• No results found

Zwischen Grundversorgung und Infotainment

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2021

Share "Zwischen Grundversorgung und Infotainment"

Copied!
90
0
0

Bezig met laden.... (Bekijk nu de volledige tekst)

Hele tekst

(1)

Zwischen Grundversorgung und Infotainment

Über die Boulevardisierung von Hauptnachrichtensendungen im deutschen Fernsehen – ein Ver-gleich zwischen der ARD Tagesschau, ZDF heute und RTL Aktuell

Master-Arbeit (LDX999M20) im Fach Duitse Taal en Cultuur

(2)
(3)

3

Vorwort

Vorwort

In meiner Bachelorarbeit befasste ich mich bereits mit den Strategien, die die Bild-Zeitung ver-wendet um ihre Leser an sich zu binden. Schon damals entstand bei mir der Wunsch, mich mit dem Thema Boulevardisierung der Fernsehnachrichten auseinanderzusetzten. Da es innerhalb des Germanistikstudiums an der Universität Groningen dafür nur wenig Platz gab, entschied ich mich es zum Thema meiner Masterarbeit zu machen.

Die Schwierigkeit und damit auch gleichzeitig die Herausforderung mich mit diesem Thema zu befassen, lag darin, dass es die Grenzen des eigenen Fachgebiets überschreitet. Spätestens nach der Auswertung der Analysedaten wurde mir klar, dass diese Ergebnisse gegeben falls nicht das aussagen, was sie im ersten Augenblick auszusagen scheinen. Unterschiedliche Ergebnisse zwischen den Sendungen und Beiträgen können nur als reale Unterschiede angesehen werden, wenn sich diese Unterschiede als signifikant herausstellen.

Um meine Daten einer statistischen Prüfung zu unterwerfen habe ich F.H.E. Swarte, PhD-Student an der Universität Groningen, um Hilfe gebeten. Sie hat mir geholfen die Daten, der beiden für diese Arbeit durchgeführten Analysen, statistisch zu Prüfen. Dadurch ist es gelungen die Ergebnisse wissenschaftlich fundiert zu Interpretieren.

(4)
(5)

5

Inhalt

Inhalt

1 Einleitung ... 7

2 Meinungsbildung in einer Mediengesellschaft ... 9

2.1 Die öffentliche Meinung als Konzept ... 9

2.1.1 Der sozialpsychologische Ansatz der öffentlichen Meinung ... 10

2.1.2 Der systemtheoretische Ansatz der öffentlichen Meinung ... 11

2.1.3 Der radikaldemokratisch-kommunikationstheoretische Ansatz der öffentlichen Meinung ... 11

2.1.4 Der liberaldemokratische Ansatz von öffentlicher Meinung ... 12

2.1.5 Resümee ... 12

2.2 Meinungsbildung und die Rolle der Medien ... 13

2.2.1 Meinungs- und Informationsfreiheit in Deutschland ... 14

2.2.2 Das duale Rundfunksystem und das Dilemma zweier ungleicher Konkurrenten ... 16

2.2.3 Mediennutzung und dessen Wirkung auf politisches Wissen ... 17

2.3.4 Medienwirkung und die Beeinflussung der Anderen ... 21

3 Die Boulevardisierung der Fernsehnachrichten... 25

3.1 Das Konzept der Boulevardisierung ... 25

3.2 Die Boulevardisierung der deutschen Fernsehnachrichten ... 29

3.3 Boulevardisierung als Strategie zur Informationsvermittlung ... 34

4 Methode und Korpus ... 39

4.1 Problematik zur Prüfung der Hypothesen... 39

4.2 Methodik zur Hypothese 1... 39

4.3 Methodik zur Hypothese 2... 41

4.3 Methodik zur Hypothese 3... 46

4.4 Korpus der Arbeit ... 48

5 Inhaltsanalyse ... 51

(6)

5.1.1 Boulevardthemengehalt in der Tagesschau ... 51

5.1.2 Boulevardthemengehalt in heute ... 52

5.1.3 Boulevardthemengehalt in RTL aktuell ... 52

5.1.4 Resümee... 53

5.2 Anteil der Boulevardstrategien in den Hauptnachrichtensendungen ... 53

5.2.1 Vorkommen von Boulevardstrategien in der Tagesschau ... 54

5.2.2 Vorkommen von Boulevardstrategien in heute ... 56

5.2.3 Vorkommen von Boulevardstrategien in RTL aktuell ... 59

5.2.4 Resümee der Boulevardstrategien in den drei Nachrichtensendungen ... 63

5.3 Informationsvermittlung in den Nachrichtensendungen ... 65

5.3.1 Zusammenhang zwischen Informationswert und Nachrichtensendung ... 66

5.3.2 Zusammenhang zwischen Boulevardisierungswert und Informationswert ... 67

6 Fazit und Ausblick ... 69

Literaturverzeichnis ... 71

Primärquellen... 71

Sekundärquellen ... 72

Anhang... 75

Ergebnisse des Analysedurchgangs 1 ... 75

(7)

7

1 Einleitung

1 Einleitung

Boulevardformate sind heute in allen Medien zu finden. Seinen Ursprung fand das Boulevard-format im Zeitungswesen. Mittlerweile ist es auch im Fernsehen keine Seltenheit mehr. Boule-vardstrategien finden verstärkt Anwendung in Nachrichtensendungen. Emotionalisierung und Personalisierung scheinen im Trend und drängen politische Themen aus dem Spektrum einer sachgerechten Berichterstattung.

Viele sehen darin eine starke Bedrohung für die öffentliche Meinung. Sehen in der Triviali-sierung der Nachrichten gar die demokratische Grundordnung bedroht. Zu Recht ist die Befürch-tung, dass das Mediensystem eine entscheidende Rolle in der Meinungsbildung der Bürger ein-nimmt. Wie groß der Einfluss der Boulevardformate dabei ist, bleibt in der Forschung jedoch umstritten.

Sowohl in der Wissenschaft, als auch aus gesellschaftlicher Sicht, scheint es eine klare Tren-nung zwischen Befürwortern und Gegnern von Boulevardformaten zu geben. Dabei wirft die eine Seite der anderen vor, mit ihren schwer verständlichen Nachrichten lediglich die Elite mit Informationen zu bedienen. Die andere Seite kontert mit der Behauptung, Boulevardmedien trie-ben die Entpolitisierung der Bürger voran und lenke diese vom Wesentlichen ab.

In dieser Debatte befürchten vor allem die Gegner einen großen Einfluss der Boulevardfor-mate auf die Rezipienten. Die Debatte ist dabei derart festgefahren, dass es kaum noch Bewe-gungen innerhalb der Forschung gibt. Vereinzelnd kommt es sogar zu Verschiebungen der Krite-rien um die These des ›schlechten Boulevardjournalismus‹ halten zu können.

Es kann aber nicht Zielsetzung der Wissenschaft sein, eine gefestigte Grenze stets aufs Neue nachweisen zu wollen. Vielmehr sollte versucht werden Platz für Gegenthesen einzuräumen und diese Sachgerecht zu prüfen. Nur wenige Wissenschaftler haben in den letzten Jahren versucht den negativen Kreis, der den Boulevardjournalismus umgibt, zu durchbrechen.

(8)

Antworten auf diese Fragen werden in den kommenden Kapiteln gesucht. Zunächst wird in Kapitel 2 darauf eingegangen, was die öffentliche Meinung ist, wie sie entsteht und welche Rolle die Medien bei ihrer Entstehung haben. Im dritten Kapitel steht die Boulevardisierung im Zent-rum und welchen Einfluss sie in den Fernsehnachrichten nimmt. In diesem dritten Kapitel wer-den auch die drei Hypothesen vorgestellt, die eine Antwort auf die Hauptfragestellung dieser Arbeit liefern sollen. Das vierte Kapitel beinhaltet die Erläuterung der Methodik und das Vor-stellen des verwendeten Korpus. Schließlich werden in Kapitel 5 die Ergebnisse der Analyse beschrieben und im abschließenden Kapitel 6 das Fazit präsentiert.

(9)

9

2 Meinungsbildung in einer Mediengesellschaft

2 Meinungsbildung in einer Mediengesellschaft

Die Kritik an den Massenmedien ist fast so alt wie die Massenmedien selbst. Die erste inhalts-analytische Studie schrieb John Gilmer SPEED 1893 mit dem Titel: Do newspapers now give the news? »Die Fragestellung mit dem leicht polemischen Unterton verweist auf den sozialkritisch-moralisierenden Ansatz der frühen Zeitungsanalysen. Anlass war eine allgemeine Besorgnis über die Trivialisierung der Zeitungsinhalte nach dem Aufkommen der Massenpresse.«1 Eine Besorg-nis, die es, mehr oder weniger, bis heute gibt. Dabei stellt sich die Frage, welche Gefahren eine angebliche Trivialisierung mit sich mitbringen würde. Und ob diese Gefahren wissenschaftlich tatsächlich zu erfassen sind.

Natürlich stützt sich die Medienkritik nicht ausschließlich auf den vor über einhundert Jah-ren verfassten Artikel des Amerikaners SPEED. Bis heute befassen sich Wissenschaftler aus ver-schiedenen wissenschaftlichen Bereichen mit dieser Thematik. In den folgenden Kapiteln wird näher auf diese Arbeiten eingegangen. Zunächst ist es jedoch von Bedeutung die Grundbegriffe zu klären, denn schon hier tauchen die ersten Probleme auf. Während es noch relativ leicht ist den Grundbegriff Demokratie2 zu definieren, wird es, wenn es um den Terminus öffentliche Meinung geht, schon um einiges schwieriger, denn: »Eine allgemein akzeptierte Definition von öffentlicher Meinung gibt es nicht.«3 Dabei nimmt gerade die öffentliche Meinung eine zentrale Rolle innerhalb einer Demokratie ein. Diese öffentliche Meinung ist die treibende Kraft inner-halb der Institution Demokratie. Doch was ist diese öffentliche Meinung und wie wird sie ge-formt?

