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"Heiner und Hanni" oder "Julia und Alexander"? Zur Anwendbarkeit der Neuübersetzungshypothese auf die Kinderliteratur am Beispiel der deutschen Übersetzungen von Annie M.G. Schmidts "Jip en Janneke"

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Heiner und Hanni oder Julia und Alexander?

Zur Anwendbarkeit der Neuübersetzungshypothese

auf die Kinderliteratur am Beispiel der deutschen Übersetzungen

von Annie M.G. Schmidts Jip en Janneke

Universiteit van Amsterdam

Faculteit der Geesteswetenschappen

Taalwetenschappen: Vertalen

Masterscriptie

Pia Hoffmann 11726822

Begeleider: dhr. dr. E.R.G. Metz

30 Juni 2018

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Die Masterarbeit hat zum Ziel die Anwendbarkeit der Neuübersetzungshypothese nach Paul Bensimon und Antoine Berman auf die Kinderliteratur an einem konkreten Beispiel zu überprüfen. Hierfür wurden die zwei deutschen Übersetzungen des niederländischen Kinder-buchklassikers Jip en Janneke von Annie M.G. Schmidt und Fiep Westendorp untereinander und mit dem Ausgangstext verglichen. Es wurde sowohl die Textebene als auch die Bildebene untersucht. Die erste Übersetzung mit dem Titel Heiner und Hanni, angefertigt von Alfred van der Marck, erschien im Jahr 1961, wenige Jahre nach der Veröffentlichung des Aus-gangstextes. Die Neuübersetzung Julia und Alexander, übersetzt von Mirjam Pressler, wurde etwa dreißig Jahre später herausgegeben. Das Ergebnis der vergleichenden Übersetzungs-ana-lyse ist, dass eine Kategorisierung eines gesamten Textes als einbürgernde oder verfrem-dende Übersetzung nicht möglich ist, was eine eindeutige Beantwortung der Frage nach der Anwendbarkeit der Übersetzungshypothese auf die Kinderliteratur erschwert. Grundsätzlich kann die Neuübersetzungshypothese auf die Kinderliteratur angewendet werden, aber gerade im Bereich der Kulturspezifika ist die Anwendung problematisch, da Kinderliteratur im All-gemeinen aufgrund der eingeschränkten Rezeptionsfähigkeit der Zielgruppe einbürgernd übersetzt wird. Als theoretische Grundlage diente die Skopostheorie von Hans J. Vermeer und der texttypologische Ansatz von Katharina Reiß. Für die kinderliterarischen Übersetzungsspe-zifika wurden vor allem die Ansätze von Göte Klingberg und Riitta Oittinen herangezogen.

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3 1. Einleitung 5 1.1 Zur Hypothese 7 1.2 Zur Methodik 8 2. Übersetzungswissenschaftliche Grundlagen 9 2.1 Die Neuübersetzungshypothese 9 2.2 Kinderliteratur in der Übersetzungswissenschaft 11 2.3 Allgemeine Translationstheorie von Reiß und Vermeer 13 2.3.1 Die Skopostheorie 13 2.3.2 Der texttypologische Ansatz 14

3. Spezifika kinderliterarischen Übersetzens 19

3.1 Inhaltliche Spezifika: Klingbergs cultural context adaptation 21 3.2 Sprachliche Spezifika: Syntax und Lexik 25

3.3 Die Bildebene 27

4. Übersetzungskritische Analyse der deutschen Übersetzungen von Jip en Janneke 30

4.1 Zur Textauswahl 30

4.1.1 Der Ausgangstext 30 4.1.2 Die erste Übersetzung 32 4.1.3 Die Neuübersetzung 35 4.1.4 Materialauswertung 38 4.2 Außersprachliche Faktoren 39 4.3 Inhaltliche Aspekte 41 4.3.1 Kulturspezifikum Eigennamen 42 4.3.2 Titelüberschriften 48 4.3.3 Weitere Kulturspezifika 51 4.4 Sprachliche Aspekte 59 4.4.1 Syntax 60 4.4.2 Lexik 64

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4.5 Analyse der Bildebene 70 4.5.1 Die erste Übersetzung 72 4.5.2 Die Neuübersetzung 74

5. Schlussbetrachtung 78

5.1 Die Neuübersetzungshypothese und kinderliterarisches Übersetzen 80 5.2 Weitere abschließende Überlegungen 81

6. Literaturangaben 84

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„Jip liep in de tuin en hij verveelde zich zo. Maar kijk, wat zag hij daar? Een klein gaatje in de heg.“

– Diese Worte markieren den Beginn einer mittlerweile 66 Jahre andauernden Freundschaft zwischen den beiden Nachbarskindern Jip und Janneke. Am 13. September 1952 erschien die erste Kurzgeschichte auf der Kinderseite der niederländischen Tageszeitung Het Parool unter dem Titel Jip en Jan-ne-ke spe-len sa-men. Seit dem wurde fünf Jahre lang, bis zum 7. Sep-tember 1957, jede Woche eine neue Geschichte über die Erlebnisse der beiden Vorschulkin-der veröffentlicht (Vgl. Salverda 1991: 113). Die nieVorschulkin-derländische Schriftstellerin und Journa-listin Anna Maria Geertruida Schmidt, besser bekannt als Annie M.G. Schmidt, schrieb in dieser Zeit mehr als 250 Kurzgeschichten über Jip und Janneke, welche zwischen 1953 und 1960 auch in Buchform in mehreren Bänden erschienen. Unlösbar verbunden mit den Kurz-geschichten sind die Illustrationen von Fiep Westendorp welche die beiden Kinder als schwarze Silhouetten darstellen. In den Niederlanden wurden die Kurzgeschichten schnell sehr beliebt und verhalfen Annie M.G. Schmidt dazu, eine der erfolgreichsten Kinderbuchau-torinnen des Landes zu werden. Aufgrund des großen Erfolges wurde Jip en Janneke auch in andere Sprachen übersetzt – so gibt es Ausgaben in den gängigen europäischen Sprachen Deutsch, Englisch und Spanisch. Weiter gibt es auch Übersetzungen in den Sprachen Afri-kaans, Chinesisch, Estnisch, Friesisch, Griechisch, Hebräisch, Ungarisch, Indonesisch, Japa-nisch, Litauisch, MazedoJapa-nisch, UkraiJapa-nisch, Persisch, PolJapa-nisch, Russisch, Serbisch, Slowe-nisch, Türkisch und Vietnamesisch. Sogar auf Lateinisch ist eine Ausgabe erschienen. (Vgl. Nederlands Letterenfonds Vertalingendatabase)

In Deutschland erschienen in den Jahren 1961 und 1962 insgesamt vier Bände mit den Titeln Heiner und Hanni (1961), Da gehen sie, Heiner und Hanni (1961), Aufgepaßt, Heiner

und Hanni (1962) und Tausend Grüße von Heiner und Hanni (1962). Angefertigt wurden die

Übersetzungen von Alfred van der Marck. Knapp dreißig Jahre später erschien im Jahr 1989 erneut eine deutsche Übersetzung von Mirjam Pressler mit dem Titel Julia und Alexander. Während in der ersten Übersetzung von Alfred van der Marck noch die charakteristischen Il-lustrationen von Fiep Westendorp beibehalten wurden, sind diese in der Neuübersetzung von Mirjam Pressler durch völlig neue Illustrationen von Susann Opel ersetzt worden. Diese zu-nächst rein oberflächlichen Beobachtungen wie die veränderte Bildebene und die

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verschiede-6

nen Titel der Übersetzungen lassen bereits vermuten, dass sich die beiden Übersetzungen so-wohl untereinander unterscheiden als auch vom Ausgangstext abweichen. Es lohnt sich also eine nähere Betrachtung insbesondere im Hinblick auf die beiden gegensätzlichen Überset-zungsmethoden der wörtlichen und freien Übersetzung. Mit diesem übersetzungsrelevanten Problem wurde sich bereits in der Antike beschäftigt, so sprach sich Cicero (106-43 v. Chr.) weniger für die wörtliche Übersetzung aus, vielmehr empfahl er Übersetzern, in ihrer jeweils eigenen Sprache passende Wörter zu finden, die das Original so weit wie möglich wiederge-ben (Vgl. Kelly 2011: 478). Eine auf diesen Gedanken aufbauende Unterscheidung der Über-setzungsmethoden findet sich auch bei Friedrich Schleiermacher. In seiner bekannten Ab-handlung „Ueber die verschiedenen Methoden des Uebersezens“ aus dem Jahr 1813 macht er eine deutliche Unterscheidung zwischen einbürgernder („domestication“) und verfremdender („foreignization“) Übersetzung, wobei sich der Übersetzer1 zwischen diesen beiden Methoden

entscheiden muss, da eine Vermischung dieser zwangsläufig zu einem Misserfolg führt (Vgl. Schleiermacher 1813: 47). Der Übersetzer steht also vor der Wahl, den zu übersetzenden Text an die sprachlichen und kulturellen Eigenschaften der jeweiligen Zielkultur anzupassen oder die ursprünglichen und möglicherweise unbekannten, fremden Eigenschaften des Ausgangs-textes beizubehalten.

Bis heute ist das Problem dieser Entscheidung im übersetzungswissenschaftlichen Dis-kurs aktuell und Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Im Hinblick auf literarische Neu-übersetzungen hat sich in der Translationswissenschaft der Begriff Neuübersetzungshypothese („retranslation hypothesis“) eingebürgert. Hierbei handelt es sich vereinfacht ausgedrückt um die Annahme, dass eine neuere Übersetzung dem Ausgangstext mehr entspricht und somit qualitativ hochwertiger ist, als eine frühere Übersetzung. Dies wird damit begründet, dass bei einer ersten Übersetzung die fremden Elemente an den Leser der Zielkultur angepasst werden. Diese Methode entspricht einer einbürgernden Übersetzung. Demgegenüber steht die ver-fremdende Übersetzungsmethode: Wenn in einer Zielkultur eine neue Übersetzung in Auftrag gegeben wird, so geschieht dies meist aufgrund eines hohen Ansehens des Ausgangstextes in der Zielkultur – in neueren Übersetzungen werden daher die fremden Elemente des Aus-gangstextes eher beibehalten, da der Text in der Zielkultur bereits bekannt ist und daher den Lesern einer Neuübersetzung die fremden Elemente eher zugemutet werden als bei einer ers-ten, einführenden Übersetzung (Vgl. Berman 1990 und Bensimon 1990).

