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Grenzbetrachtungen

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Academic year: 2021

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(1)

Universität von Amsterdam

Master Deutsche Literatur und Kultur Endarbeit Dozentin: Prof. Dr. Nicole Colin

Co-Dozentin: Dr. Anna Seidl Mündliche Prüfung: 27 August 25 Julie 2014

Grenzbetrachtungen

Die Grenzen in den Werken

Der geteilte Himmel,

Vor den Vätern sterben die Söhne

und

Böse Schafe.

(2)

Inhaltsverzeichnis

I) Einleitung ... S.1

II) Methodische Annäherung ... S.1

III) Kurze Darstellung der Bücher und Autoren, sowie die zeitliche Einordnung und literarischen

Gattungen... S.5

1) Christa Wolf: Der geteilte Himmel ... S.5 2) Katja Lange-Müller: Böse Schafe ... S.8 3) Thomas Brasch: Vor den Vätern sterben die Söhne ... S.10 4) Unterschiede und Parallelen der Autoren und Vergleiche der Titel und deren Zusammenhang im Werk ... S.13

IV) Hauptteil: Grenze, Grenzgänger und Grenzüberschreitungen ... S.18

1) Rita und Manfred aus Der geteilte Himmel ... S.20 1.1) Soziale Grenze ... S.21 1.2) Politische Grenze ... S.22 1.3) Zeitliche Grenze ... S.26 1.4) Zwischenmenschliche Grenze ... S.27 2) Soja und Harry aus Böse Schafe ... S.32 2.1) Soziale Grenze ... S.33 2.2) Politische Grenze ... S.34 2.3) Zeitliche Grenze ... S.36 2.4) Zwischenmenschliche Grenze ... S.37 3) Sophie und Robert aus Vor den Vätern sterben die Söhne ... S.41 3.1) Soziale Grenze ... S.42 3.2) Politische Grenze ... S.42 3.3) Zeitliche Grenze ... S.48 3.4) Zwischenmenschliche Grenze ... S.49 V) Fazit ... S.51 VI) Literatur ... S.54

(3)

1

I) Einleitung

In dieser vorliegenden Arbeit werden drei Werke, die der DDR-Literatur zugerechnet werden, untersucht. Diese Werke sind Der geteilte Himmel von Christa Wolf, Vor den Vätern sterben die Söhne von Thomas Brasch und

Böse Schafe von Katja Lange-Müller. Diese drei Werke, sowie deren

Autoren, werden zuerst kurz dargestellt, sie werden zeitlich eingeordnet und ihre jeweilige literarische Gattung wird kurz erläutert. In der Methodischen Annäherung wird ein Überblick darüber gegeben, wie bei dieser Untersuchung vorgegangen wird. Im Hauptteil wird das Augenmerk bei den jeweiligen Werken auf das Phänomen der Grenze, des Grenzgängers und der Grenzüberschreitung gerichtet. Die zu untersuchenden Grenzen sind dabei die soziale Grenze, die politische Grenze, die zeitliche Grenze und schließlich die zwischenmenschliche Grenze. Im Fazit werden die Ergebnisse dargelegt, und die Werke miteinander verglichen.

II) Methodische Annäherung

Im Rahmen dieser Arbeit soll, mit Hilfe der Gegenüberstellung der Protagonisten der Werke von Christa Wolf Der geteilte Himmel, von Katja Lange-Müller Böse Schafe und Thomas Brasch Vor den Vätern sterben die

Söhne dargestellt werden, inwieweit die unterschiedlichen Grenzen berührt

oder überschritten werden und inwieweit die Grenzen die Beziehungen der Hauptfiguren beeinflussen. Die Werke von Christa Wolf und Katja Lange-Müller haben jeweils eine durchgängige Geschichte mit eindeutigen Protagonisten. Beim Werk Vor den Vätern sterben die Söhne von Thomas Brasch werden zwei Figuren der Kapitel Fliegen im Gesicht und Und über

uns schließt sich ein Himmel aus Stahl mit einander verglichen. Bei diesem

Werk gibt es keine durchgehende Geschichte, so dass es auch keine eigentlichen Protagonisten des gesamten Werkes gibt, sondern die drei Geschichten haben verschiedene Protagonisten. Die Hauptpersonen der ausgewählten Kapitel, Sophie und Robert, wurden gewählt, weil an diesen Personen die Grenzen und Grenzüberschreitungen, die untersucht werden sollen, besonders deutlich werden.

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2 Zuerst soll der Begriff Grenze erklärt werden. Eine Grenze hat nicht nur eine trennende Eigenschaft, sondern verbindet auch das was sie trennt mit einander.

Die Grenze ist der logische Ort, an dem und durch den unterschiedliche Dinge ein gemeinsames Interesse haben; denn dadurch, dass die Grenze das eine von dem anderen trennt, schließt sie es mit ihm zusammen. Eine Sache gegen eine andere abzugrenzen, bedeutet daher nicht, von dem anderen abzusehen, sondern hat die Konsequenz, das andere als notwendige Bedingung für die gemeinsame Grenze und somit als konstitutiv für die

intendierte Sache anzuerkennen.1

Aus diesem Zitat werden zwei Sachen deutlich. Zum einen ist eine gezogene Grenze, eine Trennung verschiedener Aspekte wie zum Beispiel Religionszugehörigkeit. So kann eine Gruppe Menschen nach Frage des Glaubens getrennt werden, wobei Grenzen verlaufen könnten zwischen Christen en Muslims, Juden und Nichtgläubige, Hindus und Animisten. Zum Anderen zeigt das Ziehen dieser Grenzen auch die Aufmerksamkeit für Glaubensfragen und die Suche nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Somit hat eine Grenze, die auf den ersten Blick nur zu trennen scheint auch etwas verbindendes. Aus dem alltäglichen Sprachgebrauch wird das Wort Grenze meist mit einer räumlichen Verortung verbunden. So werden Staaten durch die Grenzen getrennt. Die Räumlichkeit der Grenze wird auch durch Ausdrücke, wie „überschreiten“ einer Grenze oder „durchbrechen“ einer Grenze deutlich. Dies wird durch das folgende Zitat deutlich gemacht.

Die Grenze ist ein Begriff aus der räumlichen Sphäre, der gleich einer Vielzahl räumlicher Begriffe aus der sozialen Sprache nicht wegzudenken ist. […] Grenzen produzieren ein Innen und ein Außen, und zwar

wechselweise für beide durch die Grenze getrennten Bereiche.2

So bildet beispielsweise die Haut die Grenze des Körpers, schafft durch die Trennung ein Innen, das ist der Körper, und ein Außen, die Umwelt, und bildet dadurch auch eine verbindende Schicht, die die Umwelt für den

Körper spürbar macht sind dabei Personen die eine der oben genannten

Grenzen überschreiten oder sich dieser Grenze nähern. Der Grenzgänger nimmt sich die Freiheit seine Grenze zu erfahren und Grenzen auszuloten.

1 Richard Feber; Barbara Naumann: Theorie der Grenze. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann 1995. S.

279.

2

Richard Feber; Barbara Naumann: Theorie der Grenze. Würzburg: Verlag Königshausen & Neumann 1995.S. 197.

(5)

3 Hierbei stößt er dann an die Grenzen des Machbaren oder des gesellschaftlich tolerierbaren. In dieser Arbeit wird näher auf diese Problematik der Grenze und des Grenzgängers eingegangen, hierbei werden dann sowohl die Autoren als auch die Protagonisten der ausgewählten Werke, Der geteilte Himmel, Böse Schafe, Vor den Vätern sterben die

Söhne, diesbezüglich analysiert.

Die drei gewählten Werke werden der DDR-Literatur zugerechnet und dies zeigt, an und für sich bereits eine Grenze, nämlich die innerdeutsche Grenze. Hierbei wird die geopolitische Staatsgrenze auch durch die Literatur gezogen.

DDR-Literatur bezeichnet, zeitlich als auch räumlich gesehen, alle Werke, die ab 1945 in der sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR, entstanden sind. „Hinweise auf einen ästhetischen Epochenstil enthält der

Begriff nicht […].“3 Die geopolitische und ideologischen Grenzen hatten

dabei starken Einfluss auf die Ausprägung der Literatur und den Möglichkeiten der Schriftsteller. Die Literatur des Westens hatte einen Schwerpunkt in der Aufarbeitung des Krieges, wohingegen die DDR-Literatur dem Staate dienen sollte und dem Leser Wege aufzeigen sollte, einen guten sozialistischen Staat aufzubauen und sollte ein Beispiel für die DDR-Bürger und dem Ausland sein. „[…] daß die SED der Literatur zentrale sozialpädagogische Aufgaben übertrug, die von der Mehrzahl der

Autoren zunächst emphatisch angenommen wurden […]“4 Starke Vorbilder

fanden sich in den Werken sowjetischer Autoren und sie wurde stark geprägt durch zurückgekehrte Emigranten, die während des faschistischen Regimes Deutschland verlassen hatten. Hierzu zählen beispielsweise Bertolt Brecht, Bruno Apitz, Johannes R. Becher.

Die Begriff DDR-Literatur war lange umstritten und etablierte sich erst Ende der 1970er Jahre in der Literaturwissenschaft. Die DDR-Literatur kann zeitlich in mehrere Abschnitte unterteilt werden. Die in der Epoche

von 1945 bis 1950 geschriebenen Werke gehören der Aufbauliteratur an.5

Hierbei wird meist über die Auseinandersetzung mit dem Faschismus

3 Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Einleitung: Was heißt und zu welchem Ende studiert

man die Geschichte der DDR-Literatur? Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag GmbH 2005. S. 22.

