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Diskussion und Deutung der Gottesfrage: Uber die beziehungsreiche Kraft der religiosen Tradition

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Diskussion und Deutung der Gottesfrage

Über die beziehungsreiche Kraft der religiösen Tradition. Toke Elshof

Laut Johannes Först in seiner Inauguralrede müsse die Praktische Theologie die Gottesfrage auf eine kosmologische Ebene heben.

Ein methodologischer Agnostizismus der die inhaltlichen Wahrheitsansprüche einklammert, sei nämlich zu begrenzt. Die Praktische Theologie könne sich dann nur mit religiösen Funktionen und Äußerungsformen beschäftigen und als Wissenschaft keine

glaubensinhaltlichen Aussprachen machen. Die Wirklichkeit von Gott werde in so einem Fall wie von einer semantischen oder psychischen Ordnung betrachtet: an Geschichten oder Ideen über Gott könne man nur als Produkt der menschlichen Vorstellungskraft oder Projektion herangehen.1

Först plädiert für eine Praktische Theologie die von der menschlichen Transzendenz ausgeht; die einsieht, dass es wesentlich für Menschen sei, zu suchen nach einer kosmologischen oder transzendenten, selbstüberschreitenden Wirklichkeit. Von dortaus könne Sinn und

Zusammenhang erfahren werden. Die Praktische Theologie müsse diese Offenheit für

Selbstüberschreitung als eine Offenheit Gott und dem zweideutigen Charakter der Gottesfrage gegenüber zu deuten wissen. Das Fragen Gottes und sein Suchen nach dem Menschen gehe dem Aspekt der menschlichen Fragen nach Sinn, Zukunft und Leben: mit anderen Worten dem menschlichen Fragen nach Gott, voraus. Dass der Mensch nach Gott fragt, sei von reagierender Art; der nach Gott suchende Mensch antworte auf diese Weise dem nach Menschen suchenden Gott.2 Die Gottesfrage drücke in dieser Zweideutigkeit die

Gottmenschliche Beziehung aus.

Dass der Wirklichkeitsgehalt des Glaubensinhaltes nicht zwischen Klammern gesetzt wird, diene der Angelegenheit dieser Gottmenschlichen Beziehung. Dadurch gäbe es nämlich eine Öffnung zur Begrenzung der menschlichen Subjektivität. Först verdeutlicht dies anhand eines Beispiels von jemandem, der im Sterben liegt und mit Angst erfüllt hofft, dass es über die Grenzen des Todes Leben und Liebe gibt. Er plädiert für eine Seelsorge, die nicht mit einer solchen Hoffnung umgeht als wäre es ein Phänomen, das jemands subjektive Selbsttäuschung zeigen würde, sondern die diese Subjektivität inhaltlich mitzutragen vermag und verbreiten kann, einbetten in eine religiöse, intersubjektive Perspektive.3 Seine Aufmerksamkeit für

dieses Einbetten des Individuellen und Subjektiven in das Gemeinsame und Intersubjektive dient zum tiefsten dem Interesse der Gottmenschlichen Solidarität.

Ein zentrales Thema in der Inauguralrede bildet die Gottesfrage, die explizit und implizit gestellt werden kann. Bei der expliziten Gottesfrage handelt es sich um das menschliche Verlangen nach Sinn, Zukunft und Leben das explizit mit Gott, wie er im christlichen Glauben gedacht und gesehen wird, verbunden wird. Solch ein Verlangen wird aber auch implizit ausgedrückt; auf eine andere religiöse und säkulare Weise. In Bezug auf die explizit-religiöse Gottesfrage plädiert Först für eine theologische und kirchliche Offenheit, die die Frage nach Gott tatsächlich als Frage seriös nimmt. Statt definitive Antworten zu geben die 1 Först Johannes, Praktische Theologie zwischen empirischer Religionsforschung und pastoraler

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die Frage nach dem Geheimnisvollen des Lebens abgrenzen und abschließen, sollen

Theologie und das kirchliche Leben sich bewusst sein, dass Gott das menschliche Kennen und Vorstellen immer übersteigt und dass sie selbst zuallererst auch Gott-suchend sind. Offenheit der eigenen Suche gegenüber regt die Empfänglichkeit für Transzendenz beim

Gott-suchenden Menschen an.

Auch die implizit-säkulare Gottesfrage verlange eine theologische Solidarität die sich nicht aus einer inhaltlich neutralen Höflichkeit dem weltanschaulich oder religiös Anderen gegenüber ergebe, sondern aus dem Erkenntnis der christlichen Theologie und Kirche, dass sie zwar ‘von Gott’ seien, aber dass es umgekehrt nicht der Fall ist: Gott sei nicht ‘von ihnen’. So eine Solidarität bringe das Bewusstsein der christlichen Theologie und Kirche zum

Ausdruck; dass es auch in anderen religiösen und säkularen Annäherungen Wahrheit geben könne.4 Für Theologie und Kirche heißt das, dass die individuelle Spiritualität, christlich oder

nicht, einem normativen Anspruch nicht zu entsprechen habe. Die individuelle Spiritualität (die explizite und implizite Gottesfrage) und die christliche Theologie und Seelsorge betrachtet er wie zwei Pole einer Ellipse die man aufeinander beziehen könne und zwar so, dass die individuelle Spiritualität (Subjektivität) verbreitet und inhaltlich in die intersubjektive Suche von der Kirche nach Gott eingebettet werde.5

Seine Inauguralrede, die seinen früheren Publikationen entspricht6, zeigt eine attraktive