1 Zur besseren Lesbarkeit wird im Folgenden die Bezeichnung „Übersetzer“ verwendet. Hiermit sind sowohl

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1.1 Zur Hypothese

Die vorliegende Masterarbeit hat zum Ziel, die Anwendbarkeit der Neuübersetzungs-hypothese auf den Bereich der Kinderliteratur zu prüfen. Dies soll am Beispiel der deutschen Übersetzungen von Annie M.G. Schmidts Jip en Janneke geschehen, wobei sowohl die Bild-ebene als auch die TextBild-ebene in die Betrachtung einbezogen wird. Das Übersetzen von Kin-derliteratur unterscheidet sich vom Übersetzen von Erwachsenenliteratur, was größtenteils in der noch beschränkten Weltkenntnis des Kindes begründet liegt. So ist die Übersetzungsstra-tegie der kulturellen Anpassung ein häufig angewendetes Mittel des kinderliterarischen Über-setzens. Es soll untersucht werden, ob nichtsdestotrotz auch bei der Kinderliteratur das Phäno-men beobachtet werden kann, dass die erste Übersetzung mehr einbürgernde Merkmale ent-hält und die nachfolgenden Übersetzungen wieder mehr die dem Ausgangstext entsprechen-den verfrementsprechen-denentsprechen-den Elemente. Basierend auf der Neuübersetzungshypothese kann also die Hypothese für die vorliegende Masterarbeit formuliert werden:

Die Übersetzung von Mirjam Pressler entspricht dem Ausgangstext mehr als die Über-setzung von Alfred van der Marck und ist somit – gemäß der NeuüberÜber-setzungshypo- Neuübersetzungshypo-these – qualitativ hochwertiger.

Die Masterarbeit soll die folgenden Fragen beantworten:

- Gilt die Neuübersetzungshypothese für die beiden deutschen Übersetzungen von

Jip en Janneke und ist dann die Übersetzung von Mirjam Pressler näher am

Aus-gangstext und qualitativ hochwertiger als die Übersetzung von Alfred van der Marck?

- Gilt die Neuübersetzungshypothese auch auf der Bildebene für die Illustrationen? - Lässt sich die Neuübersetzungshypothese also auch auf den Bereich der

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1.2 Zur Methodik

Zunächst sollen die übersetzungswissenschaftlichen Grundlagen, auf die sich die vor-liegende Masterarbeit stützt, erläutert werden. Nachdem erst die Neuübersetzungshypothese nach Antoine Berman und Paul Bensimon dargestellt wird (Kapitel 2.1), soll ein kurzer Über-blick über den Status und die Position von Kinderliteratur in der Übersetzungswissenschaft gegeben werden (Kapitel 2.2). Da es bislang in der Translationswissenschaft noch kein allge-mein gültiges übersetzungskritisches Modell speziell für übersetzte Kinderliteratur gibt, soll sich zunächst an den theoretischen Arbeiten von Katharina Reiß und Hans J. Vermeer orien-tiert werden (Kapitel 2.3). Ihr Beitrag einer allgemeinen Translationstheorie liefert zahlreiche Anhaltspunkte für die Bewertung einer Übersetzung. Bedeutende Beiträge des spezifisch kin-derliterarischen Übersetzens wurden vor allen Dingen von Göte Klingberg und Riitta Oittinen geleistet (Kapitel 3).

Da nach Reiß und Vermeer (1984) die Wahl der Übersetzungsmethode vom Texttyp und dem jeweiligen Zweck der Übersetzung abhängt, werden die beiden deutschen Überset-zungen von Jip en Janneke im darauffolgenden analytischen Teil basierend auf einem skopos-orientierten funktionalen Ansatz nach Reiß (1971) auf Äquivalenzen zum Ausgangstext hin untersucht. Hierfür werden sowohl inhaltliche (Kapitel 4.3) als auch sprachliche (Kapitel 4.4) Aspekte in die Untersuchung mit einbezogen. Die Illustrationen von Fiep Westendorp im Ausgangstext sind charakteristisch für Jip en Janneke und untrennbar mit dem Text von An-nie M.G. Schmidt verbunden, weshalb auch in der vorliegenden kritischen Analyse auf die Bildebene eingegangen wird (Kapitel 4.5). Ausgehend von der Definition, dass Illustrationen intersemiotische Übersetzungen darstellen (Vgl. Jakobson 1959: 114), stützt sich die Analyse auf Oittinens Annahme „illustration can be understood as a form of translation as such“ (Oitti-nen 2000: 75). Mit dieser Argumentation kann die Anwendbarkeit der Neuübersetzungshypo-these also auch auf der Bildebene geprüft werden. Am Ende der Arbeit soll das Ergebnis der Analyse die Frage beantworten, welche der beiden deutschen Übersetzungen sprachlich, in-haltlich und die Illustrationen betreffend dem Ausgangstext mehr entsprechen und soll somit Aufschluss über die Anwendbarkeit der Neuübersetzungshypothese auf die Kinderliteratur – zumindest für diesen konkreten Fall – geben.

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„Entweder der Uebersezer läßt den Schriftsteller möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser

mög-lichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen.“ – Friedrich Schleiermacher

2.1 Die Neuübersetzungshypothese

Der Begriff Neuübersetzung wird in der vorliegenden Masterarbeit als Übersetzung eines Textes verstanden, der in derselben Sprache bereits zuvor übersetzt wurde. Im Fokus des wissenschaftlichen Interesses stehen zumeist die Neuübersetzungen literarischer Texte, wobei es auch wissenschaftliche Betrachtungen von Neuübersetzungen nicht-literarischer Texte gibt. Literarische Neuübersetzungen sind im Allgemeinen positiv behaftet, da sie dazu führen, dass der Ausgangstext auf verschiedenen Arten interpretiert und gelesen werden kann und somit Vielfalt geschaffen wird (Vgl. Gürçağlar 2011: 233). Der Translationswissenschaft-ler und Übersetzer Lawrence Venuti teilt in seinem Artikel Retranslations: The Creation of

Value diese Ansicht, indem er feststellt: „Retranslations reflect changes in the values and

in-stitutions of the translating culture, but they also produce such changes by inspiring new ways of reading and appreciating foreign texts.“ (Venuti 2003: 36).

Viele theoretische Abhandlungen über das Phänomen der literarischen Neuübersetzun-gen stützen sich auf die in der Translationswissenschaft unter dem Begriff bekannt gewordene

Neuübersetzungshypothese. Diese Hypothese geht hervor aus dem 1990 in der Zeitschrift Palimpsestes – Revue de traduction veröffentlichten Artikel mit dem Titel La retraduction comme espace de la traduction, verfasst von dem französischen Literaturkritiker und

Transla-tionswissenschaftler Antoine Berman. Berman ist der Auffassung, dass es sich bei einer ersten Übersetzung um ein unvollständiges Produkt handelt und dieses nur durch weitere Überset-zungen an Vollkommenheit gewinnen könne: „Dans ce domaine d'essentiel inaccomplisse-ment qui caractérise la traduction, c'est seuleinaccomplisse-ment aux retraductions qu'il incombe d'atteindre – de temps en temps – l'accompli.“ (Berman 1990: 1). Er argumentiert also, dass ausschließ-lich neu angefertigte Übersetzungen dem Ausgangstext entsprechen können und so zu einer „grande traduction“ werden (Ebd.: 5). Ersten Übersetzungen ist dies folglich nicht möglich. Eine Schlüsselrolle hierbei spielen die zwei von Friedrich Schleiermacher bereits im Jahr 1813 formulierten Übersetzungsmethoden: „Entweder der Uebersezer läßt den Schriftsteller

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möglichst in Ruhe, und bewegt den Leser ihm entgegen; oder er läßt den Leser möglichst in Ruhe und bewegt den Schriftsteller ihm entgegen.“ (Schleiermacher 1813: 47). Wenn der Übersetzer den Schriftsteller also „möglichst in Ruhe lässt“, so wendet dieser die einbür-gernde Übersetzungsmethode an und passt alle fremden Elemente der Zielkultur an. Umge-kehrt beschreibt Schleiermacher die verfremdende Methode, wenn der Übersetzer den Schrift-steller ihm entgegen bewegt und folglich den „Leser möglichst in Ruhe“ lässt. Wenn Berman von einer vollkommenen und großen Übersetzung spricht, so setzt er diese mit einer verfrem-denden Übersetzung gleich, da diese dem Ausgangstext eher entspricht. Auch Paul Bensimon, französischer Übersetzungswissenschaftler und Gründer der Zeitschrift Palimpsestes, teilt diese Ansicht. Er schreibt im Vorwort dergleichen Ausgabe, in der auch Bermans Artikel er-schien, dass eine erste Übersetzung immer mit der einbürgernden Methode übersetzt werde, da auf diese Weise der Leser der Zielkultur den fremden Text besser aufnehmen könne:

La première traduction vise généralement à acclimater l'œuvre étrangère en la soumettant à des impéra-tifs socio-culturels qui privilégient le destinataire de l'œuvre traduite. Ainsi, par exemple, les traducteurs qui ont opéré des coupures dans le texte d'origine ont-ils eu pour préoccupation maîtresse d'assurer une meilleure réception auprès de leur public. (Bensimon 1990: IX)

Eine Neuübersetzung unterscheide sich von der ersten Übersetzung dahingehend, dass die erste Übersetzung den fremden Text in die Zielkultur bereits eingeführt habe. Der Leser der Zielkultur ist bereits mit dem Text vertraut und kann ihn in seiner „Exotik“ wahrnehmen. Der Übersetzer einer Neuübersetzung muss somit nicht mehr versuchen, den Abstand zwischen den beiden Kulturen zu verringern, vielmehr ist sein Bestreben die fremden Elemente des Ausgangstextes in seiner neuen Übersetzung zu erhalten. Auch laut Bensimon entspricht eine Neuübersetzung in der Regel auf linguistischer und stilistischer Ebene mehr dem Ausgangs-text als die erste Übersetzung (Vgl. ebd.).