4 Ebd. S. 12. 5

Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Literatur des sozialistischen Aufbaus (1949-61). Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag GmbH 2005.S. 113.

(6)

4 geschrieben. Der Zeitabschnitt von 1950 bis 1960 umschließt die Produktionsliteratur und dem Sozialistischen Realismus. Hierbei steht meist ein sozialistischer Arbeiterheld im Mittelpunkt. Von 1960 bis 1970 wird die Ankunftsliteratur zeitlich eingeordnet. Im August 1961 wurde die Berliner Mauer gebaut. Die Autoren wandten sich den Alltagswirklichkeit zu. Es geht hierbei um neue Zwischenmenschliche Beziehungen, der Konflikt

zwischen Individuum und Gesellschaft spielt eine wichtige Rolle.6 Das

Werk Der geteilte Himmel von Christa Wolf gehört zeitlich und thematisch in diese Epoche. Der Zeitraum von 1970 bis 1980 wird als Liberalisierung bezeichnet. Durch den Wechsel an der Staatsspitze, Walter Ulbricht wurde durch Erich Honecker abgelöst, rechneten die Bürger der DDR auf eine Liberalisierung und eine Erhöhung des Wohlstandes. Dies blieb jedoch eine

Illusion.7 In den 80er Jahren begann der Niedergang der DDR als

eigenständiger Staat. Im Jahre 1989 fiel die Mauer und am 3. Oktober 1990 wurde die Wiedervereinigung durch den Beitritt der fünf DDR-Bundesländer zur bestehenden BRD vollzogen. Dies war das Ende der DDR-Literatur als Literatur eines sozialistischen Staates auf deutschem Boden. Seit Bestehen und bis zum Ende der DDR verließen ungefähr 100

Autoren die DDR, teils freiwillig, teils gezwungenermaßen.8 Zu diesen

Autoren gehörten u.a. Jurek Becker, Wolf Biermann, Thomas Brasch, Sarah Kirsch, Uwe Kolbe, Günter Kunert, Katja Lange-Müller.

6 Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Vom Aufbauroman zur Ankunftsliteratur (1949-61).

Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag GmbH 2005.S. 136.

7 Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Vom Reformversprechen zur Agonie: Die letzte

Etappe der „Übergangsgesellschaft“ DDR. Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag GmbH 2005. S. 240.

8

Wolfgang Emmerich: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Literatur der Ausgebürgerten und Übergesiedelten. Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag GmbH 2005.S. 418.

(7)

5

III) Kurze Darstellung der Bücher und Autoren, sowie die zeitliche Einordnung und literarischen Gattungen

1) Christa Wolf: Der geteilte Himmel

In der westpreußischen Stadt Landsberg an der Warthe wurde am 18 März des Jahres 1929 Christa Wolf als Tochter eines Kaufmanns und einer Buchhalterin als Christa Margarete Elfriede Ihlenfeld geboren. Im Alter von 16 Jahren flüchtete sie vor den anrückenden Sowjettruppen auf einem Lkw westwärts. 1945 machte sie ihren Schulabschluss in Grünefeld bei Nauen. Nach Eintritt in die FDJ im November 1948 und nach dem Abitur lernte sie ihren späteren Ehemann Gerhard Wolf, den sie 1951 heiratete, kennen. Mit ihm zusammen studierte sie von 1949 bis 1953 am Lehramtsseminar in Jena und Leipzig Deutsch und Geschichte, nachdem sie in die SED eingetreten war. Nach dem Studium und dem Umzug nach Berlin wurde sie wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Schriftstellerverband. Seit März 1959

war sie drei Jahre lang Stasi-Mitarbeiterin.9 1961 erschien die Moskauer

Novelle, 1963 erschien dann Der geteilte Himmel und 1967 die Erzählung Juninachmittag. 1968 erschien ihr erster Roman mit dem Titel Nachdenken über Christa T. Mit diesem Werk erlangte sie auch in Westdeutschland

Bekanntheit.10 Während ihrer Jahre in der DDR ist sie oftmals in den

Westen und in die USA gereist zu Vorträgen und Lesungen. Christa Wolf konnte, im Gegensatz zu Thomas Brasch und Katja Lange-Müller, diese Reisen machen. Sie war ZK-Mitglied der SED und genoss deshalb Privilegien. Christa Wolf ist eine überzeugte Sozialistin, die daran glaubt, dass der Sozialismus eine ideale Gesellschaftsform darstellt. Vom Individuum erwartet sie ein gutes Verhalten dem System gegenüber, so dass das System dem Einzelnen alles bieten kann, was er zum Leben benötigt. Nur der Einzelne kann Fehler machen, nicht das System, weshalb sie auch Kritik an das Verhalten einzelner übt und nicht das System kritisiert.

Christa Wolf ist selbst Teil des sozialistischen Deutschlands, innerhalb dessen sie den Konflikt des Einzelnen mit dem Staat beschreibt. Sie identifiziert sich mit dem ostdeutschen System, für das sie deutlich wertend

9 Rüdiger Reinhardt: Königs Erläuterungen und Materialien. 3. Auflage. Band 426. Erläuterungen zu Christa Wolf,

Der geteilte Himmel. Hollfeld: Bange Verlag 2009. S. 7 ff.

10

Hans-Jürgen Greif: Europäische Hochschulschriften. Christa Wolf:“Wie sind wir so geworden wie wir heute sind?“.Frankfurt am Main: Peter Lang Verlag 1978. S. 10.

(8)

6 in ihren Romanen eintritt. Ihre Kritik trifft nie das System an sich, sondern richtet sich stets gegen dessen falsche Ausgestaltung durch fehlgeleitete Einzelne.11

In Ihrem Werk Der geteilte Himmel übt sie Kritik auf den Sozialismus ohne jedoch seine Richtigkeit in Zweifel zu ziehen. In diesem Werk trennt sie dogmatischen Sozialismus vom moralischem Sozialismus, den sie als den „wahren“ Sozialismus sieht. Nur der moralisch richtig handelnde Mensch bekennt sich freiwillig zum Sozialismus und kann ihn nur so wertschätzen und fördern. Wer im dogmatischen Sozialismus in das System gezwungen wird, kann ihm nicht frei folgen und sich deshalb auch nicht positiv dafür

einsetzen.12 Sie erhielt hier auch Auszeichnungen, wie den

Geschwister-Scholl-Preis und Ehrendoktorwürde der Universität von Ohio, für ihr

Werk.13 Für ihr Werk der geteilte Himmel erhielt sie 1963 den

Heinrich-Mann-Preis. Christa Wolf wurde, im Deutsch-Deutschen-Literaturstreit nach dem Fall der Mauer, heftig kritisiert ob ihrer Haltung gegenüber dem DDR-Regime. Auslöser hierfür war ihr Werk Was bleibt. Die Qualität ihres literarischen Werks als auch die moralische Integrität von Christa Wolf erfuhren nach der Wende starke Kritik. So habe sie beispielsweise sich nicht genug für den Schutz der Intelektuellen eingesetzt, lediglich einen öffentlichen Brief gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 mitunterzeichnet. In ihrem 1990 erschienenen Werk Was bleibt beschreibt sie sich eher als Opfer oder Gegner des Regimes. Trotz alledem bleibt und ist Christa Wolf noch immer eine wichtige Autorin der modernen deutschen

Literatur.14 Im Gegensatz zu den beiden anderen gewählten Autoren, Katja

Lange-Müller und Thomas Brasch, gehört Christa Wolf nicht zu den Exilschriftstellern der DDR. Am 1. Dezember 2011 ist sie in Berlin verstorben.

Das Werk, was hier näher behandelt werden soll, Der geteilte Himmel, wird nun kurz zusammengefasst und erläutert. Es handelt sich um einen Roman

11 Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Schluss, Hrsg

Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S. 643.

12 Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Staat und

Individuum, Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig.Nürnberg: V&R unipress 2009. S.293.

13 Rüdiger Reinhardt: Königs Erläuterungen und Materialie. Band 426. Erläuterungen zu Christa Wolf, Der

geteilte Himmel. 3.Auflage. Hollfeld: Bange Verlag 2009. S. 7 ff.

14

Zwischen Authentizität und Subjektivität: Christa Wolf. URL: https://openaccess.leidenuniv.nl/pdf S. 144. (15.05.2014).

