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Das Triptychon menschlicher Grausamkeit: Körper, Liebe und Macht in Ulrich Seidls Paradies Liebe, Glaube und Hoffnung

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Academic year: 2021

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Fachbereich Germanistik

Das Triptychon menschlicher Grausamkeit:

Körper, Liebe und Macht in Ulrich Seidls Paradies Liebe, Glaube und Hoffnung

Abschlussarbeit zur Erlangung des Grades Master of Arts

Vorgelegt von: Magdalena Bulut Erstkorrektor: Frau Dr. Anna Seidl Zweitkorrektorin: Frau Dr. Elke Huwiler Abgabetermin: 28.08.2016

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Glaube, Hoffnung und Liebe 1

Körperdiskurs in der Soziologie

2. Der Körper als Gegenwartsthematik 9

2.1.Body Turn: Das erwachte Körperinteresse 9 2.2.Körperbegriff in der Soziologie: Leibsein und Körperhaben 16

2.3.Das gegenwärtige Körperverständnis 18

2.3.1. Körper als Kultobjekt versus Wahnvorstellung 18 2.3.2. Körper als Objekt kultureller Inszenierung und

Statussymbol 20

2.4.Körper und Körperbilder: eine kurze Einführung in

die soziologische Filmanalyse 21

Theoretischer Kontext

3. Theoretische Zugänge 26

3.1.Berlants Cruel Optimism 26

3.2.Foucaults Körperbegriff 29

3.3.Geschlechterkörper nach Butler 35

Analyse der Paradies-Trilogie

4. Dichotomie von Norm und Abweichung 41

5. Soziologische Filmanalyse 45

5.1.Paradies: Liebe 45

5.1.1. Inhaltsangabe 45

5.1.2. Konsumierender Frauenkörper versus konsumierter

Sexkörper 47

5.2.Paradies: Glaube 51

5.2.1. Inhaltsangabe 51

5.2.2. Gepeinigter versus behinderter Körper 54

5.3.Paradies: Hoffnung 60

5.3.1. Inhaltsangabe 60

5.3.2. Dicker Mädchenkörper versus alter Männerkörper 61

5.4.Beziehungen des grausamen Optimismus 68

Zusammenfassung und Schlussfolgerung 69

Bibliographie 72

Internetquellen 76

(3)

Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen. (1. Korinther 13:13)1 Einleitung

1. Glaube, Hoffnung und Liebe

Glaube (lat. fides), Hoffnung (lat. spes) und Liebe (lat. caritas) sind die drei theologischen beziehungsweise göttlichen Tugenden des Christentums. Die christliche Überlieferung hat sie den vier antiken Kardinaltugenden - Klugheit (lat. prudentia), Besonnenheit (lat. temperantia), Mut (lat. fortitudo) und Gerechtigkeit (lat. iustitia) – beigefügt.2 Bereits in der Antike entwickelten sich die durch Platon und Aristoteles bekannt gewordenen Kardinaltugenden3 zum „Inbegriff eines harmonischen Zusammenspiels aller menschlichen Eigenschaften“4 und stellten somit das griechische Idealbild vom Menschen dar.5 Alle sieben Tugenden können als Grundhaltungen christlicher Existenz definiert werden.6 Im Katechismus der katholischen Kirche, dem offiziellen Handbuch der katholischen Lehre, wird die Tugend in Absatz 18037 wie folgt bestimmt:

Die Tugend ist eine beständige, feste Neigung, das Gute zu tun. Sie ermöglicht dem Menschen, nicht nur gute Taten zu vollbringen, sondern sein Bestes zu leisten. Mit all seinen sinnlichen und geistigen Kräften strebt der tugendhafte Mensch nach dem Guten. Er sucht es zu erreichen und entscheidet sich bei seinen konkreten Handlungen dafür. […] Das Ziel eines tugendhaften Lebens besteht darin, Gott ähnlich zu werden[.]8

Im Gegensatz zu den menschlichen Kardinaltugenden, die „durch menschliches Bemühen erworben“9

(1804) werden, wurden die Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe nach christlichem Verständnis „von Gott in die

1

Alle Bibelzitate sind aus der folgenden Bibel entnommen: Die Bibel oder die ganze heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments. Lechner Eurobooks Switzerland 1994. 2

Vgl. Martin Seel (2011), S. 67. 3

Vgl. Carlo Maria Martina (1997), S. 6. 4 Ebd., S. 6. 5 Vgl. ebd., S. 6-7. 6 Vgl. ebd., S. 7. 7

Alle Zitate aus dem Katechismus der Katholischen Kirche werden mit der jeweiligen Absatznummerierung im laufenden Text markiert.

8

Vatikan. Online-Version des Katechismus der Katholischen Kirche 1997. Deutsche Übersetzung aus 2003. Artikel 7 Die Tugenden. URL:

http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_P6A.HTM (07.07.2016). 9

Vatikan. Online-Version des Katechismus der Katholischen Kirche 1997. Deutsche Übersetzung aus 2003. Artikel 7 Die Tugenden. I Die menschlichen Tugenden. URL: http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_P6B.HTM (07.07.2016).

(4)

Seele der Gläubigen eingegossen“10

(1813) und „sind [damit] das göttliche Leben i[m Menschen]“11. Da sie untrennbar miteinander verbunden sind, markieren sie eine Dreiheit: Um Gott nahe zu sein, muss der Mensch also alle drei Tugenden verwirklichen. Die Realisierung nur einer oder zwei Tugenden ermöglicht dem Menschen keine Vereinigung mit Gott.12 Glaube, Hoffnung und Liebe werden im Christentum als theologische beziehungsweise göttliche Tugenden charakterisiert, weil sie sich nicht nur auf das Verhältnis des Menschen zu Gott, sondern auch auf die Liebe Gottes zum Menschen beziehen.13 „Sie befähigen die Christen, in Verbindung mit der […] Dreifaltigkeit zu leben“ (1812) und „sind das Unterpfand dafür, da[ss] der Heilige Geist in den menschlichen Fähigkeiten wirkt und gegenwärtig ist“14 (1813). Alle drei Tugenden werden im Katholizismus wie folgt definiert:

Der Glaube ist jene göttliche Tugend, durch die wir [Menschen] an Gott und an all das glauben, was er uns gesagt und [offenbart] hat und was die heilige Kirche uns zu glauben vorlegt. […] Die Hoffnung ist jene göttliche Tugend, durch die wir uns nach dem Himmelreich und dem ewigen Leben als unserem Glück sehnen, indem wir auf die Verheißung Christi vertrauen und uns nicht auf unsere Kräfte, sondern auf die Gnadenhilfe des Heiligen Geistes verlassen. […] Die Liebe ist jene göttliche Tugend, kraft derer wir Gott um seiner selbst willen über alles lieben und aus Liebe zu Gott unseren Nächsten lieben wie uns selbst.15 (1814, 1817, 1822)

Die Liebe nimmt hierbei den höchsten Stellenwert unter ihnen ein,16 weil „sie […] Ursprung und Ziel des christlichen Tugendlebens“17

(1827) ist. Das Fundament der christlichen Liebe liegt in Jesus Christus, der Gottes Liebe zum Menschen in sich trägt und durch das Prinzip der Nächstenliebe zu erkennen gab. Indem der Mensch sich an das Prinzip der Nächstenliebe hält, erkennt er Gottes Liebe an und schenkt ihm auch seine eigene Liebe.18 Die christliche Liebe hat zwar drei Ausdrucksformen, ist aber immer nur

10

Vatikan. Online-Version des Katechismus der Katholischen Kirche 1997. Deutsche Übersetzung aus 2003. Artikel 7 Die Tugenden. II Die göttlichen Tugenden. URL: http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_P6B.HTM (07.07.2016).

11

Carlo Maria Martina (1997), S. 59. 12

Vgl. ebd., S. 58. 13

Vgl. ebd., S. 59. 14

Vatikan. Online-Version des Katechismus der Katholischen Kirche 1997. Deutsche Übersetzung aus 2003. Artikel 7 Die Tugenden. II Die göttlichen Tugenden. URL: http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_P6B.HTM (07.07.2016).

15 Ebd. 16

Vgl. Carlo Maria Martina (1997), S. 83. 17

Vatikan. Online-Version des Katechismus der Katholischen Kirche 1997. Deutsche Übersetzung aus 2003. Artikel 7 Die Tugenden. II Die göttlichen Tugenden. URL: http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_P6B.HTM (07.07.2016).

