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NEUER SCHWUNG FÜR EIN SOZIALESEUROPA! vorwärts

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vorwärts D I E Z E I T U N G D E R D E U T S C H E N S O Z I A L D E M O K R A T I E

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2/2019 vorwärts

INHALT 3

FOTOS: DIRK BLEICKER/VORWÄRTS (2); CHRISTOPH SOEDER/DPA; BILDAGENTUR-ONLINE

LIEBE LESERINNEN UND LESER,

Europa driftet wieder auseinander.

Alte Mechanismen und Strukturen kehren zurück. Rechtsradikale und Rechtspopulisten leisten dem massiv Vorschub. Konservative Parteien sind Kooperationen mit den Rechtsaußen nicht abgeneigt – siehe Österreich und Spanien. Die Europa-Wahl am 26. Mai ist eine Richtungswahl! Es liegt an uns, den Ausgang dieser Wahl zu beeinflussen:

Wahlkampf machen und wählen gehen.

Die Generationen, die den Zweiten Weltkrieg und die lange andauernde Feindschaft zwischen europäischen Nationen erlebt hatten, wählten Frieden und Freiheit. Nun ist es Zeit, dass wir Jüngere uns entscheiden. Denn die Errungenschaften der Alten sind nicht mehr selbstverständlich.

Wir müssen wählen, ob wir Europa den Konservativen, Rechtspopulisten und Rechtsradikalen überlassen, die mit längst überholten Nationalismen den Kontinent und unsere Gesellschaften auseinandertreiben. Siehe Großbritan- nien. Oder ob die Europäische Union auch künftig als starke Kraft in der globalen Welt ein Ort des Friedens, der sozialen Sicherheit und Stabilität sein soll.

Eine starke Sozialdemokratie in Deutschland und in Europa mit einem Kommissionspräsidenten aus ihren Reihen wird dafür sorgen, dass wir auch künftig in eine sichere Zukunft blicken.

Dass Europa weiter zusammenwächst zum Nutzen aller und dass auch die Schwächeren mitgenommen werden.

Das SPD-Spitzenteam Katarina Barley und Udo Bullmann sowie der SPE- Spitzenkandidat Frans Timmermans stehen für bezahlbare Wohnungen, Klimaschutz, Gleichberechtigung, faire Besteuerung und sozialen Ausgleich.

Am 26. Mai geht es nicht nur um das Bekenntnis zu einer Partei, sondern um das Bekenntnis zu einem Lebens- und Gesellschaftsmodell, das unsere Zukunft in Europa sichert. 

Herzlich, Ihre

Karin Nink Chefredakteurin

THEMEN IN DIESEM HEFT

TITEL

4 RIESENCHANCE FÜR MENSCH UND NATUR Die SPD und die ökologische Erneuerung

5 NICHTSTUN IST KEINE OPTION – Die Klimapläne von Bundesumweltministerin Svenja Schulze 6 »WANDEL WAR BEI UNS IMMER« – NRW-SPD-

Chef Sebastian Hartmann über den Struktur- wandel an Rhein und Ruhr

7 DIE POLITIK MUSS LIEFERN – Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke zu den Perspektiven des Lausitzer Braunkohlereviers 8 MOTOR DES STRUKTURWANDELS – Ernst Ulrich

von Weizsäcker über den Klimawandel

9 SYMBOL DES AUFBRUCHS – Wie sich Dortmund zur modernen Kulturmetropole wandelt

»WIR HABEN ES SELBST IN DER HAND«

Thüringens Automobilindustrie auf Zukunftskurs

EUROPA

10 DAS ERSTE KREUZ FÜR EUROPA – Das denken Erstwähler über die EU-Wahl am 26. Mai

11 VIEL HERZBLUT FÜR EINEN SOZIALEN KONTINENT Der Parteikonvent und das SPD-Wahlprogramm 12 SOLIDARITÄT LEBEN UND ERLEBEN

Die soziale Frage und die Europawahl »WIR SIND KEINE MUSTERSCHÜLER«

Michael Roth über die deutsche Europapolitik 13 FÜR EIN EUROPA OHNE RASSISMUS

Das »European Network Against Racism«

14 MIT BELGISCHEN WAFFELN BEGEISTERN Die SPD-Infotrucks im Wahlkampfeinsatz

PARTEI LEBEN!

15 DIE LASTEN DER FERNFAHRER IM FOKUS SPD-Chefin Andrea Nahles informiert sich vor Ort 16 KÄMPFER GEGEN DEN PFLEGENOTSTAND

Alexander Jorde im Porträt

18 DOPPELT SPITZE FÜR DIE SPD IN OLDENBURG OV-Porträt Oldenburg Stadtmitte Süd/Osternburg 19 VERÄNDERUNG BEGINNT IN DER PROVINZ

Die Kommunalwahlen am 26. Mai

WIRTSCHAFT

22 FÜR GUTE ARBEIT IN DER PFLEGE Warum ein Tarifvertrag kommen muss ES GEHT AUCH UM WÜRDE – Interview mit SPD-Vizechefin Malu Dreyer zur Pflegepolitik 23 SEESTADT IM AUFBRUCH – Wie sich Bremerhaven

zum modernen Wirtschaftsstandort entwickelt KULTUR

24 MODERNES BAUEN FÜR DAS VOLK Die SPD und das Bauhaus in Dessau 25 DER VERGESSENE FEIERTAG

Am 23. Mai wird das Grundgesetz 70 Jahre alt

HISTORIE

28 DIE DUNKLEN SCHATTEN DER REVOLUTION – 30 Jahre demokratischer Umbruch in Ostdeutschland 29 DER ZAUBER DES ANFANGS – Vor 40 Jahren:

die erste Direktwahl zum Europäischen Parlament 30 WER WAR’S? – Historisches Bilderrätsel

KOLUMNEN

20 GLOBAL GEDACHT – Rafael Seligmann 21 UNSER EUROPA – Kay Walter

31 DAS ALLERLETZTE – Martin Kaysh

20 IN KÜRZE | 26 PARLAMENT 27 LESERBRIEFE | 29 IMPRESSUM 30 RÄTSELSEITE

Redaktionsschluss 6. Mai 2019

Grund zum Feiern: Die Verfassung hat Geburtstag Seite 25 Svenja Schulze: Macht Druck für mehr Klimaschutz Seite 5

Malu Dreyer: Für eine Pflegebürgerversicherung Seite 22 Die nächste Ausgabe erscheint am 29. Juni 2019 DIESMAL MIT

VORWÄRTS-SPEZIAL IN DER HEFTMITTE In Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE): das Sonderheft zur Europa- wahl 2019

INHALT WAHLKAMPFDie Spitzenkandidaten von SPE und SPD auf Wahlkampftour STANDPUNKT Andrea Nahles und Katarina Barley:

Europa nicht den Halbherzigen überlassen INTERVIEW Udo Bullmann: »Wir brauchen eine Politik der Hoffnung«

SOCIAL MEDIA Wie die Sozialdemokratie die Wähler im Internet mobilisiert

vorwärts

SPEZIAL

TITELFOTO: M

AURICE WEISS

DAS ZIEL IM BLICK

Frans Timmermans bringt das solidarische Europa voran SPE-SPITZENKANDIDAT

I N KO O P E R AT I O N M I T D ER S OZ I A L D E MO K R AT I S C H EN PA R T E I E UR O PA S 2 / 2 0 1 9

während seiner Europa-Wahlkampftour 2019 durch die slowenische Hauptstadt Ljubljana 26. MAI EUROPAWAHL Jede Stimme zählt!

DIESE AUSGABE ENTHÄLT EIN ZWEISEITIGES WAHLPLAKAT ZUM HERAUSNEHMEN

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4 TITEL

vorwärts 2/2019

Seit Jahrzehnten prägen die Tagebaue das Rheinische Revier westlich von Köln. Der Kampf gegen den Klimawandel setzt der Braunkohle nun ein Ende. Die Schülerinnen und Schüler der

„Fridays for Future“-Demonstrationen fordern einen schnellen Kohleausstieg. Die SPD entwickelt Konzepte, wie der ökologische Umbau gelingt – und niemand auf der Strecke bleibt.

A

m Nachmittag des 15. April ging auf der Oberbaumbrücke gar nichts mehr. Das historische Bauwerk verbindet die Berliner Ortsteile Kreuzberg und Friedrichshain mitein- ander. Normalerweise reiht sich dort zu dieser Tageszeit Auto an Auto. Doch an diesem Montag war die Fahrbahn besetzt.