(9)

7 der der Ankunftsliteratur zugeteilt wird. Kennzeichnend hierbei ist, dass meist ein junger Mensch auf dem Weg zum Sozialismus ist und sich dabei

positiv entwickelt.15 Er wurde 1963 geschrieben, nachdem die Mauer im

August 1961 gebaut wurde. Die Geschichte ist ein Rückblick und beschreibt Ereignisse, die einen Zeitrahmen von zwei Jahren, Herbst 1959 bis Anfang

November 1961, beschreiben.16 Diese werden in 30 Kapiteln, die in einem

Prolog und einem Epilog eingeschlossen sind, erzählt. Eine Gegenwartsebene, die chronologisch dargestellt wird, und eine Vergangenheitsebene, die mehrere weitere Rückblenden verwendet, werden dabei sichtbar. Im Prolog erzählt ein allwissender auktorialer Erzähler, im

Epilog ist die Erzählperspektive an die Person Ritas gebunden.17

Rita Seidel und Manfred Herrfurth, die Protagonisten diese Werkes, lernen einander, kurz bevor die Mauer gebaut wird, bei einem Dorftanzfest kennen. Sie verlieben sich und werden ein Paar. Manfred ist ein promovierter Chemiker und Rita ist gerade 19 Jahre alt und beginnt eine Lehramtsausbildung. Sie zieht, aus ihrem Dorf, wo sie bei ihrer Mutter und ihrer Tante wohnt, nach Halle in das Haus Manfreds um dort ihre Ausbildung zu beginnen. Manfred entstammt einer zerrütteten Familie und er hasst seinen Vater. Die Mutter erfüllt eine Mittlerrolle in der Familie. Als Teil ihrer Ausbildung arbeitet Rita bei einer Brigade in einer Waggonbaufabrik in Halle. Manfred hat eine Maschine entwickelt die in der DDR allerdings nicht auf Interesse stößt und nicht gebaut werden soll. Hierdurch verliert Manfred seinen Glauben an das sozialistische System und er möchte in den Westen gehen um seine Idee verwirklicht zu sehen. Rita folgt ihm um ihn zurück zu holen. Manfred will jedoch da bleiben. Rita kehrt daraufhin ohne ihn zurück. Die Mauer wird gebaut und die Trennung wird endgültig. Rita kann dies nicht verkraften und begeht einen Selbstmordversuch. Sie wacht im Krankenhaus auf und erinnert sich an das Geschehen vom Anfang ihrer Beziehung bis zum Selbstmordversuch.

15 Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen,

Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.106.

16 Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Staat und

Individuum, Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.285.

17

Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen, Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig.Nürnberg: V&R unipress 2009. S.94.

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8 Wolfs Roman verbleibt in einem seltsamen Übergangsbereich von Systemaffirmation und Systemkritik. Sie sieht viele Probleme des Sozialismus, will sie jedoch nicht dem System anlasten, das sie grundsätzlich für positiv hält. Sie will die Probleme jedoch auch nicht einfach unter den Tisch kehren.18

2) Katja Lange-Müller: Böse Schafe

Geboren wurde Katja Lange-Müller am 13. Februar 1951 in Berlin-Lichtenberg. Ihre Mutter, Ingeburg Lange, war Mitglied des ZK der SED. Hier war sie maßgeblich beteiligt bei der „Ausarbeitung und

Weiterentwicklung einer wissenschaftlich fundierten Frauenpolitik“.19 Katja

Lange-Müller wuchs bis zum Alter von sechs Jahren in einem Heim auf und wurde im Alter von 16 von der Schule verwiesen wegen unsozialistischen Verhaltens. Sie machte eine Lehre als Schriftsetzerin. Sie war ein Jahr als Hilfsschwester in einer geschlossenen psychiatrischen Station der Berliner Charité und des Krankenhauses für Neurologie und Psychiatrie Berlin-Herzberg. Zu dieser Zeit begann sie mit ihrer schriftstellerischen Tätigkeit. Sie studierte von 1979 bis 1982 Literatur am Institut Johannes R. Becher in Leipzig. Vor dem Studium hatte sie Wolfgang Müller, den jüngeren Bruder des Schriftstellers Heiner Müller, geheiratet. Durch die Namensänderung blieb ihre wahre Existenz bei der Immatrikulation verborgen, so dass sie das Studium aufnehmen und sogar abschließen konnte. Danach war sie ein Jahr lang, im Rahmen ihres Studiums, in Ulan Bator in der Mongolei, wo sie in einer Teppichfabrik arbeitete. Katja Lange-Müller hatte kein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter. Diese schlechte Beziehung endete schließlich damit, dass Katja Lange-Müller den offenen Brief gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 unterschrieben hatte. Dies tat sie mit dem Vermerk hinter ihrem Namen „Tochter von Inge Lange-Müller“. Sie weigerte sich, die Unterschrift zurück zu nehmen. Daraufhin brach die Mutter jeglichen

Kontakt zu ihr ab und verbot der Tochter Kontakt aufzunehmen.20 Die

18 Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen,

Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R Unipress 2009. S.308.

19 Julia Kormann: Der Unterschied zwischen Heimweh und Fernweh. In: Deutsch-deutsches Literaturexil.

Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Bundesrepublik. Hg. v. Walter Schmitz und Jörg Bernig. Dresden: Universitätsverlag 2009. S. 643.

20 Julia Kormann: Der Unterschied zwischen Heimweh und Fernweh. In: Deutsch-deutsches Literaturexil.

Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Bundesrepublik. Hg. v. Walter Schmitz und Jörg Bernig. Dresden: Universitätsverlag 2009. S. 646 f.

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9 Familienbande waren damit zerstört, eine positive Beziehung zur DDR hatte sie seit ihrer Kindheit nicht gehabt. Sie siedelte im November 1984 nach West-Berlin über, dieses war eher eine ”therapeutische als politische

Entscheidung“21. Nachdem sie versucht hatte, mit einem Reisepass einer

polnischen Wissenschaftlerin nach Peking zu reisen, wobei sie allerdings an der DDR-Grenze aus dem Zug geholt wurde, wurde ihr empfohlen einen

Ausreiseantrag zu stellen.22 Sie zählt deshalb zu den Exilautoren, obwohl sie

sich selbst nicht als eine solche sieht. Durch die Befreiung von ihrer Mutter konnte Katja Lange-Müller ihre, von ihrer Mutter nicht gern gesehenen, schriftstellirischen Ambitionen, nachgehen. Auch dies war eins der Beweggründe ihrer Übersiedlung in die BRD. In ihren Werken, die dem Expressionismus zugeordnet werden, beschreibt sie oft Erfahrungen aus ihrem eigenen Leben, dies um, wie sie sagt, mit der Vergangenheit abzuschließen und ein neues Kapitel ihres Lebens zu beginnen. Beim Expressionismus geht es um eine literarische Bewegung, die zwischen 1910 und 1925 zuerst erschien. Wichtige Merkmale hierbei sind das sich Richten gegen die Selbstzufriedenheit des Menschen und das Streben nach Erneuerung des Menschen, es soll „Ausdruck des Gefühls und seelischen

Erlebens sein“.23 Katja Lange-Müller fühlte sich in ihrer Familie stets als

Außenseiter – zum einen las sie sehr gerne, zum anderen galt sie als langsam und schwerfällig, was durch ihre Linkshändigkeit noch unterstrichen wurde. Sie wurde, wie damals üblich, zur Rechtshänderin

umerzogen.24 1986 schrieb sie Wehleid- wie im Leben, 1988 veröffentlichte

sie Kasper Mauser – die Feigheit vorm Freund, 1995 schrieb sie Verfrühte

Tierliebe. 2000 die Letzten: Aufzeichnungen aus Udo Posbichs Druckerei,

2001 erschien dann Biotopische Zustände, in 2007 erschien der Roman

Böse Schafe.25 Auf diesen Roman soll jetzt näher eingegangen werden.

21 Julia Kormann: Der Unterschied zwischen Heimweh und Fernweh. In: Deutsch-deutsches Literaturexil.

Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Bundesrepublik. Hg. v. Walter Schmitz und Jörg Bernig. Dresden: Universitätsverlag 2009. S. 647.

22 Julia Kormann: Der Unterschied zwischen Heimweh und Fernweh. In: Deutsch-deutsches Literaturexil.

Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Bundesrepublik. Hg. v. Walter Schmitz und Jörg Bernig. Dresden: Universitätsverlag 2009. S. 648.

23 Karl Kunze und Heinz Obländer: Grundwissen Deutsche Literatur. Stuttgart: Klett Verlag 1979. S. V 20. 24 Julia Kormann: Der Unterschied zwischen Heimweh und Fernweh. In: Deutsch-deutsches Literaturexil.

Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Bundesrepublik. Hg. v. Walter Schmitz und Jörg Bernig. Dresden: Universitätsverlag 2009.S. 650.

25

Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co KG, Internet Autoreninformation. URL: http://www.kiwi-verlag.de/katja-lange-müller. (06.05.2014).

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10 So wie Katja Lange-Müller sind auch die Protagonisten dieses Werkes Außenseiter der Gesellschaft und ihrer Familien. Der Roman Böse Schafe handelt von der Liebesgeschichte zweier Menschen Ende der 80-er Jahren in Westberlin. Soja, eine 39 jährige Ostberlinerin, verliebt sich in einen Ex-Knacki und Junkie, der Harry heißt und gerade auf Bewährung frei ist. Die zwei kommen sich näher und schließlich zieht Harry bei Soja ein. Harry erzählt Soja, dass er so schnell wie möglich eine Therapie folgen muss, ansonsten müsse er zurück in das Gefängnis. Dafür braucht er Sojas Hilfe. Soja sorgt für zehn Freiwillige, die Harry während der Therapie helfen können. Während der Therapie stellt sich heraus, dass Harry HIV-positiv ist. All die Menschen, die Harry helfen und natürlich auch Soja, wussten von Harrys Krankheit bislang nichts. Sie erschreckten sich alle sehr, aber versuchten trotzdem die Therapie zu Ende zu bringen. Nach der Therapie wird Harry selbstständig und wohnt alleine. Nach einer Weile wird Harry rückfällig und das ganze Elend fängt von vorne an. Harry stirbt nach dem Mauerfall, aber Soja kann Harry nicht vergessen. Sie findet ein Tagebuch von ihn, in dem sie nicht einmal erwähnt wird. Sie schreibt die Liebesgeschichte neu damit Harry für sie ewig lebt.

