aufgezeigten ermitt-lungsbehindernden Elementen durch Kon-kurrenzverhåltnisse fçhren darf. Ein generel-ler Bestandsschutz muss fçr beide Behærden auch weiterhin gelten.

Das sich hier abzeichnende Dilemma ist in einem zeitlich und themenbezogen be-schrånkten Wissens- und Informationstrans-fer zwischen den bereits eingerichteten Schnittstellen der Behærden zu sehen. Dieser Transfer als pråventive Antwort auf die neuen Herausforderungen ± welche auch hervorge-rufen wurden durch eine progressiv erwei-terte Entsendung deutscher Streitkråfte ± stellt eine nachholende Reform zur Steige-rung der Effizienz und Effektivitåt der veral-teten Sicherheitsstruktur dar. Sie ist durch eine praktische Konkordanz ins Verhåltnis zu setzen, wobei sowohl der behærdlichen Tren-nung als auch einer sinnvollen und geforder-ten Zusammenarbeit Rechnung zu tragen sein wird. Wie bereits angedeutet, scheint der Fahrschein ¹islamistischer Terrorª genutzt worden zu sein, um den legitimen Wunsch

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nach einer ¹Sonderdatei Islamismusª in die problematisch zu bewertende Forderung nach einer universellen und zentralen Ermitt-lungsdatenbank im abgestuften Volltextfor-mat zu transformieren. Allgemein wird es auch in Zukunft gewisse Dopplungen von Ermittlungsergebnissen zumindest auf natio-nalstaatlicher Ebene geben. Sie entstehen aufgrund des rechtsstaatlich sinnvollen Tren-nungsgebotes zur Behærden- und Kompe-tenzstruktur in Bezug auf die Ermittlungsbe-fugnis und nicht auf den fallbezogenen, zeit-lich begrenzten Informationsaustausch. Diese beschriebene Trennung wird auch weiterhin eingefordert werden mçssen.

Institutionalisierter Datenschutz

Es kænnte viel von der vorherrschenden Re-formskepsis genommen werden, wçrde die Politik nicht nur auf Effizienzsteigerung und Offenlegung von einzelnen Ermittlungserfol-gen, sondern auch auf eine çberfållige Reform der mannigfachen Kontrollmechanismen (PKG, G10-Kommission, Auskunftsrecht, Kontrolle durch Gerichte, Datenschutz) set-zen. Die Rolle des institutionalisierten Daten-schutzes als einer wirklich unabhångigen Kon-trollinstanz wird bereits seit zehn Jahren ± im Ûbrigen auch auf EU-Ebene ± vernachlåssigt.

Die Tåtigkeit des Beauftragten fçr den Da-tenschutz von Bund und Låndern ist zur ver-waltungsinternen Kontrolle zu rechnen, womit er auf derselben Ebene wie die be-hærdlichen Dienst- und Fachaufsichten ein-zuordnen ist. Hierbei weckt die Kenntnis der unterschiedlichen Behærden çber eine Viel-zahl von Informationen ± auch aus dem si-cherheitsrelevanten Bereich ± das besondere Interesse der Datenschçtzer. Dass die Anti-terrormaûnahmen maûgeblich im Geheimen ablaufen, wurde bereits problematisiert. Somit bildet dieses Vorgehen auch einen ge-setzlich abgesicherten Eingriff gegen das Recht auf informationale Selbstbestimmung, welches aus dem Grundgesetz auch in Bezug auf persænliche Daten abgeleitet wird. Die Aufgabe der Datenschutzbeauftragten be-steht darin, zu prçfen, ob die Bearbeitung der Daten etwa durch den Verfassungsschutz in-nerhalb der gesetzlichen Vorgaben erfolgt. Zudem sind die Datenschutzbeauftragten vor dem Erlass einer Datenanordnung anzuhæ-ren. Weiterhin obliegt ihnen ein

Beanstan-dungs- und Vorschlagsrecht zur Verbesserung des Datenschutzes, zur Bereinigung, Berichti-gung oder Læschung von Datenbestånden. Ûberprçfungen von mæglichen Eingriffen kænnen sowohl auf Eingaben von Bçrgern zurçckgehen als auch auf Initiative der Da-tenschutzbeauftragten selber stattfinden.