Rund 300 Demonstranten blockierten die Brücke mit einem Sitzstreik. Aufgerufen hatte die Bewegung „Extinction Rebel- lion“ (zu deutsch etwa „Aufstand gegen das Aussterben“), die mit Aktionen des zivilen Ungehorsams die Politik zu einem konsequenteren Handeln gegen den Kli- mawandel zwingen will. Sie knüpft damit

an die „Fridays for Future“-Demonstrati- onen an, in deren Rahmen Schülerinnen und Schüler weltweit freitags statt in die Schule auf die Straße gehen, um für mehr Klimaschutz zu streiken.

Nahles: Wir machen mehr Tempo

„Das wirtschaftliche Handeln darf nicht weiterhin planetare Grenzen überschrei- ten“, sagen die Vertreter der deutschen

„Fridays for Future“-Gruppe. Anfang April haben sie ihre Forderungen an die Politik vorgestellt – im Berliner Natur- kundemuseum, die Skelette mächtiger Dinosaurier im Rücken. Um die Erwär- mung der Erde auf höchstens 1,5 Grad

Celsius zu begrenzen, solle noch in die- sem Jahr ein Viertel aller deutschen Koh- lekraftwerke abgeschaltet und eine CO2- Steuer eingeführt werden. Bis 2035 solle Deutschland rechnerisch kein CO2 mehr ausstoßen. Allerdings sagen die Akti- visten auch: „Die Verwirklichung dieser Forderungen muss sozial verträglich gestaltet werden und darf keinesfalls einseitig zu Lasten von Menschen mit geringem Einkommen gehen.“

Auch wenn sie nicht alle Ziele teilt, stoßen die Schülerinnen und Schüler bei Andrea Nahles auf offene Ohren. „Wir werden euch keine Welt übergeben, die vor dem Kollaps steht“, verspricht Nah-

UMWELT UND ARBEIT

EINE RIESENCHANCE FÜR MENSCH UND NATUR

STRUKTURWANDEL Die notwendige ökologische Erneuerung der Wirtschaft stellt Deutschland vor eine Herausforderung. Die SPD will Klimaschutz und Wirtschaftskraft miteinander verbinden –

zum Wohle der Beschäftigten Von Kai Doering

FOTO: DPA/BLICKWINKEL; DIRK BLEICKER/VORWÄRTS

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TITEL 5

les und: „Ja, wir werden mehr Tempo machen.“ Bereits bevor die „Fridays for Future“-Demonstrationen in Deutschland Fahrt aufnahmen, hatte die SPD-Vorsit- zende eine Arbeitsgruppe eingerichtet, der neben ihr selbst Bundesumweltministe- rin Svenja Schulze, Bundessozialminister Hubertus Heil, Bundesfinanzminister Olaf Scholz sowie Vertreter von Gewerkschaf- ten und Umweltverbänden angehören.

Bis zur Sommerpause will sie ein Konzept für eine nachhaltige Wirtschaft vorlegen, das Klimaschutz und Wertschöpfung in Deutschland miteinander verbindet.

„Deutschland ist das einzige Land, das sowohl aus der Atomkraft als auch aus Braun- und Steinkohle aussteigt“, betont Nahles. Dieser ökologische Umbau der Wirtschaft sei „eine Riesenchance“. Die deutschen Unternehmen müssten „wie- der Innovationstreiber bei klimafreund-

Entscheidungen stehen. „Alle Maßnah- men, die wir ergreifen, müssen gewähr- leisten, dass der Wert der Arbeit gesichert wird, dass das Leben der Menschen be- zahlbar bleibt und dass mehr und nicht weniger Beschäftigung das Ergebnis ist.“

„Erneuerbare Energien sind ein Zu- kunftsmarkt“, sagt Umweltwissenschaft- ler Sebastian Helgenberger vom Institut für transformative Nachhaltigkeitsfor- schung in Potsdam. Aus seiner Sicht wür- de ein Klimaschutzgesetz wie von Svenja Schulze geplant (s.u.) „eine gute Grund- lage für eine zukunftsfähige deutsche Industriepolitik schaffen“. Mit ihrem Konzept für eine nachhaltige Wirtschaft will die SPD darauf aufbauen. „Wir brau- chen jetzt klare Entscheidungen für die nächsten Jahrzehnte“, sagt Andrea Nah- les. „2019 machen wir zum Klimajahr der Entscheidung.“

licher Technologie und nachhaltigem Wirtschaften“ werden. Das sei auch und gerade im Interesse der Beschäftigten, die in CO2-intensiven Branchen arbeite- ten, da es ihnen Planungssicherheit gebe.

SPD will klare Entscheidungen

„Wir sind die einzige Partei, die Umwelt und Soziales gleichzeitig in den Blick nimmt und Wege aufzeigt, wie Klima- schutz und Arbeitsplätze zusammen- gehen“, betont auch Umweltministerin Svenja Schulze. Die Armen dürften weder die Leidtragenden des Klima- noch des Strukturwandels sein. „Der Blick nach Frankreich zeigt, dass die Energiewen- de nur gelingt, wenn weder Wirtschaft noch Verbraucherinnen und Verbrau- cher überfordert werden“, weiß Andrea Nahles. Mensch und Umwelt müssten gemeinsam im Mittelpunkt der künftigen

FOTO: FLORIAN GAERTNER/IMAGO

S

venja Schulze ist ein fröhlicher Mensch. Schlecht gelaunt sieht man die Bundesumweltministe- rin in der Öffentlichkeit eigentlich nie.

Doch wenn ihr eine Sache wirklich wich- tig ist, versteht Schulze keinen Spaß. Das mussten jüngst auch ihre Kabinettskolle- gen von CDU und CSU feststellen. Weil in den Bereichen Verkehr, Landwirtschaft und Bauen die CO2-Einsparziele der Bun- desregierung klar verfehlt werden, setzt Schulze den zuständigen Ministern Alex- ander Dobrindt, Julia Klöckner und Horst Seehofer die Pistole auf die Brust.

„Um unsere Klimaziele zu erreichen, brauchen wir mehr Verbindlichkeit“, sagt Svenja Schulze. In ihrem Entwurf eines Klimaschutzgesetzes schreibt die Umweltministerin deshalb fest, welcher Bereich bis 2030 wieviel CO2 einsparen muss. Wie das Ziel erreicht werden soll, entscheiden die einzelnen Fachminister.

Wird das Ziel verfehlt und Deutschland muss Verschmutzungsrechte aus ande- ren EU-Staaten kaufen, soll das Geld aus dem Haushalt des jeweiligen Ministeri- ums gezahlt werden. „Die Bundesregie- rung muss jetzt handeln“, fordert Schul- ze. „Nichtstun ist keine Option.“

Anfang April wurde deshalb ein neu- es Gremium ins Leben gerufen. Das so- genannte Klimakabinett, bestehend aus den Bundesministern für Umwelt, Ver-

kehr, Wirtschaft, Bauen, Landwirtschaft und Finanzen sowie der Kanzlerin, soll dafür sorgen, dass die Treibhausgas- emissionen in Deutschland bis 2030 wie geplant um mindestens 55 Prozent ge- genüber dem Niveau von 1990 sinken.

Das geplante Klimaschutzgesetz geht deutlich darüber hinaus. Es soll festschreiben, dass Deutschland seine Emissionen bis 2050 um 95 Prozent zu- rückfährt. Für jeden Sektor wird ein Re- duzierungspfad mit Zwischenschritten festgelegt. Werden die zulässigen Aus- stoßmengen überschritten, soll die Bun-

Das Klima schützen „in einem vernünftigen, sozial verantwortbaren Tempo“

will Bundesumweltministerin Svenja Schulze.

WEIL NICHTSTUN KEINE OPTION IST

KLIMAPOLITIK Mit ihrem Vorschlag für ein Klimaschutzgesetz setzt Bundesumwelt- ministerin Svenja Schulze ihre Kabinettskollegen von CDU und CSU unter Druck

Von Kai Doering

desregierung innerhalb eines Jahres ein Sofortprogramm entwickeln, das den je- weiligen Bereich wieder auf Kurs bringt.

„Das Klimaschutzgesetz sorgt für mehr Planungssicherheit über diese Wahlperi- ode hinaus und stellt die Verlässlichkeit der deutschen Klimapolitik auf komplett neue Füße“, ist Svenja Schulze überzeugt.

Pendler und Mieter im Blick Für die Umweltministerin bedeutet das auch die Einführung einer CO2-Steuer.