3) Thomas Brasch: Vor den Vätern sterben die Söhne

Thomas Brasch ist der Sohn jüdischer Emigranten. Er wurde am 19 Februar 1945 in Westow, North Yorkshire geboren. Er verstarb am 2 November 2001 in Berlin. Seine Eltern siedelten 1947 über in die Sowjetbesatzungszone, der späteren DDR. Der Vater von Thomas Brasch brachte es dort bis zum stellvertretenden Minister für Kultur der DDR. Seine Mutter stammte aus Österreich und war Journalistin, die rund 1955 in einer Cottbuser Lokalzeitung das erste Gedicht von ihrem Sohn Thomas Brasch veröffentlichte. Von 1956 bis 1960 besuchte er die Kadettenschule der NVA in Naumburg an der Saale. Er arbeitete, nach dem Abitur, als Schlosser, Meliorationsarbeiter und Schriftsetzer. In den Jahren 1964 bis 1965 studierte er Journalistik in Leipzig, an der Karl-Marx-Universität, wo er zwangsexmatrikuliert wurde, wegen „Verunglimpfung führender Persönlichkeiten der DDR“. Er arbeitete dann als Kellner und

(13)

11 Straßenbauarbeiter. Von 1967 bis 1968 studierte Brasch Dramaturgie an der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg. Brasch verteilte Flugblätter gegen den Einmarsch in die Tschechoslowakei und wurde daraufhin zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt aber kam nach 77 Tagen auf Bewährung frei. Im Berliner Transformatorenwerk musste er, als erzieherische Maßnahme, arbeiten. Durch die Kontakte zu Helene Weigel, eine österreichisch-deutsche Schauspielerin und Intendantin des Schauspielhauses, bekam er die Gelegenheit im Brecht-Archiv, von 1971 bis 1972, zu arbeiten. Von da an lebte er als freier Schriftsteller. 1976 stellte er, nachdem seine Prosatexte nicht publiziert werden durften, einen Ausreiseantrag und durfte schließlich mit seiner Freundin Katharina Thalbach und ihrer gemeinsamen Tochter Anna Thalbach nach West-Berlin ausreisen. Thomas Brasch zählt damit auch zu den Exilautoren. Die DDR

bedeutete für Brasch eine „Institution zur Verhinderung des Lebens“.26 In

West-Berlin machte er schnell Karriere. Beim Westdeutschen Rotbuch Verlag wurde sein bereits zu DDR-Zeiten geschriebenes Werk Vor den

Vätern sterben die Söhne veröffentlicht und wurde ein großer Erfolg bei den

Kritikern. Dieses Prosawerk wurde in sechs Sprachen übersetzt. Die Merkmale von Prosa sind die Nichtverwendung von Takt, Reim oder

Strophe.27 Er erhielt für seine Filme und sein literarisches Werk mehrere

Auszeichnungen. So zum Beispiel den Ernst-Reuter-Preis 1978. Und 1979 ein Villa-Massimo-Stipendium. Nach dem Fall der Mauer veröffentlichte er lange Zeit nichts mehr. 1999 erschien dann sein Prosaband Mädchenmörder

Brunke. Sein letztes Werk aus seinem Todesjahr 2001, Eine Märchenkomödie aus Berlin, blieb unvollendet. 28

Im folgenden soll näher auf sein Werk Vor den Vätern sterben die Söhne eingegangen werden. In diesem Werk versucht Thomas Brasch den Konflikt zwischen Staat und Individuum zu schildern. Dieses Werk ist in drei, voneinander getrennte Teile untergliedert, denen ein Prolog

26 Walter Schmitz: Thomas Brasch. Entgrenzte Autorschaft. In: Deutsch-deutsches Literaturexil..

Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Bundesrepublik Hg. v. Walter Schmitz und Jörg Bernig,Dresden: Universitätsverlag 2009. S. 342.

27

Karl Kunze und Heinz Obländer: Grundwissen Deutsche Literatur. Stuttgart: Klett Verlag 1979. S. V 33.

28Walter Schmitz: Thomas Brasch. Entgrenzte Autorschaft. In: Deutsch-deutsches Literaturexil..

Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Bundesrepublik Hg. v. Walter Schmitz und Jörg Bernig,Dresden: Universitätsverlag 2009. S. 326 - 383.

(14)

12 vorangestellt ist. In diesem Rahmen soll lediglich auf den ersten Teil, und da nur auf die erste Geschichte Fliegen im Gesicht, und die dritte Geschichte Und über uns schließt sich ein Himmel aus Stahl eingegangen werden. Diese sind meist in direkter Rede und knapper Sprache geschrieben und die inneren Monologe der Protagonisten lassen darauf schließen, dass der Erzähler über die Eigenschaften eines neutralen Beobachters hinaus geht. Die erste Geschichte folgt einer strengen zeitlichen Abfolge, was für die dritte Geschichte, Und über uns schließt sich ein Himmel aus Stahl, nur bedingt zutrifft. Hier werden Rückblicke und Erinnerungen des Protagonisten durch eine Rahmenhandlung umschlossen. Zusammen mit der ersten Geschichte Fliegen im Gesicht formen diese beiden Geschichte eine

zusammenhängende Erzählung.29 Robert begegnet in der ersten Geschichte

Fliegen im Gesicht einem alten Veteranen des spanischen Bürgerkriegs, der

auch zur Gründergenration der DDR gehört. Robert hingegen gehört der Folgegeneration an. Robert erzählt dem alten Mann, dass er die DDR verlassen wolle. Die dritte Geschichte des ersten Teils Und über uns

schließt sich ein Himmel aus Stahl handelt wieder von Robert und einem

Freund. Der Freund erscheint als eine Er-Person, wird aber nicht namentlich genannt. Der Freund wird verhaftet und verhört bezüglich der Fluchtpläne Roberts. Die Er-Person erinnert sich dabei an die gemeinsame Zeit mit Robert seit dem sie sich in einem Kino getroffen hatten. Beide verbrachten einige Tage zusammen an der Ostsee und lernten dabei eine Frau namens Sofie kennen die sie schließlich sogar teilten. Nach einiger Zeit stritten sich Robert und die Er-Person und sie gehen auseinander. Dies ist das letzte, woran sich die Er-Person erinnert. Wie er von der Polizei ist Robert dann, beim Versuch die Grenze zu überqueren, von Grenzsoldaten erschossen worden. Auch Sofie wird verhört ohne dass diese Verhöre zu einem Ergebnis führen

29

Christian Frankenfeld: “Über jede Liebe kommt das Gesetz“. Zum Utopieschwund im Werk Thomas Braschs. Norbert Otto Eke und Bodo Plachta Hg. Berlin: Weidler Buchverlag 2011. S. 117.

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13

4) Unterschiede und Parallelen der Autoren und Vergleiche der Titel und deren Zusammenhang im Werk.

Die drei Autoren Christa Wolf, Katja Lange-Müller, Thomas Brasch stammen alle aus der ehemaligen DDR. Katja Lange-Müller und Thomas Brasch wanderten noch zu DDR-Zeiten aus und zogen in die BRD. Diese beiden Autoren hatten Eltern, die eine hohe Position im Machtapparat der DDR bekleideten und die Kinder standen ihnen in Opposition gegenüber. Beide werden, wegen der Position der Eltern, auch oft als „Bonzenkinder“ bezeichnet. Das Wort „Bonze“ stammt ursprünglich vom japanischen Wort Bonso und bedeutet Buddhistenpriester. In Frankreich des 18. Jahrhunderts wurde der Begriff zu Bonze und bezeichnete die Parteigröße, also eine

wichtige Person innerhalb der Partei oder des Machtapparats.30 Katja

Lange-Müller war dabei diejenige, die sich schon in frühester Jugend ihrer Übermächtigen Mutter entgegenstellte. Thomas Brasch hingegen übte moderater und auch erst später Kritik an die elterliche Stellung. Christa Wolf war selbst eine wichtige Funktionärin der DDR, ohne dass ihre Eltern aus diesem Machtapparat stammten. Sie identifizierte sich, anders als die beiden anderen Autoren, mit dem Staat DDR und dem sozialistischen Gedanken, was durch ihre Stellung, ihre Reisemöglichkeiten und in ihren Werken deutlich wird. Thomas Brasch und Katja Lange-Müller identifizierten sich hingegen nicht mit der DDR, konnten sich aber auch nicht mit der BRD identifizieren. Die DDR blieb lange ein wichtiges Thema in ihren Werken. Thomas Brasch konnte zeitlebens die DDR nicht aus seinem Kopf bekommen für ihn war das Verlassen der DDR mit

Heimatlosigkeit gleich zu setzen.31 Für Katja Lange-Müller hatte das

Auswandern aus der DDR eine therapeutische, vom Druck der Mutter befreiende Wirkung. Thomas Brasch und Katja Lange-Müller werden, aufgrund der Tatsache, dass sie aus der DDR ausgereist sind, auch als Exilautoren bezeichnet. Katja Lange-Müller lehnte diesen Begriff für sich

aber ab und sah sich nicht als Exilautor.32 Etymologisch stammt das Wort

30 Lutz Mackensen: Ursprung der Wörter. München: Südwest Verlag 1985. S. 79.

31 Julia Kormann: Der Unterschied zwischen Heimweh und Fernweh. In: Deutsch-deutsches Literaturexil.

Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Bundesrepublik. Hg. v. Walter Schmitz und Jörg Bernig. Dresden: Universitätsverlag 2009S. 352.