Theologie eines Pastorals, das die Menschen, die damit direkt zu tun haben (der existentiell suchende Mensch und der Pastor, der ihn begleitet) zuallererst in ihrer Gleichrangigkeit für Gott und als Gott-suchend erkennt. Dieser Ansatz lädt das Pastoral dazu ein, aufgeschlossen für Gottes Wirken im Säkularen zu sein und entspricht damit dem Gaudium et spes’ Plädoyer für das Erkennen der theologischen Legitimität des Säkularen. Die profanen Wirklichkeiten und die Glaubenswirklichkeiten hätten nämlich in demselben Gott ihren Ursprung (GS 36). Deshalb sei es pastoral notwendig, in den säkularen, menschlichen Orientierungen nach dem ‘Ganzen’ zu suchen, das der christliche Glaube normalerweise in der Gottesfrage ausspricht. In säkularen Fakten könne die Gottesfrage gestellt werden ohne der theologischen Legitimität des Säkularen zu schaden.7

Die Inauguralrede bevorzugt eine Kirche und eine Theologie die zuhören. Die kirchliche und theologische Solidarität mit dem explizit-religiösen und dem implizit-religiösen

Gottesverlangen scheint von einer Haltung offen für Gottes Wirken in der Welt und für die Welt an sich wie keine andere zu profitieren. Dieser Nachdruck auf Zuhören ruft die Frage hervor, ob auch kirchliches und theologisches Sprechen eine Solidarität mit der Welt zeigen kann.

Auf diese Frage will ich in diesem Artikel eingehen und zwar als praktischer Theologe mit Katechetik als besonderem Interessengebiet.

4 Först, Praktische Theologie,22-25 5 Först, Praktische Theologie,25-27

6 Först, Johannes, Pastoral als Lebensbegleitung? Vorschläge für einer ereignishafter Pastoral, in: Pastoraltheologischen Informationen 33(2013)2, 119-133; Först, Johannes, Kasualienfrömmigkeit neu entdecken. Ein selbstkritischer Zwischenruf in die Debatte um Säkularisierung und „Neuevangelisierung“, in: Lebendige Seelsorge 6(2012)435-424; Först, Johannes, Kirchenkrise, Kirchenferne und Säkularisierung…und dennoch Pastoral, in: J. Först, H.-G. Schöttler (Hg.) Einführung in die Theologie der Pastoral. Ein Lehrbuch für Studierende, Lehrer und kirchliche Mitarbeiter, Lit Verlag 2012, 241-264;Först, Johannes, Was ist der Mensch? Pastoraltheologische Perspectiven zur ‚synkretischen’ Sinnsuche in der Späten Moderne, in M. Bär & M. Paulin (Hg.) Macht Glück Sinn? Grünewald 2014, 150-165

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Über Deutung sprechen: Theologisch motiviert

Die Frage nach der eventuellen Deutung von theologischem Sprechen ergibt sich aus der Erkenntnis, dass die Gottsuche heutzutage nicht aus einem Nullpunkt heraus anfängt. Diese Suche ist in die Geschichte früherer Gottsuchender eingebettet, die darüber hinaus Spuren ihrer Suche hinterlassen haben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die heutige religiöse und säkulare Gottesfrage (der synchrone Aspekt) von der theologischen und kirchlichen Explizitierung der Fragen, Geschichten, Erfahrungen, Antworten, Haltungen, Lehren, Einsichten, Rituale und Sakramente profitiert die früheren Gottsuchenden innerhalb der religiösen Tradition entwickelt oder gefunden haben (der diachrone Aspekt). Womöglich kann ein solcher Beitrag auch zur Offenheit nach oben und zur Einbettung der individuellen Subjektivität in die gemeinsame Intersubjektivität beitragen. Först schließt das in seiner Inauguralrede nicht aus. Vor allem das Bild der Ellipse deren zwei Pole (die der individuellen Spiritualität und die der christlichen Theologie und des Pastorals) sich konstruktiv zueinander verhalten impliziert dafür eine prinzipielle Offenheit. Trotzdem dominiert das Bild, dass die Einbettung des Individuellen in das Gemeinsame sich vor allem auf der Ebene der Fragen abspielt; das fragende und suchende Individuum wird eingebettet und zum fragenden und suchenden Kollektiv. Die Einsichten, Antworten, Erfahrungen usw. früherer Gottsuchenden die in dieses Kollektiv zusammengebracht sind, spielen keine große Rolle. Sie kommen nur selten und negativ zur Sprache: als abgrenzend und abschließend.8

Innerhalb der Praktischen Theologie ist diese vorsichtige Haltung dem kirchlichen Sprechen und den religiösen Antworten gegenüber verständlich. Sie ist nämlich mit dem früheren Erwartungshorizont der Praktischen Theologie als angewandter Theologie verbunden, die als Krisenwissenschaft zur Implementation innerhalb anderer theologischer Disziplinen

entwickelter Einsichten beiträgt. Aber stattdessen sieht sich die Praktische Theologie als eine Handlungs- oder Deutungswissenschaft die die (religiösen) Erfahrungen, die Perspektiven und die Praxis der heutigen Welt erforscht.9 Die Vorsicht, theologisches und kirchliches

Sprechen einzubringen kennzeichnet den praktisch-theologischen Anschluss an diese Weltperspektive; an die breite, kulturelle Tendenz, die Religion als heteronome Ereignisse betrachtet, die von außen und kollektiv ein normierendes Idealbild auflegt, dies im Gegensatz zur Spiritualität mit der positiven Wertschätzung für die individuelle, innerliche Erfahrung.10

Institutionelle Religion hat einen schlechten Ruf und wird davon verdächtigt, Individualität und Authenzität zu beeinträchtigen/beeinträchtigen zu wollen.