„Die Idee ist, dass CO2 einen Preis be- kommt – vor allem im Bereich Verkehr und Gebäude, damit es einen Anreiz gibt, auf das Elektroauto umzusteigen oder ein Gebäude energetisch zu sanieren.“

Klimaschonende Technologien sollen so günstiger, fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas teurer werden. „Dass das aber nicht zu unverhältnismäßigen Belastun- gen von Pendlerinnen oder Mietern füh- ren darf, steht für mich als Sozialdemo- kratin außer Frage“, betont Schulze. Das Bundesumweltministerium sei deshalb dabei, „ein kluges und gerechtes Modell zu entwickeln, das den Klimaschutz vo- ranbringt, aber untere und mittlere Ein- kommen nicht weiter belastet“. Der Kli- maschutz müsse „in einem vernüftigen, sozial verantwortbaren Tempo“ voran- getrieben werden.

Mit ihren Vorschlägen trifft die Um- weltministerin auf jeden Fall einen Nerv.

Nannten Anfang des Jahres nur zehn Pro- zent der Deutschen Umwelt und Energie- wende als eines der Hauptprobleme im Land, waren es laut „Politbarometer“ der

„Forschungsgruppe Wahlen“ im April 26 Prozent. „Unsere Aufgabe ist, den nächs- ten Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen“, sagt Svenja Schulze. „2019 wird ein entscheidendes Jahr für den Klimaschutz.“ 

QUELLE: UMWELTBUNDESAMT

DIE ZUKUNFT IST ERNEUERBAR

Stromerzeugung in Deutschland in Terawattstunden (1 Mrd. KWh)

BRAUNKOHLE

ATOMERNERGIE

ERNEUERBARE ENERGIEN 0

100 200 300

2000 2018

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6 TITEL

vorwärts 2/2019

Können Sie das Wort „Struktur- wandel“ noch hören?

Als jemand, der in Oberhausen geboren wurde, natürlich. Der Strukturwandel ist untrennbar mit der Geschichte Nord- rhein-Westfalens verbunden und hat das Land seit seiner Gründung geprägt.

Wandel war bei uns immer. Ich sehe ihn als Chance, Dinge nicht einfach gesche- hen zu lassen, sondern sie zu gestalten.

Vor gut 50 Jahren gab es im Ruhr gebiet 300.000 Kohle-Kumpel. Wie hat das die Region geprägt?

Ich durfte am 21. Dezember vorigen Jahres dabei sein, als Bundespräsident Steinmeier auf der Zeche „Prosper Hani- el“ das letzte in Deutschland geförder- te Stück Steinkohle von acht Kumpeln entgegengenommen hat. Das war ein sehr bewegender Moment. Bei der För- derung von Kohle ging es auch immer um die Werte der Menschen, die sie zu Tage gefördert haben. Im Ruhrgebiet hat es nie eine Rolle gespielt, wer in den Berg eingefahren ist. Da waren alle gleich.

Es ging nicht um die Herkunft, sondern um Solidarität und Verlässlichkeit. Diese Werte haben diese Region jahrzehnte-

lang geprägt – und dieses Vermächtnis der Kohle-Ära wird bleiben.

Ist der Strukturwandel im Ruhrgebiet gelungen?

Die Entwicklung im Ruhrgebiet zeigt sehr gut, wie man den Wandel gestalten kann. Sie ist allerdings noch lange nicht abgeschlossen. Wer heute das Ruhrge- biet besucht, erlebt eine innovative und lebendige Region mit vielen industrie- nahen Start-Ups. Es ist eine lebenswerte Region mit vielen Freizeitmöglichkeiten und dennoch viel Nachholbedarf. Willy Brandts Forderung nach einem blauen Himmel über der Ruhr ist heute erfüllt – nicht zuletzt, weil Sozialdemokraten den Wandel immer als etwas Gestaltba- res begriffen und eine Vision von einem besseren Morgen entwickelt haben.

Die negative Seite ist eine nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit in den ehe- maligen Bergbau-Städten und Armut, die sich vererbt. Woran liegt das?

Die Arbeitslosigkeit im Ruhrgebiet ist zu hoch und sehr ungleich verteilt. Wenn es mancherorts mehr als zehn Prozent ohne Arbeit sind, liegt das nicht daran, dass die Menschen nicht arbeiten wol-

len. Es liegt daran, dass die regionale Wirtschaftsstruktur keinen Anschluss halten konnte. Bei einem gelingenden Strukturwandel ist es wichtig, dass gute Arbeit entsteht. Es darf nicht passieren, dass ein gut bezahlter Arbeitsplatz, bei dem ein Tarifvertrag galt, ersetzt wird durch einen prekären Job in der Dienst-

leistungsbranche. Darauf werden wir als SPD auch beim Braunkohleausstieg im Rheinischen Revier achten.

Der Strukturwandel ist also vor allem eine soziale Frage?

Nordrhein-Westfalen gründet auf der Idee der Arbeit – einer gut bezahlten Arbeit, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Der Steinkohleausstieg im Ruhrgebiet hat auch die Menschen im Rheinland interessiert, weil jeder wuss- te: Wir sind eng miteinander verflochten und wir sind ein Land. Diese Solidarität untereinander gehört zu unserer DNA, und die erhoffe ich mir jetzt auch für die anstehenden Veränderungen im Rheini- schen Revier. Der Wandel kann nur gelin- gen, wenn ihn alle gemeinsam angehen.

Wer die Beschäftigten in der Kohlein- dustrie und die Naturschützer gegenein- ander ausspielt, wie es die schwarz-gelbe Landesregierung in der Auseinanderset- zung um den Hambacher Forst getan hat, gefährdet den sozialen Zusammenhalt.

Wie stellen Sie sich das Nordrhein- Westfalen der Zukunft vor?

Wir müssen die industrielle Arbeit auf höchstem Niveau erhalten – und das unter vernünftigen ökologischen und sozialen Bedingungen. Die Regierung von Hannelore Kraft hat bereits 2014 beschlossen, dass Nordrhein-Westfalen aus der Braunkohleförderung aussteigt.

Damit haben wir den Menschen und den Unternehmen Planungssicherheit gegeben und dafür gesorgt, dass sich frühzeitig Gedanken gemacht werden, was eine gute Zukunft ohne Kohle aus- macht. Mit dem Strukturwandel haben wir eine Vorreiterrolle in Deutschland und der Welt. Wir brauchen uns nicht zu verstecken, sondern sollten lieber zeigen, wie es richtig geht. Meine Idee dafür: Ei- ne Weltausstellung an Rhein und Ruhr – am besten 2031, genau 85 Jahre nach der Gründung Nordrhein-Westfalens.

»WANDEL WAR BEI UNS IMMER«

SEBASTIAN HARTMANN Der Vorsitzende der NRW-SPD sieht das Land gut auf den Kohleausstieg vorbereitet – und möchte eine Weltausstellung

Interview Kai Doering

Eine Chance, die Dinge zu gestalten: Sebastian Hartmann sieht die SPD beim Vorantreiben des Strukturwandels in der Pflicht.

UMWELT UND ARBEIT

FOTO: DIRK BLEICKER/VORWÄRTS

» Mit dem Struktur- wandel haben wir eine Vorreiterrolle in Deutschland und der Welt. «

Sebastian Hartmann

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2/2019 vorwärts

TITEL 7

Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg sollen bis zum anvisierten Ausstieg 2038 insgesamt 40 Milliarden Euro erhalten. 14,8 Milliarden sind bisher für NRW eingeplant. Wohin sollte das Geld fließen?

Zunächst ist entscheidend, dass die Braunkohlereviere nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der Vorschlag der Strukturwandelkommission ist eine gute Blaupause dafür, wie der Kohleaus- stieg gelingen kann. Zentral wird sein, die Kommunen in die Lage zu versetzen, Flächen zu entwickeln und das Geld ziel- gerichtet zu investieren. Um Wertschöp- fung und Beschäftigung in der Region zu halten, müssen wir auch den RWE- Konzern dazu verpflichten, die Entschä- digungen, die er vom Bund erhält, in der Region zu investieren. Ein Beispiel: Wir wollen, dass am Standort eines alten Kohlekraftwerks ein modernes Wärme- speicherkraftwerk gebaut wird, um den Menschen weiterhin Arbeit zu geben und die Energieproduktion in der Regi- on zu halten. Auch Investitionen in die Forschung sind essenziell, ebenso wie in den Erhalt und den Ausbau von Ver- kehrswegen ins Rheinische Revier. Für NRW ist es wichtig, den Steinkohleaus- stieg an der Ruhr gleichzeitig im Blick zu halten.

Der Strukturwandel nach dem Ende der Steinkohle ist auch nach 50 Jahren noch nicht abgeschlossen.

Wie lange wird der Wandel nach dem Auslaufen der Braunkohle dauern?