32 Julia Kormann: Der Unterschied zwischen Heimweh und Fernweh. In: Deutsch-deutsches Literaturexil.

Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Bundesrepublik. Hg. v. Walter Schmitz und Jörg Bernig. Dresden: Universitätsverlag 2009S. 649.

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14 Exil vom mittelhochdeutschen Wort ihsili und dem lateinischen exilium ab, was Verbannung bedeutet und dem griechischen Verb exelaúnein, was

heraustreiben bedeutet.33 In diesem etymologischen Sinn ist Katja

Lange-Müller keine Verbannte sondern eine, die aus therapeutischen Gründen das Land verlassen habe. In Realität wurde sie aber des Landes verwiesen, wegen des Ausreiseversuches unter Verwendung eines falschen Passes. Es soll nun auf die Titel der ausgewählten Werke eingegangen werden. Der Titel des Werkes von Christa Wolf lautet Der geteilte Himmel. Der Himmel ist hierbei mehrfach geteilt. Zum einen wird die Teilung Deutschlands in Ost und West, in DDR und BRD, gemeint und zum anderen spielt es an auf die Trennung der beiden Protagonisten Rita und Manfred.

Früher suchten sich Liebespaare vor der Trennung einen Stern, an dem sich abends ihre Blicke treffen konnten. Was wollen wir uns suchen? „Den Himmel wenigstens können Sie nicht zerteilen“, sagte Manfred spöttisch. Den Himmel? Dieses ganze Gewölbe von Hoffnung und Sehnsucht, von Liebe und Trauer? „Doch“, sagte sie leise. „Der teilt sich zuallererst“.34

Dieses Zitat aus dem Werk Christa Wolfs zeigt den Moment der Trennung der beiden Liebenden zu einem Zeitpunkt als die Mauer die beiden deutschen Staaten noch nicht teilte. Einigen Wochen später, am 13 August 1961, wird die Mauer errichtet und die Teilung der Staaten definitiv, der Himmel teilt sich als Folge in zwei Teile, den westlichen und den östlichen Himmel. Hierdurch wird die Trennung der beiden manifest und die unterschiedlichen Ideologien der beiden, der Sozialismus und der Kapitalismus, werden in ihrer Trennung sichtbar. Beide Protagonisten wählen den Ort an dem sie leben möchten, sie wählen bewusst in welche Richtung sie die Grenze überschreiten wollen. Im Verlauf der Erzählung wird die Teilung des Himmels immer deutlicher, durch die Meinungen der Protagonisten, durch ihre sozialen Verhältnisse aus denen sie kommen, durch ihren Altersunterschied und Zukunft- und Lebenserwartungen.

33

Lutz Mackensen: Ursprung der Wörter. München: Südwest Verlag 1985. S. 124.

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15 Der Titel des Werkes von Thomas Brasch Vor den Vätern sterben die Söhne soll nun näher erläutert werden. Der Titel spricht von zwei Generationen, die der Väter und die Folgegeneration der Söhne.

Der erfolglose Kampf einer Generation der Söhne gegen das autoritär geprägte System der Väter endet letztlich mit ihrer öffentlichen Vorführung als mahnendes Beispiel, um die bestehenden

Machtverhältnisse zu zementieren.35

Unerwartet ist hierbei jedoch die Reihenfolge des Sterbens. Anders als es zu erwarten wäre, sterben hier die Söhne vor den Vätern. Sowohl die Generation der Väter als auch die Generation der Söhne, stehen hierbei symbolisch, die eine für die Zukunft und die andere für die Vergangenheit. Mithin stirbt also die Zukunft vor der Vergangenheit oder die Ideologien der beiden Generationen lösen einander in unerwarteter Reihenfolge ab. Die Ideologie der Väter ist für die Söhne so dominant und prägend, so dass deren eigenes Leben fast unerträglich wird und ein Abklatsch dessen wird, was es eigentlich sein sollte. Ein Leben in Freiheit mit den Möglichkeiten sich selbst zu verwirklichen. „Die ideologischen Väter leben gespenstisch

weiter und treiben ihre Nachfahren ins Scheinleben.“36

Die beiden Geschichten des ersten Kapitels aus dem Werke Braschs,

Fliegen im Gesicht und Und über uns schließt sich ein Himmel aus Stahl,

haben eigene Titel die einer Erklärung bedürfen. Der Titel der ersten Geschichte spielt an auf die Fliegen die ein im spanischen Bürgerkrieg erschossener Soldaten in den Gesichtern hatten. „Ich war in Spanien. Wir haben gekämpft und wir wussten wofür. Ich habe die Fliegen auf den

Gesichtern der Toten gesehen.“37 Der erschossenen Soldaten stehen

symbolisch für alle, die am Aufbau des Staates DDR mitgewirkt haben und dabei ihr Leben, im Kampf gegen den Faschismus, gelassen haben. Der Veteran, der diesen Satz spricht, will damit auf die Leistungen der Aufbaugeneration hinweisen und deren Errungenschaften als Bewunderungswert darstellen. Der Protagonist Robert plant seine Flucht in den Westen, die Grenze zu überschreiten, und das Werk der

35 Christian Frankenfeld: “Über jede Liebe kommt das Gesetz“. Zum Utopieschwund im Werk Thomas Braschs.

Norbert Otto Eke und Bodo Plachta Hg. Berlin: Weidler Buchverlag 2011. S. 127.

36 Walter Schmitz: Thomas Brasch. Entgrenzte Autorschaft. In: Deutsch-deutsches Literaturexil..

Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Bundesrepublik Hg. v. Walter Schmitz und Jörg Bernig,Dresden: Universitätsverlag 2009. S. 344.

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16 Aufbaugeneration hinter sich zu lassen. In Anlehnung an den Satz des Veteranen, und damit in Anlehnung an den Titel spricht Robert den folgenden Satz: „Ich werde an die Grenze gehen. Sie werden schießen. Ich

werde daliegen mit Fliegen im Gesicht.“38 Hierdurch unterstreicht er das

Opfer, das er zu bringen bereit ist, um seinen Traum von Freiheit und einem besseren Leben zu verwirklichen und sich von den Zwängen der Gesellschaft zu befreien.

Die zweite Geschichte, auf deren Titel hier näher eingegangen werden soll, heißt Und über uns schließt sich ein Himmel aus Stahl. „Die klaustrophobische Titelmetapher enthält auch aggressives Potential – „ein

Himmel aus Stahl“, wie die Geschosse der Grenzsoldaten.“39 Dieser Titel

beschreibt das Gefühl der Bewohner der DDR, vertreten durch den Protagonisten Robert, wie sie sich zunehmend, der Himmel schließt sich, eingeengt fühlen. Der Stahl symbolisiert die Solidität und das Undurchdringliche der Grenze und spielt an, wie das Zitat bereits erwähnt, auf die Geschosse der Grenzwachen, bzw. die an der Grenze installierten Selbstschussanlagen. „Erst recht erweist sich Zeitutopie angesichts der buchstäblichen Zementierung der ,Diktatur des Proletariats‘ als Illusion,

wenn nicht gar als bewusste Täuschung: …“40 Dieses zerstörte Wunschbild

eines sozialistischen Staates und die gefühlte Einengung durch die Grenzen dieses Staates und der individuellen Freiheiten treibt viele Bürger in die Republikflucht, so auch den Protagonisten Robert.

Das dritte ausgewählte Werk von Katja Lange-Müller heißt Böse Schafe. In diesem Titel steckt ein Widerspruch. Schafe werden normalerweise nicht mit dem Adjektiv böse assoziiert. Eher fallen einem Begriffe wie lammfromm, treues Schaf, harmloses, dummes, ahnungsloses, gutgläubiges Schaf ein. Schon in der Bibel übernimmt das Schaf eine Opferrolle, wie bei der Opferung Isaacs, des Sohnes Abrahams. Ein Schaf wird an seiner statt geopfert. Die Protagonistin Soja opfert sich für den drogensüchtigen, aidskranken Ex-Knacki Harry, nimmt also die bekannte Opferrolle des

38 Ebd. S. 19.

39 Walter Schmitz: Thomas Brasch. Entgrenzte Autorschaft. In: Deutsch-deutsches Literaturexil..

Schriftstellerinnen und Schriftsteller in der Bundesrepublik Hg. v. Walter Schmitz und Jörg Bernig,Dresden: Universitätsverlag 2009.S. 344.

40

Christian Frankenfeld: “Über jede Liebe kommt das Gesetz“. Zum Utopieschwund im Werk Thomas Braschs. Norbert Otto Eke und Bodo Plachta Hg. Berlin: Weidler Buchverlag 2011. S. 118.