Meiner Meinung nach ist diese Vorsicht nicht angemessen, wenn diese eine hauptsächlich zuhörende Haltung zur Folge hat. Der prinzipielle Platz für eine sprechende Kirche und Theologie den Först in seiner Inauguralrede bietet, muss somit weiter erforscht werden. An erster Stelle wegen des solidarisierenden Gebrauchs von Gaudium et spes worauf sich Först bezieht. Nach GS komme die Solidarität mit der Welt nämlich nicht nur dadurch zum

Ausdruck, das man das säkulare Leben theologisch erklärt; diese Deutung wird zugleich zum Gesprächsthema. Diese Aufgabe gerät in Gefahr wenn evangelische Deutung der Zeichen der Zeit nur zu einem innerkirchlichen, theologischen Untereinander wird worin Mensch und Welt nur Objekt der Deutung statt Gesprächspartner sind. Solch eine innerkirchliche,

theologische Debatte wird Gottes Solidarität mit der Welt nicht gerecht. Diese Solidarität wird 8 Först, Praktische Theologie,23

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gefördert wenn die Kirche das Evangelium in Dialog bringt ohne dass sie prätendiert als einzige über die Wahrheit über Gott zu verfügen.

Diese Selbstrelativierung gehört aber inherent schon zur theologischen Sichtweise der Kirche sich selbst gegenüber. Sie sieht sich selbst nämlich als Zeichen und Instrument der ‘innigen Vereinigung mit Gott und der Einheit des ganzen menschlichen Geschlechts’(LG1). Indem sie erkennt, dass sie sakramental ist, erkennt die Kirche dass sie nicht mit Gottes Reich

zusammenfällt; die Beziehung ist eine von Zeichen zur bezeichnenden Wirklichkeit. Relevant hier ist der Unterschied zwischen ‘die Tradition’ und Traditionen.11

‘Die Tradition’ betrifft Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus wie diese seit den frühesten christlichen Gemeinden von der Wirkung des Geistes bewahrt, erklärt und aufgezeichnet ist. Dies kann aber nur auf eine materielle, körperliche und auch zeitweilige Weise stattfinden; in der Vielfalt von Riten, Dogmen usw., die zu jedem konkreten Zeitpunkt gehören: in den hier obengenannten Traditionen. Diese Erkenntnis impliziert, die katholische Tradition muss sich selbst zu relativieren wissen, als ein deutendes Zeugnis von Gott, der immer größer ist.

Zu gleicher Zeit hat sie sich selbst aber besonders ernst zu nehmen: nur in persönlichen Geschichten, konkreten Bildern und kontextuellen Denkmustern kann ein Zeugnis der Übergabe, der Beziehung und der Zuneigung zu Gott abgelegt werden. Die katholische Tradition öffnet einen Weg für und nach Gott. Indem man die Traditionen unterscheidet von ‘der Tradition’ (s.o.), wird die Bedeutung der Traditionen relativiert und bekräftigt; ohne die Traditionen entfällt uns ‘die Tradition.’

Dass die Kirche sich selbst relativiert und zugleich ernst nimmt da sie als persönliche Geschichte helfen kann, die heutige Gottesfrage zu erkennen, verlangt Ergänzung um das Argument der Traditionsentwicklung. Der notwendigerweise historisch, persönlich und kontextuell bestimmte Charakter der Verbundenheit von Tradition auf ‘die Tradition’ sorgt nämlich dafür, dass nicht die Offenheit zur Welt, sondern vielmehr das sich Abschließen von der Welt eine Drohung für die katholische Tradition ist. Es beeinträchtigt ihre Mission, das Evangelium zu interpretieren und zu aktualisieren.12 In der evangelischen Deutung der Welt in

Dialog mit der Welt wird die katholische Tradition dazu herausgefordert, immer wieder das Evangelium zu aktualisieren, wodurch sie selbst immer auf neue Weise Gestalt bekommt: das führt zur Rekontextualisierung13 und Traditionserneuerung.14 Auch dieses dynamische

Traditionskonzept das Gottes Solidarität mit der Welt gerecht wird, lädt Theologie und Kirche dazu ein, dialogisch über die Deutung des Evangeliums innerhalb und mit der Welt zu

sprechen.

Über Deutung sprechen: Säkular motiviert

11 Van Eijk, Ton, Teken van aanwezigheid: een katholieke ecclesiologie in oecumenisch perspectief.

Zoetermeer, 2000; Boeve, Lieven, Erfgenaam en erflater. Kerkelijke tradities binnen de Traditie, in: Lombaerts, H. & L. Boeve (red). Traditie en initiatie. Perspectieven voor de toekomst. Amersfoort/Leuven,1996, 43-88 12 Wissink, Jozef, Een kerk met toekomst. Vingeroefeningen voor een praktische ecclesiologie, in S.

Hellemans u.a. (red.). Een kerk met toekomst? De katholieke kerk in Nederland 1960-2020. Zoetermeer, 2003, 138-160. Wissink unterscheidet in der Mission der Kirche einen missionär-diakonischen Auftrag (das

‘Durchtränken’ der Gesellschaft mit evangelischen Werten) und einen missionär-evangelisatorischen Auftrag. (Die Kirche muss Menschen mit dem Evangelium, das ihr geschenkt wurde, belästigen)

13 Boeve, Erfgenaam en erflater, 43-88; Boeve, Lieven. Onderbroken traditie. Heeft het christelijke verhaal nog toekomst? Kapellen, 1999

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Nicht nur diese theologischen Überlegungen motivieren Kirche und Theologie dazu, nicht nur zuzuhören sondern auch zu sprechen, auch das Leben in der Welt regt dazu an. Vor allem die religiöse Sprachlosigkeit muss man als Zeichen der heutigen Zeit sehen. In den nachfolgenden Paragraphen wird dies aus dem Bereich der religiösen Sozialisierung heraus erläutert.