18

(5)

eine einzige Liebe: Gottes Liebe zum Menschen, die Liebe des Menschen zu Gott und die Nächstenliebe bilden demnach eine Einheit.19

Die göttlichen Tugenden werden allerdings nicht nur im Christentum thematisiert. Sie finden auch in den Schönen Künsten ihren Ausdruck, unter anderem in der Literatur und in der darstellenden Kunst. Neben dem Drama des österreichisch-ungarischen Bühnenautors Ödön von Horváth kann beispielsweise die Filmtrilogie von Ulrich Seidl angeführt werden. Wieso aber wählt ein österreichischer Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent aus dem 21. Jahrhundert diese drei Tugenden als Titel seiner Filmreihe? Wieso verbindet er sie mit dem Wort Paradies? Steckt dahinter eine Kritik am Christentum beziehungsweise am Katholizismus?

Warum sich Seidl für den Titel Paradies: Liebe, Glaube und Hoffnung20 entschieden hat, erklärt er in einem Interview mit dem Kunstmagazin Art wie folgt:

Wir sind alle ein Leben lang auf der Suche nach einem Sehnsuchtsort: dem Paradies. Die Bibel lehrt uns, dass wir verstoßen wurden, und seither wollen wir zurück. Auch wenn der Tourismus uns etwas anderes verkaufen will, ist das unmöglich. Ich widme den drei christlichen Tugenden Liebe, Glaube und Hoffnung, die auch schon […] Ödön von Horváth behandelt hat, einen Film. Dabei könnten alle drei Begriffe auch für alle drei Teile gelten.21

19

Vgl. ebd., S. 85-86. 20

Ursprünglich wollte Seidl aus dem gefilmten Material einen einzigen Film mit drei Handlungssträngen kreieren. Der Film sollte ursprünglich nur den Titel Paradies tragen. Sein Vorhaben misslang jedoch, nachdem er mehrere Male das Filmmaterial miteinander zu vernetzen versuchte. Schließlich beschloss er drei Filme zu erstellen. Vgl. Barbara Fuchs. Ulrich Seidl über seine Trilogie. In: Cinema Arte. URL:

http://cinema.arte.tv/de/artikel/ulrich-seidl-ueber-seine-trilogie-liebe-glaube-hoffnung-sind-den-meisten-von-uns-als-die (08.07.2016) u. vgl. Peter Paul Huth. Interview mit Ulrich Seidl. In: Kulturzeit. 3Sat Mediathek. 11.02.2013. URL:

http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=34759 (08.07.2016). Die Filme Paradies

Liebe und Glaube wurden 2012 veröffentlicht. Paradies Liebe hatte im Rahmen der

Internationalen Filmfestspiele von Cannes seine Premiere, während Paradies Glaube erstmals im Wettbewerb von Venedig gezeigt wurde. Die Erstausstrahlung von Paradies

Hoffnung fand 2013 auf den Internationalen Filmfestspielen von Berlin statt. Vgl. offizielle

Webseite von Ulrich Seidl Filmproduktion. URL:

http://www.ulrichseidl.com/de/03KinoFilme/10Paradies/01Liebe/06Festivals.shtml, http://www.ulrichseidl.com/de/03KinoFilme/10Paradies/02Glaube/06Festivals.shtml, http://www.ulrichseidl.com/de/03KinoFilme/10Paradies/03Hoffnung/06Festivals.shtml (08.07.2016).

21

Lena Reich. Die Rückkehr ins Paradies ist unmöglich. In: Art Magazin. 03.12.2014. URL: http://www.art-magazin.de/fotografie/9477-rtkl-ulrich-seidl-wien-die-rueckkehr-ins-paradies-ist-unmoeglich (08.07.2016). Zu beachten ist, dass sich Seidls Trilogie keinesfalls inhaltlich auf Ödön von Horvaths Drama Glaube Liebe Hoffnung - Ein kleiner Totentanz in

fünf Bildern (1932) bezieht, selbst wenn alle Frauen in den Werken nach Glück suchen.

(6)

Von diesem Standpunkt aus könnte man meinen, dass sich Seidls Werk lediglich mit dem Christentum und den von ihm eingeforderten Grundeinstellungen befasst. Sicherlich liegt „Seidls ästhetische Initiation […] im Katholizismus“22

, jedoch muss man sie als unterliegende Struktur begreifen und nicht als Hauptgrund für seine Verfilmungen. Der Katholizismus gehört zum „Seidlchen System“, da er in einem katholischen Elternhaus aufwuchs, dessen Strenge und Disziplin seine Kindheit und Jugend bestimmten. „Erst in der Pubertät [hat Seidl die streng christliche Erziehung seiner Eltern] zu hinterfragen und zu relativieren begonnen“23, sodass er in einen immer stärkeren Konflikt mit seinem Vater geriet. „Alles Kirchliche ha[t er seitdem] als verlogen abgelehnt und [s]ich davon gelöst.“24 Er protestierte und revoltierte viele Jahre gegen seine Eltern, gegen die Autorität der Internatserziehung, die er während seiner Jugend erleiden musste und gegen die von ihm empfundene Doppelmoral und Verlogenheit von Kirche und Gesellschaft.25 Nach seinem Abitur zog er zu seiner Großmutter, die für ihn seit jeher ein Zufluchtsort war und bei welcher heute noch sein Produktionsbüro einquartiert ist. Er ging nicht in das Priesteramt, wie seine Eltern es sich gewünscht hatten.26 Da er auf der Suche nach einem anderen Weltbild war, begann er sich später für den Anarchismus, den Nihilismus, den Kommunismus und den Existenzialismus zu interessieren.27

Der Begriff Paradies lehnt zwar auf seiner christlichen Bedeutung, also auf der Vorstellung eines harmonischen und glückseligen Daseins im Garten Eden, bezieht sich aber strenggenommen auf irdische Zusammenhänge. Nachdem Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben worden waren, musste der Mensch das Paradies auf Erden finden. Seidl meint mit Paradies einen Sehnsuchtsort, einen Ort der Liebe und der unerfüllten Sehnsüchte, den die Menschen im Diesseits suchen. Diese Suche ist ihm zufolge von einem Paradox gekennzeichnet: Er geht davon aus, dass die Menschheit http://cinema.arte.tv/de/artikel/ulrich-seidl-ueber-seine-trilogie-liebe-glaube-hoffnung-sind-den-meisten-von-uns-als-die (08.07.2016). 22 Stefan Grissemann (2007), S. 11. 23 Ebd., S. 28. 24 Ebd., S. 28. 25 Vgl. ebd., S. 31. 26 Vgl. ebd., S. 27-28. 27 Vgl. ebd., S. 28.

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niemals dieses Paradies finden wird, sie dennoch immer nach paradiesischen Zuständen strebt. Seine Trilogie behandelt also gesellschaftliche Realitäten und erzählt, wie Menschen dieses Paradies zu erreichen versuchen:28

Ich versuche mit meinen Filmen, einen ungeschönten Blick auf das Leben zu werfen, auf eine gesellschaftliche Realität zu schauen oder in private Bereiche vorzudringen, von denen wir alle wissen, dass sie so sind, wie sie sind. Die wir aber gern verdrängen, weil es unangenehm ist hinzuschauen. Ich versuche die Zuschauer zu verführen, auf eine Wirklichkeit zu schauen und sich damit zu konfrontieren, weil ich glaube, dass das letztlich uns alle betrifft, unsere Ängste und unsere Sehnsüchte. […] Ich will, dass meine Filme nachwirken und etwas bewegen, Ich will, dass man aus dem Kino geht und etwas mitnimmt, worüber man dann nachdenkt oder streitet. Das Wort „aufklärerisch“ stört mich ein bisschen, damit kann ich mich nicht ganz zurecht finden. Aber ich versuche schon, die Zuschauer mit Welten zu konfrontieren, die für sie entweder neu sind oder so noch nicht gesehen wurden – Welten, private oder öffentliche, intime oder gesellschaftliche, mit denen man sich auseinandersetzen sollte, weil man letztlich selbst ein Teil davon ist.29

Um sein Anliegen zu realisieren, hat er die Erlebnisse und Ereignisse im Leben dreier Frauen aus einer Familie dargestellt, die aus dem kleinbürgerlichen Milieu kommen wie die meisten seiner Figuren.30 Die Trilogie weist hierbei inhaltliche und zeitliche Parallelen auf, die der Filmemacher geschickt miteinander verbindet. Alle drei Geschichten spielen sich in den Sommerferien ab, in denen sich die drei Frauen mit dem Thema der Liebe auseinandersetzen müssen. Im ersten Teil wird von der fünfzigjährigen Österreicherin Teresa Setz, einer Behinderten-Betreuerin und alleinerziehenden Mutter einer schwierigen Tochter, berichtet, die während ihres Sommerurlaubes in Kenia auf der Suche nach Liebe und Zuneigung ist, allerdings auf verlogene Männer in der Sextourismus-Branche trifft. Währenddessen thematisiert der zweite Film Religions- und Beziehungskonflikte zwischen einem Ehepaar: Teresas jüngere Schwester Anna Maria, die seit zwei Jahren mit einem gläubigen Muslim verheiratet ist, baut nach dem Unfall ihres Mannes und der anschließenden Trennung ein inniges Liebes- und Sexualverhältnis zu Jesus auf. Im dritten Teil schickt Teresa ihre dreizehnjährige Tochter Melanie während der Sommerferien in ein Diätlager für übergewichtige Kinder, wo sie sich

28

Vgl. Peter Paul Huth. Interview mit Ulrich Seidl. In: Kulturzeit. 3Sat Mediathek. 11.02.2013. URL: http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=34759 (08.07.2016) u. vgl. Gudula Moritz. Interview mit Ulrich Seidl zu „Paradies: Glaube“. In: Kulturzeit. 3Sat Mediathek. 08.03.2013. URL: http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=35284 (08.07.2016).