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17

Schafes an. 41 In der Bibel werden an vielen Stellen das Volk mit Schafen

verglichen, die von einem Hirten - Gott, Jesus oder den Fürsten, geführt

werden.42 In dem vorliegenden Werk von Katja Lange-Müller können die

Menschen als Schafe gesehen werden, die der Obrigkeit, der Gesellschaft und ihren Normen, folgen. Die beiden Protagonisten Soja und Harry sind Außenseiter der Gesellschaft. Harry ist ehemaliger Sträfling und daher kein gutes, folgsames Schaf sondern wohl eher ein böses Schaf. Dies wird durch seine AIDS-Erkrankung, die eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellt, noch unterstrichen. Soja war in ihrer Heimat DDR eine Außenseiterin und in der BRD ist sie ebenfalls nicht akzeptiert und umgibt sich, durch die Umstände, mit Junkies. Für die Gesellschaft dürfte sie damit als nichtfolgsames Schaf gesehen werden. Der Titel des Werkes Böse Schafe passt daher in seinem Plural auf diese beiden Protagonisten. In einer Szene des Buches wird Harry mit dem Verschweigen seiner Aids-Erkrankung konfrontiert. „[…], manches verdrängt man eben …, Joe, du alte Petze …,

da wird ja sogar ein Schaf böse … […]“43 Hier wird deutlich, dass Harry

sich selber als Schaf sieht, mit dem potential böse zu werden. An einer anderen Stelle des Buches beschreibt Harry vier verschiedene Kategorien in denen sich die Schafe einteilen lassen. Ihm zufolge gibt es: „ […] die guten

Guten, die bösen Bösen, die bösen Guten und die guten Bösen.“44 Unter den

guten Guten versteht Harry die normalen Schafe, die sich innerhalb der Konventionsgrenzen bewegen. Die bösen Bösen sind die Kriminellen der Gesellschaft, die sich außerhalb der Grenzen der Gesellschaft befinden. Diese beiden Kategorien sind keiner Änderung fähig, sie sind und bleiben in ihrer Kategorie und sind, Harry zu folge ‚langweilig“. Die Kategorie der bösen Guten wird nicht näher definiert. Die Gruppe der guten Bösen ist die einzige Kategorie, die für Harry wichtig ist. Selber sieht er sich auch in dieser Kategorie, weil den Schafen dieser Kategorie nur schlechtes von den anderen widerfährt. Hauptsächlich sind es die bösen Bösen, die es den guten Bösen schwer macht und es ihnen unmöglich macht um ein normales Leben zu führen. Die guten Bösen haben nur die Möglichkeit diesem Druck zu

41ORF Kultur: Böse Schafe. Starke Frauen, schwache Männer.URL: oe1.orf.at/artikel/203437. S.1. (16.5.2014). 42 Vgl. hierzu Johannes 1, 21; Matthäus 18,29; 25,32.

43

Katja Lange-Müller: Böse Schafe. Frankfurt am Main: Fischer Verlag 2009. S. 106.

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18 entkommen indem sie sich selber etwas antun um nicht die Grenze zu den bösen Bösen überschreiten zu müssen und unveränderbar böse Böse zu bleiben.

IV) Hauptteil: Grenze, Grenzgänger und Grenzüberschreitungen

Im Rahmen dieser Arbeit soll das Augenmerk näher gerichtet werden auf das Thema der Grenze, der Grenzgänger und der Grenzüberschreitungen. Die Grenze ist dabei eine Trennlinie und gleichzeitig die Berührungsfläche zweier Teile oder Partikel. Beim Akt der Grenzüberschreitung wird diese Grenze, von den einen Teil in den anderen, überquert. So werden Staatsgrenzen im Urlaub, bei der Arbeit oder auf der Flucht überquert. Die Staatsgrenzen berühren einander und schaffen durch die Absicht der Trennung auch eine Verbindung der Territorien. Derjenige der diese Überquerung tätigt, kann als Grenzgänger bezeichnet werden. Um in obigen Beispielen zu bleiben, ist der Tourist, der Flüchtling der Grenzgänger. Ein Flüchtling sieht sich zum Beispiel den Staatsgrenzen, aber auch den Sprach- Kultur- und Religionsgrenzen gegenüber gestellt. Ebenfalls als Grenzgänger soll im Rahmen dieser Arbeit derjenige bezeichnet werden, der sich dieser Grenze nähert, sie dabei aber nicht notwendiger Weise auch überschreitet. So geht ein Sportler zum Beispiel an die Grenze der Leistungsfähigkeit. Viele setzten hierbei Doping ein um die biologische- oder Zeitgrenze zu verlegen und so weit wie möglich zu kommen, ohne die biologische oder Zeitgrenze jemals überschreiten zu können. Da die Anzahl der Grenzen, denen sich die Individuen täglich konfrontiert sehen, schier unendlich ist, soll sich im Rahmen dieser Arbeit das Augenmerk auf die soziale, politische, zeitliche und zwischenmenschliche Grenze richten. Die soziale Grenze ist dabei die Trennlinie, die ein Individuum erfährt aufgrund seiner Stellung in der Gesellschaft und/oder seiner gesellschaftlichen Herkunft. Auch die Sprache, bzw. der Sprachgebrauch können hierbei die soziale Schicht manifest werden lassen. Der elaborierte Code eines Akademikers unterscheidet sich beispielsweise vom restringierten Code eines Bergarbeiters. Das Individuum kommt durch die Sozialisation in seine jeweilige soziale Schicht. Der Begriff Sozialisation „bezeichnet das Hineinwachsen des Individuums in gesellschaftliche Struktur- und

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Interaktionszusammenhänge, in Klassen und Schichten, Familien,

Freundesgruppen, Schulen und Arbeitsstätten.“45 Bei der politischen

Grenze, die hier untersucht werden soll, handelt es sich um die Trennlinie zwischen den politischen Systemen innerhalb Deutschlands. Der sozialistische Teil, die DDR, und der kapitalistische Teil, die BRD. Die Grenze der Systeme fällt zwischen den beiden deutschen Staaten mit der Staatsgrenze zusammen, sie trennte Berlin in zwei Teile. „Die betreffende Phase der Berliner Nachkriegsgeschichte wurde insbesondere dadurch geprägt, daß sich beide Teile der Stadt zu „Schaufenstern“ der

Systemkonkurrenz entwickelten.“46 Die zeitliche Grenze, die hier untersucht

werden soll, beschreibt die Trennlinie, die sich aufgrund der unterschiedlichen zeitlichen Zuordnungen der Abläufe ergibt. Bei den Zwischenmenschlichen Grenzen sollen hier die Verhältnisse der Protagonisten untereinander untersucht werden. Hierbei soll das Spannungsfeld zwischen den Hauptfiguren untersucht werden, dass sich beispielsweise aufgrund ihrer unterschiedlichen Charakter oder Zukunftsbilder ergibt. Die erläuterten Grenzen werden nicht in allen ausgewählten Werken gleichermaßen deutlich und deshalb auch nicht überall gleich intensiv untersucht. Diese vier Grenzen und deren Überschreitungen werden in den ausgewählten Werken, anhand der Personenkonstellationen der Hauptfiguren im jeweiligen Werk untersucht. Im Werk Der geteilte Himmel von Christa Wolf werden die Grenzen der Protagonisten Rita und Manfred untersucht. Im Werk Böse Schafe von Katja Lange-Müller wird dies dann für die Personen Soja und Harry durchgeführt und im dritten Werk Vor den Vätern sterben die Söhne des Autors Thomas Brasch, werden die Grenzen anhand der Hauptpersonen Sophie und Robert erläutert.

45 Herbert Bahlmann Hg: Handlexikon zur Erziehungswissenschaft. Hamburg: Rowohlt Verlag 1980. S. 412. 46

Frank Roggenbuch: Das Berliner Grenzgängerproblem. Berlin New York: De Gruyter GmbH & Co.KG 2008. S. 3.

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1) Rita und Manfred aus Der geteilte Himmel

In dem Werk Der geteilte Himmel von Christa Wolf gibt es zwei Protagonisten, deren Konstellationen näher untersucht werden sollen. Rita ist, am Anfang des Buches, eine Patientin im Krankenhaus. Sie erinnert sich zurück an den Anfang der Geschichte. Am Anfang dieser erinnerten Geschichte ist sie neunzehn Jahre alt. Sie wohnt in einem kleinen Dorf. Im Alter von siebzehn verlies das schüchterne Mädchen die Schule, um ihre kranke Mutter, mit der sie bei der Tante zusammenwohnt, finanziell unterstützen zu können. Dies tut sie durch ihre Arbeit als Angestellte, die ihr keinen Spaß macht, in einem kleinen, ländlichen Versicherungsbüro. Sie ist ein gutherziges, hilfsbereites und pflichtbewusstes Mädchen und möchte eine Ausbildung zur Lehrerin machen. Sie wird in ihrer Entscheidung geholfen durch Schwarzenbach, ein Bevollmächtigter für Lehrerwerbung. „Schwarzenbach macht ihr klar, dass im Sozialismus gerade empfindliche

Menschen wie sie gebraucht würden […].“47

Auf einem Tanzfest in ihrem Dorf lernt sie Manfred kennen. Dieser hat gerade seine Dissertation in Chemie geschrieben, und ruht sich nun bei einer Verwandten im Dorf davon aus. Manfred ist mit 29 Jahren zehn Jahre älter als Rita. Beide verlieben sich ineinander und die Welt von Rita ändert sich dadurch plötzlich. Manfred lebt bei seinen Eltern in einer bürgerlichen Familie in Halle. Er hat jedoch kein gutes Verhältnis zu seinen Eltern, insbesondere ist sein Verhältnis zu seinem Vater schlecht. Als Kind war er, nachdem seine Eltern ihn dort angemeldet hatten, Mitglied der Hitlerjugend. Hier machte er aus Angst alles was ihm befohlen wurde, ohne von der nationalsozialistischen Ideologie überzeugt zu sein. Der Wissenschaftler Manfred wird als unbeteiligt, hart, leidenschaftslos, hochmütig und

unnachgiebig gekennzeichnet.48 Rita zieht nach Halle zu Manfred ins

Zimmer Manfreds und Manfred bezieht ein Zimmer im Dachgeschoss. Dies stößt auf den Widerstand der Mutter, doch Manfred setzt sich schließlich durch.