Die religiöse Erziehung zu Hause hängt bis Mitte des vorigen Jahrhunderts stark mit dem kirchlichen Leben und der katholischen Bildung zusammen. Dieses religiös-pädagogische Dreieck ist in die katholische Säule, die die Eltern in ihrer erzieherischen Aufgabe lenkt und korrigiert, eingebettet.15 Die ersten Familienstudien in den Niederlanden die den Einfluss der

Entkirchlichung studieren, heben die wichtige Rolle eines religiösen Zu-Hause für die religiöse Entwicklung der Kinder nachdrücklich hervor. Diese Entwicklung profitiert von häuslichen, rituellen Gewohnheiten die in authentische religiöse Überzeugungen der Eltern integriert sind16 und auch von einer reflexiven Haltung der Eltern und einem offenen Dialog

über den Sinn des Glaubens im elterlichen Leben.17 Der Sinn muss für Kinder auch

wahrnehmbar sein18 und außerdem soll die Kommunikation in Sachen Kreativität und

zeitlicher Abstufung auf Kinder abgestimmt und auf einander bezogen sein.19 Eine solche

Erwartungshaltung stellt sich als unrealistisch heraus: Eltern vermitteln nicht so sehr religiöse Auffassungen oder eine religiöse Praxis, sondern den Umgang mit Religion. Kinder

übernehmen die Art der Sinngebung ihrer Eltern.20 Religiöse Erziehung ist hauptsächlich

impliziter Art.

Meine Familienstudie unter drei Generationen nach der Entwicklung der katholischen Religiosität erkennt das Implizite in der familiären religiösen Vermittlung, sieht das aber hauptsächlich in der Verkörperung: Religiosität wird nicht individuell in Worte gefasst, sondern gemeinsam erfahren, ist nicht reflektiv, sondern selbstverständlich und wird in der (rituellen und ethischen) Praxis ausgedrückt.

‘Wenn du bloß ein guter Mensch bist, bist du gläubig genug’ ist das wichtigste religiöse Erbe, das man von zu Hause vermittelt bekommt.21 Die Verkörperung wird aber im Übergang

zwischen der großelterlichen zur elterlichen Generation individueller und immanenter und ist damit weniger als Verkörperung von Religiosität erkennbar. Im Übergang zwischen

Kirchlichkeit zur Unkirchlichkeit nimmt diese verkörperte Religiosität außerdem weniger Gestalt an und ist vor allem noch als religiöses Verlangen zu erkennen.

Die Religiosität der großelterlichen Generation (geboren zwischen 1925 – 1935) wird vor allem durch Ritualität, Selbstverständlichkeit und Gemeinsamkeit gekennzeichnet. Die persönliche Formulierung und die Verantwortung des Glaubens spielen eine untergeordnete Rolle. In der Erziehung, die diese Generation erhalten hat, kommen religiöse Fragen nicht zu 15 Maas, Jacques & Hans-Georg Ziebertz, ‘Over breukvlakken en bruggenhoofden.’ Religieuze opvoeding in het gezin, in: Tijdschrift voor Theologie 37(1997) 384-404

16 Andree, Trees, Gelovig word je niet vanzelf. Godsdienstige vorming van rooms-katholieke jongeren tussen 12 en 20 jaar. Nijmegen, 1983

17 Van der Slik, Fred, Overtuigingen, attituden, gedrag en ervaringen. Een onderzoek naar de godsdienstigheid van ouders en hun kinderen, Nijmegen 1992

18 Timmers-Huigens, Dorothea, Interactieve geloofscommunicatie. Ervaringsordening en de kwaliteit van intergeneratieve communicatie in de christelijke gemeenschap. Kampen 1997

19 Lanser-Van der Velde, Alma, Geloven leren. Een theoretisch en empirisch onderzoek naar wederkerig geloofsleren. Kampen, 2000

20 Vergouwen, Lia, Een hemelsbrede gelijkenis. Geloofsopvoeding in godsdienstpsychologisch perspectief. Kampen, 2001

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Hause zur Sprache, sondern innerhalb kirchlicher oder schulischer Verbände. In der religiösen Erziehung, die diese Generation zu geben hat, stellt sich heraus, dass es nicht reicht, die Rituale, Kollektivität und Selbstverständlichkeit hervorzuheben. Die zu erziehende

Generation (geboren zwischen 1955 – 1965) stellt die elterliche Gewalt und die kirchliche Macht in Frage und richtet zu Hause in religiöser Hinsicht einen Appel an unterentwickelte Qualitäten wie Reflexivität und Mündigkeit.

In der Religiosität dieser elterlichen Generation verfließt die Aufmerksamkeit für Transdenzenz und die Rituale und Symbole die darauf hinweisen werden als inhaltslose Formeln zur Seite gelegt. Ihre Religiosität nimmt deshalb eine individuellere und weniger explizit-religiöse und erkennbare Gestalt an. Innerhalb des häuslichen Lebens, so stellt sich heraus, sind die erhaltenen Glaubensmuster und die Muster des religiösen Erziehens nicht ohne Weiteres brauchbar.

Trotzdem bilden diese Muster den wichtigsten Bezugspunkt zu der zu bildenden Religiosität und zu der zu gebenden religiösen Erziehung.

Dass die häusliche Religiosität kirchlich eingebettet ist, stellt sich als entscheidend heraus. Kirchliche Eltern können die erhaltenen religiösen Glaubenssätze ‘übersetzen’ und in der zu gebenden religiösen Erziehung benutzen. Dabei wird eine religiösimmanente

Verkörperlichung unmissverständlich bevorzugt.