29

Stefan Grissemann (2007), S.34. 30

(8)

unglücklich in den um circa vierzig Jahre älteren Arzt und Leiter des Camps verliebt.31

Dass Seidls Filme oftmals auf Ablehnung stoßen, ist nicht verwunderlich. Zuschauer bezeichnen diese immer wieder als überzeichnet, zynisch und ausbeuterisch.32 Aufgrund einer anstoßenden Sexszene in Paradies: Glaube, in der Maria Hofstätter angeblich mit einem Kruzifix masturbiert habe, wurde Seidl sogar der Blasphemie bezichtigt.33 Trotz der Beschuldigungen ist Seidl nicht damit einverstanden, dass seine Filme als bloße Provokation aufgefasst werden.34 Der Regisseur stimmt dem Wort Irritation eher zu, da er vor allem den Zuschauer berühren oder auch verstören möchte.35 Seine Inszenierungen sollen das „Wirkliche“ akzentuieren, was man seiner Meinung nach erst durch das Überhöhen des Dargestellten erreicht.36 Seidl ist ein Wirklichkeitsbearbeiter, der in seinen Filmen mit Scham- und Geschmackskonventionen bricht.37 Man kann ihn als amoralischen Gesellschaftskritiker definieren, der in dialektischer Weise „das Verstörende im Lachhaften […] und das Groteske im Tragischen [sucht].“38

Er kann „in einer einzigen Einstellung ganze Sozialgewaltsysteme […] registrieren und kurz[fassen], ohne dabei selbst Wertungen vorzunehmen.“39 Wie in anderen Filmen mischt er auch in der Trilogie Authentizität mit Fiktion und professionelles Schauspiel mit Laiendarstellungen.40 „Seidl vertritt […] ein postdokumentarisches Kino“41

, das Merkmale von Spielfilm und Dokumentarfilm miteinander verbindet. Er erzeugt einen Realismus in seinen Filmen, da er keine Drehbücher vorgibt: Seine Schauspieler erhalten

31

Die wichtigsten Protagonisten in Paradies Liebe sind Margarethe Tiesel (als Teresa) und Peter Kazungu (als Munga). In Paradies Glaube spielen Maria Hofstätter und Nabil Saleh die Figuren Anna und Nabil. Die Hauptrollen in Paradies Hoffnung nehmen Melanie Lenz (Melanie) und Joseph Lorenz (Doktor) ein. Vgl. drei Webseiten von Paradies. Eine Spielfilmtrilogie von Ulrich Seidl. Offizielle Webseite zum Film. URL: http://www.paradies-trilogie.de/liebe.cast, http://www.paradies-trilogie.de/glaube.cast, http://www.paradies-trilogie.de/hoffnung.cast (08.07.2016).

32

Vgl. Stefan Grissemann (2007), S. 8 33

Vgl. Masturbationsszene mit Kruzifix: Regisseur Seidl wird Blasphemie vorgeworfen. In: Spiegel Online Kultur. 04.09.2012. URL: http://www.spiegel.de/kultur/kino/venedig-regisseur-ulrich-seidl-wird-blasphemie-vorgeworfen-a-853932.html (08.07.2016). 34 Vgl. Stefan Grissemann (2007), S. 17. 35 Vgl. ebd., S. 17 u. S. 33. 36 Vgl. ebd., S. 20. 37 Vgl. ebd., S. 8. 38 Ebd., S. 12. 39 Ebd., S. 12. 40 Vgl. ebd., S. 9. 41 Ebd., S. 20.

(9)

oftmals nur einzelne Stichworte beziehungsweise Themen, zu denen sie eigene Worte improvisieren müssen. Hierdurch testet er instinktive Reaktionen vor der Kamera und produziert einmalige, unwiederholbare Szenen mit seinen Schauspielern.42

Wie bereits erwähnt, möchte Seidl grundsätzlich darlegen, wie sich Menschen verhalten, wenn sie nach Glück und Sinnerfüllung streben. In der Trilogie wird diese Suche nach Sinnerfüllung an das Thema der Liebe geknüpft. Da für Seidl die Sinnerfüllung unerreichbar ist, verurteilt er die Liebe zum Scheitern: Die Sehnsucht nach dem Unerreichbaren ist und bleibt für ihn ein Unbehagen in unserer Gesellschaft.43 Darüber hinaus ist Seidl der Meinung, dass Liebesbeziehungen zwischen Menschen immer von ihren Körpern abhängen beziehungsweise Partnerschaften Machtverhältnisse aufweisen.44 Körper, Liebe und Macht sind folglich drei nennenswerte und hervorstechende Begriffe, die Seidl zufolge aufeinander Bezug nehmen. Bisher ist dieser Zusammenhang in der Seidl-Forschung ungenügend erforscht. Eine Untersuchung auf diesem Gebiet kann neue Erkenntnisse bieten, die disziplinübergreifende Relevanz hätten. Die vorliegende Masterarbeit mit dem Titel „Triptychon menschlicher Grausamkeit – Der Körper in Ulrich Seidls Paradies Liebe, Glaube und Hoffnung“ wird sich deswegen mit der Analyse über die Liebes-, Körper- und Machtverhältnisse der Figuren in der Paradies-Trilogie befassen. Die übergreifende Frage, die im Laufe dieser Arbeit beantwortet werden soll, ist: Wie werden Liebe, Körper und Macht in Seidls Paradies-Filmen dargestellt?

Um die Körper-Thematik in Seidls Filmen zu begreifen, wird zunächst der gegenwärtige Körperdiskurs thematisiert. Es liegt die Vermutung nahe, dass einige Körper der dargestellten Figuren nicht der Körpernorm des zeitgenössischen Körperkults entsprechen, sodass sie als gesellschaftlich Exkludierte zu beurteilen sind. Im zweiten Kapitel wird hierzu das erwachte Körperinteresse in der Gesellschaft und in der Forschung thematisiert,

42

Vgl. ebd., S. 18-19 u. S. 22. 43

Vgl. Ryan Gilbey. Ulrich Seidl: ‘Those who say I despise people do not understand me.’ In: The Guardian. 13.06.2013. URL: https://www.theguardian.com/film/2013/jun/13/ulrich-seidl-despise-people (08.07.2016).

44

Vgl. Dennis Demmerle. Es geht immer um Machtverhältnisse. In: Planet Interview. 19.01.2013. URL:

(10)

indem auf gesellschaftlich-kulturelle Entwicklungen und theoretische Diskussionen der Geistes- und Kulturwissenschaften Bezug genommen wird. Da in der Forschung oftmals undeutliche Körperdefinitionen aufgestellt wurden, soll der soziologische Körperbegriff von Leibsein und Körperhaben im Anschluss veranschaulicht werden. Im nächsten Schritt wird das gegenwärtige Körperverständnis behandelt, nach dem der Körper einerseits als Kultobjekt und Wahnvorstellung, andererseits als Objekt kultureller Inszenierungen und als Statussymbol interpretiert wird. Abschließend wird in Kapitel zwei die sozialwissenschaftlich-hermeneutische Film- und Sequenzanalyse vorgestellt, die im fünften Kapitel als Methode verwendet wird.

Die theoretischen Grundlagen für die Analyse werden im dritten Kapitel beschrieben und basieren auf Lauren Berlants Werk Cruel Optimism (2011), auf Michel Foucaults Studie Überwachen und Strafen (1976) sowie auf Judith Butlers Arbeiten Das Unbehagen der Geschlechter (1991) und Körper von Gewicht (1997).

Die Analyse der Trilogie wird anschließend im vierten und fünften Kapitel durchgeführt. Im vierten Kapitel wird anhand von Butlers Matrix der Intelligibilität ein allgemeines Schema von Norm und Abweichung entwickelt, in welches die Figuren aus Paradies: Liebe, Glaube und Hoffnung kategorisiert werden können. Im fünften Punkt der vorliegenden Arbeit findet die sozialwissenschaftlich-hermeneutische Filmanalyse zu allen Paradies-Filmen statt, in welcher unter anderem Körper und Körperbilder, sowie Liebes- und Machtverhältnisse der Figuren beschrieben werden. Hierbei finden in der dritten Filmanalyse Foucaults theoretische Überlegungen aus Überwachen und Strafen Anwendung. Der letzte Punkt des fünften Kapitels wird aufzeigen, dass das Konzept von Liebe in den Paradies-Filmen zum Scheitern verurteilt ist. Es wird sich zeigen, dass sich die Beziehungen der Hauptfiguren durch einen grausamen Optimismus kennzeichnen, wie Berlant ihn in ihrem Werk Cruel Optimism beteuert. Mit einem Fazit werden schließlich im letzten Kapitel die zentralen Punkte und somit das Ziel dieser Masterarbeit resümiert.