Innerhalb der Übersetzungswissenschaft ist die Neuübersetzungshypothese auf ein großes Interesse gestoßen, so gibt es zahlreiche vergleichende übersetzungskritische Analy-sen, welche die Hypothese bestätigen, aber auch widerlegen. Kritiker werfen der Neuüberset-zungshypothese vor, dass ein komplexes Phänomen zu stark vereinfacht dargestellt wird. Die einseitige Sichtweise vom steigenden Wert mit jeder neuen Übersetzung, dass ein Zieltext von Übersetzung zu Übersetzung „besser“ werde, wurde bereits in mehreren kritischen Arbei-ten widerlegt (Vgl. Gürçağlar 2011: 233). Auch konnte bereits mehrfach widerlegt werden, dass die erste Übersetzung immer mit einer einbürgernden Methode angefertigt werde und alle weiteren mit der entfremdenden Übersetzungsmethode (Vgl. ebd.). Die meisten kritischen Auseinandersetzungen behandeln den Gegenstand der Allgemeinliteratur, Kinderliteratur fin-det im Allgemeinen keine Erwähnung.

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2.2 Kinderliteratur in der Übersetzungswissenschaft

Im translationswissenschaftlichen Kontext finden sich verschiedene Definitionen von Kinderliteratur. Die Übersetzungswissenschaftlerin Riitta Oittinen definiert Kinderliteratur einerseits als eine für Kinder produzierte Literatur und andererseits als die Literatur, welche von Kindern gelesen wird (Vgl. Oittinen 2000: 61). Der Kinder- und Jugendliteraturwissen-schaftler Göte Klingberg jedoch meint, dass hier ein Unterschied gemacht werden sollte. Die vorliegende Masterarbeit folgt der Auffassung von Klingberg, dass der Begriff Kinderliteratur jene Literatur umfasst „die von Erwachsenen für Kinder und Jugendliche hergestellt wird“ (Klingberg 1973: 21). Denn nur mit dieser Definition ist gegeben, dass der betreffende Text „Rücksicht auf Interessen, Bedarf, Erlebnisweise, Kenntnisse, Lesevermögen usw. der Kinder und Jugendlichen nimmt“ (Ebd.). Diese für Kinder produzierten Texte sollten also in Abgren-zung zu anderen Texten stehen, da sonst ein jeder Text als Kinderliteratur definiert werden kann, nur weil ein Kind diesen gerade liest. Auf diese Weise ist keine spezifisch kinderlitera-rische Untersuchung des Textes mehr möglich, da er keine spezifisch kinderliterakinderlitera-rischen Merkmale enthält. Die Literaturwissenschaftlerin Zohar Shavit gibt in ihrer 1986 erschienen Abhandlung Poetics of Children’s Literature dem Bereich der Kinderliteratur einen eigenen Platz in der von Itamar Even-Zohar entworfenen Polysystemtheorie2. Die Kinderliteratur ver-fügt demnach über ein eigenes literarisches System innerhalb des Polysystems. Trotzdem wird der Kinderliteratur in der Übersetzungswissenschaft kaum Beachtung geschenkt (Vgl. O’Sullivan 2000: 177f.). Bereits 1982 stellt die Übersetzungswissenschaftlerin Katharina Reiß mit Verblüffung fest:

„Seit Jahrhunderten befaßt man sich nicht nur praktisch sondern auch theoretisch mit dem komplizierten und komplexen Phänomen des Übersetzens, aber zur Übersetzung von KJB3 findet man kaum eine

Äu-ßerung.“ (Reiß 1982: 7)

Auch die Übersetzungswissenschaftlerin Mary Snell-Hornby hält kurze Zeit später fest, dass die Kinderliteratur bislang kaum Gegenstand der Betrachtungen war (Vgl. Snell-Hornby 1986: 18). Ebenso schreibt Oittinen noch im Jahr 1993 in ihrer Dissertationsschrift I Am Me –

I Am Other: On the Dialogics of Translating for Children: „As to translation of children’s

li-terature and its theoretical basis, little research has been conducted on this subject

2 Die von Itamar Even-Zohar entworfene Polysystemtheorie beinhaltet das Konzept eines multiplen Systems, in

dem hierarchisch angeordnet verschiedene literarische, kulturelle und gesellschaftliche Systeme in ständiger Interaktion zueinander stehen (Vgl. Munday 2016: 170f.).

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wide.“ (Oittinen 1993: 11). Ihre Arbeit ist der erste wissenschaftliche Beitrag in Finnland, der sich mit der Übersetzung von Kinderliteratur beschäftigt.

Die Literaturwissenschaftlerin Emer O’Sullivan erklärt die fehlende Auseinanderset-zung damit, dass die kinderliterarischen übersetAuseinanderset-zungsrelevanten Spezifika im Allgemeinen zwar erkannt werden, diese jedoch der Anlass seien, die Kinderliteratur aus der Übersetzungs-wissenschaft als Sonderfall auszuklammern (Vgl. O’Sullivan 2000: 178f.).

„Die Übersetzungswissenschaft ist in Anbetracht dieser Besonderheiten leider nicht auf die Idee gekom-men, ein der Kinderliteratur angemessenes Übersetzungskonzept zu definieren, sondern ist, der allge-meinen Literaturwissenschaft folgend, über sie hinweggegangen.“ (Ebd. 179)

Trotz des allgemeinen scheinbaren Desinteresses gibt es aber auch Wissenschaftler, welche die Kinderliteratur nicht als Sonderfall übergehen, sondern sich gerade mit dieser The-matik auseinandersetzen. Noch vor Oittinen hat Klingberg, ebenfalls als einer der ersten, das Übersetzen von Kinderliteratur ernsthaft wissenschaftlich untersucht. In seinem Buch

Child-ren’s Fiction in the Hands of the Translators (1986) bringt er die Probleme, die beim

Überset-zen von Kinderliteratur entstehen können, auf eine praxisnahe Ebene und entwirft dabei einen theoretischen Rahmen für die Lösung dieser. Klingberg und Oittinen sind im skandinavischen Sprachraum angesiedelt – Klingberg erforschte die schwedische Kinderliteratur und Oittinen die finnische. Um noch ein Beispiel aus dem deutschsprachigen Raum zu nennen, sei auf die Dissertationsschrift von Ingeborg Rieken-Gerwing (1995) hingewiesen. Mit Gibt es eine

Spe-zifik kinderliterarischen Übersetzens? arbeitet Rieken-Gerwing die Unterschiede bei der

Übersetzung von Kinderliteratur im Vergleich zur Übersetzung von Erwachsenenliteratur her-aus, ohne dabei jedoch eine eigenständige Übersetzungstheorie für kinderliterarisches Über-setzen entwickeln zu wollen (Vgl. Rieken-Gerwing 1995: 16).

Es ist offensichtlich, dass das kinderliterarische Übersetzen mit Beiträgen wie diesen doch noch in der zeitgenössischen übersetzungstheoretischen Diskussion angekommen ist. Nichtsdestotrotz gibt es bis heute noch keine allgemeingültige spezifische Theorie des kinder-literarischen Übersetzens, genauso wenig kann auf ein spezifisch kinderliterarisches Modell der Übersetzungskritik zurückgegriffen werden. Aus diesem Grund sollen im Folgenden für eine objektive und argumentativ nachvollziehbare Bewertung der deutschen Übersetzungen von Jip en Janneke die Erkenntnisse der allgemeinen Übersetzungswissenschaft als Grund-lage dienen.

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2.3 Allgemeine Translationstheorie von Reiß und Vermeer

In ihrer 1971 erschienen Arbeit Möglichkeiten und Grenzen der Übersetzungskritik, entwickelt Katharina Reiß ein übersetzungskritisches Modell, welches bis heute von großem Wert in der Translationswissenschaft und Grundlage vieler Untersuchungen ist. Die Ideen und Gedanken finden auch Eingang in die zusammen mit Hans J. Vermeer verfassten

Grundle-gung einer Translationstheorie (1984) und werden dort noch weiter entwickelt. Essentiell für

das übersetzungskritische Modell ist die Unterscheidung von Texten nach ihrer Funktion und dem Zweck der Übersetzung. Da sich die Neuübersetzungshypothese in der vorliegenden Analyse vor allen Dingen durch die Feststellung von Ähnlichkeiten und Unterschieden zwi-schen den Übersetzungen und dem Ausgangstext überprüfen lässt und sich somit die Frage beantwortet lässt, wie „frei“ bzw. wie „wörtlich“ die Übersetzungen sind, erscheint der skoposorientierte texttypologische Ansatz äußerst hilfreich, denn nach Reiß und Vermeer ent-scheidet sowohl der Texttyp als auch der Zweck einer Übersetzung wesentlich über die jewei-lige Übersetzungsmethode (Vgl. Reiß/Vermeer 1984: 216).

2.3.1 Die Skopostheorie

In der im Jahr 1984 veröffentlichten Grundlegung einer allgemeinen

Translationsthe-orie ordnen Reiß und Vermeer den Zweck einer Übersetzung (wozu wird übersetzt) über die

Entscheidung der Übersetzungsstrategie (wie wird übersetzt): „Die Dominante aller Transla-tion ist deren Zweck.“ (1984: 96). Von grundlegender Bedeutung für jede TranslaTransla-tionsent- Translationsent-scheidung ist daher die von Vermeer bereits im Jahr 19784 entworfene Skopostheorie. Der Begriff leitet sich vom griechischen Substantiv σκοπός ab, was mit „Ziel“ und „Zweck“ über-setzt werden kann. Translation gilt als eine Form des Handelns und so wie jedes Handeln von einer Situation, der Analyse dieser Situation durch den Handelnden und von der Intention des Handelnden abhängt, so ist auch die Translation als Kommunikationshandlung zweckbe-stimmt. Nach Reiß und Vermeer ist es wichtiger, „daß ein gegebener Translat(ions)zweck er-reicht wird, als daß eine Translation in bestimmter Weise durchgeführt wird“ (1984: 100). Je-doch immer unter der Prämisse, dass die Übersetzung „auf allen Rängen funktional und for-mal so nahe am Ausgangstext bleiben [soll], wie der Translationszweck dies zuläßt“ (ebd.: 90). Grundsätzlich sei angemerkt, dass der Skopos des Zieltextes vom Skopos des