Religiöse Erziehung zu Hause nimmt Gestalt an in kirchlicher Verbundenheit (in die Kirche gehen und kirchlich-ehrenamtliche Arbeit), sowie auch in weltlicher Verbundenheit und in häuslichen, religiösen Ritualen (weniger von den gleichen, im Vergleich zur vorigen Generation), die Anlass zur religiösen Kommunikation sind. Das Ganze bietet Kindern (geboren zwischen 1975-1985) Bezugspunkte für den eigenen Umgang mit der Gottesfrage. Bei Eltern, die entkirchlich geworden sind, nimmt die von zu Hause aus überlieferte

Religiosität keine heutige Gestalt an, während das häusliche Leben und die Erziehung keine struktuellen, anderen gemeinsamen Weisen entwickelt, die explizit das Engagement zu Fragen über Sinn, Zukunft und Leben zum Ausdruck bringen, auch nicht unter Neu-Spirituellen.22

(Un)Kirchlichkeit und (Un)Gläubigkeit

Dieser Zusammenhang zwischen (un)kirchlichkeit und (un)gläubigkeit wird in der jüngsten Studie ‘Gott in den Niederlanden’ auch wahrgenommen: wenn die Kirchlichkeit zurückgeht, geht auch die Religiosität zurück.23 Religiosität oder Spiritualität die ungebunden und

individuell ist, wird nicht unter der jüngeren Generation wahrgenommen, sondern unter den ‘älteren Jugendlichen’ – der Generation die kurz nach dem Krieg geboren wurde – und geht aus ihrer früheren kirchlich-religiösen Erziehung und Verbundenheit hervor.24

Der Zusammenhang wurde außerdem in verschiedenen Studien über Jugendliche beschrieben. In wie weit die Eltern mit der Kirche verbunden sind, bestimmt deren Handeln im häuslicher 22 Elshof, Toke, Religious Heritage. The Development of Religiosity and Religious Socialization over three Generations of Roman Catholic Family Life,’ in: Tradierungsprozesse im Wandel der Moderne, D. Owetschkin (Hg) Klartext 2012, 165-180

23 Bernts, Ton, Gerard Dekker & Joep De Hart, God in Nederland 1996-2006. Kampen, 2007, 52-55, Elshof, Van huis uit katholiek, 396-406

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religiöser Kommunikation und Praxis und in der religiösen Erziehung die sie ihren Kindern geben.25

Dass katholische Jugendliche im Vergleich zu anderen Denominationen am wenigsten an religiösen Themen interessiert sind und sich am wenigsten religiös benehmen (beten,

Bibellese, Kirchenbesuch), ergibt sich aus ihrer Beobachtung, dass die Religion im Leben der Eltern wenig bedeutet;26 es ist die Folge der unregelmäßigen, wenig systematischen Weise auf

die sie damit zu Hause in Berührung gekommen sind. Ihre geringe Religiosität ist kein Bruch mit der religiösen Haltung der Eltern, sondern radikalisiert diese.27

Dass vor allem unkirchliche katholische Eltern es schlecht meistern, ihre Kinder religiös zu erziehen, scheint eine Illustration für den Bruch der traditionellen und von zu Hause aus überlieferten Religiosität. Dennoch ist eine solche Vorstellung nicht ganz angemessen. Ich nenne drei Signale dessen bleibender Deutung, die außerdem Fundort des heutigen

Gottesverlangen sind.

Traditionelle Spuren innerhalb der Unkirchlichkeit

Die traditionelle, katholische, rituelle, selbstverständliche und gemeinsame Religiosität hat sich zuerst im Verfließen und Aufhören der explizit religiösen Äußerungsformen innerhalb des Lebens und Erziehens durchgesetzt.

Sie war den modernen Forderungen der individuellen Reflektion, Formulierung und

Verantwortung nicht gewachsen, hat daneben aber zu einer Kirchenverlassung beigetragen, die genau so selbstverständlich und massenhaft ist wie die frühere Kirchlichkeit massenhaft und selbstverständlich war.

Forschungen aus Erfahrungsberichten deuten aber darauf hin, dass Kirchenverlassung sich nicht nur daraus ergibt, dass man aufhört dem zu glauben was früher sehr wohl geglaubt wurde.

Außerdem stellt sich heraus, dass Kirchenverlassung oft nicht als Bruch mit oder Befreiung von der Kirche erfahren wird, sondern sie ist ein Prozess kollektiven und schrittweise durchgeführten Distanzierung von der Kirche. Die Verschwindung der religiösen Subkultur und der veränderte Lebensstil spielten eine entscheidende Rolle bei der Kirchenverlassung.28

Diese Daten sind von Bedeutung weil sie die ambivalenten Gefühle in Bezug auf Kirchlichkeit und Kirchenverlassung zeigen. Diese relativieren die üblich gewordene, negative Kirchensicht, weil sie verdeutlichen, dass nur die negativen Erfahrungen darin zu erkennen sind. Kritik an der Vergangenheit und an der eigenen fremd gewordenen,

kirchlichen Verbundenheit ist zu betrachten als Strategie, mit der Menschen versuchen die Vergangenheit in ihre Lebensgeschichte zu integrieren: durch Distanz.29

25 De Hart, Joep, Levensbeschouwelijke en Politieke Praktijken van Nederlandse Middelbare Scholieren, Kampen, 1990, 245-246; Van der Ven, Hans & Berdine Biemans, Religie in fragmenten. Een onderzoek onder studenten. Kampen, 1994, 65-68

26 De Hart, Levensbeschouwelijke en PolitiekePpraktijken, 164, 242, 246; Pieper, Jos & Paul Vermeer, Present Day Students Faith. Consequences for Religious Education, in: Journal of Empirical Theology 14(2001)2, 53-74; Van Dijk-Groeneboer, Monique & Jacques Maas, Van God los? Utrecht 2000, 6-7; Van Dijk-Groeneboer, Monique & Jacques Maas, Op zoektocht: levenslang! Utrecht 2001, 17-21