2.1 Die öffentliche Meinung als Konzept

ErnstFRAENKEL sagt hierzu: »Die weit verbreitete Auffassung, Demokratie bedeute Herrschaft

der öffentlichen Meinung, ist eine jener schrecklichen Vereinfachungen, die nur allzu geeignet ist, das Verständnis für die öffentliche Meinung zu erschweren und die Missverständnisse über die Demokratie zu vertiefen.«4 Zwar räumt er ein, dass die öffentliche Meinung inzwischen als ein unentbehrlicher Faktor für die politische Willensbildung anerkannt ist, dass sich in ihr aber

1

Winfried Schulz: "Inhaltsanalyse". In: Elisabeth Noelle-Neumann, Winfried Schulz und Jürgen Wilke (Hg.): Fi-scher Lexikon. Publizistik Massenkommunikation.. Frankfurt a.M.: S.FiFi-scher Verlag 2002, S.43f.

2

Zugegeben, liegen auch die Definitionen einer Demokratie weltweit weit auseinander. In dieser Arbeit wird De-mokratie als eine Staatsform verstanden in der das Volk eine repräsentative Volksvertretung in geregelten Abstän-den wählt, wie es in Deutschland und Abstän-den meisten europäischen Staaten er Fall ist.

3

Ulrich Sarcinelli: Politische Kommunikation in Deutschland. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S.57.

4

(10)

der Gemeinwille, »dessen Realisierung den Wesensgehalt der Politik ausmache«5 manifestiere, weist FRAENKEL als unzutreffend zurück.

Das heißt, dass die Vorstellung, öffentliche Meinung sei lediglich eine Addition von Ein-zelmeinungen, eine missverständliche Vereinfachung ist. »Denn in ihr manifestieren sich nicht automatisch Meinungen und Wünsche des Volkes.«6 Verschiedene Faktoren tragen zur Entste-hung der öffentlichen Meinung bei. Und genau hierin liegt das Problem. Wissenschaftler sind sich nicht einig wie dieser Prozess genau vor sich geht. Es gibt verschiedene Ansätze, die alle-samt Erklärungsversuche liefern.

2.1.1 Der sozialpsychologische Ansatz der öffentlichen Meinung

Der sozialpsychologische Ansatz sieht öffentliche Meinung als »das unbewußte Bestreben von in einem Verband lebenden Menschen, zu einem gemeinsamen Urteil zu gelangen, zu einer Übereinstimmung, wie sie erforderlich ist, um handeln und wenn notwendig entscheiden zu kön-nen«.7 Um sich eine Meinung bilden zu können, greift der Mensch dabei auf zwei Quellen zu-rück. Zum einen das direkte soziale Umfeld. Das heißt, Familie, Freunde oder auch Kollegen und Bekannte. Zum anderen aber auch das massenmedial vermittelte Bild.

In dieser Theorie erhält das Konzept der sogenannten Schweigespirale eine ganz besondere Rolle. Sie geht davon aus, dass Menschen ihre eigene Meinung nicht einfach so verkünden, son-dern dies nur dann tun, wenn sie glauben, dass ihre Meinung gerade Konjunktur hat. Der Grund dafür liegt in der von Natur aus anwesenden Isolationsfurcht des Menschen. »Durch ein ›quasi-statistisches‹ Wahrnehmungsorgan besitzt der Mensch die Fähigkeit, in seiner Umwelt die Zu- und Abnahme von Meinungsverteilungen zu bestimmten Themen zu registrieren. Aufgrund einer – als sozialpsychologischen Konstante unterstellten - ›Isolationsfurcht‹ werden eigene Meinun-gen verschwieMeinun-gen, wenn sie dem wahrMeinun-genommenen ›Meinungsklima‹ nicht entsprechen.«8

Besonders beliebt ist das Konzept der Schweigespirale deshalb, weil es »einen plausiblen Erklärungsrahmen für mögliche politische Einflüsse der Massenmedien liefert«.9 Es erklärt den möglichen Graben zwischen der Meinung der Bevölkerung und der veröffentlichen Meinung in den Massenmedien. NOELLE-NEUMANN nennt dies ein doppeltes Meinungsklima.10 Es sei

5 Ebd. 6 Ebd., S.58. 7

Ebd., S.60. Zitiert nach: Noelle-Neumann 2002a: S.393.

(11)

11

2 Meinungsbildung in einer Mediengesellschaft

nach möglich, dass ein Thema in den Massenmedien eine besonders starke Gewichtung be-kommt und der Bevölkerung daher als vorherrschende Meinung erscheint.

Das Konzept der Schweigespirale erscheint vielen Wissenschaftlern sogar so plausibel, dass es trotz anhaltender Kritik über fehlende empirische Ergebnisse weiterhin in der Forschung als eine bedeutende Theorie wahrgenommen wird.11 Einen andren Aspekt bringt Niklas LUHMANN

mit seinem systemtheoretischen Ansatz zum Tragen.

2.1.2 Der systemtheoretische Ansatz der öffentlichen Meinung

Er weist den Massenmedien »im Prozess politischer Meinungsbildung die Rolle von eher passi-ven Verbreitungsorganen zu«.12 »Nach seinem systemtheoretischen Verständnis erfordert die allen modernen Gesellschaften eigene, hohe funktionale Differenzierung zur Vermeidung von Überkomplexität unweigerlich Selektionszwang.«13 Seiner Theorie zufolge setzt sich die öffent-liche Meinung also nicht mit dem auseinander, was gerade in den entscheidungsbefugten Instan-zen relevant ist, sondern mit dem, was sich durch bestimmte Aufmerksamkeitsregeln tatsächlich durchsetzt. Als Aufmerksamkeitsregeln nennt LUHMANN zum Beispiel »die Neuigkeit von Er-eignissen, der Status des Absenders, Kriterien des Erfolges, Krisen oder Krisensymptome etc.«14

Die öffentliche Meinung sorgt also dafür, dass bestimmte Themen einen Platz im öffentli-chen Diskurs bekommen und gleichzeitig, dass die Problemkomplexität reduziert wird, »so dass die an sich nicht überschaubaren politischen Schachverhalte durch Vereinfachung nachvollzieh-bar und damit überhaupt erst entscheidungsfähig gemacht werden.«15

2.1.3 Der radikaldemokratisch-kommunikationstheoretische Ansatz der öffentlichen Mei-nung

Jürgen HABERMAS brachte in den 80er-Jahren die Idee, die öffentliche Meinung sei eine Art Kontrollorgan der politischen Machthaber. »Er vertritt […] einen Öffentlichkeitsbegriff auf der Basis deliberativer Demokratie. Deliberative Politik ›setzt auf die gemeinsame politische Betei-ligung handelnder Menschen, anstatt politisches Denken und Handeln elitären Institutionen […] zu überlassen‹.«16

Inzwischen hat HABERMAS sich von seinen Vorstellungen distanziert. Sein

11 Ebd., S.60 12 Ebd., S.62 13 Ebd., S.61 14 Ebd. 15 Ebd., S.62 16

(12)

Totalitätskonzept von Gesellschaft und gesellschaftlicher Selbstorganisation sei fragwürdig ge-worden, so HABERMAS.17 Um einiges einleuchtender ist dafür der liberaldemokratische Ansatz. 2.1.4 Der liberaldemokratische Ansatz von öffentlicher Meinung

Dieser Ansatz sieht, im Gegensatz zum radikaldemokratischen Ansatz, keine allzeit aktive Öf-fentlichkeit. »So fragt der Soziologe RalfDAHRENDORF […] grundsätzlich nach dem

konstitutio-nellen Sinn einer aktiven Öffentlichkeit unter Beteiligung aller Bürger.«18 Gerade in einer De-mokratie, wie sie in Deutschland vorzufinden ist, in der vor allem Parteien und Verbände die öffentliche Meinung mit einem »starken Eigengewicht« prägen, ist die Vorstellung von einem »freien Bürger« kaum zu halten. »Die Öffentlichkeit besteht danach nicht aus einer Menge gleich motivierter und in gleicher Weise teilnahmeorientierter Individuen. Vielmehr sei zu unter-scheiden zwischen einer ›latenten‹ Öffentlichkeit, einer ›passiven‹ Öffentlichkeit und einer ›akti-ven‹ Öffentlichkeit.«19

Lediglich die aktive Öffentlichkeit nehme regelmäßig am politischen Prozess teil. »Nach DAHRENDORF ist die Nichtteilnahme an der Politik sogar innerhalb gewisser Grenzen tragbar und geradezu wünschenswert. Für die Aufrechterhaltung marktorientierter Verhältnisse in einem demokratischen Gemeinwesen entscheidend sei vielmehr die Wechselbeziehung zwischen einer offenen, Vielfalt repräsentierenden und zur Erzeugung politischer Initiative fähigen, ›aktiven‹ Öffentlichkeit einerseits und der ›passiven‹ Öffentlichkeit anderseits.«20

2.1.5 Resümee

Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass es sich bei der öffentlichen Meinung nicht um ein bloßes Zusammentragen von individuellen Meinungen handelt, sondern dass bei der Bildung der öffentlichen Meinung verschiedene Faktoren zum Einsatz kommen.

(13)

13

2 Meinungsbildung in einer Mediengesellschaft

nicht zum Tragen kommt. Erst durch ein gravierendes Ereignis oder eine Aussage eines renom-mierten Absenders kann diese Meinung den Weg in den Diskurs finden und letztlich zur öffent-lichen Meinung werden.