4 Hierzu sei auf den Artikel von Hans J. Vermeer mit dem Titel „Ein Rahmen für eine Allgemeine

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textes abweichen kann. Der Skopos einer Translation ist erfüllt, wenn die Übersetzung der In-tention des Autors entspricht und auch der Empfänger den Text seiner Situation entsprechend schlüssig interpretieren kann – der übersetzte Text entspricht seiner Funktion. Reiß und Ver-meer sprechen in dem Zusammenhang von „intratextueller Kohärenz“ (1984: 109): Eine Nachricht ist für den Empfänger sinnvoll, wenn dieser den Text einerseits in sich kohärent wahrnimmt und andererseits kohärent mit seiner eigenen Situation. Sollte sich im Ausgangs-text eine vom Autor beabsichtigte Inkohärenz befinden, so muss diese dort auch als solche gekennzeichnet sein. In diesem Fall entscheidet der Zweck der Translation ob die Inkohärenz auch im Zieltext beibehalten werden soll (ebd.: 111). Neben der intratextuellen Kohärenz spielt auch die „intertextuelle Kohärenz“ eine bedeutende Rolle. Gemeint ist hiermit eine Ko-härenz zwischen dem Ausgangstext und dem Zieltext. Ausschlaggebend ist, wie der Überset-zer den Ausgangstext versteht und mit welchem Skopos er infolge dessen den Zieltext ver-sieht. Reiß und Vermeer formulieren in diesem Zusammenhang eine „Fidelitätsregel“: „Eine Translation strebt nach kohärentem Transfer eines Ausgangstextes.“ (1984: 114). Die in-tratextuelle Kohärenz des Ausgangstextes ist hierbei der intertextuellen Kohärenz übergeord-net, denn nur ein Text, der als „verstanden“ gilt, kann auf seine intertextuelle Kohärenz hin untersucht werden.

Der erste Schritt eines Übersetzers sollte also in der Bestimmung des Zweckes seiner an-zufertigenden Übersetzung liegen. Zur Skoposbestimmung kann auf die Texttypologie von Reiß (1971) zurück gegriffen werden.

2.3.2 Der texttypologische Ansatz

Katharina Reiß unterscheidet in ihrer Arbeit „Möglichkeiten und Grenzen der

Überset-zungskritik“ (1971) grundsätzlich zwischen drei Texttypen, denen verschiedene Funktionen

zuzuordnen sind. Zusätzlich gibt sie Empfehlungen, wie die jeweiligen Typen bestenfalls zu übersetzen sind.

1. Informativer Texttyp

Diese Texte sind inhaltsbetont und haben die Funktion Informationen zu vermitteln. = Darstellungsfunktion

Beispiele: Zeitungsartikel, Handelskorrespondenz, Urkunden, Gebrauchsanweisungen,

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Empfohlene Übersetzungsstrategie:

Bei der Übersetzung eines informativen Texttyps ist vor allem die „Vermittlung des informa-tiv Gesagten“ (Reiß 1971: 37) vorrangig. Der gesamte Inhalt mit all seinen Informationen muss ungekürzt im übersetzten Text vorhanden sein. Daraus resultiert, dass sich die sprachli-che Gestaltung der Übersetzung im Wesentlisprachli-chen an die Zielsprasprachli-che orientiert: „Die Zielspra-che dominiert, weil bei diesem Texttyp der informatorisZielspra-che Gehalt das wichtigste ist und der Leser der Übersetzung diesen in sprachüblicher Form zur Kenntnis gebracht wünscht.“ (ebd.).

2. Expressiver Texttyp

Diese Texte sind formbetont und haben eine künstlerisch-ästhetische Funktion. = Ausdrucksfunktion

Beispiele: Poesie, dichterische und literarische Prosa. Empfohlene Übersetzungsstrategie:

Bei der Übersetzung eines expressiven Texttyps muss neben den zu vermittelnden Informatio-nen im besonderen Maße auf die sprachlichen Mittel des Ausgangstextes geachtet werden. Dies bedeutet, dass sich die Übersetzung an der Ausgangssprache orientieren muss. Dem Übersetzer ist es also gestattet, sich bei der Übersetzung von expressiven Texttypen von den zielsprachlichen Normen abzuweichen um auf diese Art und Weise die ästhetische Wirkung des Ausgangstextes zu erhalten (Vgl. Reiß 1971: 43).

3. Operativer Texttyp

Diese Texte sind appellbetont und haben die persuasive Funktion eine bestimmte Wirkung beim Leser zu erzielen.

= Appellfunktion

Beispiele: Werbung, politische Reden, Propaganda. Empfohlene Übersetzungsstrategie:

Bei diesem Texttyp muss vor allen Dingen die appellative Funktion in der Übersetzung beibe-halten werden. Der übersetzte Test muss beim zielsprachlichen Empfänger ebenso wie der Ausgangstext beim ausgangssprachlichen Empfänger den gewünschten Effekt erzielen. Der Übersetzer kann und muss also noch stärker als bei den anderen Texttypen zum Zwecke der Erhaltung des Effekts vom Inhalt und der Form des Ausgangstextes abweichen (Vgl. Reiß 1971: 47f.).

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Des Weiteren fügt Reiß den drei Texttypen, welche sich über die Funktion von Spra-che definieren, noch einen vierten Texttyp hinzu:

4. Multimedialer Texttyp5

Diese Texte bilden eine Mischung aus sprachlichen Texten und Mitteilungen anderer Zei-chengefüge.

Beispiele: Lieder, Kino- und Fernsehfilme, Bilderbücher usw. Empfohlene Übersetzungsstrategie:

Die Übersetzung des multimedialen Texttyps stellt den Übersetzer vor besondere Herausfor-derungen, da bei diesem Texttyp auch die Übersetzung nicht-sprachlicher Elemente berück-sichtigt werden müssen. Reiß versucht diese „komplexe Problemlage“ (1971: 51) mit einer Übersetzungsstrategie zu lösen, welche die gleiche Wirkung auf den Empfänger der Zielspra-che hat, wie das Original auf den Empfänger der AusgangsspraZielspra-che. Im Unterschied zur gleich lautenden Empfehlung der Übersetzungsstrategie des operativen Texttyps, kann und muss der Übersetzer unter Umständen noch stärker vom Inhalt und der Form des Originals abweichen, als es bei der Übersetzung des operativen Texttypen angebracht ist (Vgl. ebd. 52).

Dieser Texttyp könnte zwar in seinen unterschiedlichen Arten den drei übrigen Textty-pen zugeordnet werden – so könnte beispielsweise ein Dokumentarfilm zu der Kategorie der inhaltsbetonen Texttypen oder ein Theaterstück zu den expressiven Texttypen gezählt werden – was aber in Bezug auf ihre Übersetzung nicht ausreicht, weshalb Reiß den drei sprachlich basierten Texttypen noch den um zusätzliche Elemente bereicherten multimedialen Texttyp hinzufügt (Vgl. 1971: 50). Diese Hinzufügung ermöglicht eine adäquate Übersetzung dieser multimedialen Texte, welche erst in Kombination mit den optischen und/oder akustischen Elementen das gesamte Informationsangebot darstellen. So kann auf die wechselseitige Ab-hängigkeit von Text und Bild oder Text und Ton bei der Übersetzung geachtet werden (Vgl. Reiß/Vermeer 1984: 211). Dieser vierte Typ überlagert die drei Grundtypen, denn sowohl in-formative als auch expressive und operative Texte können in der „Gestalt des multimedialen Texttyps auftreten“ (ebd.).

5 Anfänglich nennt Reiß (1971) diesen Texttyp „audio-medial“. In Grundlegung einer allgemeinen Translations-theorie (1984) passen Reiß und Vermeer diesen Begriff an und nennen den Texttyp „multimedial“. Auf diese

Weise sind die sowohl den Schrifttext begleitenden akustischen Elemente gemeint, als auch die möglichen opti-schen oder haptiopti-schen Elemente.

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Für die praktische Anwendung ist zu beachten, dass es sich bei dem texttypologischen Ansatz um eine theoretische Einordnung handelt und nicht immer ein ganzer Text ausschließ-lich einem einzigen Texttyp zuzuordnen ist. Vielmehr sind in der Praxis zahlreiche Über-schneidungen und Mischformen zu beobachten. Nach Reiß‘ Auffassung lässt sich ein Text je nach „Übergewicht der einen oder anderen Funktion der Sprache“ (1971: 32) in einen dieser Texttypen einsortieren. Der Autor entscheidet sich vor der Formulierung eines Textes für eine der kommunikativen Grundformen, was wiederum von seiner Intention abhängt: Was soll wie vermittelt werden? Diese Entscheidung bestimmt den gesamten Text und beeinflusst somit also auch die Wahl des Übersetzers der Übersetzungsstrategien. Für Texte, die sich durch eine Mischform kennzeichnen, gilt, dass auch unterschiedliche Strategien für die jeweilige Text-stelle gewählt werden sollten (Vgl. Reiß/Vermeer 1984: 150). Reiß hält fest, dass jede Über-setzung im Grunde ein Kompromiss ist, da bei einer ÜberÜber-setzung niemals alle Elemente des Originals beibehalten werden können. Bei der kritischen Betrachtung einer Übersetzung sollte daher vor allen Dingen untersucht werden, „ob der Übersetzer die Rangfolge des zu Bewah-renden richtig eingehalten hat“ (1971: 53). Hiermit ist gemeint, dass

- bei informativen Texten vor allem der Informationsgehalt unverändert wieder ge-geben wird,

- bei expressiven Texten darüber hinaus die sprachlichen Gestaltungsprinzipien be-achtet und die ästhetische Wirkung erzielt wurde,

- bei operativen Texten der dem Original entsprechende Effekt erzielt wurde, - bei multimedialen Texten die nicht-sprachlichen Elemente berücksichtigt wurden.