27 Schwab, Ulrich. Familienreligiosität: Religiöse Traditionen im Prozess der Generationen. Stuttgart, 1995 28 Elshof, Van huis uit katholiek; Van Rooden, Peter, ‘Oral history en het vreemde sterven van het Nederlandse christendom’ in: Bijdragen en Mededelingen betreffende de Geschiedenis der Nederlanden. 4 (2004) 524-551; Kerklaan, Marga, Van huis uit. Drie generaties katholieken over de invloed van de secularisatie op hun beleving van seksualiteit, gezin en geloof. Baarn, 1994

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Die Diskrepanz die zwischen Erfahrungen und Sicht wahrgenommen wurde impliziert aber dass eine heutige negative Sicht auf die eigene kirchliche Vergangenheit gut mit früheren positiven Erfahrungen einhergehen kann: diese blieben unausgesprochen.30

Frühere Glaubenserfahrungen können also das Gottesverlangen, das unbewusst in späteren Generationen seine Auswirkung hatte, tragen.

Die traditionelle Religiosität ist auch in der Kritik die die großelterliche und die elterliche Generation an der Kirche hat, wahrzunehmen. Obwohl Kritik an der Kirche meistens als Zeichen der mentalen Distanz und Irrelevanz31 betrachtet wird, muss sie nicht darauf

hinweisen. So kann der Sprechstil eine emotionelle Verbundenheit (Wut, Kummer,

Verlangen, Heimweh) mit der Kirche ausdrücken, auch wenn diese auf der Ebene des Inhalts geleugnet oder nivelliert wird. Auch die Tatsache, dass Fragen über den persönlichen Glauben meistens nicht dadurch beantwortet werden, dass man eingeht auf Bibelgeschichten oder eigene religiöse Erlebnisse oder Erfahrungen, sondern dadurch, dass man die Sicht auf die Kirche zur Sprache bringt, deutet auf die anhaltende Bedeutung der traditionellen Religion, einschliesslich die centrale Rolle der Kirche. Sie ist der Bezugspunkt geblieben. Obwohl die Sicht meistens negativ ist, vor allem in Bezug auf die verwaltungsmäßigen, organisatorischen und hierarchischen Seiten der Kirche, stellt sich unter kirchlichen und unkirchlichen

Katholiken heraus, dass es immer noch ein Verlangen nach einer Glaubensgemeinschaft gibt die das persönliche und gesellschaftliche Leben inspirieren kann und will. Heftige Kritik an der Kirche kann ein solches Verlangen zum Ausdruck bringen; sie drückt dann aber keine kirchliche Distanz sondern enttäuschte Hoffnung und anhaltende kirchliche Verbundenheit aus. Diese Art von Kritik kann man sogar als eine wichtige religiöse Praxis betrachten, weil es sich um das Verlangen nach einer Kirche die ihrer sakramentellen Bestimmung entspricht handelt.32 Obwohl es beunruhigend ist, dass eine solche Verbundenheit vor allem im

Negativen und als ‘Mangel an’ ausgedrückt wird, ist es auch vielversprechend. Dasjenige, nach dem man verlangt, wird nämlich durch dasjenige, woran es uns fehlt, zugänglich gemacht.33 Kritik an der Kirche kann also Fundort von Gottesverlangen sein.

Zum Schluss zeigt sich die traditionelle Religiosität in der jüngeren Generation (un)kirchlicher Eltern in ihrer Wahl für eine katholische Grundschule; vor allem die traditionelle Ausrichtung auf Einbettung und Gemeinschaft. Säkularisierung und

Individualismus haben das Verlangen nach Einbettung in eine übersteigende Gemeinschaft nämlich nicht verwischt sondern angeregt und dieses Verlangen nimmt in den Erwartungen an katholische Grundschulen Gestalt an. Unkirchliche Eltern die ihre Kinder nicht ohne

Traditionen aufwachsen lassen möchten, erwarten dass die Schule sie mit den katholisch-christlichen Geschichten, Einsichten, Normen, Werten, Feiern und Gebeten in Kontakt bringt.34 Hier zeigt sich der vorkonziliäre Erwartungshorizont der Komplementarität von

30 Elshof, Toke, Geloof in de familie. Een intergeneratief perspectief, in: Tijdschrift voor Theologie 55(2015)3, 251-269

31 Sehen Sie z.B. Gerard Groener, der meint dass Katholiken heutzutage nicht stolz mehr auf ihre Kirche sind, während sie das in der Zeit vor und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil sehr wohl waren. In: Ingewijd en toegewijd. Profiel en vorming van de parochiepastor. 2003. Zoetermeer, 2003, 138

32 Vgl. Lumen Gentium 37 der meint, dass Laiengläubiger dazu ermächtigt und verpflichtet sind, ihre Meinung auszusprechen in Sachen, die das Wohl der Kirche betreffen und Apostolicam Actuositatem 5 der Laien fragt, ihre Probleme und die der Welt unter die Aufmerksamkeit der Kirchenleitung zu bringen.

33 Elshof, Van huis uit katholiek.

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Schule und Familie: Eltern heutzutage erwarten in religiöser Hinsicht von der Schule noch immer dasjenige, was sie sich selbst nicht zutrauen. Die frühere elterliche Erwartung einer Einbettung in kirchliches Gemeinschaftsleben ist aber verschwunden; das Image der Kirche ist zu institutionell und negativ. Es zeigt sich eine Verschiebung wobei die katholische Grundschule der Ort wird, an dem ihre Kinder, aber auch sie selbst, auf eine erkennbare Weise, passend zu ihrem Leben, mit dem katholischen Glauben in Kontakt kommen. Denn dort stehen nicht die institutionellen und dogmatischen Aspekte des Glaubens im Mittelpunkt, sondern die Feiern, die Ethik und das Erleben der Gemeinschaft. Nicht die Kirche sondern die Schule wird als Fundort eines religiösen Gemeinschaftslebens betrachtet; dort versuchen Menschen der christlichen gläubigen Inspiration Gestalt zu geben35, “wo der Glaube der

Nächstenliebe in Zuwendung für Menschen und Gesellschaft übersetzt wird.”36

Diese Erwartung an katholische Bildung drückt ein Gottesverlangen aus.