Dass bei diesem Prozess nicht alle Bürger im gleichen Maße teilnehmen, war lange Zeit in-nerhalb der Forschung nicht vollständig akzeptiert. Dabei sollte jedoch deutlich sein, dass ein theoretisches Modell, das davon ausgeht, dass alle Bürger gleichermaßen zum politischen Ge-schehen und damit zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, eher eine Utopie ist, als eine Beschreibung der Realität. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Akteure innerhalb einer Gesell-schaft verschiedene Positionen und Rollen einnehmen. Eine aktive Gruppe, die aktiv am politi-schen Entscheidungsprozess und damit mehr oder weniger an der Umsetzung der öffentlichen Meinung beiträgt. Eine passive Gruppe, die zwar nicht aktiv teilnimmt, sich jedoch informiert und ihren Beitrag am Gestaltungsprozess der öffentlichen Meinung liefert. Und zuletzt eine la-tente Gruppe, die weder am politischen Geschehen, noch am Prozess der Bildung einer öffentli-chen Meinung beiträgt.

Für den weiteren Verlauf dieser Arbeit ist das Konzept der öffentlichen Meinung und vor allem die Positionen verschiedener Menschen innerhalb der Gesellschaft und damit im Prozess der Bildung dieser öffentlichen Meinung von großer Bedeutung. Bei der Beurteilung von Medien und deren Rolle im Meinungsbildungsprozess kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Bürger das gleiche Informationsbedürfnis haben und sie in gleicher Weise am öffentlichen Dis-kurs teilnehmen. Bei der weiteren Betrachtung der Medienlandschaft und des Konsums dieser Medien muss dieser Faktor mit einfließen, da die Untersuchung sonst auf einer fehlerhaften Grundlage stützt.

2.2 Meinungsbildung und die Rolle der Medien

Im vorigen Abschnitt ist der Medienbegriff bereits an so mancher Stelle mit eingeflossen. Es ist so gut wie unmöglich, das Thema öffentliche Meinung in einer Demokratie der heutigen Zeit zu besprechen, ohne dabei die Rolle der Medien mit in Augenschein zu nehmen. »In der Welt des 21. Jahrhunderts ist jede Demokratie zwangsläufig eine ›Mediendemokratie‹.«21

Das heißt, dass die Medien innerhalb einer Demokratie eine vitale Rolle einnehmen. Sie dienen zum einen als »Markplatz der Ideen« und zum anderen durch ihre kontrollierende Rolle als »Beschränkung von

21

(14)

Macht«.22 Doch wie funktionieren diese Funktionen und erfüllen die Medien ihre Rolle innerhalb der demokratischen Ordnung überhaupt noch?

2.2.1 Meinungs- und Informationsfreiheit in Deutschland

Bereits die Gründerväter der bundesdeutschen Verfassung erkannten, vor allem auf Wunsch der Alliierten, die hohe Bedeutung der Pressefreiheit. Sie zogen ihre Lehren aus dem Medienmiss-brauch, den die Nationalsozialisten in den dreißiger und vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts betrieben. Dabei ist nicht zu vergessen, dass die Basis für diesen Missbrauch, nämlich die Ver-staatlichung aller Medien, bereits in der Weimarer Republik, also in einer demokratischen Grundordnung, gelegt wurde.23 Die Gründerväter stellten die Pressefreiheit unter anderen des-halb unter einen besonderem Schutz. In Artikel 5 Abschnitt 1 des Grundgesetzes heißt es:

»Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbrei-ten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichverbrei-ten.

Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.«24

Dem in diesem Artikel verankerten Grundrecht der Meinungs- und Informationsfreiheit kommt eine Art »Doppelcharakter« zu. »Es ist zum einen individuelles Abwehrrecht gegenüber staatli-chem Einfluss. Zum anderen schützt es als ›Institutsgarantie‹ auch alle jene Einrichtungen und Institutionen vor staatlichen Zugriffen, die den Prozess der Meinungsbildung publizistisch erst ermöglichen, also Presse und Rundfunk.«25

Das heißt aber nicht, dass die Medienlandschaft in Deutschland frei ist von politischen flüssen. Politische und gesellschaftliche Akteure sind ständig darum bemüht, einen hohen Ein-fluss auf die Medien auszuüben und diese gleichzeitig auch in ihrem Vorteil zu nutzten.26 Bereits in den 1950er-Jahren kam aus der Politik die Forderung neben der ARD ein zweites Programm zu gründen, das vor allem für politische Zwecke instrumentalisiert werden sollte. Es wurde zu einer Art Prestigeprojekt des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer, dass er aber nicht nach seinen Vorstellungen abschließen konnte. Zu groß war der Wiederstand der Länder. Schließlich stellte das Bundesverfassungsgericht am 28. Februar 1961 im ersten Fernsehurteil fest:

22

Ebd.

23

Helmut Schanze (Hg.): Handbuch der Mediengeschichte. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag 2001, S.173f.

24

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Stand: September 2010. Berlin: Deutscher Bundestag 2010, S16. https://www.btg-bestellservice.de/pdf/10060000.pdf (27.06.2011)

25

Ulrich Sarcinelli: op. cit. S.65.

26

(15)

15

2 Meinungsbildung in einer Mediengesellschaft

»neben der Presse ist der Rundfunk ein mindestens gleich bedeutsames, unentbehrliches modernes Massenkommunikationsmittel. Der Rundfunk ist nicht nur Medium, sondern auch Faktor der öffentlichen Meinungsbildung.«27

Damit stellte das Bundesverfassungsgericht die hohe Bedeutung des Rundfunks klar und legte fest, dass die Kompetenz zur Gründung eines zweiten Programms nicht beim Bund, sondern bei den Ländern liege. Eine logische Konsequenz, da Entscheidungen im kulturellen und im Bil-dungsbereich Ländersache sind. Gut drei Monate später unterzeichneten die Ministerpräsidenten der Länder den Staatvertrag zur Gründung des Zweiten Deutschen Fernsehens.28

Sowohl die ARD als auch das ZDF wurden als öffentlich-rechtliche Anstalten ausschließlich mit den Rundfunkgebühren finanziert. Deren Höhe von der Politik bestimmt wurde. Bereits im Jahr 1969 zeichneten sich für das ZDF finanzielle Probleme ab. Durch die Finanzkriese in den 1970er-Jahren geriet neben dem ZDF nun auch die ARD in Schieflage. Es kam zu großen struk-turellen Veränderungen. Neben Veränderungen im Programm, wie die Verkürzung der Sendezeit und einen größeren Widerholungsanteil, war vor allem die Kommerzialisierung der Sender eine schwerwiegende Neuerung. Neben den Einnahmen durch Gebühren kamen nun auch Werbeein-nahmen für die Anstalten hinzu. Im Jahr 1978 beschlossen die Ministerpräsidenten der Länder Kabelprojekte einzurichten. Die ›Verkabelung‹ der Haushalte sollte es ermöglichen mehr Sender zu empfangen. Dies wurde zur technischen Geburtsstunde des dualen Rundfunksystems.29

Das Jahr 1984 kann als eigentliches Geburtsjahr des dualen Rundfunks gesehen werden, auch wenn die ersten Jahre nur als Testjahre galten. Sowohl RTL, als auch Sat.1 begannen ihre Ausstrahlung in diesem Jahr. Dabei hatte das luxemburgische RTL einen klaren Vorteil. Es war über Kabel zu empfangen. Sat.1 dahingegen, war zunächst nur mit einer Satellitenschüssel zu sehen. Beide Sender bekleideten ihr Programm anfangs mit Kaufproduktionen, vor allem aus den USA. Erst Anfang der 1990er-Jahre konnten die privaten Sendeanstalten ihre finanzielle Lage deutlich verbessern. Dies begünstigte die Zahl der Eigenproduktionen. Zugleich verfolgte RTL das Prinzip des sogenannten stripping, bei dem jeden Tag um dieselbe Zeit das gleiche Sende-format zu sehen war. Das sollte die Orientierung der Zuschauer ohne Programmzeitschrift er-leichtern. Dieses Prinzip wurde auch von den öffentlich-rechtlichen Anstalten übernommen und wird bis heute von sowohl öffentlich-rechtlicher, als auch von privater Seite praktiziert.30

27

Helmut Schanze (Hg.): op. cit. S.501f. Zitiert nach: H. Bausch, 1980, S.436.

(16)

Mit dem Einsetzten der Dualisierung der westeuropäischen Rundfunksysteme in den 1980er-Jahren versprach man sich mehr Wettbewerb und das in vielerlei Hinsichten. Dieser Wunsch nach mehr Wettbewerb wurde zum hauptsächlichen Legitimationsargument der Dualisierung. »Zugleich war die Idee eines geordneten Wettbewerbs wegleitend, um staats-, partei-, wirt-schafts- und kulturpolitische Interessen allesamt mittels Rundfunk durchsetzen zu können.«31 Mit diesem Ziel vor Augen wurden dem etablierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk nun kom-merzielle Gegner an die Seite gestellt. Gegner die unterschiedlicher nicht sein konnten.

2.2.2 Das duale Rundfunksystem und das Dilemma zweier ungleicher Konkurrenten

Beim dualen Rundfunksystem handelt es sich, wie das Wort dual bereits aussagt, um eine Zwei-heit. Im Grunde genommen zwei Systeme, die gemeinsam das duale Rundfunksystem bilden. Bei einem Vergleich dieser Systeme ist deshalb auch immer zu beachten, dass es sich um einen Vergleich über Systemgrenzen hinweg handelt.