Nur so kann die gleiche Wirkung auf den Leser des zielsprachlichen Textes wie auf den Leser des Ausgangstextes erreicht werden. Eine wichtige Rolle spielt in dem Zusammenhang der Begriff Äquivalenz, mit Hilfe dessen die gleiche Wirkung erzielt werden kann. Bei einem Translationsprozess geht es dabei nicht allein um die sprachlichen Elemente, es muss genauso eine kulturelle Äquivalenz geschaffen werden. Reiß und Vermeer definieren den Begriff der Äquivalenz wie folgt:

„Äquivalenz bezeichnet […] eine Relation zwischen zwei Größen, die den gleichen Wert, denselben Rang im je eigenen Bereich haben und derselben Kategorie angehören; […] Äquivalenz bezeichnet eine Relation zwischen einem Ziel- und einem Ausgangstext, die in der jeweiligen Kultur auf ranggleicher Ebene die glei-che kommunikative Funktion erfüllen (können). Man kann nicht ‚äquivalent übersetzen‘, sondern ein Ziel-text kann als einem AusgangsZiel-text äquivalent gelten.“ (1984: 139f.).

Weiter stellen Reiß und Vermeer fest, dass Äquivalenz dynamisch ist, so sehen auch sie die Notwendigkeit äußere Faktoren mit in die Untersuchung der Gemeinsamkeiten und Unter-schiede zwischen Ausgangs- und Zieltext einzubeziehen, da diese Einfluss auf die

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Überset-18

zung haben können, wie beispielsweise die historischen Gegebenheiten oder die Situation des Übersetzers (Vgl. ebd.: 141).

Mit der Skopostheorie und dem texttypologischen Ansatz ist nun eine wissenschaftli-che Grundlage für die folgende kritiswissenschaftli-che Übersetzungsanalyse gegeben. Mit Hilfe dieser Grundlagen kann im analytischen Teil zunächst sowohl der Ausgangstext als auch der Ziel-text hinsichtlich Zweck und Funktion eingeordnet werden. Danach folgt die Untersuchung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Zieltexte auf der Textebene und auf der Bildebene und ihr Vergleich mit dem Ausgangstext. Bei der Übersetzung eines Kinderbuches wie Jip en

Janneke gilt neben dem mit-/vorlesenden Erwachsenen primär das Kind als Empfänger des

Zieltextes, was als ausschlaggebendes Kriterium für die kritische Übersetzungsanalyse beach-tet muss. Hierfür wird auf die theoretischen Ansätze von Göte Klingberg und Riitta Oittinen zurückgegriffen, welche auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Übersetzung von Kinderliteratur spezialisiert sind.

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„Respect for children: respect for children’s books: and thus, respect for the authors of children’s books.“

– Birgit Stolt

Eine Besonderheit bei der Übersetzung von Kinderliteratur gegenüber der Überset-zung von Allgemeinliteratur ist die doppelte Zugehörigkeit zu zwei Systemen innerhalb des Polysystems: Einerseits gehört Kinderliteratur dem literarischen System an, aber andererseits auch dem pädagogischen System (Vgl. O’Sullivan 2000: 112). Für die Übersetzung von Kin-derliteratur bedeutet dies in der Praxis, dass eine Übersetzung eines für Kinder geschriebenen Textes nicht nur den literarischen Ansprüchen genügen sollte, sondern gleichzeitig auch päda-gogisch angemessen sein sollte. Was aber ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ für ein Kind ist, entscheidet dieses normalerweise nicht für sich selbst, vielmehr übernehmen diese Entscheidung Erwach-sene. Wesentlich für Kinderliteratur ist also, dass neben dem Kind als (Haupt-)Empfänger auch der Erwachsene adressiert werden muss, da sie letztendlich bestimmen, was für Kinder geschrieben, übersetzt, verkauft und schließlich gekauft wird. Dahinter stehen beispielsweise Autoren, Übersetzer, Verlage, Erziehungsberechtigte und Lehrer. O’Sullivan nennt diese Be-sonderheit „die Asymmetrie der Kommunikation“ (2000: 117). Diese die Kinderliteratur be-herrschende Asymmetrie hat zur Folge, dass auch im Falle einer kinderliterarischen Überset-zung für ein Kind Vermutungen angestellt werden, was dieses seinem Kenntnisstand entspre-chend in der Lage zu konsumieren ist, ohne dass es überfordert oder auf andere Weise geschä-digt wird. Im Allgemeinen lässt sich beobachten, dass diese Schwierigkeit häufig so gelöst wird, dass all die Stellen, welche problematisch für das Verständnis eines Kindes werden könnten, von vornherein mit einer einbürgernden (Adaptions-)Methode an die Zielkultur an-gepasst werden. Dies kann dazu führen, dass eine Handlung an einem komplett anderen Ort stattfindet, Protagonisten neue Namen erhalten, ausgangskulturspezifische Feste gegen ziel-kulturspezifische Feste ausgetauscht werden, neue Illustrationen entworfen werden usw. (Vgl. Klingberg 1986: 14f.). Dies ist insofern problematisch, da letzten Endes vom Original nicht mehr viel übrig bleibt und im Grunde eine fast völlig neue Geschichte verfasst wird. In vielen Fällen kann dann die Übersetzung auch nicht mehr als solche gelten, sondern müsste als Adaption oder Bearbeitung bezeichnet werden. Doch auch Kindern ist durchaus zuzutrauen, sich in fremden Welten zurechtzufinden, die ihnen mittels einer Geschichte präsentiert

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den. Ein Kind lernt durch Erfahrungen und durch Erleben und wenn ein Kind emotional in eine Geschichte eingebunden ist, kann es besser die Gefühle und Handlungen der Protagonis-ten nachempfinden und verstehen. „Stepping into someone else’s shoes is easier in a book than in real life.“ (Oittinen 1993: 102). Dies beinhaltet auch das Erkennen und Verstehen fremder kulturspezifischer Elemente.

Nicht zuletzt muss in dem Zusammenhang auch der Autor des Ausgangstextes in die Argumentation mit einbezogen werden. Besonders die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren wehrte sich gegen Eingriffe in ihre Texte durch den Übersetzer oder durch den Verleger und wandte sich regelmäßig mit der Forderung an die Verlagshäuser, ihre Texte genauer zu über-setzen (Vgl. Stolt 2006: 72). Jedoch hatte sie nicht immer Erfolg, denn die Verleger hatten of-fensichtlich ihre eigenen Vorstellungen davon, was ein Kinderbuch beinhalten sollte und was nicht. Wenn beispielsweise die aufmüpfige und zuweilen anarchische aber grundgütige Figur Pippi Langstrumpf in einer der deutschen Übersetzungen ihre Freunde Tommy und Annika aber belehrt, dass Kinder nicht mit Pistolen spielen sollten und sie diese wieder weglegt, so entspricht dies wohl in den meisten Kulturen den Tatsachen der pädagogischen Grundsätze – im Ausgangstext ist diese Passage aber so nicht zu finden (Vgl. O’Sullivan 2000: 197f.). Puri-fikationen wie diese verursachen, dass ein völlig anderes Bild von der Figur Pippi Lang-strumpf vermittelt wird, als vom Autor des Ausgangstextes beabsichtigt war. Dies kann in-tratextuelle Inkohärenzen beim zielsprachlichen Leser auslösen, was es nach Reiß und Ver-meer unbedingt zu vermeiden gilt. Lindgren war der Auffassung, dass sich die Frage für den Verleger überhaupt nicht stellt, was ein Kinderbuch beinhalten sollte und was nicht: Ein jeder Autor besitze die Freiheit, zu schreiben, was immer er oder sie schreiben möchte – sei es für Kinder oder für Erwachsene. Hieraus lässt sich die Forderung nach mehr Respekt für den Ausgangstext und seinen Autor ableiten: „Respect for children: respect for children’s books: and thus, respect for the authors of children’s books.“ (Stolt 2006: 82). Sollte doch an einer Stelle eine Änderung vorgenommen werden müssen, so sollte dies „with a gentle hand, as little as possible and in collaboration with the author“ geschehen (ebd.).

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3.1 Inhaltliche Spezifika: Klingbergs cultural context adaptation

Die Ansicht, dass auch Kinder trotz ihres noch eingeschränkten Rezeptionsvermögens in der Lage sein können, sich auf unbekannte Elemente innerhalb einer Geschichte einzulas-sen, teilt auch Göte Klingberg. Bei der Übersetzung von Kinderliteratur geht er von einem ausgangstextorientierten Ansatz aus. Zwar erkennt auch Klingberg das Problem, dass manche kulturspezifischen Elemente für Kinder einer bestimmten Zielkultur jenseits derer Vorstel-lungskraft liegen können. Wenn der Übersetzer diesem Umstand überhaupt keine Beachtung schenkt, wird der Text für das Kind unverständlich und schlicht uninteressant (Vgl. Klingberg 1986: 11). Diesen Fall angewendet auf die Skopostheorie kann festgestellt werden, dass das Translat dann nicht erfolgreich ist, da es keine intratextuelle Kohärenz gibt: Das Kind empfdet den Text als in sich nicht schlüssig und kann ihn schwerlich für seine eigene Situation in-terpretieren. Klingberg zufolge kann der Übersetzer aber Maßnahmen ergreifen um diesen Ef-fekt zu vermeiden, indem der Ausgangstext doch etwas näher an das zielsprachliche Kind heran gerückt wird. Diese Abweichungen vom Ausgangstext umschreibt Klingberg mit dem Begriff cultural context adaptation (Vgl. ebd.: 12). In diesem Zusammenhang wird bekräftigt, dass diese Maßnahmen aber ausschließlich die Ausnahme darstellen sollten:

„In the case of most texts I think cultural context adaptation should be restricted to details. It is all too easy to find instances of a purely arbitrary cultural context adaptation. Even when there is some reason for it, it should not be tried when not absolutely necessary. In principle the source text must have the priority, and cultural context adaptation ought to be the exception rather than the rule. At all events it should always be borne in mind that the source text is to be manipulated as little as possible.“ (ebd.: 17) Als Orientierungshilfe zur Übersetzung der Kulturspezifika in der Kinderliteratur un-terscheidet Klingberg zwischen zehn verschiedenen Kategorien, innerhalb dieser Anpassun-gen im Zieltext geAnpassun-genüber dem Ausgangstext akzeptabel sind (Vgl. ebd. 17). Die Liste ist so angeordnet, dass die Kategorie zuerst genannt ist, welche von besonderer Bedeutung für die kinderliterarische Übersetzung ist, da sie am ehesten zu Schwierigkeiten bei der Übersetzung führen kann. Klingberg betont, dass der Übersetzer bei seiner Arbeit aber selbstverständlich jeder Kategorie dieselbe Aufmerksamkeit schenken muss (Vgl. ebd. 18).