Obenerwähntes verdeutlicht den Zusammenhang zwischen (Un)Kirchlichkeit und (Un)Religiosität und zeigt außerdem dass Unkirchlichkeit Spuren der traditionellen Religiosität in sich haben kann. Dass dieser immer noch Bezugspunkt ist, zeigt auch eine aktuelle Studie unter Jugendlichen. Auch wenn wir erkennen, dass die Perzeption der Jugendlichen in Bezug auf die christliche Religion von Fragmentation und kollektivem Gedächtnisverlust gekennzeichnet wird37, wird der Zusammenhang zwischen Kirchlichkeit,

religiöser Bildung und religiösem Interesse und Aufgeschlossenheit anderen Religionen38 und

neuen spirituellen Strömungen gegenüber erkennt: diese gibt es vor allem bei kirchlichen Jugendlichen.39

35 Elshof, Toke, Catholic Schools and the Embodiment of Religiosity: the Development of Catholicity Toward the Common Good, in: Religious Education 110(2015)2, 150-161

36 Zitat aus DVD Kiezen en Delen, BOND KBO/KBVO 2008

37 Elshof, Toke. The challenge of Religious Education to deal with past and present Catholicism, in: British Journal of Religious Education 2016; Casson, Ann, The right to ‘bricolage’: Catholic pupils’ perception of their religious identity and the implications for Catholic schools in England, in: Journal of Beliefs and Values: Studies in Religion and Education 32(2011) 2, 207-218; Vgl. Ter Avest, Ina, Cok Bakker, Gerdien Bertram-Troost & Siebren Miedema, Religion and Education in the Dutch Pillarized and Post-Pillarized Educational System. Historical Background and Current Debates, in Jackson, R. et al (Eds). Religion and Education in Europe. Developments, Contexts and Debates. Münster, 2007, 203-219; Van der Tuin, Leo, The Netherlands: A Peculiar Religious Landscape, in Zieberts, H.-G. & W. Kay (Eds.), Youth in Europe II. An International Empirical Study about Religiosity. Münster 2009, 117-138; Van Dijk-Groeneboer Monique, Jacques Maas & Hans Van den Bosch, Godsdienst: Lekker belangrijk! Tilburg 2008; Van Dijk-Groeneboer, Monique & Bernice Brijan, Kerk uit zicht? Jongeren inspireren..!Tilburg, 2013

38 Sterkens, Carl., & Paul Vermeer. Het (on)mogelijke godsdienstonderwijs. Jongeren en religie anno 2011, in: Tegen-woordig. Jeugd en geloofscommunicatie vandaag, ed. D. Pollefeyt and E. De Boeck, Leuven: Acco, 2012, 51-77; Vermeer, Paul, Meta-concepts, thinking skills and religious education, in: British Journal of Religious Education, 34 (2012) 3, 333 – 347; Vermeer, Paul, 2013, Religious indifference and religious education in the Netherlands: A tension unfolds. Theo-web. Zeitschrift für Religionspädagogik 12, H.1, 79 - 94. Elshof, the Challenge of RE, 2016; De Hart, God in Nederland, 2007

39 Unkirchliche Jugendliche sind weder an der eigenen Religion, noch an anderen Religionen oder spirituellen Strömungen interessiert. In ihrem gelegentlichen neuspirituellem Interesse sind sie wie Kunden die Dienste von Medien oder Behandlern benutzen. Sehen Sie Jespers, Frans, De paramarkt. New Age en volksgeloof, in: Religie en Samenleving 2(2007)2, 125-144. Er sieht hier Übereinkünfte mit dem (früheren) Volksglauben. Um das Übernatürliche herum drücken sie die pragmatische und fragmentarische Haltung aus, die ihre ganze

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Außerdem zeigt sich unter unkirchlichen Jugendlichen ein Zusammenhang zwischen überlieferten vorkonziliären, konventionellen religiösen Glaubenssätzen einerseits und ihre Ablehnung des Islams andererseits.40

Theologische Deutung: Voraussetzungen

Dass Unkirchlichkeit Spuren erstarrter, überlieferter, religiöser Glaubenssätzen zeigt,

impliziert dass das theologische und kirchliche Vokabular relevant für die heutige Gottesfrage geblieben ist. Dieses Vokabular kann man aber nicht ohne Weiteres anführen, weil und inwiefern das als Aufruf wahrgenommen wird, zurück zu den religiösen Formen und Inhalten zu gehen die als unterdrückend oder bedeutungslos zur Seite geschoben wurden. Es verlangt ein behutsames Vorgehen, das diagnostisch und dialogisch ist und das die Widerspenstigkeit nicht scheut.