Die Strukturwandel-Kommission hat mit ihrem Vorschlag eine gute Grund- lage für einen neuen gesellschaftlichen Konsens für den Braunkohleausstieg vorgelegt. Denn am Ende muss es dar- um gehen, dass die Beschäftigten, die Umweltschützer und die Anwohner versöhnt Tür an Tür leben können und die Region wirtschaftlich und sozial er- folgreich bleibt. Die schwarz-gelbe Lan- desregierung hat das Gegenteil getan und droht, wichtige Entscheidungen zu verschlafen. Was den Zeitrahmen an- geht: Das vorgegebene Ziel ist die voll- ständige Abschaltung aller Braun- und Steinkohlekraftwerke bis 2038. Durch eine permanente Evaluation muss über- prüft werden, ob dieses Ziel vielleicht auch schon früher erreicht werden kann, ohne dass es zu wirtschaftlichen, energiewirtschaftlichen oder sozialen Verwerfungen kommt. 2038, das klingt vielleicht erst einmal weit weg. Die Wahrheit ist – wir sind bereits mitten drin im Veränderungsprozess und die- ser ist sicherlich 2038 noch lange nicht abgeschlossen. Da reden wir aus meiner Sicht über einen Zeitraum von mindes- tens zwei bis drei Jahrzehnten, vielleicht sogar noch länger. Aber mit Zuversicht und gutem Plan kann es gelingen. 

S

üdöstlich von Berlin: Hier ist die Region der großen Braunkoh- letagebaue und Kraftwerke der Brandenburger Lausitz. Hier bin ich auf- gewachsen mit dem Tagebau, habe als Junge die Schaufeln gehört, die Bagger gesehen, den hell erleuchteten Nacht- himmel. Aber hier fährt niemand aus Spaß Bagger, sondern weil hier die Ener- gie steckt, die das Industrieland Deutsch- land braucht. Rund zehn Prozent unseres gesamten Stromverbrauchs werden zwi- schen Neiße, Spree und Elster produziert.

1990 waren bei uns in Tagebau und Verstromung noch rund 80.000 Frauen und Männer beschäftigt, heute sind es noch etwa 8.000. Der Ausstieg aus der Kohle ist bei uns seit 30 Jahren im Gange.

Im Jahr 2038 soll bundesweit das letzte Kraftwerk vom Netz gehen. Das Endda- tum 2038 halte ich für einen guten Kom- promiss der „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“. Ich finde ihren Namen bezeichnend und gut gewählt, denn um diese drei Punkte geht es. Und dafür hat sie unter Co-Leitung von meinem Vorgänger Matthias Platz- eck gute Grundlagen geschaffen – und einen Beitrag, die Gesellschaft zusam- menzuhalten. Jetzt sind alle gefordert, ihn umzusetzen und nicht zu zerreden.

Er gibt Planungssicherheit. Ent- scheidend ist, dass es im Industrieland Deutschland gelingt, nach Kohle- und Atomausstieg den Dreiklang von Ener- giekosten und -sicherheit, zukunftsfä- higen Arbeitsplätzen sowie Klima- und

Umweltschutz auszutarieren. Mit dem 40-Milliarden-Euro-Gesamtpaket kann das klappen, ohne dass es zu Struktur- brüchen kommt.

Dafür muss jetzt gehandelt werden.

Die Menschen in den Revieren wollen nicht vertröstet werden. Sie wollen se- hen, dass konkret etwas passiert. Die Politik muss liefern. Das 240-Millionen- Euro-Sofortprogramm des Bundes hat Olaf Scholz schon auf den Weg gebracht.

Gut so! Jetzt geht es mit dem Struktur- stärkungsgesetz um die nächsten Schrit- te. Dabei ist insbesondere Peter Altmaier in der Pflicht. Jetzt geht es mit großen Projekten um die Milliarden bis zum endgültigen Ausstieg: Deutliche Ver- besserungen bei Bahn, Straßenausbau, 5G-Netz, Batteriezellen, aber auch Kultur und Tourismus.

Wir Brandenburger werten den schmerzlichen, aber notwendigen Aus- stieg als Chance für zukunftsfeste Ent- wicklungen. Wir wollen eine europäische Modellregion für Klimaschutz und Wirt- schaftswachstum werden – also Vorbild für die 41 europäischen Kohleregionen.

Sie alle stehen vor einem historischen Wandel. Wir müssen zusammenhalten, um das zu meistern. Dafür brauchen wir beides: Industriearbeitsplätze genauso wie Forschung und Wissenschaft, um die Industrien der Zukunft aufzubauen. Ich bin da zuversichtlich.

Was wir nicht vergessen sollten:

Nach der Bundestagswahl war eine sol- che „Kommission für Wachstum, Struk- turwandel und Beschäftigung“ nicht absehbar. Wäre es zu einer Regierung von CDU/CSU mit Bündnis90/Grüne und FDP gekommen, dann hätten wir all das nicht reinbekommen. Es wäre nur um die Abschaltung der Kraftwerke gegangen.

Gut, dass es anders kam. Für Klima, Ener- giesicherheit und Arbeitsplätze. 

DIE POLITIK

MUSS LIEFERN

BRAUNKOHLE Brandenburg nutzt den Ausstieg aus der Kohle für wichtige Zukunftsinvestitionen.

Die Lausitz soll Modellregion für Klimaschutz und Wirtschaftswachstum werden

Von Dietmar Woidke

Lausitzdialog:

Ministerpräsident Dietmar Woidke am 25. Juni 2018 im Gespräch mit demonstrierenden Kohle- und Energiearbeitern

FOTO: BERND SETTNIK/DPA

21 Tsd.

Beschäftigte arbeiteten 2017 in der Braunkohle- industrie.

40 Mrd.

Euro Strukturhilfen sollen die betroffenen Bundes- länder bis 2038 erhalten.

146 TWh

(Terawattstunde) betrug der Anteil der Braunkohle 2018 an der deutschen Strom erzeugung.

BEDEUTUNG DER BRAUNKOHLE IN DEUTSCHLAND

QUELLEN: UBA, KOHLENSTATISTIK E.V.

Dietmar Woidke ist Ministerpräsident von Brandenburg und Vorsitzender des SPD-Landes- verbandes Brandenburg.

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8 TITEL

vorwärts 2/2019

FOTO: JOCHEN TACK/DDP

D

er Klimawandel ist sehr unan- genehm. 20 große Waldbrände in Schweden allein 2018, und das Gleiche in Kalifornien. Große Ern- teausfälle in Deutschland im gleichen Jahr, und der Rhein fast nicht mehr schiffbar. Grausige Stürme an den Ost- küsten der USA und Japans. Monate später im australischen Sommer eine Jahrhundertdürre und in Mosambik Riesenzerstörungen durch den Zyklon Idai.

Ungemütlich wird es auch, wenn man etwas gegen den Klimawandel tut. In Deutschland hat man die Koh- lekommission gebildet, mit dem Auf- trag, den Kohleausstieg zu konzipieren und planbar zu machen. Bis zu zwanzig Jahre darf er dauern, ist man überein- gekommen. Den betroffenen Regionen schmerzlich rasch, und den Klimaschüt- zern unerträglich lang.

Für den weltweiten Klimaschutz reicht der deutsche Kohleausstieg hin- ten und vorne nicht. Gegenwärtig sind weltweit rund 1.300 neue Kohlekraft-

werke im Bau oder in Planung. Und 90 Prozent aller neuen Kohlekraftwerke werden in Entwicklungsländern gebaut.

Wer sich diese Zahlen klarmacht, wird denken, das Spiel gegen den Klimawan- del sei längst verloren.

CO2-Emissionen pro Kopf

Es gibt jedoch einen Lösungsansatz.

Er heißt „Budget-Ansatz“ und ist in Deutschland entwickelt worden, vom WBGU, dem Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen.

Dieser für die Klimakonferenz von 2009 in Kopenhagen erarbeitete Ansatz will den Ländern aller Art das gleiche Bud- get der CO2-Emissionen pro Kopf geben.

Die alten Industrieländer hätten ihr Budget allerdings schon sehr bald auf- gebraucht und müssten ab dann sämt- liche Lizenzen im Ausland einkaufen.

Das Spannende daran ist Folgendes:

Zum ersten Mal in der Geschichte wür- de ein Entwicklungsland, das vor der Entscheidung steht, ein Kohlekraftwerk zu errichten, nicht automatisch mit der

Ausführung beginnen, sondern zuerst eine Kosten-Nutzen-Analyse für die zwei Optionen durchführen: bauen oder nicht bauen. Hohe Preise für CO2-Lizen- zen würden den Nichtbau verlockend lukrativ machen. Und wenn man erneu- erbare Energien forciert und Energieeffi- zienz kräftig verbessert, würde sich die Waage sehr rasch der Option Nichtbau zuneigen. Und dies aus rein wirtschaft- lichen Gründen.