Beide Mediensysteme arbeiten innerhalb eines kapitalorientieren Marktes, der wiederum in zwei Hauptmärkte aufzuteilen ist. Zum einen der Publikumsmarkt, in dem es darum geht so viel wie möglich Zuschauer für die eigenen Sendungen zu gewinnen. Der Philosoph und Fernsehkri-tiker Pierre BOURDIEU nannte dies kritisch: »die Diktatur der Einschaltquoten«.32 Zum anderen der Werbemarkt, in dem es darum geht Unternehmen davon zu überzeugen, möglichst viel Wer-bezeit einzukaufen.33

Den öffentlich-rechtlichen Anstalten sind auf dem Werbemarkt jedoch enge Grenzen gesetzt. Sie dürfen lediglich eine stark begrenzte Menge ihrer Sendezeit für Werbezwecke nutzen. Wich-tige Einnahmequelle bleiben die Gebühren. Ganz anders ist die Situation für die privaten Sende-anstalten. »Gebühren sind ihnen verwehrt, dafür ist auch der publizistische Leistungsanspruch an sie viel geringer und der Werbemarkt für sie unvergleichlich offener. Für sie gibt es gar keine andere Option als aktives unternehmerisches Verhalten im Sinne optimaler Markterschießung, d.h. Kostenminimierung und Nachfragemaximierung.«34

Damit entsteht ein Dilemma, das vor allem den öffentlich-rechtlichen Sendern große Prob-leme bereitet. Beide Rundfunksysteme spielen sowohl auf dem Publikumsmarkt, als auch auf dem Werbemarkt nach kapitalorientierten Regeln. Die privaten Anstalten sind von je her an die-se Regeln angepasst und können deren Spielraum völlig ausnutzten. Die öffentlich-rechtlichen

31

Ulrich Saxer: »Medientransformationen – Bilanz nach einem Jahrzehnt dualen Rundfunk in Deutschland« In: Walter Hömberg/Heinz Pürer (Hg.): Medien-Transformation. Konstanz: UVK Medien 1996, S.28.

32

Pierre Bourdieu: Über das Fernsehen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998, S.22.

33

Ulrich Saxer: op. cit. S.29.

34

(17)

17

2 Meinungsbildung in einer Mediengesellschaft

Anstalten können die Regeln des Marktes nicht nach eigenem Vermögen nutzen, müssen aber auf dem Publikumsmarkt im gleichen Maße wie die privaten um die Gunst der Zuschauer rin-gen.35

Diese fundamental unterschiedlichen Positionen, die die beiden Rundfunksysteme auf dem Markt einnehmen, sind damit auch entscheidend für deren Funktion innerhalb der Gesellschaft. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits 1961 feststellte, nimmt der Rundfunk eine bedeutende gesellschaftliche Funktion ein. Die SPD befürchtete, dass durch die Einführung des privaten Rundfunks diese Funktion verloren ginge und legte 1986, noch während der Testjahre, eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht ein. Dieses entschied am 4. November desselben Jahres, »daß kommerzielle, ausschließlich durch Werbung finanzierte Programme zu-lässig waren und die Vielfaltsforderung an ihre Angebote geringer sein konnten als bei der öf-fentlich-rechtlichen Konkurrenz«.36 Die öffentlich-rechtlichen Anstalten blieben verantwortlich »für die Grundversorgung der Bevölkerung mit Informationen, Bildung, Kultur- und Minderhei-tenprogrammen«.37 Dieses Urteil wurde zur gesetzlichen Grundlage auf dem der 1987 geschlos-sene Rundfunkstaatsvertrag beruht. Dieser legt die gesetzliche Basis des dualen Rundfunksys-tems.

Stark vereinfacht ist der Graben zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem privaten Rundfunk der gleiche Graben der die Grundversorgung vom Infotainment trennt. Die Idee hinter dem dualen Rundfunksystem bestand darin, dass man annahm, »daß beide Teilsysteme sich die Waage halten könnten«.38 Wenn zwei Systeme aber derart eng zusammenwirken, kann es nur eine Frage der Zeit sein, bis dieser Graben erstmals überschritten wird. Bereits Ende 1992 kamen durch strukturelle Verschiebungen die ersten Zweifel auf ob eine Trennung der Grundversorgung vom Infotainment auf Dauer zu halten ist.39 Entscheidend wird die Frage sein, wie bewusst sich Mediennutzer von der Existenz dieses Grabens sind und ob seine Existenz in der Medienland-schaft des 21. Jahrhunderts überhaupt noch relevant ist.

2.2.3 Mediennutzung und dessen Wirkung auf politisches Wissen

Um eine Antwort auf diese Fragen finden zu können, muss ein Indikator formuliert werden, mit dem es möglich ist, die Auswirkungen von Mediennutzung auf den Mediennutzer zu bestimmen. Für die Forschung und auch für diese Arbeit ist die Frage nach dem Informationsangebot der

35

Ebd. S.29f.

36

Knut Kickethier: Geschichte des deutschen Fernsehens. Stuttgart/Weimar: Metzler 1998, S.417.

(18)

Massenmedien und die Informationsverarbeitung der Nutzer dieser Massenmedien entscheidend. Der Meinungsbildungsprozess innerhalb einer westlichen Demokratie wird vom Informationsan-gebot über politische Strukturen, politische Akteure und zentrale politische Themen geprägt.40

Dafür ist es aber von großer Bedeutung zu bestimmen was ein Bürger über Politik wissen muss. Das ist eines der Hauptprobleme auf diesem Gebiet. Es besteht »in der Literatur keine Ei-nigkeit darüber […], welche Kenntnisse unverzichtbar sind, um sich in der Welt der Politik zu-rechtzufinden«.41 In den USA sind bereits einige Studien zu diesem Thema durchgeführt, in Deutschland sind Untersuchungen dieser Art rar.42

Die Ergebnisse der amerikanischen Studien43 werfen kein gutes Licht auf das politische Wissen der Bürger. In diesen Studien werden die Bürger als »know-nothings« und »cognitive misers« beschrieben.44 »Zwar zeigen internationale Vergleiche, dass US-Bürger in aller Regel über geringere Politikkenntnisse verfügen als Einwohner anderer westlicher Demokratien. Aller-dings ist das politische Wissen auch in anderen Ländern stark limitiert. In Deutschland etwa kannten im Umfeld der Bundestagswahl 2002 nur etwas mehr als die Hälfte der Bundesbürger die korrekte Anzahl der Bundesländer […].«45

In der Forschung herrschen zwei Theorien vor, die sich mit der Auswirkung von Mediennut-zung und dem politischen Verständnis auseinandersetzten. Zum einen ist das die Kultivierungs-theorie. Sie geht davon aus, »dass häufiger Konsum bestimmter Medienangebote (z.B. Fernseh-serien) die Weltbilder ihrer Nutzer im Sinne der Medienrealität beeinflusst«.46 Zum anderen ist das die Knowledge-Gap-Theorie. Sie besagt, »dass soziale Faktoren (z.B. Bildung und/oder so-zio-ökonomischer Status) eine unterschiedliche Mediennutzung und damit einen unterschiedli-chen Wissenserwerb bedingen, der über die Zeit hinweg zu größer werdenden Wissensklüften zwischen Segmenten der Gesellschaft führt«.47

Diese Wissensklüfte wurden 2009 in einer Studie48 untersucht, in der nachgewiesen wurde, dass »die Bevölkerungen in Ländern mit einem primär öffentlich-rechtlich geprägten Fernseh-system (hier: Dänemark und Finnland) gegenüber der Bevölkerung in den USA, in der das

40

Jürgen Maier: »Was die Bürger über Politik (nicht) Wissen« In: Frank Marcinkowski/Barbara Pfetsch (Hg.): Poli-tik in der Mediendemokratie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009, S.393.

41

Ebd. S394.

42

Ebd.

43

U.A. Hyman/Scheatsley (1947) und Fiske/Taylor (1984).

44

Jürgen Maier: op. cit. S.393.

45

Ebd. S.398.

46

Uli Gleich: »Wirkung von Medien auf (Welt-)Wissen« In: Media Perspektiven 10/2010. S.493.

47

Ebd.

48

(19)

19

2 Meinungsbildung in einer Mediengesellschaft

sehsystem fast ausschließlich privat und kommerziell organisiert ist, in Wissenstest bessere Leis-tungen erzielte«.49 Zudem waren die Wissensklüfte zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen in den öffentlich-rechtlich geprägten Ländern ebenfalls kleiner.

Aber auch die Kultivierungstheorie findet in verschiedenen Studien ihre Bestätigung. »So hielten etwa Personen, die Reality-Shows anschauten, die ›Liebe auf den ersten Blick‹ oder den ›Erfolg aus dem Nichts‹ im echten Leben für wahrscheinlicher als Personen, die solche Formate vorher nicht rezipiert hatten.«50 Vielseher der US-amerikanischen Krankenhausserie Grey’s Ana-tomy fühlten sich im Durchschnitt bei ihren eigenen Ärzten besser und sicherer aufgehoben als gelegentliche Seher.51 Ein weiteres Indiz für die Kultivierungstheorie ist es, dass nachgewiesen werden konnte, dass all diese Effekte bei den Mediennutzern nicht auftreten, wenn sie »explizit einen Hinweis darauf erhalten, dass Reality-TV keineswegs die Wirklichkeit abbildet«.52

In einer Vielzahl von Studien konnten sowohl die Knowledge-Gap-Theorie als auch die Kul-tivierungstheorie nachgewiesen werden. Wenn es darum geht, die genauen Ursachen für diese Effekte zu finden, wird im öffentlichen Diskurs häufig mit dem Finger auf die Massenmedien gezeigt. Dieser Zusammenhang liegt zwar auf der Hand, ist allerdings wissenschaftlich nicht zu halten. CARPINI (2005) konstatiert: »The evidence strongly suggests that Americans are about as

informed about politics today as they were 50 years ago.«53 Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch die Untersuchung von KARP (2006), denn auch in Deutschland kann das politische Wissen seit dem Zweiten Weltkrieg als stabil bewertet werden.54

Für den Erwerb von politischem Wissen, das wie bereits gesagt in erster Linie über die Mas-senmedien geschieht, können die Medien also nicht alleine für verantwortlich gehalten werden. Denn dann müsste vor allem in europäischen Ländern seit der Dualisierung der Rundfunksyste-me ein Rückgang des politischen Wissens zu beobachten sein. Es müssen also andere Faktoren mitspielen, die die Fähigkeit politisches Wissen über die Massenmedien zu erlangen begünstigen oder auch erschweren.

CARPINI und KEETER (1996) führen hierzu drei Kategorien ein. Es handelt sich hierbei um Gelegenheitsstrukturen, individuelle Fähigkeiten und persönliche Motivation.55 Unter

49

Uli Gleich: op. cit. S.493.