Ein Vorteil der Datenschutzbeauftragten ist, dass ihre Arbeit unabhångig von den çbri-gen Behærden durchgefçhrt wird. Im Geçbri-gen- Gegen-satz zur parlamentarischen Kontrolle, welche nach Proporz der Bundestagsfraktionen be-setzt wird, lassen sich Datenschutzbeauf-tragte nicht so leicht von einzelnen Sicher-heitsbehærden beeindrucken. Sie haben be-reits in der Vergangenheit in den offiziellen Berichten oder auch durch Indiskretionen eine Reihe von zumindest rechtlich fragwçr-digen Dateien aufgedeckt, die dann nicht wei-ter fortgefçhrt worden sind. Aber auch ihre Kontrollmæglichkeiten finden ihre Grenzen in der Geheimnispflicht der Ømter. Nach der Rechtsprechung genieût der Geheimnis-schutz eindeutig Vorrang vor dem Informati-onsrecht der Bçrgerinnen und Bçrger und den Kontrollrechten der Datenschutzbeauf-tragten. Alle zwei Jahre erscheint der bereits erwåhnte Tåtigkeitsbericht, der die Kontroll-tåtigkeit der Datenschutzbeauftragten der Úffentlichkeit zugånglich macht. In Inter-views und Stellungnahmen begleitete der amtliche Datenschutz die neuesten sicher-heitspolitischen Reformen mit einer dezidiert kritischen Haltung. Mit drastischen Worten warnte zuletzt auf einer Expertenanhærung zu den nun beschlossenen Maûnahmen der Bundesbeauftragte Peter Schaar vor einer ¹Ûberwachungsgesellschaftª.3

Reformbemçhungen

Der Inhalt der Reformbemçhungen låsst sich folgendermaûen zusammenfassen:4Zum

einen verlångerte das TBGE die bestehenden Antiterrorgesetze, die erweiterte Befugnisse fçr alle Geheimdienste unter einer Absenkung juristischer Hçrden bei Eingriffen in den Da-tenverkehr beinhalten, fçr weitere fçnf Jahre ± ohne zuvor eine vorgesehene unabhångige

3 Peter Carstens, Ein hinnehmbares Instrument.

Fachleute bewerten die vorgesehene Antiterrordatei gleichwohl recht kritisch, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. 11. 2006, S. 12.

(17)

und grçndliche Evaluierung durchzufçhren. Weiterhin wurde eine zentrale Datenbank im-plementiert, welche dem Trennungsgebot zwar nicht entgegensteht, da Letzteres sich nicht auf den Informationsaustausch bezieht, wohl aber unter Gesichtspunkten des Daten-schutzes eine unangemessene, nichtzweckge-bundene Vorratsdatenspeicherung aller Si-cherheitsbehærden darstellt. Den Behærden stehen damit Daten in einem abgestuften Sys-tem als Quasi-Volltextdatei zur Verfçgung. Angehångt wurde die Mæglichkeit einer Ein-richtung weiterer, nicht spezifisch zweckge-bundener und in ihrer Anzahl nicht begrenz-ter gemeinsamer ¹Projektdateienª. Nach Be-fçrchtungen des amtlichen Datenschutzes besteht durch diese Maûnahmen auch weiter-hin die Gefahr, dass unbescholtene Bçrger zum ¹Risikofaktorª erklårt werden: In der Quasi-Volltextdatei kænnten ± im Gegensatz zu einer von Datenschçtzern geforderten klar definierten und fallbezogen begrenzten ge-meinsamen ¹Indexdateiª ± Informationen aus ungesicherten Hinweisen enthalten sein. Die Gefahr einer Stigmatisierung von Kontakt-und Begleitpersonen wåre zudem durch die Aufnahme in eine solche Datenbank ± auch nach den gesetzlichen Ergånzungen ± nicht auszuschlieûen.