Leider kamen die USA, Russland, Saudi-Arabien und ein paar andere mit der klaren Absicht auf den Kopenhage- ner Klimagipfel, die Diskussion über den Budgetansatz zu blockieren. Auch die deutsche Industrie war nicht begeistert.

Deutschland sollte voran gehen Ich halte jedoch auch ein Vorauslaufen von Ländern wie Deutschland für mach- bar und sogar wirtschaftlich attraktiv.

Japan hat in den 1970er und 1980er Jah- ren das Vorbild abgegeben. Unter dem Eindruck seit 1973 explodierter Welt- marktpreise für Öl und in der bitteren Erkenntnis, dass Japan keine Kohle, kein Öl und kein Gas hatte, ließ das Land die heimischen Energiepreise nach oben schießen. Zwar sind einige Aluminium- schmelzer ausgewandert, aber es fand zugleich ein rasanter Strukturwandel in Richtung Hochtechnologie statt, und Japan war auf dem besten Wege, sogar die USA einzuholen.

Man muss gewiss darauf achten, dass der Preisanstieg für CO2-Emissi- onen sanft vorankommt, so dass fast niemand auszuwandern braucht. Man muss nur dafür sorgen, dass niemand mehr frisches Geld in die klimaschädi- gende Industrie investiert, wie damals in Japan. Und man muss versuchen, möglichst viele Länder des „Nordens“

zum Mitmachen zu bringen. Die heutige Geschwindigkeit des technologischen Strukturwandels dürfte dafür sorgen, dass die Klimapioniere im internationa- len Wettbewerb die Gewinner werden. 

DER KLIMAWANDEL MUSS MOTOR DES STRUKTURWANDELS SEIN

ENERGIE Hohe Preise für Kohle, Öl oder Gas können auch eine Chance sein:

für rasche Investitionen in umweltgerechte Hochtechnologie. Damit es dazu kommt, muss der Staat die richtigen Weichen stellen

Von Ernst Ulrich von Weizsäcker

Dramatische Folgen des Klimawandels: Der Rhein in Düsseldorf bei Rekord-Niedrigwasser während des Hitzesommers im Jahr 2018. Der historische Rekordsommer verursachte Umweltschäden in Milliardenhöhe, die bis heute nicht behoben sind.

Ernst Ulrich von Weizsäcker war von 1998 bis 2005 SPD-Bundestagsabgeordneter. Von 2012 bis 2018 war er Ko-Präsident des gemeinnützi- gen Thinktanks Club of Rome.

2,6 %

beträgt der Anteil Deutschlands am welt- weiten Ausstoß von Treibhausgasen.

8,88 t

betrug der CO2-Ausstoß 2016 in Deutschland pro Kopf.

DEUTSCHLANDS ANTEIL AM CO2-AUSSTOSS

QUELLEN: UMWELTBUNDESAMT; REPORT DER PARISER KLIMA-KONFERENZ 2017

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2/2019 vorwärts

TITEL 9

N

ach 35 Jahren und mehr als 1.600.000 produzierten Fahrzeu- gen war Schluss. Am 14. April 1991 rollte im Automobilwerk Eisenach der letzte „Wartburg“ vom Band. Der Na- me des Autos, das in großer Zahl aus der DDR in die Staaten des Warschauer Paktes exportiert wurde, unterstrich die regio- nale Verbundenheit und die Bedeutung, die der Fahrzeugbau in Thüringen hat.

Mit dem Opel wird heute in Eisenach ei- ne andere Traditionsmarke produziert.

Durch die Umstellung auf die Elektro- mobilität steht dem Standort und damit Thüringen ein weiterer Strukturwandel im Automobilbereich bevor. „Die Thü- ringer Kfz-Branche kann vom Umbruch profitieren, wenn Industrie und Politik sich rechtzeitig auf die Veränderungen einstellen und jetzt gemeinsam die Wei- chen stellen“, ist Thüringens Wirtschafts- minister Wolfgang Tiefensee (SPD) über- zeugt. Mit der Erschließung neuer Märkte, Produkte und Prozesse können bis 2030 im Land bis zu 5.000 neue Arbeitsplätze entstehen, hat das Chemnitz Automoti- ve Institute (CATI) jüngst in einer Studie ermittelt. „Der sich abzeichnende Verlust von Arbeitsplätzen im Bereich Antrieb und Fahrwerk kann durch andere Pro- duktfelder mehr als aufgefangen wer- den“, ist Studienleiter Werner Olle sicher.

Mit Carl Zeiss in Jena habe Thüringen zudem einen Vorteil bei der Entwicklung optischer Systeme, die für selbstfahrende Autos benötigt werden.

Mit einer „Automotive Agenda Thü- ringen“ will Wirtschaftsminister Tiefen- see deshalb die Zusammenarbeit kleiner und mittelständischer Unternehmen verbessern. „Die Zukunft liegt in der projektbezogenen Kooperation“, ist er si- cher. Zwar könne niemand garantieren, dass der Strukturwandel in der Automo- bilbranche gelingt, „aber wir haben es selbst in der Hand, die Entwicklung po- sitiv zu beeinflussen.“

»WIR HABEN ES SELBST IN DER HAND«

THÜRINGEN Vom Wartburg zum selbstfahrenden Auto

Von Kai Doering

F

ormal betrachtet ist es ein 70 Meter hohes Kellerhochhaus auf dessen Dach ein mit Blattgold verziertes U thront. Doch das Dortmun- der U, das einst das Gär- und Lagerhaus der Dortmunder Union-Brauerei war, ist längst zum Symbol des Aufbruchs und des Strukturwandels geworden. Denn dort, wo früher zu Spitzenzeiten 1800 Menschen Bier brauten, sind Kunst und kreative Köpfe eingezogen.

Das Dortmunder U symbolisiert den Strukturwandel und ein wichtiges Ka- pitel Dortmunder Wirtschaftsgeschich- te. Denn in Dortmund war das Bier neben Kohle und Stahl der größte Indus- triezweig und Arbeitgeber für tausende Beschäftigte. Um 1900 zählte die Stadt rund 30 Brauereien. Die Union-Brauerei war die größte Europas. Das Ende der Bierstadt wurde 1991 eingeleitet, als die heutige Radeberger Brauerei in Dort- mund Fuß fasste. Sie übernahm fast al- le Brauereien, schloss deren Standorte.

Seitdem gibt es nur noch eine Braustät- te. Lediglich die Namen Thier-Galerie und Dortmunder U erinnern an die Bier- Ära.

Dass der Erhalt des Dortmunder  U und dessen Wandel zum digitalen Kunstort gelingen würde, war nicht absehbar.

Nach dem endgültigen Aus des Brauerei- Standortes im Jahr 1994, stand das Ge- bäude viele Jahr leer. 2007 erwarb es die Stadt für rund 25 Millionen Euro und ließ es auch mit Fördermitteln umbauen für insgesamt 90 Millionen Euro. Schließlich wurde das Dortmunder  U im Rahmen der „Kulturhauptstadt Ruhr 2010“ in Teilen wiedereröffnet. Seitdem ist hier ein Zentrum für Kreativität entstanden, das wegen seiner Kombination aus zeit- genössischer Kunst und Medienkunst, kultureller Bildung sowie Wissenschaft und Forschung rund 200.000 Besucher jährlich lockt. Nicht nur, dass Filmema- cher Adolf Winkelmann das U als Projek- tionsfläche für seine fliegenden Bilder nutzt. Vielmehr gilt das Dortmunder U als ein „,place to be‘ für Kunst, Kino, Ga- ming und digitale Kultur“, wie die Stadt nicht ohne Stolz verkündet.