50 Ebd. 51 Ebd. S.496. 52 Ebd. 53

Jürgen Maier: op. cit. S.399. Zitiert nach: Carpini 2005, S.30.

54

Ebd.

55

(20)

heitsstrukturen »wird in erster Linie die Beschaffenheit der medialen Umwelt« verstanden.56 Also inwiefern ein Bürger Zugriff zu verschiedenen Medien hat. So sind Bürger, die in einer Region mit einer hohen Medienkonzentration leben, »in der Lage mehr politische Probleme zu benennen bzw. verfügen über mehr Wahlkampfinformationen als Bürger in Regionen, die sich durch einen schwachen Medienwettbewerb auszeichnen«.57 Zweifel an dieser Wirkung meldet jedoch eine Experimentalstudie, die das politische Wissen von Bürgern aus zwei amerikanischen Landkreisen miteinander verglich. »Während ein Teil der Bürger acht Monate auf die Lokalzei-tung verzichten musste, da diese aufgrund eines Streiks nicht erschien, konnten die Bürger des anderen Landkreises wie gewohnt die lokale Tageszeitung nutzen.«58 Der lokalpolitische Kennt-nisstand unterschied sich in beiden Gruppen jedoch nicht.

Dieses kontrastierende Ergebnis bedeutet aber nicht, dass die Einteilung in diese drei Kate-gorien fehlerhaft ist. Vielmehr ist dies als eine Bestätigung der Zusammenwirkung der drei Ka-tegorien zu verstehen. Denn durch die anderen beiden KaKa-tegorien ist ein Bürger durchaus in der Lage, sein Wissen bei einem Ausfall eines Teils des Medienangebots zu kompensieren. Die indi-viduellen Fähigkeiten umfassen »a fairly wide range of skills, talents, and attributes, from physi-cal (the ability to see and hear, for example) to the cognitive (the ability to process and retain information) to the social (the ability of read and write)«.59 So weisen Bürger mit einem höheren Bildungsstand »einen effizienteren Umgang mit denen durch die Medienumwelt bereitgestellten Informationen« auf.60 Zudem begünstigt Bildung »einige für die Versorgung mit Politikwissen relevante Aspekte der sozialen Umwelt von Bürgern wie z.B. die Komposition von sozialen Netzwerken. Bildung stimuliert auch motivationale Faktoren wie z.B. das politische Interesse, das wiederum in engem Zusammenhang mit dem politischen Wissen steht.«61

Die letzte Kategorie, die motivationalen Faktoren, beinhalten verschiedene Faktoren, die die individuelle Bereitschaft ergeben, sich mit politischen Themen auseinander zu setzten.62 Auch hier spielt die Bildung eine große Rolle, denn durch Bildung können motivationale Faktoren hervorgerufen werden. Aber in dieser Kategorie können auch bildungsunabhängige Faktoren

56 Ebd. 57 Ebd. 58 Ebd. 59

Ebd. S.401. Zitiert nach: Carpini/Keeter 1996, S.106.

(21)

21

2 Meinungsbildung in einer Mediengesellschaft

mitwirken, wie z.B. »das subjektive politische Kompetenzgefühl, internalisierte Bürgerpflicht aber auch die Häufigkeit der interpersonalen Kommunikation über Politik«.63

Alle drei Kategorien wirken also gemeinsam auf die Rezeption von Informationen aus den Medien und beeinflussen damit auch die Wahl, welche Medien ein Nutzer zum Erlangen von Informationen wählt. Das Verarbeiten von Informationen aus Printmedien verlangt beispielswei-se hohe kognitive Fähigkeiten, was Bürgern mit hoher Bildung entgegen kommt. Wobei das Fernsehen dahingegen als »knowledge leveler« gesehen wird.64 »Schließlich werden TV-Signale doppelt codiert – einmal als verbale und einmal als visuelle Information, was sich wiederum günstig auf die Aufrufbarkeit von Informationen niederschlagt.«65

Die Anwesenheit eines Knowledge Gap zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb einer Gesellschaft ist vielmehr vom Stand der Bildung der einzelnen Gruppen anhängig, als vom Ein-fluss des Mediensystems. »Allerdings bieten öffentlich-rechtliche Systeme […] die günstigeren Rahmenbedingungen, um vorhandene Informationsinteressen bzw. –bedürfnisse zu befriedi-gen.«66 Seit der Dualisierung des Mediensystems und dem Aufkommen des Internets, haben »Rezipienten, die sich nicht für Politik interessieren, […] deutlich mehr Möglichkeiten als in früheren Jahren, sich von politischen Inhalten ab- und Unterhaltungssendungen zuzuwenden. Gleichzeitig können sich politikaffine Bürger nun effizienter mit Nachrichten versorgen als vor der flächendeckenden Verfügbarkeit von Kabelfernsehen und Internet.«67 Die Sorge, das duale Rundfunksystem, und darin vor allem die privaten Sender, könnten einen negativen Einfluss auf das politische Wissen der Bürger haben, konnte in verschiedenen Studien nur partiell nachgewie-sen werden. Der Faktor Bildung, die Fähigkeit und die Motivation, sich mit politischen Themen auseinanderzusetzen ist laut vorhandener Studien am entscheidendsten für die Wahl, welche In-formationsangebote ein Rezipient für sich wählt. Dennoch bleibt die Diskussion über mögliche schlechte Effekte des Mediensystems auf den Mediennutzer nach wie vor lebendig.

2.3.4 Medienwirkung und die Beeinflussung der Anderen

Einen Erklärungsversuch, wieso trotz mangelhafter empirischer Beweise das Mediensystem für fehlende politische Kenntnisse für verantwortlich gehalten wird, versucht man mit dem Third-Person-Effekt zu finden. Dieser Effekt wurde erstmals von W. PHILLIPS DAVISON (1983)

63 Ebd. 64 Ebd. 65 Ebd., S.403 66

Uli Gleich: op. cit. S.494.

67

(22)

schrieben.68 Der Third-Person-Effekt geht davon aus, dass Menschen dazu neigen, »die Wirkung der Massenmedien auf andere für stärker zu halten als die Wirkung auf sich selbst«.69

Der Third-Person-Effekt beschreibt allerdings nicht die tatsächliche, sondern die wahrge-nommene Wirkung der Massenmedien auf den Rezipienten.70 In den vorgenommenen Studien wurde deshalb vor allem geprüft, wie Rezipienten die Wirkung massenmedialer Einflüsse auf sich selbst und auf andere einschätzen. In der vorliegenden Studie von BROSIUS/ENGEL (1997) konnte, wie auch in fast allen anderen vorhergehenden Studien, der Third-Person-Effekt nach-gewiesen werden.71 Daher ist davon auszugehen, »daß wir es hier mit einem stabilen Phänomen öffentlicher Meinung zu tun haben«.72

Die Befragten wurden zu vier Kategorien befragt: Fernsehwerbung, Wahlwerbung, Musik-sendungen im Radio und Fernsehnachrichten. Auf einer Skala von 1 bis 7 (1 = beeinflusst mich/andere gar nicht; 7 = beeinflusst mich/andere sehr stark) mussten die Befragten angeben, inwiefern sie glauben, dass die jeweilige Kategorie sie und andere beeinflusst. In allen vier Ka-tegorien schätzten die Unterfragten den Einfluss auf andere stärker ein als den Einfluss auf sich selbst, allerdings in unterschiedlicher Stärke. Am höchsten war die Differenz bei den Kategorien Fernsehwerbung und Wahlwerbung. Weniger stark war die Differenz bei Musiksendungen im Radio und am geringsten bei Fernsehnachrichten.73 Das hat damit zu tun, dass bei Sendungen mit einer hohen Glaubwürdigkeit eine Beeinflussung durch das Medium als weniger schlimm angesehen wird und der Rezipient damit eine Beeinflussung auf sich selbst eher zugesteht. Er schätzt zwar auch dann die Beeinflussung anderer höher ein, die Differenz fällt dadurch aber geringer aus.74

Interessant wird es dann, wenn in der Studien die Fragestellung so umgedreht wird, dass eine Beeinflussung des Mediums als wünschenswert erscheint. Wenn also gefragt wurde, inwiefern die Befragten sich aus den vier Kategorien »Ideen holen«, drehte sich bei den Fernsehnachrich-ten der Third-Person-Effekt sogar um. Eine positive Wirkung der FernsehnachrichFernsehnachrich-ten auf sich selbst schätzten die Unterfragten mit einem Schnitt von 5,07 ein. Während sie im positiven Fall

68

Hans-Bernd Brosius und Dirk Engel: »›Die Medien beeinflussen vielleicht die anderen, aber mich doch nicht‹: Zu den Ursachen des Third-Person-Effekts«. In: Publizistik. 3/1997, S.325.

69

Ebd.

70

Ebd.

71

Nur in der 1988 ausgeführten Studie von Glynn/Ostman konnte der Third-Person-Effekt nicht nachgewiesen wer-den.

72

Ebd. S.326.

73

Vgl. Brosius/Engel op. cit. S.335. Fernsehwerbung: Wirkung auf sich selbst 2,78; Wirkung auf andere 4,43 (Dif-ferenz -1,65). Wahlwerbung: Wirkung auf sich selbst 1,60; Wirkung auf andere 3,30 (Dif(Dif-ferenz -1,70). Musiksen-dungen im Radio: Wirkung auf sich selbst 3,26; Wirkung auf andere 4,35 (Differenz -1,09). Fernsehnachrichten: Wirkung auf sich selbst: 4,73; Wirkung auf andere 5,15 (Differenz -0,42).