(11)

Körperdiskurs in der Soziologie 2. Der Körper als Gegenwartsthematik

2.1.Body Turn: Das erwachte Körperinteresse45

Obwohl der Körper seit ungefähr Ende der siebziger Jahre ein bedeutendes Themengebiet verschiedener akademischer Disziplinen formt,46 wurde er erst mit Dietmar Kampers und Christoph Wulfs Verkündung von der „Wiederkehr des Körpers“ (1982)47

in das wissenschaftliche Programm von Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften integriert. Seit Anfang der 1990er Jahre ist in den verschiedenen Wissenschaften die Rede von einem body turn, einer paradigmatischen Körperwende.48 Aus heutiger Sicht erscheint eine derart späte Auseinandersetzung mit dem Körper fragwürdig, da er in fast allen Bereichen des Lebens ein relevantes Sujet bildet. Die Frage, warum der Körper erst jetzt in den Fokus genommen wird, beantwortet der Soziologe Robert Gugutzer im Rahmen der Soziologie: Ihm zufolge beschäftigen sich Soziologen seit jeher mit Fragen, die für die jeweilige Zeit charakteristisch sind. Während sich beispielsweise Soziologen aus dem 19. Jahrhundert mit der industriellen Revolution auseinandersetzten, da sie eine epochale Wende darstellte, behandeln Soziologen seit Ende des 20. und seit Anfang des 21. Jahrhunderts das Thema des menschlichen Körpers, weil er immer stärker in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen und individuellen Lebens gerückt ist.49 Gugutzer hat in seinem Werk Soziologie des Körpers (2004)50 eine Liste gesellschaftlich-kultureller Entwicklungen erarbeitet, die dieses Körper-Interesse im westlichen Kulturkreis unterschiedlich stark beeinflusst haben.51 Diese Entwicklungen werden im Folgenden geschildert und geben den gegenwärtigen Körperdiskurs wieder. Es handelt sich hierbei, wie der

45

Der folgende Text wurde bereits in der vorangehenden Hausarbeit „Intersexualität und Magersucht: Zum Geschlecht und Körper in Draesners Mitgift“ im Rahmen des Text- und Theorie-Seminars (Wintersemester 2015/2016) der Universität Amsterdam erarbeitet. Wie mit der Examenskommission der Universität Amsterdam ausgemacht, wurde diese Seminararbeit in das Literaturverzeichnis aufgenommen. Aufgrund derselben Thematik wurden Textinhalt und -struktur erneut für diese Abschlussarbeit gebraucht. Der vorliegende Text wurde nochmals mit eigenen Worten neu formuliert; zusätzlich wurden weitere Aspekte des Körperdiskurses hinzugefügt.

46

Vgl. Anne Fleig (2000), S. 7. 47

Es wird hier auf Dietmar Kampers und Christoph Wulfs Sammelband Die Wiederkehr

des Körpers (1982) Bezug genommen.

48

Vgl. Robert Gugutzer (2013), S. 46 u. vgl. Robert Gugutzer (2006), S. 9. 49

Vgl. Robert Gugutzer (2013), S. 19-20 u. S. 33-34. 50

In der Masterarbeit wird mit der vierten Auflage aus 2013 gearbeitet. 51

(12)

Soziologe Bryan S. Turner einst in seinem Werk The body and society (1984) schrieb, um einen Diskurs der „somatischen Gesellschaft“, das heißt einer Gesellschaft, in der elementare politische und persönliche Probleme durch den Körper zum Ausdruck kommen:52

Mit dem Übergang von der modernen Industriegesellschaft zur postindustriellen beziehungsweise postmodernen Gesellschaft hat sich der Schwerpunkt im Erwerbssektor von primär körperlicher Arbeit zu überwiegend intellektueller „Kopfarbeit“ verschoben. Indem wissensbasierte Tätigkeitsformen und Dienstleistungsberufe quantitativ und qualitativ zugenommen haben, erfolgte eine Verminderung körperlicher Beanspruchung in der Arbeitswelt: Heute leben wir in einer Gesellschaft, die sich vorwiegend im Sitzen mit intellektuellen Aufgaben beschäftigt und somit den Körper immer weiter ausschaltet.53 Der Körper wird heute also nicht mehr als diszipliniertes Instrument der industriellen Produktion verstanden.54 Im Vergleich dazu vollzog sich infolge der Postindustrialisierung neben einer Ausdehnung des Freizeitbereichs auch eine starke Aufwertung des Körpers in seiner individuellen und kollektiven Bedeutung. Der Mensch muss immer weniger arbeiten, hat dadurch mehr Freizeit und investiert diese für eine gründliche Befassung mit dem eigenen Körper. Hierzu stellt der Freizeitbereich für alle Alters-, Einkommens- und Bildungsgruppen ein adäquates und breit gefächertes Angebot zur Verfügung. Außerdem kennzeichnen sich postindustrielle Gesellschaften für gewöhnlich durch einen relativen materiellen Wohlstand. Mit einer Wohlstandssteigerung und der Ausdehnung des Freizeitbereichs wurden Konsum- und Lebensstilfragen bedeutender. Der Körperboom der vergangenen Jahre orientierte sich am jungen und schlanken, schönen, fitten und gesunden Körper, der unter anderem durch Sport, Pflege, Kleidung, Make-up etc. ästhetisiert werden sollte. Zur Realisierung dieser Ästhetik haben sich ganze Industriezweige gebildet, welche großen Profit aus dem Verkauf notwendiger aber auch unnötiger Produkte machen. Analog zu dieser Entwicklung stieg insbesondere die Kommerzialisierung des (Sex- und Erotik-)Körpers in Werbung, Theater, in der Film-, Musik- und 52 Vgl. Michael Meuser (2004), S. 200. 53 Vgl. Robert Gugutzer (2013), S. 34. 54 Vgl. Michael Meuser (2004), S. 201.

(13)

Videobranche an. Wesentlichen Beitrag für das Ausweiten der Konsumkultur haben vor allem die Massenmedien durch das Darstellen von Körperbildern. Zu relativ beliebten Körperbildern gehören unter anderem der erotische und sexuelle Körper, welche zum Beispiel in Filmen der Pornographie zum Ausdruck kommen. Außerdem zählen auch Sport- sowie Gewaltkörper zu den gefragtesten Körperbildern. So haben Sportberichterstattungen und gewaltverherrlichende Filme, Serien und Videos höchste Einschaltquoten. Neben fiktiver Gewalt (wie in der seit 2011 ausgestrahlten amerikanischen Fantasy-Fernsehserie Game of Thrones) übt auch reale Gewalt (wie die Mordbilder des Islamischen Staats) in den Medien eine süchtig werdende Faszination auf Zuschauer aus. Eng an Konsumkultur und Massenmedien gebunden ist aber auch die Aufwertung der Popkultur (beispielsweise Sport), die heute eine weit höhere soziale Anerkennung und Wertschätzung als die Hochkultur genießt.

Alle bisher aufgeführten Entwicklungen werden hierbei durch einen von Helmut Klages beschriebenen kulturellen, mehrdimensionalen Wertewandel umschlossen, in dem sich Pflicht- und Gehorsamswerte auf Autonomie- und Selbstverwirklichungswerte, Disziplin- und Opferbereitschaft auf hedonistische Werte, extrinsisch-materielle Werte (Einkommen, Karriere) auf intrinsisch-immaterielle Werte (Leistungslust, Spaß) verlagert haben. Beachtenswert ist, dass dieser Wertewandel nicht nur den gesellschaftlichen Individualisierungsprozess beeinflusst hat, er wurde auch gleichzeitig durch ihn geprägt. Die subjektiven Folgen des zweiten Drittels des 20. Jahrhunderts charakterisieren sich durch ein ambivalentes Verhältnis: Der Mensch steht jeden Tag vor der Entscheidung, ob und wie er bestimmte Optionen in seinem Leben nutzt. Er muss eine Balance zwischen dem Freiheitsgewinn und dem Entscheidungszwang, aber auch zwischen der gewonnenen Autonomie und der individuellen Verantwortung finden. Da sich vorgegebene Sinn-, Deutungs- und Biographiemuster aufgelöst haben, war es für den Menschen eine Herausforderung den eigenen Sinn, Halt und die Orientierung für das eigene Leben zu erkennen. Der Körper stellt hierfür ein geeignetes Instrument dar, weil der Mensch immer auf diesen zugreifen, sowie mit ihm spür- und sichtbare Wirkungen, erreichen kann. Auf diese Weise können Sicherheit hergestellt und Identität dargestellt werden.

