V. Gute Arbeit, breite Entlastung und soziale Teilhabe sichern
1. Gute Arbeit
Wir bekennen uns zum Ziel der Vollbeschäftigung. Dazu gehört auch, dass Men-2238
schen, die schon sehr lange arbeitslos sind, wieder eine Perspektive auf dem Ar-2239
beitsmarkt eröffnet wird.
2240 2241
Mit einem ganzheitlichen Ansatz wollen wir die Qualifizierung, Vermittlung und Rein-2242
tegration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt vorantreiben. Unser Ziel ist, 2243
bei der Betreuung der Langzeitarbeitslosen die ganze Familie in den Blick zu neh-2244
men.
2245 2246
Die Teilhabe am Arbeitsmarkt erfolgt dabei sowohl auf dem ersten Arbeitsmarkt als 2247
auch auf dem sozialen Arbeitsmarkt z. B. durch Lohnkostenzuschüsse. Das schließt 2248
Arbeitgeber der freien Wirtschaft, gemeinnützige Einrichtungen und Kommunen ein.
2249
Bei den sozialversicherungspflichtig bezuschussten Arbeitsverhältnissen im sozialen 2250
Arbeitsmarkt orientiert sich der Zuschuss am Mindestlohn. Dazu schaffen wir u. a. ein 2251
neues unbürokratisches Regelinstrument im Sozialgesetzbuch II „Teilhabe am Ar-2252
beitsmarkt für alle“. Wir stellen uns eine Beteiligung von bis zu 150.000 Menschen 2253
vor. Die Finanzierung erfolgt über den Eingliederungstitel, den wir hierfür um vier Mil-2254
liarden Euro im Zeitraum 2018 bis 2021 aufstocken werden. Wir ermöglichen außer-2255
dem den Passiv-Aktiv-Transfer in den Ländern. Der Bund stellt dazu die eingespar-2256
ten Passiv-Leistungen zusätzlich für die Finanzierung der Maßnahmen zur Verfü-2257
gung.
2258 2259
Wir erhöhen die Restmittelübertragung für das Sozialgesetzbuch II auf 400 Millionen 2260
Euro jährlich und entfristen die Regelung.
2261 2262
Lebensbegleitendes Lernen wird eine Grundvoraussetzung sein, um der Digitalisie-2263
rung der Wirtschafts- und Arbeitswelt erfolgreich zu begegnen. Die arbeitsmarkt- und 2264
bildungspolitischen Instrumente der Fachkräftesicherung wollen wir enger verzahnen.
2265
Wir begrüßen die vielfältigen Anstrengungen, die bereits heute von den Sozialpart-2266
nern und in den Unternehmen unternommen werden, um eine zeitgemäße betriebli-2267
che Weiterbildung der Mitarbeiter zu ermöglichen. Mit dem Ziel, breiten Bevölke-2268
rungsteilen einen beruflichen Aufstieg zu erleichtern, die Fachkräftebasis zu stärken 2269
und die Beschäftigungsfähigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt nachhaltig zu 2270
fördern, wollen wir gemeinsam mit den Sozialpartnern und in enger Abstimmung mit 2271
den Ländern (und allen anderen Akteuren) eine Nationale Weiterbildungsstrategie 2272
entwickeln. Ein Ziel ist, alle Weiterbildungsprogramme des Bundes und der Länder 2273
zu bündeln, sie entlang der Bedarfe der Beschäftigten und der Unternehmen auszu-2274
richten und eine neue Weiterbildungskultur zu etablieren. Über die Bundesagentur 2275
für Arbeit erhalten alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Recht auf Weiterbil-2276
dungsberatung.
2277 2278
Innerhalb von drei Monaten nach entstandener Arbeitslosigkeit soll die Bundesagen-2279
tur für Arbeit mit den betroffenen Menschen Maßnahmen entwickeln, um ihre Be-2280
schäftigungsfähigkeit nachhaltig zu fördern.