74

(23)

23

2 Meinungsbildung in einer Mediengesellschaft

die Beeinflussung der anderen nur mit einer 4,99 einschätzten. Diese Differenz ist zwar nur ge-ring, aber nicht weniger bemerkenswert, weil im negativen Fall die Beeinflussung der anderen noch als höher eingeschätzt wurde als auf sich selbst.75

In allen Fällen konnte der Third-Person-Effekt nachgewiesen werden. Wie stark dieser Ef-fekt auftritt hängt von einigen Faktoren ab. So ist das Auftreten des Third-Peron-EfEf-fekts bei älte-ren Personen (in der Testgruppe über 40-Jährige) deutlich stärker als bei jüngeälte-ren Personen.76 Das hat aber nichts mit der Einschätzung der anderen zu tun. Die höhere Differenz entsteht dadurch, dass ältere Personen sich selbst für weniger beeinflussbar halten.77

Da der Third-Person-Effekt aber in allen Altersgruppen mehr oder weniger stark vorkommt, muss dem eine natürliche Ursache zu Grunde liegen. Dass die Befragten sich selbst für weniger beeinflussbar halten, hat zum einen mit dem »unrealistic optimism« zu tun. Dies kommt aus dem Streben hervor, ein möglichst positives Selbstbild aufrechtzuerhalten. Zum anderen entsteht die Idee des weniger beeinflussbaren Ichs aus dem »impersonal impact«, bei dem der Befragte da-von ausgeht, selbst weniger »verwundbar« zu sein als andere.78 Beides sind Mechanismen, mit denen Menschen tagtäglich zu tun haben. So schätzen Menschen im Durchschnitt die Chance, dass ihnen ein Unglück wiederfährt, geringer ein als dass es einen anderen passiert.79

Ebenfalls von Bedeutung ist die Distanz zur Dritten-Person. Durch unterschiedliche Beurtei-lungsebenen variiert der Third-Person-Effekt abhängig davon, wer als Dritte-Person angesehen wird. In der Studie kam hervor, dass Freunde und Bekannte für weniger beeinflussbar gehalten werden als fremde Personen. Freunde und Bekannte werden nämlich auf einem »individual le-vel« beurteilt, unbekannte Personen jedoch auf einem »societal lele-vel«.80 Das bedeutet, dass Freunde und Bekannte auf Grund von persönlichen Erfahrungen beurteilt werden. Die Einschät-zungen von Fremden werden dahingegen eher von dem massenmedialen Bild der Gesellschaft geprägt.81

(24)

stärkere Wirkung zuschreiben als sich selbst.«82 Das bedeutet aber nicht, dass ›Eliten‹ andere automatisch als beeinflussbarer einschätzen als Personen aus anderen Gruppen, vielmehr schei-nen sie davon auszugehen selbst immun gegen eine Beeinflussung zu sein.

82

(25)

25

3 Die Boulevardisierung der Fernsehnachrichten

3 Die Boulevardisierung der Fernsehnachrichten

Die Angst vor einer Beeinflussung wird vor allem durch eine zunehmende Boulevardisierung der Medien vorangetrieben. Wie bereits zu Anfang dieser Arbeit gesagt, wurde die erste Arbeit zu diesem Thema vor über 100 Jahren geschrieben. Damals sprach man von der Trivialisierung der Zeitungen. Durch das Aufkommen von Boulevardzeitungen kam der Terminus der Boulevardi-sierung hinzu, der später auch über Boulevardmagazine bis hin zu den Nachrichten Einzug in das Fernsehen hielt.

In diesem Kapitel werden zunächst die Begrifflichkeiten geklärt. Des Weiteren wird näher auf die Problematik einer zunehmenden Boulevardisierung der Fernsehnachrichten eingegangen. Dazu werden zwei Hypothesen vorgestellt, die im empirischen Teil dieser Arbeit ausführlich untersucht werden. Außerdem kommt noch eine dritte Hypothese hinzu, die sich mit der Frage auseinander setzt, ob trotz Boulevardisierung ein hohes Maß an Informationsvermittlung mög-lich ist.

3.1 Das Konzept der Boulevardisierung

Die Wissenschaft setzt sich schon seit langem mit dem Thema Boulevardisierung auseinander, jedoch wurde lange Zeit davon ausgegangen, dass der Mensch ein »vernunftbegabtes und primär zweckrationales Wesen« ist.83 Erst in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren ist die Wissenschaft zu der Einsicht gekommen, dass Emotionen einen großen Teil unserer Entscheidungen mit be-einflussen. In der Neurowissenschaft wurde herausgefunden, dass »Menschen, deren Gefühls-zentren im Gehirn ausfallen, nicht in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen, obwohl sie denk-fähig sind«.84 Das hat auch Konsequenzen für die Forschung der Medienwirkung. Während zu-nächst noch der Glaube an den rational starken Menschen aufrechterhalten werden konnte, muss-te sich die Medienforschung nun von diesem Bild verabschieden. Es lässt sich damit schon erah-nen, dass emotional geladene Informationen in den Medien einen größeren Einfluss auf die Wahrnehmung und die Entscheidungsfähigkeit haben, als längere Zeit angenommen.

Die Boulevardpresse spielt genau mit dieser menschlichen Eigenschaft. Boulevardpresse bezeichnet im ursprünglichen Sinne; Zeitungen »die vorwiegend auf der Straße zum Verkauf angeboten werden, eine betont populärsensationelle Aufmachung (…) haben, den Leser durch schockierende Stories ansprechen wollen und sich häufig bewußt einer sehr direkten Aus-drucksweise bedienen«.85 Mit dem Aufkommen der Boulevardmagazine beim privaten und

83

Ulrike Dulinski: Sensationsjournalismus in Deutschland. Konstanz: UVK 2003, S.11.

84

Ebd. S.12.

85

(26)

ter auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk der 1990er-Jahre, hat der Begriff des Boule-vardjournalismus auch im Fernsehen Anwendung gefunden. Die Boulevardmagazine liefern ähn-liche Nachrichten auf ähnähn-licher Weise, wie die Boulevardzeitungen es tun.

Typisch für den Boulevardjournalismus ist: »[d]er einfache, häufig wertend-emotionale, ap-pellative, und alltagsnahe Sprachstiel, oft gespickt mit Wortspielen und Metaphern, dient der schnellen Verständlichkeit und Lebendigkeit, Identifikationsmöglichkeiten werden durch die Verwendung von Abkürzungen und Spitznamen geschaffen. Das Themenspektrum ist gekenn-zeichnet von wenig Politik und viel ›sex and crime‹«.86

Diese Merkmale lassen sich in vier Stil-komponenten zusammenfassen:

Familiarisierung/Personalisierung: Dabei wird in der Berichterstattung die Nähe zur pri-vaten Erfahrungswelt gesucht. Ereignisse oder ›Schicksalsschläge‹ von Prominenten und ›gewöhnlichen Menschen‹ rücken dabei in den Vordergrund. Durch den Gebrauch von Umgangssprache und Spitznamen in der Berichterstattung wird dieser Effekt noch ver-stärkt.

Simplifizierung: Hierbei werden komplexe Weltbilder auf eine persönliche Ebene redu-ziert. Dadurch steht innerhalb der Berichterstattung nicht mehr das Geschehen in seiner ganzen Komplexität zentral. Anstelle davon werden Einzelfakten und die Erfahrung ein-zelner Personen in den Vordergrund gestellt.

Melodramatisierung: Mithilfe der Melodramatisierung werden persönliche Tragödien in den Vordergrund gestellt. Deren Funktion ist es, die ›Angstlust beim Leser‹ zu verstär-ken. Die gesellschaftliche Verantwortung an Katastrophen wird zudem aus den Einfluss-sphären der Gesellschaft genommen und in eine imaginäre Schicksalsinstanz überführt.

Visualisierung: Diese kommt durch das verstärkte Einsetzen von Bildern zustanden. Die-se werden so ausgewählt, dass sie einen möglichst großen Schockeffekt beim Rezipienten auslösen. Auch in Texten kann es zu einer Visualisierung kommen, zum Beispiel durch eine möglichst genaue Schilderung eines Tatorts oder des Tathergangs.87

Diese Boulevardstrategien wirken allesamt auf die Emotionen des Rezipienten. Zum Teil be-wusst, zum Teil auch unbewusst. Bei der Personalisierung wird vor allem versucht an die Erfah-rungswelt der Leser oder Zuschauer anzuknüpfen. Geschichten über Prominente oder ganz ge-wöhnliche Leute sind leicht konsumierbar. Aber auch Ereignisse über Kinder und Tiere werden

86

Ebd. S.92f.

87

(27)

27

3 Die Boulevardisierung der Fernsehnachrichten

gerne genutzt um eine Personalisierung hervorzurufen.88 So griff beispielsweide die Bild-Zeitung drei Tage nach dem Absturz einer AirFrance-Passagiermaschine am 1. Juni 2009, die Geschichte des fünf-jährigen Phillip auf. Laut Bild »flog [er] mit seiner Mutter in den Tod«.89 Aufgeführt wurde in dem Artikel ein ganzes Gespräch mit der Oma, in dem über das Essen gesprochen wur-de, was Phillip und seine Mutter bei der Heimkehr bekommen hätten. Es handelt sich hierbei um eine Familiengeschichte, die aus einem Nachrichtenereignis herausgehoben wurde. Für die meis-ten Leser ist es einfach, sich mit dieser Geschichte zu identifizieren, da es konkret um zwei Per-sonen geht, die zudem auch noch namentlich genannt werden. So wird der Absturz personali-siert, da es um einiges schwieriger wäre, sich mit allen 228 Opfern zu identifizieren.

Bei der Simplifizierung funktioniert es ähnlich. Auch hier werden oft Personen oder Einzel-fakten eines Ereignisses hervorgehoben. Die Ursache und die Folgen eines Sachverhalts werden hierbei meist außer Acht gelassen, da dies der Verständlichkeit und der Identifikation des Rezi-pienten nicht zugutekommt. Anstelle von Fakten, werden hier häufig Spekulationen herbeige-führt, da diese meistens einfachere Erklärungen bieten als die komplexe Realität.