47 Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen,

Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.280.

48

Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen, Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.287.

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1.1) Soziale Grenze

Ritas Leben ist einsam, langweilig und bescheiden. Sie entstammt dem Proletariat und sie entspricht, aufgrund ihrer moralischen und politischen Haltung und Sozialisation dem sozialistischen Idealbild einer Arbeiterin des Arbeiter- und Bauernstaates, wie sich die DDR gerne selbst bezeichnete. Mit ihrer Mutter war sie am Ende des zweiten Weltkrieges, ohne den an der Front vermissten Vater, aus Böhmen geflohen und hatte bei der Schwester des Vaters Unterkunft gefunden. Ihre soziales Umfeld änderte sich hierdurch schlagartig. Die Sozialisation in der neuen Umgebung war für sie als Kind jedoch nicht ganz so schwer. Für ihre Mutter war dies schwieriger und sie verblieb die ganzen Jahre in der vergeblichen Hoffnung dass ihr vermisster Ehemann noch zurück kommen würde. Nachdem Rita von ihrem Dorf weg ist und in der Stadt Halle lebt, wird sie aus ihrem gewohnten Rhythmus geworfen. Sie erfährt die Veränderungen wie einen Kulturschock und fühlt sich verloren und haltlos. „Sie hatte auch ein bisschen Angst. Hier achtet keiner auf keinen, wie leicht kann hier einer verloren gehen, dachte

sie.“49 Rita wird durch den Umzug gezwungen ihre sozialen Grenzen zu

überqueren und neue Grenzen zu akzeptieren, sie wird zur Grenzgängerin Widerwillen. Nicht nur die Wohnumgebung ändert sich für sie, durch die Aufnahme des Studiums und die damit verbundene Tätigkeit in der Waggonfabrik ändert sich ihr soziales Umfeld auch diesbezüglich. Sie tauscht ihr kleines Versicherungsbüro ein gegen eine Produktionshalle und arbeitet nur mit Männern zusammen. Auch hier überschreitet sie Grenzen, sie überwindet damit ihre Angst zu versagen, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein und sich lächerlich zu machen. Die neue soziale Gruppe, die Arbeitsbrigade, in der sie sich nun befindet, ist ein Kreis von Dreißigjährigen und älteren Arbeitern ohne dass es Gleichaltrige gibt. Ihre Unerfahrenheit in der Produktion grenzt sie anfangs aus, Rita gibt aber nicht auf. Sie hat sich selber das Versprechen gegeben durchzuhalten und die Ausbildung zur Lehrerin zu schaffen, obwohl die Arbeit körperlich sehr schwer und kaum zu ertragen ist. Sie passt sich in allem der neuen sozialen Gruppe an, um das gesetzte Ziel zu erreichen. „Die Arbeit im Werk lässt

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Rita reifen und selbstbewusster werden.“50 Sie hat eine Grenze überschritten

und findet sich langsam in der neuen sozialen Gruppe zurecht. Manfreds soziales Umfeld ist bürgerlich und städtisch. Sein Vater, ein im ersten Weltkrieg Kriegsversehrter, war vor und während des zweites Weltkrieges Vertreter, dann erster Einkäufer und schließlich Prokurist einer Schuhfabrik. In der DDR ist er kaufmännischer Direktor im Waggonwerk. Die Mutter ist Hausfrau. Als Manfred die Stadtgrenze überschreitet und sich aufs Dorf begibt, um sich von seiner Dissertation auszuruhen, überquert er auch seine soziale Grenze indem er eine Beziehung mit Rita beginnt. Er kehrt aber, zusammen mit Rita, in sein gewohntes soziales Umfeld zurück und ist mithin ein doppelter Grenzgänger, zum einen verlässt er die Stadt und zum anderen kehrt er dahin wieder zurück. Manfred verbleibt während des gesamten Romans in der bürgerlichen Schicht. Neben der Überquerung der sozialen Grenze mit und zu Rita, überquert er noch ein einziges Mal die soziale Grenze. In seiner Jugend, kurz vor dem Ende des zweiten Weltkrieges, zieht er, zusammen mit gleichaltrigen Jungen, in einer Bande um die Häuser. Hier machte er Sachen, die nicht in sein bürgerliches Muster passen, zu Hause verhielt er sich jedoch wieder Konform der Konventionen. „Ich rauchte und pöbelte Leute an und grölte auf der Straße und zuhause legte ich meiner Mutter die Beine auf den Tisch.“51

1.2) Politische Grenze

„Rita Seidel ist am Anfang des Romans politisch ein unbeschriebenes Blatt. Während der Zeit der Nazi-Herrschaft war sie ein kleines Kind und deshalb

der faschistischen Indoktrination nicht ausgesetzt.“52 Der Übergang vom

Faschismus zum Sozialismus ist eine politische Grenze, die Rita unbewusst überquert hat. Nun lebt sie im Sozialismus und ist diesem gegenüber sehr optimistisch eingestellt. Durch ihre berufliche Tätigkeit kommt sie in Kontakt mit dem Funktionieren des sozialistischen Systems, ohne dass sie ihre Ausbildung als Beitrag zum Sozialismus versteht. „Als Rita zu Manfred

50 Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen,

Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.280.

51 Christa Wolf: Der geteilte Himmel. München: dtv-Verlag GmbH & Co KG 1994. S. 49. 52

Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen, Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.279.

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23 in die Stadt zieht, lernt sie negative Gruppierungen kennen, die dem Aufbau des Sozialismus schaden, aber auch positive, die ihr das Bild eines

moralischen Sozialismus vermitteln.“53 Rita lässt sich nicht negativ

beeinflussen und hat ihre eigene Meinung. Rita zieht selber die Grenze zwischen gutem und schlechtem Sozialismus und entscheidet sich für den guten Sozialismus. „Nur was moralisch gut ist, kann als wahrer Sozialismus

bezeichnet werden, das ist […] Ritas Überzeugung.“54 Manfred wächst

während des zweiten Weltkrieges auf, den er bewusst miterlebt. Er wird von seinen Eltern bei der Hitlerjugend angemeldet und macht alles widerstandslos mit, allerdings ohne überzeugter Nationalsozialist zu sein, sondern lediglich aus Angst. Er verhält sich, aus der damaligen Sicht, politisch korrekt und innerhalb der politischen Grenzen, ohne selber an das geltende politische System zu glauben. „In der Hitlerjugend fehlte ich nie,

obwohl sie mir zuwider war.“55 Er bewegt sich innerhalb der politischen

Grenze, ohne bewusst Teil des Systems zu sein. Als das Faschistische Regime untergeht und in der östlichen Besatzungszone der Sozialismus eingeführt wird, passt er sich genauso an. Er überschreitet die poltische Grenze ohne sie zu internalisieren. „[…], was die Erwachsenen vor unseren Augen in ziemlich kurzer Zeit mit ihrer Rechthaberei und ihrem Besserwissen angestellt hatten. Die sollen uns bloß noch mal kommen! […] Alles wird jetzt anders. Anders? Mit wem denn? Mit diesen selben Leuten?“56

Manfred resigniert und bezweifelt, dass hier tatsächlich eine politische Grenze überschritten wird, da die Akteure die Gleichen bleiben und eine Änderung der Situation eher unwahrscheinlich ist. Während der Jahre in der DDR versucht Manfred sich dem sozialistischen System anzupassen und seine Vorteile zu finden, schließlich wird er aber immer wieder enttäuscht. In seiner Studienzeit werden seine Enttäuschungen und Frustrationen, die das sozialistische System mit sich bringt deutlich in der folgenden Passage:

Ich habe gesprochen. Über Fehler im Studienbetrieb. Über den tollen Ballast, der uns belastete. Über Heuchelei, die mit guten Noten belohnt

53 Ebd. S. 280. 54 Ebd. S. 280. 55

Christa Wolf: Der geteilte Himmel. München: dtv-Verlag GmbH & Co KG 1994. S. 49.

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24 wurde. […] Als ich vom Podium stieg, richteten alle sich gegen mich.

Wiesen mir nach, wie gefährlich und verdorben meine Ansichten waren.57

Durch den Verrat seines guten Freundes und engen Mitarbeiters der Studienzeit, eines Journalisten, der ihn in den Rücken gefallen war, indem

er ihn öffentlich der bürgerlichen Dekadenz bezichtigte58, verliert er das

Vertrauen in die Menschen und in das System. „Durch seine Beziehung zu Rita werden ihm die Chancen des Sozialismus neu vor Augen geführt. Letztlich aber fällt er wieder in seine Resignation zurück, die ihn im Grunde

genommen immer beherrscht hat.“ 59 Manfred möchte für die Technologie

der DDR mehr Fortschritt sehen, wie er in der BRD erkennbar ist, und er redet deshalb mit Wendland, dem Produktionsleiter der Waggonfabrik, über seine Ideen. Dieser aber unterstützt ihn nicht dabei weshalb Manfred sich wieder alleingelassen und enttäuscht sieht. Während er sich innerhalb der Grenzen des sozialistischen Systems bewegt, arbeitet und forscht Manfred Tag und Nacht begeistert an einem Projekt, das er verwirklicht sehen möchte. Als dieses Projekt dann aber endgültig nicht in der Planwirtschaft der DDR verwirklicht werden wird, erlebt Manfred eine weitere, schwere Enttäuschung. „Manfred, der sich gerne abgebrüht gab, war zwar an

Enttäuschungen, nicht aber an Niederlagen gewöhnt, das zeigte sich nun.“60

Er sieht endgültig keine Zukunft mehr für sich und sein Projekt innerhalb des Systems und er fasst den Entschluss, die DDR zu verlassen und den Schritt über die Grenze zum kapitalistischen deutschen Staat zu machen. Er überschreitet die politische Grenze zum Kapitalismus nicht aus ideologischen Gründen, sondern um sein Projekt verwirklichen zu können, Politik ist für ihn nicht mehr wichtig. „Er geht nicht in den Westen, weil er den Kapitalismus für die bessere Gesellschaftsform hält, sondern weil ihn

Politik nicht mehr interessiert.“61 Die Möglichkeit seine Ideen im Westen

verwirklichen zu können sieht Rita nicht für Manfred unbedingt als erreichbar, da er, ihres Erachtens nach, ein guter Sozialist ist. „Rita denkt, dass Manfred mit seinem Verlassen der DDR seine Identität, sein eigentlich

57 Ebd. S. 156.

58 Anna Chiarloni: Christa Wolf: Der geteilte Himmel. In: Colloquia Germanica, Jan 1. 1985. S. 334. 59

Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen, Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.287.