Theologische und kirchliche Diagnostik betrifft Einsicht in den Einfluß überlieferter, religiöser Muster innerhalb des heutigen religiösen und weltanschaulichen Suchens: für vorkonziliäre religiöse Spuren die, je länger es Unkirchlichkeit gibt, um so länger Einfluß ausüben. Und für Religiosität in nonverbalen Äußerungen wie Körpersprache, Emotion, Verlangen nach Gemeinschaft, und ritueller oder mit Werten beladener Praxis.41 Der

diagnostische Gebrauch theologischer Sprache kann außerdem die existentielle Dimension der säkularen Sinnsuche und des Suchens nach Zusammenhang verdeutlichen. Die christliche Tradition umfasst nämlich einige Erfahrungsdimensionen (das Heilige, die Vorsehung Gottes, Glaube, Gnade, Bekehrung, Berufung, Gemeinschaft)42 und Grundmotive (Schöpfung,

Hoffnung, Exodus, Liebe, Bekehrung, Inkarnation)43 die ein säkulares Pendant haben, worin

sich die weltliche Offenheit dem Religiösen gegenüber ausdrückt. Christliches Vokabular kann diese Deutungen näher verdeutlichen und zum Ausdruck bringen und auf diese Weise die implizite und explizite Gottesfrage fordern.

Theologisches und kirchliches Sprechen soll außerdem dialogisch sein: es soll die säkulare subjektive Orientierungssuche ernst nehmen und diese dialogisch mit religiösen Geschichten, Ritualen, Einsichten usw. verbinden. So entsteht die Möglichkeit einer intersubjektiven Einbettung worin widerspenstige Themen nicht vermieden werden sollen, zuerst mal nicht aus pädagogischer Perspektive. Themen die Widerstand hervorrufen, können nämlich früheren theologischen und kirchlichen Input, der für manche Menschen störend oder schmerzhaft gewesen ist, zum Ausdruck bringen. Dass dieser Widerstand zur Sprache kommt, regt das weiter zum Ausdruck bringen der Gottesfrage an. Dass die Widerspenstigkeit in Dialog gebracht wird, ist aber auch aus der Theologie heraus notwendig, denn Widerspenstigkeit ist dem Christentum eigen, so dass Christemtum und Kultur in keinerlei Zeitalter aufeinander zurückgeführt werden dürfen. Das Aufheben des Unterschieds führt zu einer Nivellierung der relativen Autonomie der Kultur und zu einer Nivellierung des Überschreitenden und

Mysteriösen der ‘Tradition’. Davon hat die Geschichte bittere Früchte geerntet, kollektiv44

beschäftigt sich am liebsten möglichst wenig mit Problemen, wenn sie darauf stoßen. Probleme bewältigen sie vor allem dadurch, dass sie weitergehen mit Arbeit oder Studium. Vergleichen Sie Kregting, Joris & Jose Sanders, J. Waar moeten ze het zoeken? Kaski 2003, nr. 510

40 Schweitzer, Friedrich, Religious individualization: new challenges to education for tolerance., in: British Journal of Religious Education, 29 (2007)1, 89-100; Elshof, The Challenge of RE, 2016

41 Elshof, Toke. Religious Narrative and the Body, in: Religious Stories We Live By. Narrative Approaches in Theology and Religious Studies, R. Ganzevoort et al (Eds), Boston, 2014, 157-168

42 Pruyser, Paul, De pastor als diagnosticus, Haarlem, 1978, 55-73.

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und individuell.45 Das Kennenlernen einer widerspenstigen und befremdenden religiösen

Sprache konfrontiert eine Gemeinschaft und Individuen mit einer transzedenten Perspektive die es ermöglicht, das Leben anders zu erfahren und zu leben. Gottes Solidarität mit den Menschen, die in der impliziten und expliziten Gottesfrage innerhalb der Welt zum Ausdruck kommt, profitiert auch davon dass Religion und Kultur nicht aufeinder zurückgeführt werden weil jedes Zeitalter Kräfte umfasst die das Menschliche Dasein bedrohen46 und die ein

theologisches und ein kirchliches ‘Gegenüber’ verlangen. Das christliche Vokabular ist also nicht immer mit der Kultur im Einklang; es unterbricht sie auch. Das ist aber eine

solidarisierende Unterbrechung, ausgerichtet auf kulturelle Erneuerung: dasjenige was unterbrochen wurde, bekommt einen anderen Fortgang, in dem von Bekehrung, Wende die Rede ist.47

Solidarität mit der impliziten und expliziten säkularen Gottesfrage verlangt eine theologische Schätzung der säkularen als auch der weltlichen Eigenheit. Auch wenn die überlieferte religiösen Traditionen beschränkt sind und kontextuell in ihrer Vermittlung der ‘Tradition’, sie vermitteln eine Sprache mit der ‘die Tradition’ erfahren, gedacht werden kann was neue persönliche, konkrete und Kontekstuelle Hervorhebungen der Gottesfrage fordert.

44 Sehen Sie den Widerstand von Barth gegen ein Kulturchristemtum, wo vor allem die Kultur als Fundort von Gottesoffenbarung ‘von innen aus’ wahrgenommen wird und wo die Kirche der Entwicklung der Kultur (des Staates) dienst. Ein solcher Christentum löst Gott aus der biblischen und christlichen Tradition, verringert damit die kritische Kraft des Evangeliums und liefert die Menschen den zerstörerischen Kräften der industriellen Revolution und dem gewalttätigen Nationalismus aus. Barth, Karl, Die Protestantische Theologie im 19.Jahrhundert. ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zürich, 1946, 544-522

45 Zoals binnen het godsdienstig en levensbeschouwelijk leren onderkend wordt: Elshof, Toke, De religieuze generatiekloof, in: Narthex, Tijdschrift voor Levensbeschouwing en educatie 12(2012)4, 63-69; Roebben, Bert, Inclusieve Godsdienstpedagogiek,Leuven, 2015, 117-118; Gärtner, Claudia, Religionsunterricht – ein

Auslaufmodell? Begründungen und Grundlagen religiöser Bildung in der Schule, Paderborn, 2015 46 GS2 spricht von einer Welt der unter der Sklaverei der Sünde gebückt ist.

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