Der wohl größte Verstoß gegen journalistische Regeln ist die Melodramatisierung. Norma-lerweise werden Schilderungen von Ereignissen so aufgebaut, dass die wichtigsten Punkte zuerst genannt werden. Entstanden ist diese Methode nach dem Aufkommen der Kommunikation über Morsezeichen. Aus Angst vor einem vorzeitigen Abbruch der Kommunikation, wurden die wich-tigsten Fakten zuerst genannt. Alles was danach kam, waren extra Informationen, die bei Verlust dem Verständnis des Geschehens nicht schaden. Journalistisch gesehen ist dies eine der Basisre-geln, die bis heute gelten. In Zeitungsartikeln ist es dadurch auch möglich, die Lektüre eines Ar-tikels an jeder beliebigen Stelle abzubrechen, da alle wesentlichen Informationen bereits zu Be-ginn des Artikels genannt wurden.90 In Boulevardzeitungen ist dies zum größten Teil nicht mög-lich, da die Artikel wie Geschichten aufgebaut sind und am Ende eines Artikels oft eine Art Pointe für den Leser bereit steht.

Der Visualisierungs-Trend ist typisch für den Boulevardjournalismus. Die Bild-Zeitung, trägt das Prinzip sogar im Namen. Vor allem schockende Bilder sollen den Leser zum Kauf der Zeitung anregen. Zudem sollen Bilder die Nachrichten leichter verständlich machen. Zu beach-ten ist aber, dass der Trend zur Visualisierung nicht ausschließlich auf den Boulevardjournalis-mus zurückzuführen ist. Durch die technischen Entwicklungen der letzten Jahre ist eine Zunah-me der Visulisierung in fast allen Lebensbereichen erkennbar, zum Beispiel über die deutliche 88 Ebd. 89 Bild-Zeitung. 03.06.2009, S.10. 90

(28)

Zunahme von Monitoren in öffentlichen Bereichen. Joachim Friedrich STAAB untersuchte die

Informationsleistung von Bildern in Fernsehnachrichten und kam zu dem Ergebnis, dass »Nach-richtenbilder nur ein vergleichbar geringes Potential zur faktischen Information ihrer Zuschauer besitzen. Der inhaltliche Nachrichtenkern, das ›Was? Wer? Wann? Wo?‹, läßt sich kaum visuell vermitteln«.91 Ein gutes Beispiel dafür ist die Rubrik No comment des Nachrichtensenders Eu-roNews. Hierin werden zwischen den halbstündigen Nachrichten Bilder von aktuellen Ereignis-sen gezeigt, jedoch ohne jeglichen Kommentar. Nur das ›Wo?‹ und ›Wann?‹ wird mittels eines Textes im unteren Bereich des Bildes angezeigt. Ein Rezipient, der die halbstündigen Nachrich-ten gesehen hat, kann die Bilder ohne große Probleme einordnen. Ohne dieses Wissen kann der Zuschauer über das ›Was?‹ und ›Wer?‹ nur Vermutungen anstellen. Wenn es nun auch noch da-rum geht, das ›Wieso?‹ zu ermitteln, also den komplexen Zusammenhang des Geschehens, kann der Rezipient mit den Informationen aus den Bildern nur wenig anfangen. Somit entsteht eine deutliche Diskrepanz, da zum einen die Zahl der visuellen Darstellungen in den Nachrichten, wie die Studie von STAAB nachweisen konnte, zunimmt, gleichzeitig aber deren enthaltene

Informa-tionen nicht für eine Zunahme der gesamt vermittelten InformaInforma-tionen sorgt. Die damit für die Boulevardisierung typische Ablenkung von Informationen zum Trivialen ist auch bei der Visua-lisierung deutlich enthalten. Jedoch kann, wie bereits erwähnt, eine Zunahme der VisuaVisua-lisierung nicht ausschließlich der Boulevardisierung zugeschrieben werden, da die heutige Gesellschaft in allen Bereichen einen Hang zur Visualisierung erlebt und diesen auch wünscht.

Diese Boulevardisierungsmerkmale stammen vor allem aus dem Zeitungsbereich, lassen sich aber ohne weiteres auch in den Fernsehbereich übertragen, denn »trotz der spezifischen Bedin-gungen des Mediums Fernsehen [sind] hier prinzipiell ähnliche Strukturen wie im Printbereich zu beobachten […]«.92

Es ist dadurch auch möglich, Fernsehnachrichtenbeiträge auf diese Krite-rien zu untersuchen.

Innerhalb der Forschung gibt es noch eine ganze Reihe von Merkmalen an denen der Boule-vardisierungsgehalt gemessen wird. Das am häufigsten gebrauchte Kriterium für die Feststellung des Boulevardisierungsgehalts ist der Zeitanteil von bestimmten Themen am Gesamtprogramm. Unterschieden wird dabei zwischen »harten« und »weichen« Nachrichten. So gelten beispiels-weise politische Themen als »harte« Nachrichten und Themen über das Leben von Prominenten als »weiche« Nachrichten.93

91

Joachim Friedrich Staab: »Informationsleistung von Wort und Bild in Fernsehnachrichten«. In: Publizistik 4/1998, S.424.

92

Ulrike Dulinski: op. cit. S.228.

93

(29)

29

3 Die Boulevardisierung der Fernsehnachrichten

Ulrike DULINSKI kritisiert diese Methode. Sie unterstellt Studien, die diese Kriterien als

Grundlage verwenden, ein gewisses Maß an Subjektivität.94 Dies kommt unter anderen dadurch zum Ausdruck, dass es im Laufe der Zeit sogar zu Verschiebungen innerhalb der Kategorien gekommen ist, sodass das Ergebnis der Studien auch weiterhin stimmt. So wies zum Beispiel eine Studie von KRÜGER & ZAPF-SCHRAMM im Jahr 2001 einen äußerst hohen Boulevardisie-rungsanteil in den Politikmagazinen ARD-Brennpunkt (42%) und Panorama (36%), ebenfalls von der ARD, nach. Diese hohen Prozentsätze werden von den Autoren »mit dem Verweis auf ›harte Boulevardthemen‹ relativiert«.95

Ähnlich inkonsequent sind die Autoren in einer Studie im Jahr 2001 zur »Boulevardisierungskluft«-These. Darin geben sie zwar einen Rückgang der Bou-levardanteile bei den Sendern Sat.1 und ProSieben zu, prangern diesen Rückgang aber gleichzei-tig an, da diese Verschiebungen »nicht den politischen bzw. gesellschaftlich relevanten Themen-bereichen zugute kommen«.96 Dieser Schluss der beiden Autoren ist gleich in zwei Hinsichten bemerkenswert. Erstens, ist in dem Jahr bei allen privaten Sendern ein Rückgang der Boulevar-danteile zu sehen und nur die öffentlich-rechtlichen verbuchen einen Zuwachs. Zweitens, bekla-gen die Autoren, dass die Verschiebung nicht gesellschaftlich relevanten Themen zugutekommt. Die Verschiebung kam aber »den Themenbereichen Gesellschaft/Justiz (und Alltag/Soziales) zugute, die KRÜGER früher an anderer Stelle sehr wohl als gesellschaftlich relevant bzw. sogar

als ›Kern der Grundversorgung‹ eingestuft hatte«.97

Diese Erkenntnis hat auch Konsequenzen für die vorliegende Arbeit. So soll der Indikator der Themenwahl zwar nicht völlig außer Acht gelassen werden, er kann aber auch nicht als ein-ziger Indikator dienen, da er in großem Maße der subjektiven Einschätzung des Autors unter-liegt. Denn dieser hat zu entscheiden, was gesellschaftlich relevant ist und was nicht. Deswegen muss die im folgenden Abschnitt vorgestellte Hypothese von einer zweiten unterstützt werden, da diese Arbeit sich ansonsten auf einer subjektiv schwammigen Grundlage stützt.

3.2 Die Boulevardisierung der deutschen Fernsehnachrichten

Das Fernsehen genießt, »trotz einer zunehmenden Zahl konkurrierender Mediengattungen«, »nach wie vor die größte Bedeutung im Alltag der Bundesbürger«.98 Im Durchschnitt sah jeder Bundesbürger im Jahr 2010 223 Minuten pro Tag Fern. Das ist der höchste Wert seit der Einfüh-rung der personenbezogenen Messungen. Zurückzuführen ist der Anstieg vor allem auf die

94 Vgl. ebd. S.239. 95 Ebd. S.238. 96

Ebd. Zitiert nach: Krüger & Zapf-Schramm 2001, S.340

97

Ebd. S.238f

98

(30)

führliche Berichterstattung von Sportereignissen (Olympische Winterspiele und Fußballwelt-meisterschaft) zu sendestarken Zeiten in diesem Jahr. 99

Die ARD verlor in diesem Jahr ihre Spitzenposition als meistgesehener Fernsehsender, an den privaten Sender RTL,100 dennoch blieb die Tagesschau der ARD die meistgesehene Nach-richtensendung.101 Sie konnte ihre tägliche Zuschauerzahl sogar von 8,86 im Jahr 2009 auf 9,14 Millionen im Jahr 2010 erhöhen. Die Hauptnachrichtensendung heute vom ZDF verzeichnete eine leichte Einbuße von 3,77 (2009) auf 3,75 Millionen (2010). RTL aktuell konnte dahingegen einen leichten Zuwachs von 3,79 (2009) auf 3,91 Millionen (2010) Zuschauern verbuchen.102 Damit sind die in dieser Arbeit besprochenen Nachrichtensendungen die drei meistgesehenen Hauptnachrichtensendungen im deutschen Fernsehen. Gemeinsam erreichten sie etwa 16 Millio-nen Zuschauer täglich.