60 Christa Wolf: Der geteilte Himmel. München: dtv-Verlag GmbH & Co KG 1994. S. 138. 61

Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen, Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.290.

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25 sozialistisch-moralisches „I“ aufgibt, ohne dafür irgendeinen positiven

Ersatz zu erhalten.“62 Mit anderen Worten gibt Manfred seine eigentliche,

politische Überzeugung, seine sozialistische Gesinnung auf und will ein freies, selbstbestimmtes Leben führen. Das „I“ im Sinne des obigen Zitates beschreibt, nach Goffman und Mead, die eigene Identität des einzelnen Individuums, ohne dass dieses sich an die von der Obrigkeit erwartete und

gewünschte Identität („me“) angepasst habe.63 Manfred hat seine politische

Grenze überschritten und bleibt nun im kapitalistischen Westen, da er hier mehr Möglichkeiten sieht, sich verwirklichen zu können und der Mensch von seiner Grundkonzeption sowieso Kapitalist sei.

Hier weiß ich, woran ich bin. […] Drüben wird es noch wer weiß wie lange dauern, ehe hinter den schönen Worten die Tatsachen vorkommen. Die Tatsachen sind: Der Mensch ist nicht dazu gemacht, Sozialist zu sein. Zwingt man ihn dazu, macht er groteske Verrenkungen, bis er wieder da ist, wo er hin gehört: an der fettesten Krippe.64

Als Manfred in den Westen geht, bleibt er nicht allein. Rita folgt ihm und überquert ebenfalls die Staatsgrenze, die zu der Zeit noch nicht von der Mauer gesichert war, und damit die Systemgrenze der beiden deutschen Staaten. Sie bleibt ihrer sozialistischen Einstellung treu und überschreitet insofern die politische Grenze nicht.

Rita reist zwar zu Manfred nach West-Berlin, weiß aber eigentlich von Anfang an, dass sie nicht bleiben wird. Sie will die Stadt gar nicht kennen lernen, sich der möglichen Alternativen nicht stellen. Sie erzählt Manfred […] von ihrer sozialistischen Welt, der sie sich zugehörig fühlt.65

Rita ist eine überzeugte Sozialistin. Sie erfährt sich selber als gute Sozialistin, wobei sie gut im Sinne von moralisch gut versteht. Würde sie sich vom Sozialismus abwenden, dann würde sie sich auch vom moralisch Guten abwenden. Hierzu ist sie aber nicht bereit. „Sie definiert ihre Identität über den Sozialismus. Weil Sozialismus und Moral für Rita identisch sind, musste sie bei einem Verlassen der DDR einem moralischen Leben den

62 Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen,

Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.291.

63 Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen,

Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.222.

64 Christa Wolf: Der geteilte Himmel. München: dtv-Verlag GmbH & Co KG 1994. S. 216. 65

Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen, Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.284.

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Rücken kehren.“66 Sie ist nicht in der Lage diese politische Grenze zu

überschreiten, nicht einmal aus Liebe zu Manfred. „Der Sozialismus fordert ein persönliches Opfer von ihr, sie muss den Wunsch ihres „I“ gemeinsam mit Manfred zu leben, höheren moralisch-sozialistischen Prinzipien opfern.

Rita verlässt ihn schließlich und kehrt zurück in die DDR.“67 Kurz nachdem

Rita wieder in der DDR ist wird die Mauer gebaut und eine nochmalige Überquerung der Staatsgrenze in den Westen ist unmöglich geworden. Ihre politische Grenze erfährt eine sichtbare und unüberwindbare Manifestation in Form der gemauerten Staatsgrenze. Als Schwarzenbach, der Lehrerwerber und Ritas moralische Stütze, sie eines Tages fragt, warum sie nicht im Westen geblieben sei, begründet sie es damit dass sie sich dort, trotz der gleichen Sprache, immer fremd gefühlt habe und außerdem habe sie das dortige differenzieren zwischen arm und reich nicht behagt. Hierauf pflichtet Schwarzenbach ihr bei und sagt ergänzend: „Sie haben mich heute bestätigt: Die reine nackte Wahrheit, und nur sie, ist auf die Dauer der

Schlüssel zum Menschen.“68 Demnach ist der Westen voller Lügen, die die

Menschen vom rechten Weg fern halten und sie nicht erkennen lassen, dass der Sozialismus der wahre Weg, der Weg zur Wahrheit, ist.

Trotz der Trauer um die verlorene Liebe glaubt Rita eine richtige Entscheidung getroffen zu haben. „In Christa Wolfs Roman gilt ein Mensch, der sich voll und ganz für den Staat einsetzt und seine eigenen, privaten Wünsche hintanstellt als vorbildlich.“69

1.3) Zeitliche Grenze

Der Roman Der geteilte Himmel spielt im Zeitraum um den Mauerbau. Diese wurde im August 1961 errichtet und teilte die Zeit in einen Zeitraum ´vor dem Mauerbau´ und ´nach dem Mauerbau´. Unter anderem wurden die Reisemöglichkeiten hierdurch erheblich eingeschränkt und auch die Protagonisten des Romans erfahren diesen Moment der Errichtung der Mauer als einen Moment der permanenten Trennung. Zwischen den beiden

66 Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen,

Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.284.

67 Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen,

Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.285.

68 Christa Wolf: Der geteilte Himmel. München: dtv-Verlag GmbH & Co KG 1994. S. 222. 69

Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen, Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.304.

(29)

27 Hauptfiguren verläuft noch eine andere zeitliche Trennlinie. Durch den Altersunterschied von zehn Jahren und die unterschiedlichen Erfahrungen in der Jugend, bedingt durch den zweiten Weltkrieg, entsteht eine gewisse Kluft.

Wozu erzähle ich ihr das alles? dachte er. Versteht sie überhaupt, was damals los war? Sie war ja noch nicht mal geboren … Komisch: Irgendwo zwischen ihr und mir fängt die neue Generation an. Wie soll sie begreifen, daß man uns alle frühzeitig mit dieser tödlichen Gleichgültigkeit infiziert hat, die man so schwer wieder los wird?70

1.4) Zwischenmenschliche Grenze

Es wird nun auf die Frage eingegangen in wie weit werden in der Erzählung von Christa Wolf die zwischenmenschlichen Grenzen überschritten oder in wie weit diese Grenze angenähert wird. Das Augenmerk wird zuerst auf den Protagonisten Manfred gelegt. Von Anfang an wird eine negative Beurteilung dieser Person durch die Autorin, vertreten durch den Erzähler, deutlich. Schon durch die Tatsache, dass er ein promovierter Akademiker ist, entspricht er nicht dem Idealbild des Arbeiter- und Bauernstaates. Er ist ein bürgerlicher und gehört damit einer Schicht potentieller Reaktionäre an. Manfreds zwischenmenschliches Verhältnis zu seinen Eltern war von Anfang an schlecht und konfrontativ. „Als Kind wurde er von seiner ehrgeizigen, besitzergreifenden Mutter unterdrückt und von seinem Vater

für dessen Opportunismus missbraucht.“71 Seine zwischenmenschliche

Grenze zu seinem Vater war sehr distanziert und unmenschlich. Sein Vater ignorierte ihn als Kind und prügelte ihn nur ohne Mitgefühl zu zeigen. Hieraus erwuchs die Angst seinem Vater gegenüber, die dann in Hass umschlug. Das Verhältnis zu seiner Mutter war besser, kann aber sicher nicht als gut bezeichnet werden. Während seiner Schulzeit mischte sie sich übertrieben ein, so dass Manfred von seinen Mitschülern gemieden wurde

und er keine zwischen- menschlichen Beziehungen zu den

Klassenkameraden aufbauen konnte. „Meine Mutter […] war überzeugt, dass ich Schauspieler würde. Ich sollte ihr den Ruhm liefern, den das Leben

70 Christa Wolf: Der geteilte Himmel. München: dtv-Verlag GmbH & Co KG 1994. S. 49. 71

Kristin Felsner: Perspektiven literarischer Geschichtsschreibung: Christa Wolf und Uwe Johnson. Erzählen, Hrsg Eberhard Fahlke, Ulrich Fries, Sven Hanuschek und Holger Helbig. Nürnberg: V&R unipress 2009. S.287.

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