1. Literarische Referenzen

2. Fremdsprachliche Elemente (nicht in der Sprache des Ausgangstextes)

3. Mythologische Referenzen und Folklore

4. Historische, religiöse und politische Hintergründe

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6. Sitten und Gebräuche, Spiele

7. Begriffe aus der Natur

8. Namen, Titel

9. Geographische Namen

10. Maße und Gewichte

Anzumerken ist, dass nicht alle Kulturspezifika Probleme bei der Übersetzung verur-sachen. Besonders zwischen zwei Kulturen, die durch eine „Nahfremdheit“ (O’Sullivan 2000: 196) miteinander verbunden sind, kann es beispielsweise ähnliche Sitten und Gebräuche ge-ben. Nichtsdestotrotz gibt es auch in ähnlichen Kulturen jeweils eigene Realia, die Schwierig-keiten für die Übersetzung mit sich bringen, da es eben keine Entsprechung in der Zielkultur gibt. In der Praxis haben sich verschiedene Strategien entwickelt, wie dieses Übersetzungs-problem gelöst werden kann. Der Übersetzungswissenschaftler Diederik Grit benennt drei Faktoren, von denen die Wahl der möglichen Übersetzungsstrategien abhängen (Vgl. 1997: 43):

• Die Textsorte.

Handelt es sich z.B. um einen literarischen, journalistischen oder offiziellen Text? • Der Zweck des Textes.

Soll der Text in erster Linie informieren oder eine Atmosphäre schaffen? • Die Zielgruppe.

Verfügt diese über umfangreiche, wenig oder keine Vorkenntnisse?

Bevor eine Übersetzungsstrategie gewählt wird, sollte der Text oder die betreffende Textstelle also hinsichtlich der drei Faktoren betrachtet werden. Hierfür gilt im Allgemeinen, dass von einer Übersetzung eines literarischen Textes nicht die gleichen semantisch-denotati-ven Übereinstimmungen erwartet werden wie beispielsweise von einem juristischen Text (Vgl. ebd.). Zwischen der Zweckbestimmung des Textes nach Grit und dem texttypologischen Ansatz nach Reiß lassen sich Parallelen feststellen. Das bedeutet, dass an dieser Stelle auf die Unterteilung von Texten wie in Kapitel 2.3.2 beschrieben, zurückgegriffen werden kann.

Die Wahl der Übersetzungsstrategie in Abhängigkeit der Vorkenntnisse fällt grund-sätzlich unterschiedlich aus, so hält Grit fest, dass ein Leser mit fachkundigem Interesse eine verfremdende Übersetzung bevorzugt und ein Leser mit geringer bis gar keiner Vorkenntnis

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eine einbürgernde. Bevor nun also eine Strategie festgelegt wird, sollte sich die Frage gestellt werden, ob für die jeweilige Zielgruppe für das Verständnis des Wortes, welches die Reale umschreibt, die Konnotation oder die Denotation des Wortes wichtig ist (Vgl. ebd.: 44). Spielt die Konnotation eine wichtige Rolle, so sind im Zieltext in den meisten Fällen mehr Worte nötig, als der Ausgangstext vorgibt. Ist diese Frage geklärt, kann die passende Strategie her-ausgearbeitet werden, welche die Konnotation oder die Denotation so adäquat wie möglich in den Zieltext übernimmt. Sowohl Grit als auch Klingberg listen mögliche Strategien zur Über-setzung von Kulturspezifika auf. Im weitesten Sinne decken sich die Strategien der beiden Übersetzungswissenschaftler, jedoch schlägt Grit noch zwei weitere Strategien vor, die sich mehr auf die Allgemeinliteratur für Erwachsene beziehen und sich für die Kinderliteratur nicht eignen: Die Beibehaltung des ausgangskulturellen Ausdrucks im Zieltext und die Lehn-übersetzung. Diese beiden Strategien erfordern Vorkenntnisse in dem Maße, die bei einem Kind noch nicht erwartet werden können. Im Folgenden sind daher die von Klingberg vorge-schlagenen Übersetzungsstrategien aufgelistet, da diese bereits die eingeschränkte Rezepti-onsfähigkeit eines Kindes berücksichtigen. Selbstverständlich lassen sich in einem komplexen Prozess wie dem des Übersetzens keine allgemeingültigen Regeln formulieren: „It is not pos-sible to draw up rules applicable in all instances. Every passage to be translated has its own problems.“ (Klingberg 1986: 19). Dennoch bestehen nach Klingberg die folgenden Möglich-keiten zur Übersetzung von Kulturspezifika für Kinder:

1. Hinzugefügte Erklärung

Der kulturspezifische Ausdruck des Ausgangstextes wird beibehalten, jedoch wird im Zieltext eine kurze Erläuterung hinzugefügt.

2. Umformulierung

Ohne den kulturspezifischen Ausdruck des Ausgangstextes zu verwenden, wird ausgedrückt, was im Ausgangstext steht.

3. Erklärende Übersetzung

Anstelle des kulturspezifischen Ausdrucks wird die Funktion oder die Verwen-dung dessen wiedergegeben.

4. Erklärung außerhalb des Textes

Eine Erklärung kann in einer Fußnote, in einem Vorwort oder ähnlichem gege-ben werden.

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5. Ersatz durch eine Äquivalenz in der Kultur der Zielsprache

6. Ersatz durch eine ungefähre Äquivalenz in der Kultur der Zielsprache

7. Vereinfachung

Es wird ein allgemeines Konzept anstelle eines spezifischen benutzt, wie bei-spielsweise die Verwendung eines Oberbegriffes für eine Spezies.

8. Streichung

Wörter, Sätze, Absätze oder Kapitel werden gestrichen.

9. Lokalisation

Die gesamte kulturelle Umgebung des Ausgangstextes wird näher an den ziel-sprachlichen Leser gerückt.

Nicht alle der aufgeführten Strategien sind gleichermaßen empfehlenswert. Da Kling-bergs Ansatz ausgangstextorientiert ist, lehnt er jene genannt unter 5 bis 9 eher ab: „When such methods are chosen, the source text is violated.“ (ebd.: 19). Sollte es doch einmal nötig sein auf eine dieser Methoden zurückgreifen zu müssen, so sollte die Veränderung so gering wie möglich ausfallen. Demgegenüber zielen die Methoden 1 bis 4 darauf ab, fremde Kultur-spezifika der Zielkultur so zu vermitteln, dass auch ein Kind diese verstehen kann. Eine kurze hinzugefügte Erklärung reicht in den meisten Fällen bereits aus. Erklärungen sollten generell vorzugsweise innerhalb des Textes erscheinen. In Form von Fußnoten sind Erklärungen eben-falls akzeptabel, sollten aber gerade in einem Text für Kinder nicht zu häufig auftauchen (Vgl. ebd.). In dem Zusammenhang gibt Grit zu bedenken, dass Fußnoten oder auch Glossare als Notlösung betrachtet werden sollten, da diese außerhalb des eigentlichen Textes stehenden In-formationen den Leser fortwährend daran erinnern, eine Übersetzung in den Händen zu hal-ten: „De doorsnee lezer wil er niet voortdurend aan herinnerd worden dat hij een vertaling leest.“ (Grit 1997: 46). Für die Strategien der hinzugefügten Erklärung und die der Umschrei-bung gilt, dass es problematisch sein kann, eine längere Erklärung oder UmschreiUmschrei-bung auf na-türliche Weise im Zieltext unterzubringen, beispielweise innerhalb eines Dialogs. Grit schlägt in dem Zusammenhang vor, die zusätzlichen Erklärungen oder Umschreibungen in so einem Fall an einer anderen Stelle in den Text einzuarbeiten (Vgl. ebd.: 45).

Weitere mögliche Mittel wie Purifikation und Modernisierung lehnt Klingberg im Ein-klang mit dem ausgangstextorientierten Ansatz ab. Purifikation ist eine umstrittene Strategie

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und wird immer dann eingesetzt, wenn die Normen und Werte im Ausgangstext vermeintlich nicht denen der Zielkultur entsprechen. Klingberg betont, dass er keinem Verleger oder Über-setzer die Zweifel an ein Normen- und Wertgefüge innerhalb eines Ausgangstextes vorwerfe. Die beste Lösung sei dann aber, diesen Text einfach nicht in Erwägung für eine Übersetzung zu ziehen, denn Purifikationen bewirken einen wesentlichen Verlust innerhalb der zu überset-zenden Handlung (Vgl. Klingberg 1986: 62). Im Falle von Modernisierungen sind zwei Arten möglich: Einerseits können einzelne Elemente wie modernere Ausdrücke verwendet werden, andererseits können aber auch Handlungen in eine modernere Zeit gerückt werden. Die Ver-wendung modernerer Ausdrücke stellen kein übersetzungsrelevantes Problem dar, denn es kommt regelmäßig vor, dass auch Ausgangstexte in der Ausgangssprache überarbeitet wer-den. Es ist dann nicht immer leicht nachzuvollziehen, ob nun die ursprüngliche Version als Ausgangstext für eine Übersetzung benutzt wurde oder ob eine bereits bearbeitete Version als Grundlage für die Übersetzung diente. Wenn aber in einer Übersetzung eines älteren Aus-gangstextes, der zuvor nicht modernisiert wurde, modernere Ausdrücke verwendet werden, so kann dies zu einem Verlust einer der damaligen Zeit entsprechenden Atmosphäre führen. Dies und die Versetzung der gesamten Handlung in eine komplett andere Zeit, kann unweigerlich die zu vermeidenden intratextuellen Inkohärenzen verursachen (Vgl. ebd.: 56f.).