Nachrichtensendungen nehmen in Deutschland eine besonders hohe Bedeutung ein. Sie ha-ben nicht nur die höchste Reichweite von allen Nachrichtenmedien, zugleich genießen sie in der Bevölkerung auch »die höchste Glaubwürdigkeit und die größte zugesprochene Kompetenz für die Vermittlung von Informationen«.103 »Durch die Verbreitung von Text und Bild, durch Origi-nalaufnahmen und Vor-Ort-Berichterstattung erleben die Rezipienten eine hohe Authentizität und Aktualität der Ereignisse, die die Illusion ungefilterter Realität vermitteln.«104 Diese Ein-schätzung der Rezipienten ist allerdings, egal um welche Nachrichtensendung es geht, eine grobe Fehleinschätzung, denn jeder journalistische Beitrag ist bereits eine Interpretation eines realen Geschehens. Zwar unterliegen Nachrichtensendungen einem Objektivitätsanspruch, dieser ist allerdings nur bedingt einlösbar. Denn jede Wahrnehmung eines Journalisten unterliegt direkt auch seiner eigenen Interpretation des Sachverhaltes, die er in den Rahmen seines eigenen Welt-bildes einzuordnen versucht. Nachrichten vermitteln also ein bereits vorgeformtes Weltbild. Eine Nachrichtensendung kann idealerweise nur versuchen, eine intersubjektive Berichterstattung zu verwirklichen, in der sie versucht auch andere Sichtweisen zu beachten und eventuell auch dazu-stellen. Eine hundertprozentig objektive Berichterstattung ist schlicht und einfach unmöglich.

Dieser ›Objektivitätsanspruch‹ wird von den Zuschauern weiterhin am ehesten der Tages-schau zugeschrieben. Sie wird »noch heute als die Nachrichtensendung im Fernsehen 99 Ebd. S.127. 100 Ebd. S.128. 101 Ebd. S.132. 102 Ebd. S.134. 103

Wolfgang Donsbach und Katrin Büttner: »Boulevardisierungstrend in deutschen Fernsehnachrichten«. In: Publi-zistik. 1/2005, S.22.

104

(31)

31

3 Die Boulevardisierung der Fernsehnachrichten

hin bezeichnet«.105 Die Tagesschau gilt in vielen Untersuchungen daher auch als Maß aller Din-ge. Jedoch steht auch die Tagesschau gelegentlich unter Kritik. Sie gilt als steif und schwer ver-ständlich. So ist es die letzte Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen, deren Nachrichten noch vom Papier verlesen werden. Damit soll beim Rezipienten der Eindruck vermieden werden, der Nachrichtensprecher verkünde seine eigene Meinung. Durch das Vorlesen vom Papier be-kommt der Sprecher die unmissverständliche Rolle eines Überbringers von Nachrichten. Oft wird behauptet, das tägliche Ansehen der Tagesschau sei für viele Rezipienten eher Gewohnheit, anstatt Informationskonsum. Der ehemalige Programmchef von RTL, Helmut THOMA, sagte 1992 in einem Interview: »Diese Sendung könnte man auch in Latein verlesen mit zwei bren-nenden Kerzen, und sie hätte immer noch die gleichen Ratings.«106

Die privaten Sender schlugen von Beginn an einen anderen Weg ein, was die Gestaltung von Nachrichten anging. Sie setzten »[g]egen das öffentlich-rechtliche Verlesen von Nachrichten […] die ›News Show‹, reduzierte[n] die ›harten‹ politischen Themen und brachte[n] vermehrt Klatschgeschichten. Eine unterhaltsame ›Verpackung‹ sollte das politisch Widerständige ab-schleifen und leichter konsumierbar machen.«107 Eine Veränderung, die in der Gesellschaft kaum Anklang fand, denn »das Publikum hielt eine solche, am Konzept des ›Infotainment‹ orientierte Nachrichtenpräsentation zunächst für wenig seriös«.108 Diese Orientierung wurde »deshalb Ende der achtziger Jahre teilweise zurückgenommen und die Nachrichtensendungen wieder dem öf-fentlich-rechtlichen Präsentationsprinzip angenähert«.109 Anfang der 1990er-Jahre starten die privaten Sender die sogenannte Informationsoffensive.110 Sie setzten den öffentlich-rechtlichen Sendern zur Hauptnachrichtenzeit ähnliche Informationsangebote gegenüber. Seitdem besteht eine lebendige Debatte zum Thema der sogenannten Konvergenz.111 In ihr setzt sich die Wissen-schaft mit der Annäherung der Nachrichtenformate des öffentlich-rechtlichen und des privaten Rundfunks auseinander. »Befürchtet wurde vor allem eine von den privaten Sendern ausgehende Anpassung an den Geschmack der breiten Bevölkerung, die sich in einer Entpolitisierung auf Programm- und Genreebene äußern könnte.«112

105

Ebd. S.23.

106

Fernsehlexikon.de: »Tagesschau«: http://www.fernsehlexikon.de/1884/tagesschau/ (13.10.2011)

107

Knut Hickethier: op. cit. S.473.

108

Ebd.

109

Ebd.

110

Udo Michael Krüger: »Boulevardisierung der Information im Privatfernsehen« In: Media Perspektiven 7/1996, S.362.

111

Wolfgang Donsbach und Katrin Büttner: op. cit. S.23.

112

(32)

Eine Annäherung, die tatsächlich in einigen Studien113 nachgewiesen werden konnte. Diese Annäherung wirkt jedoch in beide Richtungen. Es ist nicht nur, wie oft angenommen, so, dass die öffentlich-rechtlichen Nachrichten zu einer Erhöhung des Boulevardanteils in ihren Nach-richten ›gezwungen‹ werden, um ein größeres Publikum zu erreichen. Zugleich stellen die Stu-dien »auch eine Distanz-Verringerung und eine Anpassung fest, vor allem der privaten an die öffentlich-rechtlichen Sender«.114 Es scheint damit so, dass dem Boulevardgehalt einer Nach-richtensendung vom Zuschauer Grenzen gesetzt sind. Denn durch einen zu hohen Boulevardan-teil verliert eine Nachrichtensendung an Glaubwürdigkeit. Reine ›Infotainment‹-Nachrichten hat es im deutschen Fernsehen zwar schon gegeben, erfolgreich waren sie jedoch nicht.

Wenn an dieser Stelle eine Skala gezeichnet werden würde, mit auf der einen Seite der Grundversorgung, mit deren ›harten‹-Nachrichten und auf der anderen Seite dem Infotainment, mit dessen ›weichen‹-Nachrichten, würde es aller Wahrscheinlichkeit nach in Deutschland keine Extremausprägungen mehr geben. Die Nachrichten von RTL haben sich nach einer Periode von nur wenigen Jahren an das öffentlich-rechtliche Nachrichtenkonzept angepasst, da sie die nötige Glaubwürdigkeit von ihren Zuschauern nicht erhielten.

Die Tagesschau ist seit einigen Jahren darum bemüht sich moderner zu präsentieren, tut sich damit allerdings recht schwer. Zu groß ist die gesellschaftliche Verantwortung der Sendung. Nur ein Beispiel dafür ist der Versuch die Nachrichten durch den Sprecher vom Teleprompter verle-sen zu lasverle-sen. Nach großem Protest der Zuschauer wurde das Verleverle-sen vom Papier wieder einge-führt. Bei genauerer Betrachtung muss es einem jeden Zuschauer aber auffallen, dass das Verle-sen vom Papier eher ein PräVerle-sentationsmittel ist, als eine Vorgehensweise. Denn der Blick zum Papier ist heute viel seltener, als er das noch vor einigen Jahren war. Ein pseudowissenschaftli-cher Test reicht für diese Feststellung völlig aus. Man vergleiche die Tagesschau vor 20 Jahren, täglich zu sehen in einigen dritten Programmen, und die Tagesschau des heutigen Tages. Schon nach wenigen Minuten ist klar, dass auch bei der Tagesschau die Bedeutung des Teleprompters zugenommen hat.

Die ZDF Nachrichtensendung heute steckte bereits seit der Gründung des Senders in der schwierigen Lage, sich mit der Tagesschau messen zu müssen. Nach dem Aufkommen des dua-len Rundfunksystems, hat das ZDF sich dazu entschieden, seine Nachrichten eher an dem Prä-sentationsstil der privaten Sender zu orientieren, anstatt an dem der ARD.115 Besonders groß war der Einschnitt des Präsentationsstils, als die heute-Sendung Mitte des Jahres 2010 in ein neues

113

Vgl. Bruns/Marcinkowski 1997; Krüger 1997, 1998, 2001, 2002; Pfetsch 1996.

114

Wolfgang Donsbach und Katrin Büttner: op. cit. S.25.

115

Referenties

GERELATEERDE DOCUMENTEN

ohne daß aber an den Mordern des ersten Opfers Rache geübt wurde Dessen Enkel wandte sich jetzt an den Grafen mit der Bitte, die Fehde möglichst schnell zu beenden Treffend ist, daß

fragmentarische, weil durch ständige Reflexion unterbrochene Beschreibung der eigenen Kindheit, kurz: das Stilprinzip der Einschnitte und Zerstückelungen, das für

Fakt und Fiktion : die Autobiographie im Spannungsfeld zwischen Theorie und Rezeption..

Eine Erklärung für das rege wissenschaftliche Interesse an der Gattung liegt darin, dass die Autobiographie besonders geeignet scheint, literaturwissenschaftliche Fragen, wie die

Nach Lejeune bestimme der Autor einer Autobiographie sich als „eine wirkliche, gesellschaftliche Person“ und als „Schöpfer einer Rede.“ „Außerhalb des Textes und im

Seine Autobiographie führt nicht bis zu dem Punkt, „an dem der Erinnernde seinen Platz in der Gesellschaft gefunden und seine Rolle in ihr zu spielen begonnen hat.“ 380 Die

fragmentarische, weil durch ständige Reflexion unterbrochene Beschreibung der eigenen Kindheit, kurz: das Stilprinzip der Einschnitte und Zerstückelungen, das für

Apologetisch heißt es aber auch, dies sei nicht das Problem der „Generation Golf“ selbst, „sondern das Problem, das andere mit der Generation Golf haben.“ 779 Mit