2281 2282
Wir werden die Anspruchsvoraussetzung für die Förderung der beruflichen Weiterbil-2283
dung im § 81 Sozialgesetzbuch III im Sinne von Erweiterungsqualifizierungen anpas-2284
sen. Dabei muss sich die Weiterbildung an den Bedarfen der Beschäftigten und Ar-2285
beitslosen, der Wirtschaft und des regionalen Arbeitsmarktes orientieren. Dazu wol-2286
len wir die bestehenden Instrumente evaluieren.
2287 2288
Wir wollen die Arbeitsmarktinstrumente stärker auf die digitale Weiterbildung ausrich-2289
ten und wir wollen finanzielle Anreize für die Weiterbildung schaffen. Zusätzlich wol-2290
len wir die bestehende Allianz für Aus- und Weiterbildung stärker auf die digitale Fort- 2291
und Weiterbildung ausrichten.
2292 2293
Wir werden das allgemeine Initiativrecht der Betriebsräte für Weiterbildung stärken.
2294
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und Betriebsrat haben über Maßnahmen der Be-2295
rufsbildung zu beraten. Können sich beide nicht verständigen, kann jede Seite einen 2296
Moderator anrufen mit dem Ziel, eine Einigung zu erreichen. Ein Einigungszwang 2297
besteht nicht.
2298 2299
Durch einen erleichterten Datenaustausch einschließlich der Schülerdaten soll die 2300
Transparenz am Übergang von der Schule in Ausbildung erhöht und die Zusammen-2301
arbeit der beteiligten Institutionen verbessert werden, um so einen erfolgreichen be-2302
ruflichen Werdegang zu unterstützen. Dies ist z. B. für die Jugendberufsagenturen 2303
wichtig, um den Übergang von der Schule in den Beruf erfolgreich begleiten zu kön-2304
nen.
2305 2306
Die Gruppe der schwer zu erreichenden Jugendlichen soll in dieser Legislaturperiode 2307
im Fokus stehen. Für eine Anwendung des § 16h Sozialgesetzbuch II wollen wir ab 2308
2019 50 Millionen Euro jährlich zur Verfügung stellen.
2309 2310
Auch die Leistungen für Bildung und Teilhabe werden wir verbessern, Hemmnisse 2311
der Inanspruchnahme beseitigen, die Wirkung prüfen und gezielt erhöhen. Leistun-2312
gen sollen künftig möglichst pauschal abgerechnet werden. Dort wo es möglich ist, 2313
wollen wir Einzelanträge reduzieren und z. B. Schulen ermöglichen, gesammelte An-2314
träge für die berechtigten Kinder diskriminierungsfrei zu stellen. Unter anderem soll 2315
hierzu das Schulstarterpaket aufgestockt werden. Die Eigenanteile zur gemeinschaft-2316
lichen Mittagsverpflegung in Kitas und Schulen und für Schülerbeförderung entfallen.
2317
Im Rahmen des bestehenden Teilhabepaketes soll allgemeine Lernförderung auch 2318
dann möglich sein, wenn die Versetzung nicht unmittelbar gefährdet ist.
2319 2320
Wir werden prüfen, wie die bei Wahrnehmung des Umgangsrechts zusätzlich entste-2321
henden Bedarfe bei der Leistungsgewährung künftig einfacher berücksichtigt werden 2322
können. Damit entlasten wir Alleinerziehende.
2323 2324
Wir wollen die Selbstverwaltung stärken und gemeinsam mit den Sozialpartnern die 2325
Sozialwahlen modernisieren.
2326 2327
Das Zeitalter der Digitalisierung wollen wir als Chance für mehr und bessere Arbeit 2328
nutzen. Wir wollen deshalb neue Geschäftsmodelle fördern und gleichzeitig die Ta-2329
rifbindung stärken.
2330 2331
Wir wollen die Gründung und Wahl von Betriebsräten erleichtern. Dazu werden wir 2332
das vereinfachte Wahlverfahren für alle Betriebe mit 5 bis 100 wahlberechtigten Ar-2333
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern verpflichtend machen. Für Betriebe mit 101 bis 2334
200 wahlberechtigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ermöglichen wir die 2335
Wahl zwischen dem vereinfachten und allgemeinen Wahlverfahren.