Wehmut und Stolz

Und wie sehen die ehemaligen Unionis- ten ihr U? „Für mich ist es die zweitbes- te Lösung. Schöner wäre es, wenn hier noch Bier gebraut würde. Heute erinnert es an eine glanzvolle Zeit“, sagt Gerhard Droste. Der einstige Bilanzbuchhalter der Dortmunder Union-Brauerei (88) schwärmt von Zeiten, in denen dieses Haus sichere Arbeitsplätze und dazu für heutige Zeiten unvorstellbar gute Sozi- alleistungen bot: „Wir hatten sogar ein 14. Gehalt.“ Walter Wohland (75) war hier Brauer und Mälzer – bis die Union 1994 an diesem Standort die Zapfhähne zudrehte. Wehmut und Stolz halten sich die Waage, wenn er über das Dortmun- der  U spricht. „Jeder wollte hier arbei- ten.“ Der ehemalige Union-Vertriebsmit- arbeiter Udo Fricke bringt das Gefühl auf den Punkt. „Dass es hier mal zu En- de gehen würde mit dem Bier, hätte nie- mand für möglich gehalten.‘‘ Dass hier neue, andere Arbeitsplätze entstanden sind im Museum Ostwall, im Bereich kulturelle Bildung, in der Bibliothek, am Empfang, in der Verwaltung, in Laboren der TU und FH sowie beim Hartware MedienKunstVerein – finden alle gut:

„Selbstverständlich.“

FOTOS: SCHÖNING/ULLSTEIN BILD; ROLAND BAEGE; SILKE HOOCK

SYMBOL DES AUFBRUCHS

DORTMUND Einst war die Union-Brauerei die größte Europas. Heute ist sie der »place to be« für Kunst, Kino und digitale Kultur

Von Silke Hoock

Heute vergoldet: Das U der ehemaligen Union-Brauerei – ein Wahrzeichen von Dortmund

Sie blicken zurück – und nach vorn: Gerhard Droste (v.l., ehem. Bilanzbuchhalter), Wal- ter Wohland (früher Brauer) und Udo Fricke (Ex-Vertriebler)

Tradition im Wandel: Der „Wartburg“ hat Thüringen zum Autoland gemacht.

UMWELT

UND ARBEIT

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10 EUROPA

vorwärts 2/2019

K

lara Wyrobek hat gewonnen.

Als eine von 30.000 jungen Europäerinnen und Europä- ern durfte die damals 18-Jährige im vergangenen Jahr dank der Initiative

„ Dis coverEU“ auf Entdeckungsreise ge- hen. Die Dortmunderin fuhr mit einem Interrail-Pass eineinhalb Wochen durch Belgien und Großbritannien. „Das war ein einschneidendes Erlebnis, weil es ein Programm der EU war, das mich persön- lich betroffen hat“, sagt Wyrobek, die an der Universität Duisburg-Essen Globale und Transnationale Soziologie studiert.

„Ich finde es toll, dass ich mich mit anderen Menschen sofort verständigen kann und die gleiche kulturelle Basis ha- be“, sagt sie zu ihren Erfahrungen wäh- rend der Reise. Die 19-Jährige gehört zu den fünf Millionen jungen Menschen in Deutschland, die am 26. Mai zum ersten Mal bei einer Europawahl mitstimmen dürfen. Der europäische Spitzenkandi- dat der Sozialdemokraten Frans Timmer- mans spricht von einer Generation, die sich um die Zukunft des Planeten sorgt.

Begegnungen auf Augenhöhe Doch nicht nur die steht auf dem Spiel.

Auch der Zusammenhalt innerhalb Eu- ropas ist durch zunehmende rechtspo- pulistische Tendenzen gefährdet. Dage- gen engagiert sich Berivan Agbayir. Die 21-Jährige aus dem südhessischen Bad Homburg ist Teil der Initiative „Europe Talks“, die in zwölf europäischen Län- dern agiert und Sozialdemokraten auf lokaler Ebene vernetzen möchte. „Ich finde es schade, dass der Zusammenhalt noch nicht so stark ist“, sagt Agbayir und beschreibt ihr Bild von Europa als

„ein ganz großes Land, in dem verschie- dene Menschen mit unterschiedlichen Kulturen zusammenkommen, in dem ein gemeinsames Demokratieverständ- nis herrscht und man sich auf Augenhö- he begegnet“.

Ähnlich argumentiert Maria Ellen- dorff. Die 22-Jährige lebt in Berlin und äußert sich positiv zur Idee einer eu- ropäischen Wertegemeinschaft, in der sich unterschiedliche Staaten auf ge- meinsame Regeln einigen: „Das ist für mich die europäische Utopie, dass das geht und dass man einen gemeinsamen Nenner findet, mit dem alle zufrieden sind und dass es eine Friedensgemein-

schaft ist, in der man sich gegenseitig unterstützt.“

Zugleich mahnt die Studentin der Kulturanthropologie mit Blick auf Po- len oder Ungarn: „Wenn man sich auf rechtsstaatliche Prinzipien einigt, muss kontrolliert werden, dass man sie auch einhält.“ Grundsätzlich müsse die EU transparenter werden, fordert sie. Auch um mehr Zustimmung für die europä- ische Idee zu erreichen und Kritikern Wind aus den Segeln zu nehmen.

Von gemeinsamen europäischen Standards in der Bildungspolitik profi-

tiert Luisa Maschlanka. Die 22-Jährige ist in Nordrhein-Westfalen aufgewach- sen. Inzwischen studiert sie im Master Europäische Studien im tschechischen Brno. Für sie soll Europa mehr sein als ein gemeinsamer Markt: „Wenn ich an die Pulse-of-Europe-Demonstrationen oder die Remain-Bewegung in Großbri- tannien denke, habe ich den Eindruck, dass Europa vielen Menschen etwas be- deutet. Sie teilen die Hoffnung, dass wir nur gemeinsam eine gute Zukunft für alle schaffen können.“

Jungen Menschen mehr zuhören Maschlanka fordert, dass Politiker auf nationaler und europäischer Ebene jun- gen Menschen mehr zuhören und eine Europapolitik umsetzen sollten, „die sich an Werten wie Frieden, grenzüber- schreitender Solidarität und Einhaltung der Menschenrechte orientiert“.

Für Jost Weisenfeld spielt die histori- sche Dimension der europäischen Eini- gung eine große Rolle. „Es ist eine krasse und bedeutende Sache, dass Staaten wie Frankreich und Deutschland, die über Jahrhunderte verfeindet waren, ein ge- meinsames Projekt gestartet und damit seit Jahrzehnten den Frieden in Europa gesichert haben“, sagt der 21-Jährige, der im mittelhessischen Dorf Oberasphe wohnt.

Obwohl in der hessischen Provinz aufgewachsen, hat auch Weisenfeld von

„dutzenden Vorteilen“ der europäischen Einigung profitiert. Besonders in Erinne- rung geblieben ist ihm ein Erlebnis wäh- rend des YES-Summercamps 2016 in Sizilien. Dort sang er am letzten Abend mit Jugendlichen aus allen Ländern Eu- ropas die Internationale. Jeder in seiner Sprache. Ein bewegendes Erlebnis für Weisenfeld. Internationale Politik faszi- niert ihn, im August wird er im Freiwil- ligendienst des Willy-Brandt-Centers in Jerusalem arbeiten.

Im Alltag wünscht er sich von der EU vor allem mehr Unterstützung für Men- schen mit Behinderung. Der 21-Jährige ist kleinwüchsig und sagt: „Die EU sollte bei der Umsetzung der UN-Behinderten- rechtskommission eine klare Linie fah- ren. In der Behindertenpolitik fehlt mir noch einiges.“ Ein europäischer Behin- dertenausweis wäre für ihn beispiels- weise ein richtiger Schritt. 

DAS ERSTE KREUZ FÜR EUROPA

WAHLPREMIERE Fünf Millionen junge Deutsche nehmen zum ersten Mal an einer Europawahl teil. Sie genießen Reisefreiheit und offene Grenzen und fordern zugleich mehr Zusammenhalt und Transparenz der EU

Von Jonas Jordan

Für Europa: Berivan Agbayir engagiert sich in der Initiative „Europe Talks“.

FOTOS: BERIVAN AGBAYIR; JOST WEISENFELD; JONAS JORDAN/VORWÄRTS

ERSTWÄHLER

Verbesserungen erwünscht: Jost Weisenfeld (l.) fordert eine bessere Behinderten- politik, während Maria Ellendorff mehr Transparenz in der EU erwartet.

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2/2019 vorwärts

EUROPA 11

DAS PROGRAMM DER SPD FÜR EUROPA

• Die SPD will einen europa- weiten Mindestlohn. Dieser soll 60 Prozent des mittleren Einkommens im jeweiligen Land betragen. In Deutsch- land wären das gut 12 Euro.

• Eine Jugendgarantie soll dafür sorgen, dass jungen Menschen unter 25 nach ihrer Ausbildung oder bei Arbeitslosigkeit schnell konkrete Angebote gemacht werden.

• Ein Frühwarnsystem soll die Rechtsstaatlichkeit in den EU-Ländern sicherstellen.

Bei Verstößen sollen Gelder gekürzt werden.

• Großkonzerne sollen euro- paweit einheitliche Steuern bezahlen. Das Einstimmig- keitsprinzip in Steuerfragen will die SPD abschaffen.

• Das Wahlalter soll für die Europawahl auf 16 Jahre gesenkt werden.