(14)

Infolge des Wertewandels haben sich seit den sechziger Jahren unterschiedliche soziale Bewegungen gebildet, darunter die Ökologie-, Schwulen- und Frauenbewegung. Unter ihnen war die Frauenbewegung am wichtigsten für den Körperdiskurs, weil sie sich in der Politik für das Thema der sozialen Ungleichheit und der Unterdrückung von Frauen einsetzte. Das Hauptziel der Frauenbewegung und des Feminismus war hierbei die Selbstbestimmung der Frauen über den eigenen Körper. Der weibliche Körper sollte nicht mehr von männlicher Kontrolle und Macht beherrscht werden.

Des Weiteren regte die Bevölkerungsvergreisung in den postindustriellen Gesellschaften zu einer noch stärkeren Körperthematisierung an, denn dieser demographische Wandel hat sozialpolitische, ökonomische und medizinische Konsequenzen zur Folge. Beispielsweise müssen sowohl das Renten- und Gesundheitssystem als auch medizinische Versorgungs- und Pflegeeinrichtungen auf die zunehmende Lebenserwartung vorbereitet sein. Zu gesundheits- und sozialpolitischen Folgen führen aber auch bestimmte Zivilisationskrankheiten, welche unvermeidlich an die Lebensumstände der postindustriellen Gesellschaften gebunden sind. Gemeint werden Krankheiten körperlicher, seelischer und psychosomatischer Art wie beispielsweise Allergien, Herzinfarkte, Stress, Depressionen oder Ess-Störungen. Um diesem erhöhten Gesundheitsrisiko entgegenzuwirken, versucht der Mensch durch Sporttreiben, Wellness-Besuche oder gesunde Ernährung auf seine Gesundheit zu achten. In den vergangenen Jahren wurde dem Körper aber auch ein höherer Stellenwert in der öffentlichen Aufmerksamkeit durch Fortschritte in der Reproduktions- und Biotechnologie zuteil. Heftige Diskussionen über die technische Verfügbarkeit beziehungsweise technologische Manipulierbarkeit des menschlichen Körpers wurden im Rahmen der Themen künstliche Befruchtung, Präimplantationsdiagnostik, Stammzellentherapie, Organtransplantation, Klonen und Doping geführt. Indem Grenzen zwischen Körper und Technologie schwinden und die Hybridisierung des Menschen Fortschritte macht, tauchen nicht nur juristische, sondern auch philosophische und ethische Fragen auf wie etwa: Wie kann man Leben, Mensch und Identität definieren? Inwieweit ist ein Eingriff in die menschliche Natur noch zu erlauben?

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Gugutzer zufolge bewirkten diese gesellschaftlich-kulturellen Entwicklungen eine hohe Anzahl an (körpersoziologischen) Analysen und Theorien,55 die das unterschiedliche Körperverständnis innerhalb des

55

Vgl. Robert Gugutzer (2013), S. 34-41. Ergänzend vgl. ebd. S. 3, S. 50, S.59, S. 67-68, S. 74, S. 87, S. 92-93, S. 99, S. 105, S. 112, S.118-119, S. 126, S. 131-132 u. vgl. Anne Fleig (2000), S. 7: Unter den soziologischen Zugängen zum Körper zählen Ansätze aus der historischen Soziologie, dem (Post)strukturalismus, der Handlungstheorie, der Strukturierungstheorie, dem Feminismus und der Systemtheorie. Die Ansätze des zivilisierten Körpers (Norbert Elias) und des disziplinierten Körpers (Michel Foucault) treten innerhalb der historischen Soziologie auf: Norbert Elias zeigt in seinem zweibändigen Werk Über den Prozeß der Zivilisation (1976), welches eine historisch-soziologische Untersuchung über das wechselseitige Verhältnis von Sozio- und Psychogenese ist, wie der europäische Zivilisationsprozess in den Körper des Menschen aufgenommen wurde und ihn demnach zivilisiert hat. Anhand der Geschichte des Gefängnisses (Überwachen und Strafen, 1975) hat Michel Foucault hingegen disziplinierende Machttechniken entdeckt, deren Ziel der menschliche Körper ist. Der Körper als Kapital (Pierre Bourdieu), der diskursive Körper (Michel Foucault), der Körper als Symbol (Mary Douglas) und der Körper als Ordnungsproblem (Bryan S. Turner) stellen Körperzugänge im Bereich des (Post)strukturalismus dar: In Archäologie des Wissens (1973) enthüllte Foucault den Körper als Konstrukt von Diskursen, während Pierre Bourdieu in Die feinen Unterschiede (1982) auf das körperliche Kapital aufmerksam macht, mit dem der Mensch soziale Gewinne erzielen kann. Zum Symbol gesellschaftlicher Strukturen wird der Körper in Mary Douglas Buch Ritual, Tabu und Körpersymbolik (1969), während sich Bryan S. Turner in seiner Körpertheorie The Body and Society (1984) mit der Frage beschäftigt, inwiefern der Körper ein gesellschaftliches Ordnungsproblem ist und wie die Gesellschaften mit diesem Problem umgehen. Der dramaturgische Körper (Erving Goffman), der kommunikative Körper (John O’Neill), der spürbare Körper (Gesa Lindemann) und der Körper als Handlungsproblem (Arthur W. Frank) werden in der Handlungstheorie verhandelt: In beinahe all seinen mikrosoziologischen Arbeiten zu Strukturen und Regeln der sozialen Interaktion, aber auch zur Präsentation und Wiederherstellung von Identität hat Erving Goffmann die Bedeutung des (dramaturgischen) Körpers als Hauptbestandteil von sozialem Handeln enthüllt. Im Vergleich zu Goffmann, der anhand des dramaturgischen Körpers gezeigt hat, dass der Körper eine kommunikative Qualität hat, verweist John O’Neill daraufhin, dass der Körper auch eine kommunikative Qualität, also ein Leib mit Wahrnehmungsorganen ist. Daneben greift Gesa Lindemann mit ihren geschlechtssoziologischen Arbeiten die soziale Relevanz des spürbaren Körpers auf. Sie hat die Bedeutung und die Beteiligung des Leibes, der bei ihr als passive, spürende Erfahrung auftaucht, bezüglich der Konstruktion sozialer Wirklichkeit und der Stabilisierung sozialer Ordnung zum Vorschein treten lassen. Zu den (leib-)phänomenologischen Perspektiven gehört auch Arthur W. Franks Theorie des Körpers, die er in Abgrenzung zu Turners Theorie der Körperordnung erarbeitet hat. Während Turner den individuellen Körper von der gesellschaftlichen Seite aus begutachtet, knüpft Frank beim Körper des Individuums und seinen Problemen an. Gemeint werden hier Probleme, welche der Körper selbst produziert wie etwa das Handlungsproblem des Körpers. Der sozial verkörperte Akteur steht im Mittelpunkt der Betrachtung bei Chris Shillings Analysen: Er hat Ansätze zu einer Strukturierungstheorie herausgearbeitet, die den Körper als vermittelnde Instanz zwischen Struktur und Handlung sieht. Darüber hinaus wird der Geschlechterkörper innerhalb des Feminismus diskutiert: So hat Judith Butler in Das

Unbehagen der Geschlechter (englisch: Gender Trouble, 1990) und in Körper von Gewicht

(englisch: Bodies that matter, 1993) gezeigt, dass sowohl biologisches als auch soziales Geschlecht etwas kulturell Hervorgebrachtes sind. Abschließend muss auf Karl-Heinrich Bettes systemtheoretischen Zugang auf den Körper verwiesen werden. Bette zufolge stellt der Körper ein Paradox dar: Er sei nirgends, aber auch gleichzeitig überall aufzufinden. Dass der Körper nirgends mehr zu finden sei, habe nach Bette mit der Verdrängung des Körpers aus vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens (beispielsweise durch Instrumentalisierung, Disziplinierung, Ruhigstellung, Robotisierung, Virtualisierung des Körpers etc.) zu tun. Dass er trotz dieser Verdrängung dennoch überall aufzufinden sei, werde durch den Körperboom der vergangenen Jahre verursacht. Dieser habe nämlich fast alle Sozialbereiche beeinflusst. Dieser letzte Ansatz erscheint immer wieder in anderen

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jahrelang verhandelten Körperdiskurses widerspiegeln. Der Körper wurde in seinem Diskurs der siebziger Jahre kulturkritischen Betrachtungen unterzogen. Er wurde auf der einen Seite als Objekt von Disziplinierungstechniken, auf der anderen Seite als Ort einer neuen Authentizität offenbart. Im Anschluss an Michel Foucaults Werken, die sich insbesondere auf die Themen Körperdisziplinierung und Sexualität konzentrieren, stellte man sich in den achtziger Jahren den Körper als Einschreibefläche für kulturelle Muster, Normen und Disziplinierungen vor.56

Der Körperdiskurs wurde hierbei tiefgreifend durch theoretische Diskussionen der Geistes- und Kulturwissenschaften beeinflusst. Gravierenden Einfluss hatten vor allem Debatten zur Postmoderne, im Feminismus und zum Konstruktivismus, welche selbst Ausdruck des Gesellschafswandels der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren und einander zudem an einzelnen Punkten schneiden: Das kritische Erörtern fundamentaler Dualismen der abendländischen Kultur wie Körper und Geist, männlich und weiblich, Biologie und Gesellschaft, Natur und Kultur ist zum Beispiel eine dieser Überschneidungen. Im Folgenden sollen alle drei Debatten kurz erläutert werden, um ihre Bedeutung für den Körperdiskurs zu verdeutlichen.