Es stellt sich also letztendlich die Frage nach der Verhåltnismåûigkeit. Bundes-und Landeskriminalåmter (BKA Bundes-und LKA), die Verfassungsschutzåmter (BfV und LfV), Militårischer Abschirmdienst (MAD), Bun-desnachrichtendienst (BND) und Zollkrimi-nalamt (ZKA) bçndeln zukçnftig in einem abgestuften Verfahren zunåchst ± im Ver-gleich zum NADIS ± erweiterte Grunddaten: Namen, Falschnamen, alle Anschriften, Ge-schlecht, Geburtsdatum, -ort, -staat, aktuelle und frçhere Staatsangehærigkeiten, Merk-male, Sprachen, Lichtbilder, Fallgruppen und Påsse. Bei ¹tatsåchlichen Anhaltspunktenª werden dann mit Angabe der jeweiligen Be-hærde die uneingeschrånkten Daten abrufbar gehalten: Herkunft, alle Kommunikations-mæglichkeiten/ -anschlçsse, Konten, Reisebe-wegungen, Arbeitsstelle, Bildung, Familien-stand, Religionszugehærigkeit, Schlieûfåcher, Fahrzeuge, Einschåtzungen und Bewertun-gen der jeweiliBewertun-gen Behærde (Freitextfeld) bis hin zu arglosen Kontakt- und Begleitperso-nen und Mitgliedschaften in Vereinigungen, Gruppierungen, Stiftungen oder Unterneh-men. Im Eilverfahren einer konkreten

Ge-fåhrdungssituation, die nach der eingangs er-låuterten BKA-Studie fçr den internationalen Terrorismus håufig vorliegt, soll der unmittel-bare Zugriff auf alle Daten gewåhrt werden. Durch eine nachrangige Bedeutung des Reli-gionskriteriums und durch die Aufnahme po-tenziell unbeteiligter Dritter ist eine zeitlich beschrånkte Falbezogenheit der beschlosse-nen Konzeption auf den internationalen Ter-rorismus auch weiterhin nicht ersichtlich.

Schlussbemerkungen

Aus Grçnden des Datenschutzes und in Aner-kennung einer konkreten Gefåhrdungslage, der mit hæchstmæglicher Effizienz und Effek-tivitåt begegnet werden muss, wåre daher nur eine zeitlich befristete Datei zu implementie-ren, welche einen ausschlieûlichen Bezug zum internationalen Terrorismus hat. Darin sollten lediglich Namen, Religionszugehærigkeit, Ge-burtsdatum, Adresse und Nationalitåt erfasst werden, jedoch nicht die vollståndigen Er-mittlungsdaten, subjektive Einschåtzungen und Lageanalysen. Weiterhin ist jeder Daten-satz mit einer Information darçber zu verse-hen, von welcher Behærde die Daten stammen, um gegebenenfalls, unter Berçcksichtigung des Quellenschutzes, Informationen nachfas-sen zu kænnen. Anschlieûend kann diese spe-zielle Projektdatei auf nationalstaatlicher und europåischer Ebene vernetzt werden.

Diese Sonderdatei wçrde weit çber das hinausgehen, was bisher als gemeinsame In-formationsgrundlage existiert, und so zu einem beschleunigten Informationsfluss fçh-ren, ohne die Gefahr von verfassungs- und datenschutzrechtlichen Problemen in sich zu bergen oder sogar in ermittlungspraktischen Konsequenzen wie dem thematisierten Kom-petenzwirrwarr oder Quellenschutzproble-men zu gipfeln. Sollte sich in Zukunft eine andere nachhaltige Gefåhrdungslage einstel-len, welche in ihrem Ausmaû vergleichbar mit dem internationalen Terrorismus wåre, kænnte bedarfsabhångig und flexibel çber die Einrichtung von weiteren projektgebundenen und befristeten Dateien nachgedacht werden. Um die analysierten Zugangsbarrieren inner-halb einer kohårenten Sicherheitsarchitektur zu beseitigen, sollte eine grçndliche Beschåf-tigung mit den Themenfeldern Integration und Einwanderung kein Desiderat bleiben.

(18)

Peter Stegmaier ´ Thomas Feltes

,Vernetzung` als

neuer

Effektivitåts-mythos fçr die

,innere Sicherheit`

O

b Terror in Madrid oder London, Kof-ferbomben in deutschen Bahnhæfen und Zçgen, Fuûball-WM oder letztlich ¹9/11ª ± alle sich bietenden symboltråchtigen Anlåsse werden ergriffen, um das Feld der Sicherheit neu zu ordnen und diese Verån-derungen zu legitimieren. Gegenwårtig fin-det ein Perspektiven-wechsel in der Krimi-nal- und Innenpolitik statt, der mit einer Umorganisation der Institutionen, die fçr die Herstellung und Erhaltung ¹innerer Sicherheitª zuståndig sind, einhergeht. Der bisherige Kontroll-mythos der national-staatszentrierten Mo-derne ist zerbrochen. Der einzelne Staat kommt immer schnel-ler an die Grenzen seiner Regierungs-und Regulierungs-mæglichkeiten. Nach groûtechnischen sind es nun terroristische Risiken und Gefahren, welche die Handlungsfåhigkeit von Staaten herausfordern.