FOTO: DIRK BLEICKER/VORWÄRTS

Z

um Schluss herrscht kurz Irrita- tion im Saal. „Ist das eine Gegen- stimme oder warst du nur ein bisschen langsam?“, fragt Anke Rehliger einen der Delegierten, der seine Stimm- karte nicht schnell genug wieder auf den Tisch vor sich gelegt hat. Dann ist klar: Der Parteikonvent hat das SPD-Pro- gramm für die Europawahl einstimmig angenommen. Als Sitzungsleiterin Reh- linger das Ergebnis verkündet, brandet Applaus auf im Saal des Berliner Con- gress Centers am Alexanderplatz.

Zuvor hatten die 200 Delegierten mehrere Stunden über die einzelnen Kapitel unter der Überschrift „Kommt zusammen und macht Europa stark“ de- battiert. Dabei erinnert Katarina Barley daran, dass die Europäische Union nach dem Zweiten Weltkrieg als Wirtschafts- gemeinschaft gegründet wurde. „Es ist an uns, jetzt den nächsten Schritt zu machen“, fordert die Spitzenkandidatin für die Europawahl ihre Partei auf. „Wir brauchen das soziale Europa.“

Für Barley bedeutet das zum Beispiel, sich gemeinsam mit den Gewerkschaf- ten für eine starke Arbeitnehmermit- bestimmung in Europa einzusetzen.

„Wir müssen Dumpinglöhne abstellen und einen europaweiten Mindestlohn einführen“, verlangt sie. Im Wahlpro-

gramm schlägt die SPD vor, dass dieser 60 Prozent des mittleren Einkommens betragen soll. „Für Deutschland sind das zwölf Euro pro Stunde“, rechnet Barley den Delegierten vor. Wenn Arbeitneh- mer in ihrem Heimatland einen aus- kömmlichen Lohn bekämen, müssten sie dieses nicht verlassen, ist die Spitzen- kandidatin überzeugt.

Eine Garantie für junge Europäer Besonders hat sie dabei die jungen Eu- ropäerinnen und Europäer im Blick. Die sind vor allem in Südeuropa von Arbeits- losigkeit betroffen. „Wir müssen eine starke Zukunft für die junge Generation bauen“, sagt Barley beim Parteikonvent.

In ihrem Wahlprogramm fordert die SPD deshalb eine „Jugendgarantie“: Allen jungen Menschen unter 25 Jahren sollen innerhalb von vier Monaten konkrete Angebote für ihre berufliche Zukunft gemacht werden, nachdem sie arbeits- los geworden sind oder ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Außerdem fordern die Sozialdemokraten die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre.

Scharf attackiert Katarina Barley CDU und CSU für ihren Umgang mit Ungarns Regierungschef Victor Orbán.

Dieser höhle in seinem Land seit Jahren die Demokratie aus und greife europäi-

sche Werte zentral an. „Die CDU hat da- zu nichts gesagt, die CSU hat ihn sogar regelmäßig zu ihren Parteitagen ein- geladen“, kritisiert Barley. Dass sich die europäische Volkspartei im März endlich dazu durchgerungen hat, die Mitglied- schaft von Orbáns Fidesz-Partei für ein halbes Jahr auszusetzen, reicht aus Bar- leys Sicht nicht. „So kann man Rechts- staatlichkeit in Europa nicht durchset- zen“, ist sie überzeugt.

Die SPD macht sich deshalb in ih- rem Wahlprogramm dafür stark, dass Mitgliedsstaaten „bei Verstößen gegen rechtsstaatliche Standards“ die Zuwen- dungen aus dem EU-Haushalt „spürbar“

gekürzt werden. „Dieses Frühwarnsys- tem wird ein wichtiger Baustein sein im Kampf für Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union“, zeigt sich Katarina Barley beim Parteikonvent überzeugt.

„Ich glaube fest daran, dass die Het- zer und ewig Gestrigen nicht durch- kommen“, sagt auch die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles und verspricht, die Sozi- aldemokraten würden mit Herzblut für Europa kämpfen. „Wir lassen uns Europa nicht kaputt machen. Unsere Werte sind stärker“, betont Nahles.

Keine Hinterzimmerdeals

Udo Bullmmann wirft bereits einen Blick auf die Zeit nach der Europawahl.

„Wir werden mit allen vernünftigen Kräften reden“, kündigt der SPD-Spit- zenkandidat und Vorsitzende der S&D- Fraktion im Europaparlament an. Einen Automatismus für eine große Koalition mit der EVP gebe es nicht, zumal diese

„zu wenig Herzblut für Europa“ habe und „runter vom hohen Ross“ müsse.

„Wir können am Tag nach der Wahl ein großes Rad drehen“, verspricht Bull- mann. „Hinterzimmerdeals wird es mit mir nicht geben.“

MIT VIEL HERZBLUT FÜR

EINEN SOZIALEN KONTINENT

PARTEIKONVENT Einstimmig hat die SPD ihr Programm für die Europawahl beschlossen. Im Mittelpunkt stehen soziale Themen

Von Kai Doering

Der nächste Schritt für Europa: Die SPD will aus der Wirtschaftsunion eine Sozialunion machen. Dafür kämpfen die Spitzenkandidaten Katarina Barley (2.v.r.) und Udo Bullmann (r.).

Das Wahlprogramm der SPD gibt es unter vorwärts.de/europawahl

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12 EUROPA

vorwärts 2/2019

Was ist für Sie typisch europäisch?

Das Schöne und Typische an Europa ist seine Vielfalt. Wir alle wollen ohne Angst verschieden sein. Genau darum geht es.

Ein Großteil der Deutschen hält die Mitgliedschaft in der EU für eine gute Sache. Gleichzeitig wächst die Anzahl derer, die mit der Entwicklung der EU unzufrieden sind. Wie bewerten Sie das?

Leider gibt es eine grundsätzliche Ver- drossenheit gegenüber der Politik und der Demokratie. Das zeigt sich auch bei der Bewertung der EU. Die EU ist in den vergangenen Jahren durch schwere Kri- sen gegangen, die zum Teil noch nicht überstanden sind. In Deutschland ist zwar die Arbeitslosigkeit nicht gestie- gen und die Wirtschaft nicht eingebro- chen, aber es ist von Konservativen und Marktradikalen der Eindruck erweckt worden, als hätten wir mit den Proble- men unserer Partner in der EU nichts zu

schaffen. Im Verhältnis untereinander ist da viel Vertrauen verloren gegangen.

Wie kann die Politik das reparieren?

In einer Zeit mit neuen Bewährungs- proben ist das nicht leicht. Die Migrati- onsfrage ist nicht beantwortet, es gibt gewaltsame Konflikte in unserer euro- päischen Nachbarschaft und über allem schwebt der Brexit. Erstmal müssen wir daher ehrlicher über Europa reden. In den vergangenen Jahren hat die EU oft für alles herhalten müssen, das nicht funktioniert und schlecht lief. Dann war

„Brüssel“ schuld. Wir müssen deutlicher machen: Entscheidungen in der EU brau- chen genauso parlamentarische Mehr- heiten wie in jedem Nationalstaat. Wer in Europa so wie ich für eine progressive Politik kämpft, ist zurzeit nahezu überall in der Minderheit – in der Kommission, im Rat und im Europäischen Parlament.

Im Koalitionsvertrag versprechen SPD, CDU und CSU „einen neuen Auf- bruch für Europa“. Warum ist davon bisher wenig zu spüren?

Ich bin mit dem bisher Erreichten nicht zufrieden. Viele SPD-Mitglieder haben dem Koalitionsvertrag wegen dem Europa-Kapitel zugestimmt. Dass sich nach gut einem Jahr zu wenig getan hat, liegt aus meiner Sicht vor allem daran, dass der Dialog zwischen der Kanzle- rin und dem französischen Präsidenten nicht funktioniert. Macron bevorzugt Samba, Merkel langsamen Walzer. Für

»WIR SIND KEINE MUSTERSCHÜLER«

MICHAEL ROTH Der Europa-Staatsminister kritisiert die zögerliche EU-Politik der Bundeskanzlerin und fordert Kompromissfähigkeit auch von Deutschland

Interview Kai Doering

uns Sozialdemokratinnen und Sozial- demokraten ist die EU in erster Linie eine Wertegemeinschaft und nicht ein Binnenmarkt. Das leitet unsere Politik, etwa im Umgang mit Regierungen, die rechtsstaatliche Prinzipien verletzen. In Sachen Demokratie darf es keine politi- schen Rabatte geben. Da vermisse ich von CDU, CSU und EVP eine klare Posi- tionierung.

Der frühere polnische Außenminis- ter Jaroslaw Sikorski hat vor einigen Jahren gesagt, er fürchte weniger Deutschlands Macht als Deutsch- lands Untätigkeit in Europa. Hält sich Deutschland zu sehr raus?