Die in den 1980er Jahren stattfindende Debatte zur Postmoderne setzte sich kritisch mit den grundsätzlichen Prinzipien und Kategorien der neuzeitlichen Philosophie auseinander. Hierbei erwies sich die Kritik an René Descartes‘ dualistischem Menschenbild, bei welchem der Mensch aus zwei ontologisch getrennten Substanzen, dem Geist (res cogitans) und dem Körper (res extensa) besteht, als besonders nachhaltig. Trotz dieser ontologischen Separation stehen nach Descartes (1595-1650) Geist und Materie in einer kausalen Wechselwirkung. Zusätzlich existiere eine hierarchische Struktur zwischen ihnen, weil der Geist den Körper dominiere. Da Descartes den menschlichen Körper mit einer Maschine

Texten, die sich mit verschiedenen Sozialbereichen beschäftigen: So stellt Anne Fleig ähnlich wie Bette dem gegenwärtigen Körperkult eine sogenannte Entkörperung entgegen, die sich ihr zufolge durch die Paradoxien unseres Zeitalters bedingen. Neben der Akzentuierung des Körperlichen in Werbung, Mode, Kunst, Medizin und Sport sieht sie eine Marginalisierung in der Telekommunikation und in der virtuellen Welt.

56

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vergleicht, ist sein Menschen- respektive Körperbild ein mechanistischer. Seine (substanzdualistische) Position wird häufig mit dem Begriff des cartesianischen Dualismus versehen. Gegen genau dieses Menschen- und Körperbild haben sich postmoderne Theorien aufgelehnt, was eine Kritik am Vernunft- und Rationalitätsprinzip der neuzeitlichen Philosophie impliziert. Sie setzten sich für das Andere der Vernunft ein, das heißt für eine gleichberechtigte Einbindung von Körper, Sinne und Emotionen in die soziologische Handlungstheorie. Postmoderne Theorien repräsentieren eine erkenntnistheoretische Position, die einen Relativismus und Perspektivismus anstrebt. Sie widerspricht einem objektiven Wissen und allgemeingültigen Wahrheiten, sodass beispielsweise auch die Naturwissenschaft nicht über das wahre Wissen vom Körper verfügt. Für radikal postmoderne Theorien existieren somit immer nur kultur- und zeitspezifische Perspektiven auf den Körper, die alle der Wahrheit entsprechen.57

Ebenfalls wurde der cartesianische Dualismus im Feminismus angefochten, weil die Tradition bis dahin eine Körper-gleich-Frau- und Geist-gleich-Mann-Einteilung hantierte, bei welcher der Mann logischerweise höhergestellt wurde. Feministinnen wehrten sich dagegen, indem sie einerseits die Ideologien hinter patriarchalen Gesellschaftsstrukturen (soziale Ungleichheit und Diskriminierung von Frauen) entlarvt haben. Andererseits haben sie das Geschlechterverhältnis naturalisiert, indem sie die Gleichsetzung zwischen biologischem und sozialem Geschlecht verneinten. Im Feminismus herrschte damit bis zum Ende der achtziger Jahre die Vorstellung, dass sich Männer und Frauen biologisch differenzieren, diese Differenz jedoch keinen Unterschied in den Geschlechterrollen nach sich zog.

Die letzte Debatte fand im Zusammenhang mit dem sogenannten Konstruktivismus, einer erkenntnistheoretischen Position, statt, welche zwei Ausprägungen hat: In der Soziologie wird der radikale Konstruktivismus, der im Poststrukturalismus und in den feministischen Theorien seine Vertreter fand, vom Sozialkonstruktivismus unterschieden. Der radikale Konstruktivismus geht von der Auffassung aus, dass der Körper ein

57

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Konstrukt sprachlicher Diskurse ist, wohingegen der Sozialkonstruktivismus ein Körperbegriff handhabt, bei dem der Körper durch soziale (Macht-)Strukturen und Handlungen beeinflusst wird: Der Körper ist bei der zweiten Form also ein Symbol gesellschaftlicher Strukturen. In eigenen Arbeiten richten Sozialkonstruktivisten vornehmlich ihre Aufmerksamkeit auf die gesellschaftliche Regulation, Modellierung und Manipulierung des menschlichen Körpers.58

Geprägt von diesen drei Debatten zur Postmoderne, im Feminismus und zum Konstruktivismus entstanden poststrukturalistische Ansätze, die sich mit der Konstruktion und Dekonstruktion des Körpers befassten und sich von der Idee authentischer Erfahrungen aber auch der Idee vom Körper als Textfläche entfernten. Vorherrschend war nun ein passiver, konstruierter Körper, der aus diskursiv gebildeten Zeichenpraktiken bestand. In diesem Zusammenhang wurden erneut intensive Diskussionen geführt, dieses Mal innerhalb der Geschlechterstudien:59 So hat die amerikanische Philosophin und Philologin Judith Butler in ihrer Studie Das Unbehagen der Geschlechter die bis dahin vollzogene theoretische Unterscheidung zwischen einem natürlichen und einem kulturellen Körper als cartesianischen Dualismus zurückgewiesen.60 Butler initiierte eine konstruktivistische Perspektive, der zufolge Geschlecht und (geschlechtlicher) Körper soziale Konstrukte sind. Bis heute noch dominiert ihre Ansicht in der Geschlechtersoziologie.61

2.2.Der Körperbegriff in der Soziologie: Leibsein und Körperhaben

Die Begriffsdefinition von Körper ist keine einfache, insofern der Körper je nach Zeitalter, Gesellschaft und Kulturen anders aufgefasst wird. Im antiken Griechenland bestand zum Beispiel kein Begriff für den Körper als Ganzheit, sondern nur Bezeichnungen für Körperteile oder Körperlichkeiten

58

Vgl. Robert Gugutzer (2013), S. 42-44. Weiterführend ebd, S. 44: Die sozialkonstruktivistische Position formt in der Soziologie des Körpers die vorherrschende Methode. Seit den 1990er Jahren etablierte sich eine Gegenposition zum Sozialkonstruktivismus, welche als Phänomenologie bezeichnet wird. Hierbei handelt es sich um eine phänomenologisch motivierte Soziologie des Körpers, die sich auf den Leib fixiert. 59 Vgl. Anne Fleig (2000), S. 8. 60 Vgl. Silvia Stoller (2010), S. 70-71. 61 Vgl. Michael Meuser (2004), S. 202.

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(griechisch démas für Gestalt beziehungsweise Statue, eidos für sichtbaren Körper und chros für Haut). Selbst das Wort sôma, das für die Gesamtheit des Körpers steht, trägt die ursprüngliche Bedeutung des toten Körpers.62 Auch teilen die wenigsten Körpersoziologinnen und -soziologen in ihren Arbeiten mit, was sie genau unter dem Begriff Körper verstehen. In der Regel werden unklare Körperbegriffe verwendet, wodurch die intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Argumentation beeinträchtigt wird.63 Aus diesem Grund hat Gugutzer in Anlehnung an Helmuth Plessners (1892-1985) anthropologische Theorie der „exzentrischen Positionalität“ (1975) sowie an die Leibphänomenologie von Hermann Schmitz (1992) eine körperbasierte Theorie des Sozialen konzipiert. Er versteht den Körper als Zweiheit von Leib und Körper:

Nach Plessner ist das Körperverhältnis des Menschen ein Zweifaches, denn der Mensch ist einerseits sein Körper, andererseits hat er seinen Körper.64 „Körpersein und Körperhaben sind zwei untrennbar miteinander verbundene Facetten menschlichen Daseins, die sich beide wechselseitig bedingen.“65 Das Körpersein meint die organische Ausstattung des Menschen und die daraus folgende raumzeitliche Gebundenheit an das Hier-Jetzt, wohingegen Körperhaben auf die humanspezifische Fähigkeit deutet, durch die der Mensch in Distanz zu sich selbst treten kann. Indem der Mensch eine Distanz aufbaut, kann er bewusst auf seinen und andere Dingkörper zugreifen und diese instrumentell nutzen.66 Körperhaben bedeutet allerdings auch die Fähigkeit „sich selbst zum Gegenstand werden, sich selbst reflektieren, sich beispielsweise in andere Zeiten und an andere Orte denken.“67

Gugutzer zufolge lässt sich mit Schmitz der unaufhebbare Doppelaspekt von Körpersein und Körperhaben näher spezifizieren: Schmitz‘ Leibphänomenologie ist eine Theorie des Spürens, das heißt der Mensch erfährt das Sein im Körper auf eine intersubjektive, leiblich-affektive Weise im Hier-und-Jetzt. Da Plessner ähnlich wie Schmitz das Sein im Körper mit der „Innenwelt“ des Menschen gleichsetzt, löst 62 Vgl. Marcus Schroer (2005), S. 25. 63 Vgl. Robert Gugutzer (2013), S. 145. 64 Vgl. Robert Gugutzer (2006), S. 30. 65 Robert Gugutzer (2013), S. 146. 66 Vgl. Robert Gugutzer (2006), S. 30. 67 Robert Gugutzer (2013), S. 147.

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Gugutzer Plessners anthropologischen Begriff des Körperseins gegen Schmitz‘ phänomenologischen Begriff des Leibes ab. Körpersein und Körperhaben können demnach als spürbares Leibsein und gegenständliches Körperhaben aufgefasst werden. Als untrennbare sich gegenseitig beeinflussende Einheit stellen sie zwei Seiten einer Medaille dar: Sie formen gemeinsam eine Dualität, niemals einen Dualismus.68

2.3.Das gegenwärtige Körperverständnis

2.3.1. Körper als Kultobjekt versus Wahnvorstellung

Alle sozialen Gruppen, ob jung oder alt, gebildet oder ungebildet, wohlhabend oder arm, nehmen an gegenwärtigen Körperpraktiken teil: Sie trainieren beispielsweise wie verrückt im Freien oder gehen ins Fitnessstudio, besuchen Kosmetik- und Sonnenbankstudios, lassen sich tätowieren, piercen oder aber auch durch Schönheitschirurgen operieren.69 Der Körperboom der vergangenen Jahre hat Körperpraktiken hervorgebracht, die oftmals mit den negativ konnotierten Begriffen „Körperkult“ und „Schönheitswahn“ kritisiert werden. Hierbei trifft die Kritik in erster Linie die Konsum- und Mediengesellschaft, welche ästhetische Normen des Körpers definiert, Abweichungen zu diesem Konzept ablehnt und suggeriert, dass körperliche Mängel behebbar seien. Diejenigen Menschen, die sich diesen Praktiken unterwerfen, nehmen also an, dass Schönheit machbar beziehungsweise käuflich wäre. Die Konsum- und Mediengesellschaft vermittelt den Glauben, dass eine aktive Körperarbeit zum Liebesglück, zu einem besseren Job und zu höherem Sozialprestige führe.70 Die negative Konnotation von Körperkult verweist allerdings auch auf eine etymologische Unterscheidung von Kult und Natur. Die pejorative Rede vom Körperkult beinhaltet in Prinzip eine positive Einstellung gegenüber einem natürlichen Körperumgang oder einer natürlichen Schönheit. Wenn man den menschlichen Körper jedoch als soziales und seine Ästhetisierung als universelles Phänomen betrachtet, so ist vor diesem Hintergrund der derzeitig abwertende Körperkult-Diskurs

68 Vgl. Robert Gugutzer (2006), S. 30-31. 69 Vgl. Robert Gugutzer (2007), S. 3. 70 Vgl. Katharina Belwe (2007), S. 2.

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nicht unbedingt als Gesellschaftskritik, sondern als Wiederholung einer kulturkonservativen Ideologie zu betrachten.71

Darüber hinaus implizieren die Begriffe „Körperkult“ und „Schönheitswahn“ jeweils ein spezifisches Körperverständnis: Dem Körper als Kultobjekt wird der Körper als Wahnvorstellung gegenübergestellt. Der Diskurs des Körperkults schließt sich hierbei an den zeitgenössischen Religionsdiskurs an. Obwohl das Wort Kult (lat. cultus = Verehrung, Pflege) keinen religiösen Ursprung hat, wird es dennoch traditionell in einem religiösen Zusammenhang begriffen. Der Körperkult kennzeichnet sich wie ein ursprünglich religiöser Kult durch ein sinnstiftendes Objekt (hier: der Körper), durch eine Menschengruppe, die das Objekt verehrt und durch ritualisierte Handlungen (hier: den eigenen Körper in Körperritualen je nach Belieben in seiner Form gestalten und verschönern). Der Körperkult kann folglich als Diesseitsreligion verstanden werden, der den Platz der Kirchenreligionen einnimmt. Der Glaubensbezug richtet sich nicht mehr auf eine transzendente Welt, sondern auf die Diesseitserlösung, mit der die menschliche Selbstfindung gemeint wird. Das Zeitphänomen der menschlichen Sinnsuche (die Suche nach Identität, Halt, Sicherheit und Lebensorientierung) tritt immer öfters durch das Investieren in das „körperliche Kapital“ (Pierre Bordieu) auf.72

Durch diese Investierung hegt der Mensch die Hoffnung persönliche und soziale Ziele wie Selbstwert und Anerkennung zu erwirken. Der Körper kann im Großen und Ganzen als reflexives Identitätsprojekt verstanden werden. Aus diesem Grund stellt die reflexive Körperthematisierung immer eine Art von Selbstthematisierung dar und die Körperarbeit wird stets auch als Identitätsarbeit verstanden.73 Im Gegensatz zum Körperkult lehnt sich das Diskursfeld des Schönheitswahns an die Psychiatrie beziehungsweise Psychopathologie. Menschen, die dem Schönheitswahn verfallen sind, streben dem gesellschaftlich vorgegebenen Schönheitsideal bis in anormale Zustände. Demzufolge gelangt die Körperthematisierung in diesem Diskurs zu wahnhaften Formen. Ein hungerndes Fotomodell, das an der eigenen Magersucht stirbt, ist ein Beispiel einer solchen Form. Im psychiatrischen 71 Vgl. Robert Gugutzer (2007), S. 4. 72 Vgl. ebd., S. 3-4. 73 Vgl. Robert Gugutzer (2013), S. 40.

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Kontext bedeutet Wahn eine konstant von der Norm abweichende Realitätswahrnehmung, wobei die Trennung zwischen Wahn und Norm ausschlaggebend ist: Normalität kann nämlich nicht bestehen, wenn keine Abgrenzung zu ihr besteht. Gegen die ungesunden Ideale, die von der Massen- und Konsumgesellschaft vermittelt werden, hat sich ein Gegendiskurs gebildet, für dessen Hüter die präzise Definition von Norm und Abweichung problematisch ist: Wie soll denn eine ästhetische Norm für eine Gesellschaft festgelegt werden, die dermaßen individualisiert, wertepluralistisch und medizinisch-technologisch vorangeschritten ist? Eine Differenzierung von pathologisch und normal sowie verrückt und gesund bildet damit einen moralischen Anachronismus ab. In einer Erlebnisgesellschaft wie der unsrigen wird Ethik durch die Ästhetik ausgetauscht. Das Schöne ersetzt das Gute: Der Mensch sieht seinen Lebenssinn im Streben nach einem schönen Leben und dazu gehört eben auch ein makelloser Körper.74 In Bezug auf den Diskurs von Körperkult und Schönheitswahn entsteht also eine Gegenüberstellung von Selbstbestimmung und Selbstzerstörung. Die Körper aus der Gegenwart bewegen sich zwischen diesen beiden Polen; die Grenze zwischen ihnen ist beinahe nicht mehr bestimmbar.75

2.3.2. Körper als Objekt kultureller Inszenierung und Statussymbol

In historischen und aktuellen Beispielen wird zunehmend belegt, dass es möglich, aber auch notwendig ist, seinen Körper im Sinne kultureller Deutungen zu inszenieren. Das Teilhaben an unterschiedlichen (Sub-)Kulturen (beispielsweise Institutionen, Organisationen oder Gruppen) hängt von der Inszenierung des Körpers und den jeweiligen kulturellen Konstruktionen ab: Wenn der Mensch also Teil einer (Sub-)Kultur sein möchte, muss er dem jeweilig herrschenden Code entsprechen, das heißt durch Kleidung, Gesten, Bewegungen etc. erkennbar sein. Sollte er keinen Erkennungswert haben, kann er nicht als Mitglied anerkannt werden. Eine bloß physische Anwesenheit ist demnach unzureichend, um einer (Sub-)Kultur anzugehören. Soziologen behaupten zwar, dass die prinzipielle Möglichkeit von Körperinszenierungen in der sozialen Natur des Menschen