Die globalisiert organisierte Kriminalitåt stellt die globalisiert organisierte Wirtschaft und die einzelnen Staaten hinsichtlich der Effektivitåt ihrer supranationalen Koopera-tionen auf den Prçfstand. ¹Innere Sicher-heitª als rein innere und rein staatliche An-gelegenheit wird zunehmend undenkbar. Vielmehr wird Sicherheit vermehrt primår dort hergestellt, wo einflussreich danach ver-langt wird bzw. wo fçr sie gezahlt werden

kann, also immer weniger unter Gemein-wohlaspekten. Das gilt çberall dort, wo pri-vate Sicherheitsdienste engagiert werden und der Staat spart. Kooperationen zwischen dem Staat und privaten Konzernen werden forciert.1 Das kriminalpråventive Interesse

verlagert sich von der tat- und tåterbezoge-nen Reaktion hin zur mæglichst risikoarmen Gestaltung von Alltag. Das Strafrecht wird zunehmend zum Mittel gegen allgemeine ge-sellschaftliche Verunsicherung und das ,sub-jektive Sicherheitsgefçhl` gewinnt dabei wei-ter an Legitimationskraft fçr ¹law and orderª-Kampagnen.

In diesem Szenario kommen auf die Institu-tionen sozialer Kontrolle neue Aufgaben und Probleme zu. Sie mçssen mit herkæmmlichen Mitteln neuartige Probleme unter verånder-ten Bedingungen bearbeiverånder-ten und deswegen ihr Instrumentarium modifizieren. Umgekehrt sind gerade eingefçhrte Mittel oftmals nur be-dingt geeignet, Schwachstellen zu beseitigen, mçssen die Mittel doch erst entwickelt (oder aus anderen Bereichen çbertragen), auspro-biert und verbessert werden. Auch sind neue Bereiche des Wissens und Handelns zu er-schlieûen, insbesondere durch die Verknçp-fung von bislang eher separiert arbeitenden Einrichtungen, durch den Umgang mit neuar-tigen Ermittlungsdaten sowie durch neue Kommunikations- und Organisationsformen. Damit einher geht die Verheiûung, durch die ¹Vernetzung der Sicherheitsakteureª lieûen sich Effizienz und Effektivitåt weiter steigern und soziale Prozesse ungeachtet verschårften Wandels auch weiterhin im Prinzip steuern. Kann diese Politik der ¹vernetzten inneren Si-cherheitª gelingen, oder wird viel Aufhebens um etwas gemacht, das auch nicht das alleinige Heil bringen wird?

Zu fragen ist erstens: Wie arrangieren sich all die ¹Sicherheitsagenturenª untereinander und mit den sich wandelnden gesellschaftli-chen und politisgesellschaftli-chen Rahmenbedingungen? Was kann zweitens Sicherheit in Zeiten der Unsicherheit eigentlich sein? Kann drittens das paradoxe Versprechen eingelæst werden, unter den Bedingungen wachsender Unsicher-heit und zunehmend begrenzter

Gestaltbar-Peter Stegmaier

Dr. phil., geb. 1969; Soziologe, Mitarbeiter am Center for Society and Genomics an der Radboud Universiteit Nijmegen, Postbus 9010, NL 6500 GL Nijmegen. stegmaier@society-genomics.nl

Thomas Feltes

Dr. iur., M.A., geb. 1951; Profes-sor für Kriminologie, Kriminal-politik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum, Juristische Fakultät, Universitätsstraûe 150, 44801 Bochum. Thomas.Feltes@rub.de

1 Vgl. Thomas Feltes, Akteure der inneren Sicherheit,

in: Stefan Jakowatz/Hans-Jçrgen Lange/Peter Ohly/Jo Reichertz (Hrsg.), Auf der Suche nach neuer Sicher-heit, Wiesbaden 2007.

Referenties

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