2336
2337
Wir setzen uns dafür ein, dass auch bei grenzüberschreitenden Sitzverlagerungen 2338
von Gesellschaften die nationalen Vorschriften über die Mitbestimmung gesichert 2339
werden.
2340 2341
Wir wollen den Missbrauch bei den Befristungen abschaffen. Deshalb dürfen Arbeit-2342
geber mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft 2343
sachgrundlos befristen. Bei Überschreiten dieser Quote gilt jedes weitere sachgrund-2344
los befristete Arbeitsverhältnis als unbefristet zustande gekommen. Die Quote ist je-2345
weils auf den Zeitpunkt der letzten Einstellung ohne Sachgrund zu beziehen.
2346 2347
Die Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes ist 2348
nur noch für die Dauer von 18 statt bislang von 24 Monaten zulässig, bis zu dieser 2349
Gesamtdauer ist auch nur noch eine einmalige statt einer dreimaligen Verlängerung 2350
möglich.
2351 2352
Wir wollen nicht länger unendlich lange Ketten von befristeten Arbeitsverhältnissen 2353
hinnehmen. Eine Befristung eines Arbeitsverhältnisses ist dann nicht zulässig, wenn 2354
mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein unbefristetes oder ein oder mehrere be-2355
fristete Arbeitsverhältnisse mit einer Gesamtdauer von fünf oder mehr Jahren be-2356
standen haben. Wir sind uns darüber einig, dass eine Ausnahmeregelung für den 2357
Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Nr. 4 Teilzeit- und Befristungsgesetz wegen der Eigen-2358
art des Arbeitsverhältnisses (Künstler, Fußballer) zu treffen ist.
2359 2360
Auf die Höchstdauer von fünf Jahren wird bzw. werden auch eine oder mehrere vor-2361
herige Entleihung(en) des nunmehr befristet eingestellten Arbeitnehmers durch ein 2362
oder mehrere Verleihunternehmen angerechnet. Ein erneutes befristetes Arbeitsver-2363
hältnis mit demselben Arbeitgeber ist erst nach Ablauf einer Karenzzeit von drei Jah-2364
ren möglich.
2365 2366
Wir werden über eine Tariföffnungsklausel im Arbeitszeitgesetz Experimentierräume 2367
für tarifgebundene Unternehmen schaffen, um eine Öffnung für mehr selbstbestimm-2368
te Arbeitszeit der Arbeitnehmer und mehr betriebliche Flexibilität in der zunehmend 2369
digitalen Arbeitswelt zu erproben. Auf Grundlage von diesen Tarifverträgen kann 2370
dann mittels Betriebsvereinbarungen insbesondere die Höchstarbeitszeit wöchentlich 2371
flexibler geregelt werden.
2372 2373
Arbeit auf Abruf nimmt zu. Wir wollen jedoch sicherstellen, dass die Arbeitnehmerin-2374
nen und Arbeitnehmer ausreichend Planungs- und Einkommenssicherheit in dieser 2375
Arbeitsform haben. Deshalb werden wir gesetzlich festschreiben, dass der Anteil ab-2376
zurufender und zu vergütender Zusatzarbeit die vereinbarte Mindestarbeitszeit um 2377
höchsten 20 Prozent unterschreiten und 25 Prozent überschreiten darf. Fehlt eine 2378
Vereinbarung zur wöchentlichen Arbeitszeit gilt eine Arbeitszeit von 20 Stunden. Im 2379
Krankheitsfall und an Feiertagen werden wir den Durchschnittsverdienst der letzten 2380
drei Monate als verpflichtende Grundlage festschreiben.
2381 2382
Wir wollen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz 2020 evaluieren.