3.2 Sprachliche Spezifika: Syntax und Lexik

Neben den inhaltlichen Hürden, die vor allen Dingen in Gestalt von Kulturspezifika in Erscheinung treten, muss sich der Übersetzer auch mit den sprachlichen Herausforderungen auseinander setzen. Kinderliterarische Texte6 stellen nach Reiß den expressiven Texttyp dar, was bedeutet, dass bei der Übersetzung sowohl der Inhalt als auch im besonderen Maße die sprachlichen Charakteristika des Ausgangstextes bewahrt werden müssen. Der Übersetzer steht also vor der lösbaren Aufgabe, einerseits den individuellen Schreibstil des Autors des Ausgangstextes zu erkennen und andererseits diesen adäquat in die Zielsprache zu übersetzen. Problematisch kann hierbei sein, dass aufgrund verschiedener grammatischer Strukturen in-nerhalb der einen Sprache im Vergleich zu einer anderen Sprache, kein adäquates Konstrukt vorhanden ist. Daneben muss der Text so formuliert sein, dass dieser das Kind seinem Ent-wicklungsstand entsprechend weder über- noch unterfordert. Spezifisch für die Kinderliteratur

6 An dieser Stelle werden zunächst literarische Texte betrachtet. Kinderliterarische Texte mit einer Bildebene

stellen neben der Ausdrucksfunktion auch noch den multimedialen Texttyp dar, worauf in Kapitel 3.3 eingegan-gen wird.

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also ist, dass neben den inhaltlichen Aspekten auch der sprachliche Stil an die Rezeptionsfä-higkeiten eines Kindes angepasst ist. Der Ausgangstext kann daher insgesamt über die folgen-den Merkmale verfügen: kleiner Wortschatz, kurze Sätze, mehr Verbalkonstruktionen anstelle von Nominalkonstruktionen, die Vermeidung von Metaphern und ähnlichem. Diese sprachli-chen Merkmale sollte auch ein Übersetzer im Zieltext beibehalten, denn der Schwierigkeits-grad des Zieltextes sollte dem des Ausgangstextes genau entsprechen (Vgl. Klingberg 1986: 63). Dies spielt auch eine wichtige Rolle im Hinblick auf die Besonderheit von Kinderlitera-tur, dass sie zum Vorlesen gedacht ist. Der Übersetzer muss darauf achten, dass sich auch der übersetzte Text in der Zielsprache flüssig lesen lässt:

„The translator translating for children should pay attention to this usage of children’s literature and re-member that a child below school-age listens to texts read aloud, which means that the text should live, roll, taste good on the reading adult’s tongue.“ (Oittinen 1993: 77)

Ausschlaggebend für eine flüssige Lesbarkeit ist der Sprachrhythmus – die Intonation, das Lesetempo, Pausen. Oittinen schlägt hier vor, zur Strukturierung des Textes insbesondere das Mittel der Interpunktion zu verwenden (Vgl. 1993: 79). Hierbei spielt auch der Aufbau der Sätze eine Rolle: Sie sollten nicht zu lang und nicht zu verschachtelt sein.

Neben den syntaktischen Eigenschaften eines Textes sind auch die lexikalen Eigen-schaften für die Übersetzung von Kinderliteratur von Bedeutung. Grundvoraussetzung für eine flüssige Lesbarkeit ist die Verwendung bekannter Worte. Im Rahmen dessen sind häufig verwendete lexikalische Stilmittel Wortspiele, einschließlich Wortwitze, und Wiederholun-gen. Wortspiele und Wortwitze sind im Allgemeinen schwierig zu übersetzen, da ihr Wesen aus der sprachspezifischen Gestaltung besteht. Bei der Übersetzung muss also eine dem Aus-gangstext möglichst nahe kommende eigene sprachliche Form gefunden werden. Trotz der Schwierigkeiten, die dies mit sich bringt, sollte das Wortspiel, bzw. der Wortwitz, nicht igno-riert werden, da sonst der sprachliche Stil des Ausgangstextes allzu leicht verloren geht (Vgl. Rieken-Gerwing 1995: 112). Weiterhin ist zu beobachten, dass das stilistische Mittel der Wie-derholung einzelner Wörter oder Sätze bei der Übersetzung von Kinderliteratur in vielen Fäl-len vermieden wird (Vgl. ebd.: 108 und Klingberg 1986: 67), aber auch diese stilistische Ei-genart des Ausgangstextes sollte zur Wahrung des individuellen sprachlichen Stils unbedingt beibehalten werden.

Beinhaltet der Ausgangstext Umgangssprache, so kann die direkte Übersetzung Schwierigkeiten verursachen, wenn es sich dabei um kurzlebige Modeausdrücke handelt. Aufgrund der zeitlichen Verschiebung zwischen dem Erscheinen des Ausgangstextes und der Anfertigung einer Übersetzung, muss der Übersetzer eventuell ein moderneres Wort in der

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Zielsprache wählen, anstelle der direkten Übersetzung des Modewortes aus der Ausgangs-sprache (Vgl. Rieken-Gerwing 1995: 110). Dies gilt auch für Kraftausdrücke. Das gewählte zeitgemäße Modewort (oder der Kraftausdruck) sollte aber dem allgemeinen Stil des Aus-gangstextes entsprechen, um diesen auch im Zieltext beibehalten zu können.

3.3 Die Bildebene

Charakteristisch für die Kinderliteratur ist, dass diese in den meisten Fällen neben der Textebene auch über eine Bildebene verfügt. Es wird deutlich, dass die Kinderliteratur nicht nur zu der expressiven Textsorte zählt, sondern auch der multimedialen Textsorte angehört. Bild und Text stehen hierbei in einem wechselseitigen Bezug und können nicht voneinander getrennt werden: „Once the reader has entered the dialogue between text and illustration, they cannot be separated: they are a mixture of sameness and difference, living side by side.“ (Oi-ttinen 1990: 41). Bild und Text können in unterschiedlichen Verhältnissen auftreten, so gibt es Bilderbücher, die über sehr wenig Text verfügen bis hin zu Erzähltexten, die nur von eini-gen wenieini-gen Illustrationen begleitet werden. Neben den handlungsbetonenden Darstelluneini-gen, die den Text begleiten und dabei inhaltliche Höhepunkte hervorheben, gibt es auch solche, die zur Erschließung des Sinns der Inhaltsebene notwendig sind. Bildliche Darstellungen dienen demnach einerseits der ästhetischen Ausschmückung des Textes und zur Unterhaltung, ande-rerseits auch zur Bereicherung der Vorstellungswelt eines Kindes und leisten somit eine „Ver-stehenshilfe“ (Vgl. O’Sullivan 2000: 276). Bei der Übersetzung von Kinderliteratur, die auch über eine Bildebene verfügt, müssen also nach Reiß nicht nur der Inhalt und im besonderen Maße auch die sprachlichen Besonderheiten des Ausgangstextes in die Zielsprache übersetzt werden (expressiver Texttyp), zusätzlich müssen auch die nicht-sprachlichen Elemente be-rücksichtigt werden (multimedialer Texttyp). Da Kinder im Vorschulalter die Texte selbst noch nicht lesen können, spielt die Bildebene eine besonders wichtige Rolle in der Kinderlite-ratur. Während der Erwachsene vorliest, betrachtet das Kind die Bilder, die somit zu einem Schlüsselelement werden. Das Kind bekommt einen eigenen Zugang zu der vorgelesenen Ge-schichte und die Bildebene komplettiert die Gesamtsituation (Vgl. Oittinen 1993: 114). Text und Bild ergänzen und beeinflussen einander und müssen demnach bei der Übersetzung auch als Ganzes betrachtet werden, ebenso das Layout des gesamten Buches. All diese Eigenschaf-ten hinterlassen einen emotionalen Eindruck beim kindlichen Betrachter.

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Grundsätzlich sind bei der Übersetzung von Kinderliteratur zwei Möglichkeiten vor-handen, wie mit der Bildebene umgegangen werden kann:

1. Die Bildebene des Ausgangstextes wird im Zieltext übernommen (und eventuell an manchen Stellen angepasst).

2. Es wird eine neue Bildebene für den Zieltext entworfen.

Wenn die Bildebene des Ausgangstextes übernommen wird, kann der Übersetzer vor dem Problem einer Inkohärenz zwischen Bild und Text stehen. Dies lässt sich vor allem in den Übersetzungen beobachten, bei denen die Textebene mit Hilfe der einbürgernden Überset-zungsmethode in die Zielsprache übertragen wurde. So kommt es unweigerlich zu Verwunde-rungen, wenn der Leser über die Textebene erfährt, dass der Protagonist einer Geschichte bei-spielsweise nach München reist, im Hintergrund der Illustration auf der Bildebene aber der Pariser Eiffelturm zu sehen ist (Vgl. O’Sullivan 2000: 282). Des Weiteren werfen die typo-graphischen Elemente einer Illustrationen Fragen auf: Sollen die fremdsprachlichen Auf-schriften der Ausgangssprache in der Übersetzung beibehalten werden oder sollen sie über-setzt und überschrieben werden? Im ersten Fall wird der Lokalkolorit der ausgangssprachli-chen Kultur beibehalten, im letzten Fall können die Illustrationen durch die Veränderungen an ästhetischem Wert verlieren. Häufig werden beispielsweise handschriftliche Elemente einer Illustration durch gedruckte Worte ersetzt, was den Charakter des Bildes grundsätzlich verän-dert und auch wieder in sich inkohärent wirken kann (Vgl. ebd.: 283). Bei der Wahl gänzlich neuer Illustrationen geht unter Umständen die Verstehenshilfe verloren, durch die Kinder die fremde Kultur besser begreifen können. Wird die Bildebene des Ausgangstextes durch ziel-kulturell adaptierte oder gar lokalisierende Illustrationen ersetzt, so können auch hier wieder Inkohärenzen in Bezug zur Textebene entstehen. Wenn der Übersetzer keine zielkulturellen Anpassungen vorgenommen hat, aber die Bildebene diese aufweisen, so ist das Gesamtwerk nicht zu verstehen (Vgl. ebd. 285).

Werden nun Klingbergs vorgeschlagenen Methoden zur Übersetzung von Kulturspezi-fika auf die Bildebene übertragen, so kann gesagt werden, dass es grundsätzlich empfehlens-werter ist, die Bilder des Ausgangstextes auch im Zieltext zu übernehmen. Auf diese Weise bleibt der Zieltext dem Ausgangstext in seiner Gesamtheit treuer. Es können hierbei auch die fremdsprachlichen Beschriftungen beibehalten werden, denn dies steht in Ergänzung zur Ge-samtsituation der Handlung, die sich in der jeweiligen ausgangssprachlichen Umgebung be-findet. Außerdem ist ein Kind im Vorschulalter des Lesens noch nicht mächtig und deshalb

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sollte eher die in sich stimmige Illustration des Ausgangstextes für den Zieltext ausgewählt werden, die auch noch die Textebene ergänzt, als das Bild, welches durch eine teilweise Bear-beitung in sich unstimmig wirkt. Was für die Textebene gilt, kann in dem Zusammenhang also auch für die Bildebene gelten: Auf einer Illustration können Kindern fremdsprachliche oder andersartige Elemente zugetraut werden.