Deutschland ist europapolitisch alles andere als untätig. Allerdings vermis- se ich bisweilen die Bereitschaft, sich in das Denken und die historischen Er- fahrungen unserer Nachbarn hinein- zuversetzen. Beispielsweise ist in den baltischen Staaten und Polen die Angst vor russischer Aggression nach wie vor groß. Die Skepsis gegenüber exklusiven deutsch-russischen Beziehungen kann ich vor diesem Hintergrund sehr gut nachvollziehen. Unserer Forderung „Eu- rope united“ müssen konkrete Hand- lungen folgen. Ohne Kompromissbereit- schaft Deutschlands wird die EU nicht funktionieren. Und wir müssen mit gutem Beispiel voran gehen. Wir sind in Sachen Europa nun wirklich keine Mus- terschüler.

» Wir müssen ehrlicher über Europa reden. «

Michael Roth,

Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt

E

uropa, das war der Traum von Frieden, sozialem Fortschritt und Wohlstand für alle. So steht es in den europäischen Verträgen. Aufgrund dieses Versprechens strebten und stre- ben Länder in Mittel-, Ost- sowie Südost- europa nach einer Mitgliedschaft in der EU. Und die Mehrheit der Europäerinnen und Europäer steht weiter hinter der eu- ropäischen Idee. Darauf muss europäi- sche Politik viel stärker aufbauen und darf den Orbáns und Salvinis dieser Welt nicht zu viel Raum lassen. In welchem Europa wollen wir leben?, ist die ent- scheidende Frage.

Es wurde schon viel erreicht, denken wir an den Binnenmarkt, die Grund-

rechtecharta, soziale Rechte und vieles mehr. Doch der bloße Fokus auf Haus- haltskonsolidierung, auf die Schulden- grenzen des Wachstums- und Stabili- tätspakts hat das Auseinanderdriften in und zwischen den Mitgliedsstaaten beschleunigt. Zulange wurde das Man- tra der schwarzen Null um jeden Preis beschworen. Dabei bleibt die soziale Fra- ge die Kernfrage für die Zukunft Europas!

Vertrauen muss aufgebaut werden und dies geht nur über soziale Absicherung angesichts großer Unsicherheiten durch die Globalisierung und durch die digitale industrielle Revolution. Wir brauchen So- zialinvestitionen in Bildung und Fortbil- dung, in soziale und öffentliche Dienste.

SOLIDARITÄT LEBEN UND ERLEBEN

ZIVILGESELLSCHAFT Die soziale Frage bleibt die Kernfrage für die Zukunft Europas

Von Conny Reuter

Wir können Solidarität leben und er- leben über die Zusammenarbeit in zi- vilgesellschaftlichen Netzwerken wie dem Europäischen Verband Beruflicher Bildungsträger (EVBB) oder SOLIDAR, einem europäischen Netzwerk von Or- ganisationen der Zivilgesellschaft, die sich für die Förderung der sozialen Ge- rechtigkeit einsetzen.

Das Gift des Rassismus und Natio- nalimus verbreitet sich in Europa in ei- ner Geschwindigkeit, die uns bewusst macht, wie wichtig es ist, sich für ein sozialeres und demokratisches Europa einzusetzen. Ein Europa, das mehr ist, als nur ein Freiraum für Handel, Kapi- tal- und Warenaustausch. Die Menschen müssen im Mittelpunkt stehen. Und die Menschen, das sind auch geflüchtete Migrantinnen und Migranten.

Bei dieser Europawahl geht es ans Eingemachte. Es geht um die Zukunft ei- nes aufgeklärten und solidarischen Euro- pas, von dem alle etwas haben! Deshalb unterstützen wir die EU-Kampagne für eine höhere Wahlbeteiligung: This time I’m voting – diesmal gehe ich wählen! 

FOTOS: THIBAULT BELVAUX; XANDER HEINL/PHOTOTHEK

Conny Reuter ist Generalsekretär des europäischen Netzwerkes „SOLIDAR“.

EUROPAWAHL

Flagge zeigen für Europa:

Solidar-Generalsekretär Conny Reuter (5.v.r.) beim

„March for Europe“ am 24. März 2019 in Brüssel.

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FÜR EIN EUROPA OHNE

RASSISMUS

ENAR Das »European Network Against Racism« setzt auf europaweite Vernetzung und Zusammenarbeit. Dem erstarkenden Rechtspopulismus in Europa will sich das Netzwerk noch stärker entgegenstellen

Von Tamara Rösch

Leitfaden: Mit dem „Responding-to-Racism“-Guide klärt das ENAR über Rassismus auf.

U

nsere Vision ist ein Europa, das gleichberechtigt und solida- risch ist. Es soll für alle Bürger und Einwohner ein Ort sein, an dem das Wohlergehen gesichert ist“, schreibt das European Network Against Racism (ENAR) auf seiner Internetseite. Das übergeordnete Ziel der Organisation ist es, ein „Europa ohne strukturellen Ras- sismus“ zu schaffen, indem sie europa- weit gesetzliche Änderungen zuguns- ten von Minderheiten erstreitet.

1998 wurde das Netzwerk gegrün- det, mittlerweile haben sich mehr als 100 gemeinnützige Organisationen aus ganz Europa angeschlossen. Deutsch- land ist unter anderem durch den Deut- schen Gewerkschaftsbund (DGB) vertre- ten.

Gemeinsam mehr erreichen Das ENAR hat die Stärke der Zusam- menarbeit für sich entdeckt. Auf seiner Internetseite schreiben die Aktiven:

„Partnerschaften haben einen hohen Wert, vor allem wenn wir komplexe Diskriminierungsmuster ansprechen wollen.“ Das Netzwerk sei als Gemein- schaftsprojekt zu verstehen, in dem ein respektvoller Dialog und der Austausch von unterschiedlichen Erfahrungen im Vordergrund stehen.

Durch die europaweite Vernetzung ist es dem ENAR möglich, einen brei- teren Blick auf die Rassismusprobleme Europas zu werfen. Die Mitwirkenden analysieren, welche Wirkung antiras- sistische Aktionen auf das europäische Zusammenleben haben. Dabei stehen die Menschenrechte an erster Stelle.

Erfolge kann das ENAR einige ver- buchen. Im Jahr 2018 hat das Netzwerk erreicht, dass die EU Afrophobie als Pro- blem wahrnimmt und an Islamophobie arbeitet. Außerdem hat die Europäische Kommission Richtlinien auf Empfeh- lung des ENAR verfasst, welche rassisti- sche Kriminalität eindämmen können.

Das Dokument gibt vor, dass EU-Staaten

den Opfern rassistischer Gewalt bei Aufklärung und Anzeige der Verbre- chen entgegenkommen sollen. Für die Europa-Wahl ist das Netzwerk auf alle Szenarien eingestellt. Werden Parteien gestärkt, die nicht für Gleichberechti- gung einstehen, will das ENAR nicht

AKTIONEN GEGEN RECHTS

GEGEN HASS UND GEWALT Rechtsradikale bedrohen unsere Demokratie, immer unverhohlener und aggressiver. Wie man sich erfolgreich dagegen wehren kann, zeigen wir in dieser Serie.

aufgeben: „Wir werden noch stärker in den Widerstand gehen und niemals aufhören, nach vorne zu schauen. Das ist unser Versprechen.“ 

FOTO: ENAR

Mehr Informationen unter www.enar-eu.org

Referenties

GERELATEERDE DOCUMENTEN

Die Idee, dann halt doch vor allem Familie zu haben (schon auch arbeiten, aber nicht so richtig), für die mir meine mit drei Kindern immer Vollzeit schuftende Mutter die 20?.

Kommt man nun etwa in ein Restaurant und setzt sich auf einen Stuhl, auf dem kurz zuvor jemand gesessen hat, ohne dass man es wusste, dann erwartet man einen gewöhnlichen,

Wanneer één van beide antwoordelementen ontbreekt geen scorepunt

Hamburg – Der Humanbiologe und Medizinprofessor Detlev Ganten hat sich für eine zukunftsoffene, humane Wissens- gesellschaft einschließlich der Genforschung ausgesprochen..

Nervenzellen, die bei Affen oder Menschen sowohl dann feuern, wenn sie selbst handeln oder etwas planen, als auch dann, wenn sie das

Outfit wird mit Persönlichkeit verwechselt. Die Marke und nur die Marke entscheidet über Anerkennung, Erfolg und Sozialprestige. Das ist brutal für diejenigen, die sich diese Art

Oberer Bereich der Rückseite des Haupttitels im Stil KOMAScript. Unterer Bereich der Rückseite des Haupttitels im