2383 2384
Wir wollen einen Rahmen schaffen, in dem Unternehmen, Beschäftigte und die Tarif-2385
partner den vielfältigen Wünschen und Anforderungen in der Arbeitszeitgestaltung 2386
gerecht werden können. Wir wollen Familien in ihrem Anliegen unterstützen, mehr 2387
Zeit füreinander zu haben und die Partnerschaftlichkeit zu stärken. Wir werden dazu 2388
Modelle entwickeln, mit denen mehr Spielraum für Familienzeit geschaffen werden 2389
kann.
2390 2391
Im Teilzeit- und Befristungsrecht wird ein Recht auf befristete Teilzeit eingeführt. Ins-2392
besondere für Frauen ist es wichtig, nach einer Familienphase ihre beruflichen Pläne 2393
voll verwirklichen zu können. Gegenüber dem Referentenentwurf zur Weiterentwick-2394
lung des Teilzeitrechts werden folgende Änderungen vereinbart:
2395
1. Es besteht kein Anspruch auf Verlängerung oder Verkürzung der Arbeitszeit oder 2396
vorzeitige Rückkehr zur früheren Arbeitszeit während der zeitlich begrenzten 2397
Teilzeitarbeit.
2398
2. Der neue Teilzeitanspruch nach diesem Gesetz gilt nur für Unternehmen, die in 2399
der Regel insgesamt mehr als 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen.
2400
3. Für Unternehmensgrößen von 46 bis 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wird 2401
eine Zumutbarkeitsgrenze eingeführt, dass lediglich einem pro angefangenen 15 2402
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Anspruch gewährt werden muss. Bei der Be-2403
rechnung der zumutbaren Zahlen an Freistellungen werden die ersten 45 Mitar-2404
beiterinnen und Mitarbeiter mitgezählt. Bei Überschreitung dieser Grenze kann 2405
der Arbeitgeber einen Antrag ablehnen.
2406
4. Der Arbeitgeber kann eine befristete Teilzeit ablehnen, wenn diese ein Jahr un-2407
ter- oder fünf Jahre überschreitet. Die Tarifvertragsparteien erhalten die Möglich-2408
keit, hiervon abweichende Regelungen zu vereinbaren.
2409
5. Nach Ablauf der zeitlich begrenzten Teilzeitarbeit kann die Arbeitnehmerin oder 2410
der Arbeitnehmer frühestens nach einem Jahr eine erneute Verringerung der Ar-2411
beitszeit verlangen.
2412 2413
Angesichts der Herausforderungen und Veränderungen durch die Digitalisierung und 2414
die Globalisierung in unserer Gesellschaft wollen wir eine neue Arbeitsweltberichter-2415
stattung entwickeln, die Sozialstaatsforschung wieder verstärken und die sozialpart-2416
nerschaftlich ausgerichtete „Initiative Neue Qualität der Arbeit“ fördern und fortentwi-2417
ckeln.
2418
Wir wollen den Sozialstaat modernisieren und fortlaufend an neue Herausforderun-2419
gen anpassen. Dazu wollen wir u. a. die gesetzliche Unfallversicherung und das Be-2420
rufskrankheitenrecht weiterentwickeln.
2421 2422
Wir wollen den Arbeitsschutz insbesondere mit Blick auf die Herausforderungen der 2423
Digitalisierung überprüfen. Die vorliegenden Studien der Bundesanstalt für Arbeits-2424
schutz und Arbeitsmedizin, besonders mit Blick auf psychische Erkrankungen, sollen 2425
dazu ausgewertet werden.
2426 2427
Um weltweit gute Arbeit zu fördern und soziale Ungleichheit abzubauen, wollen wir 2428
die internationale Zusammenarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen – insbeson-2429
dere der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) – vertiefen und die Zusammenar-2430
beit in den G7 und G20 im Bereich der Beschäftigungs- und Sozialpolitik weiter vo-2431
ranbringen. Unsere Strategie zur Bekämpfung von Zwangsarbeit, Kinderarbeit und 2432
Arbeitsausbeutung soll fortgesetzt, verstetigt und intensiviert werden.
2433 2434
2. Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bei Steuern und Sozialabgaben