Diese Dynamik zwischen Bild und Text erfordert laut Oittinen eine besondere Ausbil-dung des Übersetzers von Kinderliteratur. Neben einer AusbilAusbil-dung im Übersetzen von Tex-ten, sollte ein Übersetzer auch über eine künstlerische Ausbildung verfügen. (Vgl. Oittinen 2000: 114). Auch wenn die Bildebene im Zieltext letztendlich nicht der des Ausgangstextes entspräche, so sollte der Übersetzer immer auch die Interpretation der Geschichte des Illustra-tors in seine Arbeit mit einbeziehen, da sie ein Teil des Gesamten des multimedialen Texttyps ausmachen (Vgl. ebd.: 102). Der Übersetzer muss in der Lage sein, die Illustrationen zu inter-pretieren, damit die Dynamik zwischen der Bildebene und der Textebene in den Zieltext über-tragen werden kann.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sowohl Reiß und Vermeer für die allgemeine Translationstheorie, als auch Klingberg und Oittinen für die spezielle Übersetzung von Kinderliteratur den Ausgangstext als Grundlage ihrer Betrachtungen nehmen. Maßgeb-lich für die Übersetzung ist demnach der Ausgangstext, an den es sich zu orientieren gilt. Es wird deutlich, dass sich dieser theoretische Rahmen zur Überprüfung der Neuübersetzungshy-pothese besonders eignet, da auch hier der Ausgangstext der Maßstab für alle folgenden Über-setzungen darstellt.

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Übersetzungen von Jip en Janneke

„De leukste bevestiging vind ik ouders die vroeger zelf Jip en Janneke lazen en het nu aan hun kinderen voorlezen. Dat vind ik altijd enig. Zo waren die verhalen ook bedoeld. Ik denk dan: ze zijn blijven staan, ze zijn niet doodgegaan.“ – Annie M.G. Schmidt

4.1 Zur Textauswahl

4.1.1 Der Ausgangstext

Am 13. September 1952 erscheint auf der Kinderseite der niederländischen Tageszei-tung Het Parool die erste Kurzgeschichte Jip en Jan-ne-ke spe-len sa-men, damals noch aus didaktischen Gründen mit silbentrennenden Gedankenstrichen innerhalb der Wörter. Die Kurzgeschichten, verfasst von Annie M.G. Schmidt, wurden von Anfang an mit Illustrationen von Fiep Westendorp versehen: die Figuren Jip und Janneke werden dargestellt als schwarze Silhouetten. Zwischen den Jahren 1953 bis 1960 erscheinen insgesamt acht Bände mit einer Auswahl der Kurzgeschichten, die in der Tageszeitung veröffentlicht wurden. Im Zuge dessen erhielten manche der Geschichten eine Überschrift, sofern sie über diese bis dahin noch nicht verfügten. Auch wurden für die gebündelten Ausgaben in Buchform einige wenige Illustratio-nen hinzugefügt oder weggelassen oder spiegelverkehrt abgedruckt. In den meisten Fällen je-doch wurden die Kurzgeschichten mit den Illustrationen so übernommen wie sie in der Tages-zeitung erschienen (Vgl. Salverda 1991: 113). Im Folgenden eine Übersicht der acht Bände, die alle bei dem Verlag De Arbeiderspers in Amsterdam erschienen sind7:

1. Jip en Jan-ne-ke, 1953

2. De groe-ten van Jip en Jan-ne-ke, 1954 3. Hop maar Jip en Jan-ne-ke, 1955 4. Daar gaan Jip en Jan-ne-ke, 1956 5. Een zoen-tje van Jip en Jan-ne-ke, 1957 6. Goed zo, Jip en Jan-ne-ke, 1958

7. Pas op, Jip en Jan-ne-ke, 1959

8. E-ven-tjes la-chen, Jip en Jan-ne-ke, 1960

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Zwischen 1963 und 1965 werden die Kurzgeschichten erneut herausgegeben. In einer anderen Anordnung und nunmehr ohne die silbentrennenden Gedankenstrichen erscheinen die fünf Bände ebenfalls bei dem Verlag De Arbeiderspers unter dem Titel Jip en Janneke. Eerste

boek bis Jip en Janneke. Vijfde boek. Diese fünf Bände wurden beim selben Verlag 1977 als

Sammelband mit dem Titel Jip en Janneke herausgegeben. Bis zum Jahr 1978 waren fast eine halbe Millionen Exemplare von Jip en Janneke. Eerste boek mit 423.000 Ausgaben verkauft worden. Von Jip en Janneke. Vijfde boek wurden immerhin knapp eine viertel Millionen, nämlich 249.500 Exemplare bis zum Jahr 1978 verkauft. Ab 1979 wurden die Bücher vom Verlag Querido in Amsterdam als Querido junior pockets ausgegeben. Auch hier lässt sich die unverändert große Beliebtheit von Jip en Janneke an den Verkaufszahlen ablesen: Bis zum Jahr 1990 wurden 673.000 Exemplare des ersten Buches verkauft und auch vom fünften Band wurden 430.000 Exemplare verkauft (Vgl. Salverda 1991: 113). Im Jahr 2002 hatte Jip en

Janneke eine totale Auflage von drei Millionen erreicht und war damit nach der Bibel eines

der bestverkauften Bücher in den Niederlanden (Vgl. van der Zijl 2003: 384). Und auch über sechzig Jahre, nachdem die Figur Jip die Figur des Nachbarmädchens Janneke zum ersten Mal im Garten durch die Hecke entdeckt, werden die Erlebnisse der beiden Vorschulkinder noch heute in den Niederlanden gerne gelesen und vorgelesen: Die aktuellste Ausgabe des Querido-Verlags, die alle fünf Jip en Janneke Bände zusammengefasst in einem Sammelband enthält, ist im Jahre 2017 bereits in der 48. Auflage erschienen.

Auf seiner Internetseite gibt der Querido-Verlag das Alter der Zielgruppe einmal von 3-5 Jahren und einmal von 5-8 Jahren an. Die Geschichten eignen sich daher ab einem Alter von etwa drei Jahren zum Vorlesen und ab ungefähr sieben Jahren zum Selberlesen. Die Ge-dankenstriche zwischen den Silben in der Tageszeitung und den älteren Ausgaben sollen dem Erstleser das Lesen erleichtern, wobei die Typographie aus heutiger Sicht für einen Lesean-fänger zu klein ist. Die späteren Ausgaben ohne diese Lesehilfe nehmen keine besondere Rücksicht mehr auf die Bedürfnisse von Leseanfängern, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass die heutigen Exemplare eher zum Vorlesen gedacht sind.

Von den Illustrationen bestehen drei verschiedene Versionen, die im Laufe der Jahre durch Fiep Westendorp selbst leicht verändert und dadurch modernisiert wurden. Die Illustra-tionen, die in Het Parool abgedruckt waren, sind auch in den fünf Bänden aus den sechziger Jahren zu finden. Seit dem Jahr 1977 erscheinen die angepassten Illustrationen in verschiede-nen Druckausgaben von Jip en Janneke und auch in der niederländischen Kinderzeitschrift

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Kurzgeschichten. Für diese Ausgaben entwarf Fiep Westendorp eine dritte Version ihrer mitt-lerweile berühmt gewordenen Illustrationen: Eine über die ganze Seite gehende farbige Zeich-nung, in der aber die schwarzen Silhouetten der Kinder beibehalten wurden. Diese großflächi-gen bunten Illustrationen sind auch im aktuellen Sammelband aus dem Jahr 2017 enthalten. Der Text erfuhr ebenfalls zur gleichen Zeit wie die Illustrationen leichte Veränderungen. Ne-ben den Gedankenstrichen zwischen den einzelnen SilNe-ben wurden einige wenige Worte weg-gelassen – zumeist Wiederholungen – wodurch der Lesefluss des Textes vereinfacht wurde (Vgl. Salverda 1991: 113).

Es wird deutlich, dass Generationen von Kindern in den Niederlanden mit den Ge-schichten über die Figuren Jip und Janneke aufwuchsen, und auch heute noch erfreuen sie sich großer Beliebtheit. Die vielen verschiedenen Übersetzungen in mehr als zwanzig Spra-chen zeugen davon, dass die Geschichten auch außerhalb der Niederlande auf großes Interesse stoßen. Die über einen langen Zeitraum gleichbleibende Beliebtheit des Ausgangstextes, auch jenseits der Niederlande, erklärt einerseits das Anfertigen einer ersten Übersetzung und ande-rerseits auch das Anfertigen einer weiteren zeitlich später angesiedelten Übersetzung – einer

Neuübersetzung. Die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Überprüfung der

Neuüberset-zungshypothese auf den Bereich der Kinderliteratur am Beispiel der deutschen Übersetzungen von Jip en Janneke sind somit gegeben.

4.1.2 Die erste Übersetzung

Die ersten deutschen Übersetzungen von Jip en Janneke erscheinen in den Jahren 1961 und 1962 beim Ehrenwirth Verlag München. Übersetzt wurden insgesamt vier der acht frühen Bände, die erstmals gesammelt in Buchform erschienen:

Deutsche Übersetzung Niederländischer Ausgangstext Heiner und Hanni, 1961 1.) Jip en Jan-ne-ke (1953)

Tausend Grüße von Heiner und Hanni, 1962 2.) De groe-ten van Jip en Jan-ne-ke (1954) Da gehen sie, Heiner und Hanni, 1961 4.) Daar gaan Jip en Jan-ne-ke (1956) Aufgepaßt, Heiner und Hanni, 1962 7.) Pas op, Jip en Jan-ne-ke (1959)

Angefertigt wurden die Übersetzungen von Alfred van der Marck. Recherchen zur Person des Übersetzers blieben ergebnislos, auch die Datenbank des Nederlands Letterenfonds, die alle je aus dem Niederländischen übersetzte Literatur umfasst, listet unter dem Suchbegriff „Alfred

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