74

Vgl. Robert Gugutzer (2007), S. 4-5. 75

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angelegt sei, ihre Vielfalt und Häufigkeit hänge allerdings von den sozialen Lebensbedingungen ab. Warum der Mensch ein breites Spektrum an Möglichkeiten hat, um seine Zugehörigkeit zu verkörpern, ist mit der Entstehung der bürgerlichen Moderne Ende des 18. Jahrhunderts verbunden: Mit der Überwindung traditioneller und religiöser Welt- und Selbstbilder hat sich die Lebensgestaltung zum Leitbild und zur Praxis entwickelt. Die Praxis der eigenen Gestaltung des Lebens und des Selbst unterliegt hingegen (materiellen und individuellen) Beschränkungen. So hängt die Investierung in Selbstgestaltungsprozesse von Geld, Zeit, Macht und Bildung ab. Um beispielsweise bestimmte Bewegungen zu erlernen, wie sie in Bewegungskulturen tänzerischen oder sportiven Kontexts vorkommen, benötigt man neben viel Zeit auch finanzielle Mittel, mit denen die Beiträge einer Tanzschule bezahlt werden müssen. Eine Person, die jahrelanges Tanztraining hatte und auf einem Ball eine gute Figur macht, kann somit ihren Status ausdrücken. Der Körper wird zum Statussymbol, den die Mitmenschen gewissermaßen „ablesen“ können. Dem Soziologen Erving Goffmann stellen die jeweiligen Inszenierungen also im Grunde Handlungen dar, um das eigene Image zu pflegen. Jeder Mensch nimmt gewisse Rollen an, um auf eine spezielle Art und Weise wahrgenommen zu werden. Diese Rollen legt der Mensch aber nicht ab wie gewöhnliche Theaterrollen:76 Sie bleiben immer präsent „auf der Bühne des sozialen Lebens.“77

Er sieht den Körper somit als Interaktionsinstrument, der sich in stetiger Kommunikation befindet: Er vermittelt immer konventionalisierte Signale und Zeichen, die von Mitmenschen aufgenommen werden.78

2.4.Körper und Körperbilder: eine kurze Einführung in die soziologische Filmanalyse

Sowohl Körper, als auch Körperlichkeiten und Körperbilder werden in den Massenmedien vielfältig dargestellt, erfahren jedoch im wissenschaftlichen Diskurs noch keine hinreichende Verhandlung.79 In den Medien der westlichen Kulturen werden hierbei „Körpergrößen, Körpermaße respektive Proportionen und Gewichte, Körperhaltungen und Körpererscheinungen“80

76 Vgl. Paula-Irene Villa (2007), S. 20-23. 77 Ebd., S. 23. 78 Vgl. ebd., S. 23. 79 Vgl. Dagmar Hoffman (2010b), S. 7. 80

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thematisiert. Insbesondere das Fernsehen und Kino81, daneben aber auch Zeitschriften und Internet leben von der Inszenierung des menschlichen Körpers, mit denen sie hohe Einschaltquoten oder Verkaufszahlen erzielen. Häufig erscheinende Medienkörper sind unter anderem:82

weibliche und männliche Körper, junge und alte Körper, dünne und dicke Körper, schöne und hässliche Körper, natürliche und künstliche Körper, sportliche und unsportliche Körper, weiße und schwarze Körper, gewalttätige und friedfertige Körper, erotische und unerotische Körper oder arbeitende und faulenzende Körper[.]83

Die Allgegenwärtigkeit der Massenmedien ist dafür verantwortlich, dass „die von ihnen entworfenen Bilder menschlicher Körper zwangsläufig Spuren in der sozialen Alltagswelt hinterlassen.“84

Dabei sind medial konstruierte Körperbilder von Grund auf gesellschaftlich bedeutend, „unabhängig davon, ob man ihnen als Einzelner folgt oder sich von ihnen distanziert.“85 Körperbilder können aber auch die Gesellschaft medial verkörpern. Dies bedeutet, dass menschliche Körper, die beispielsweise in Filmen vorkommen,86 bestimmte gesellschaftliche Werte und Normen, Ideale und Ideologien, (Macht-)Strukturen und Identitäten symbolisch ausdrücken können. Darüber hinaus hat die fiktionale Inszenierung von Körperbildern in Spielfilmen eine Gemeinsamkeit mit realen

81

Anknüpfend vgl. Marcus Stiglegger (2006), S. 108 u. vgl. Robert Gugutzer (2010), S. 123-124: Die Philologin Bärbel Tischleder betont in der Körperkonjunktur aktueller Kinofilme die Gleichzeitigkeit von Körperaufwertung und Körperverdrängung, die Karl-Heinrich Bette für moderne Gegenwartsgesellschaften festgestellt hat. Im gegenwärtigen (amerikanischen) Mainstreamkino falle insbesondere neben der Hybridisierung von Mensch und Maschine beziehungsweise der Körperverdrängung des Menschen in Science Fiction-Filmen das Aufwerten eines (authentischen, natürlichen) Körpers auf. Diese kinematographische Körperaufwertung findet nicht zwingend in Filmen statt, die Gewalt und Sexualität im Fokus haben. Vielmehr präsentiert sie sich in Filmen (wie etwa in Justiz-Thrillern), die das Inszenieren von körperlichen Handlungen an sich nicht benötigen. Dieser Körperkonjunktur in aktuellen Spielfilmen entspricht auch die Aufwertung des Körpers in der Filmtheorie, die den Film unter anderem als anthropozentrisches Medium definiert. Nachdem viele Jahre ein „okularzentrisches Paradigma" in der Filmtheorie dominierte, welches das Sehen beziehungsweise das Visuelle zum hauptsächlichen Thema machte, werden nun andere Wahrnehmungsformen stärker thematisiert und theoretisiert. Inmitten dieses Fokus steht hierbei die (an Hermann Schmitz‘ Neue Phänomenologie angelehnte) "leibliche Kommunikation" zwischen dem Film und dem (Zuschauer-)Körper.

82 Vgl. Robert Gugutzer (2010), S. 121. 83 Ebd., S. 121. 84 Ebd., S. 121. 85 Ebd., S. 121. 86

Ergänzend Marcus Stiglegger. Körpertheorie der Medien. Eine Einführung. In: Ikonen. Magazin für Kunst, Kultur und Lebensart. 05.06.2011. URL:

http://www.ikonenmagazin.de/artikel/Koerpertheorie_der_Medien_Stiglegger.htm

(15.07.2016): Wichtige Publikationen der letzten Jahre zum Thema Körperbilder in Spielfilmen sind unter anderem The cinematic body (1993) von Steven Shaviro, Unter die

Haut. Signaturen des Selbst im Kino der Körper (1998) von Jürgen Felix, Körperästhetiken

(2010) von Dagmar Hoffmann und Global Bodies (2012) von Ivo Ritzer sowie Marcus Stiglegger.

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Körperdarstellungen. Die körperliche Präsentation gründet bei beiden auf einer Differenzsetzung, das heißt der dargestellte Körper weist immer auf sein Gegenüber hin, von welchem er sich distanzieren will. Von der Perspektive des Beobachters aus gesehen würde ein alter Körper sich immer von einem jungen unterscheiden, aber auch ein gesunder von einem kranken.

Um transportierte Ideologien oder andere Inhalte eines Spielfilms zu rekonstruieren, kann man sich einer soziologischen Filmanalyse annähern,87 deren allgemeiner Untersuchungsgegenstand „die Gesellschaft im und ,hinter' dem Film“88 ist. Beachtenswert ist hierbei, dass „[d]ie Analyse einer spezifischen Filmideologie […] häufig […] zur Ideologiekritik“ führt.89

Zudem beschäftigt sich eine soziologische Filmanalyse mit dem soziokulturellen Kontext, in welchem der Film geschaffen worden ist. Hieraus folgt, dass die soziologische Filmanalyse die ,fiktive' Gesellschaft im Film mit der ,realen' Gesellschaft außerhalb des Films vergleicht und zu einer Interpretation führt, die Aufschluss darüber gibt, inwiefern beide ‚Gesellschaften‘ einander beeinflussen.90

Diese Aussagen basieren auf der Grundannahme der filmsoziologischen Theorie. So beteuert der Soziologe Karl Lenz in seinem Aufsatz Paare in Spielfilmen - Paare im Alltag (2006), dass die Fiktionalität der Spielhandlung von Filmen generell Spurenelemente sozialer Wirklichkeit bergt, sodass Spielfilme über das im Alltag verfügbare Repertoire von Handlungen informieren. Der Soziologe Dieter Prokop vertritt außerdem in seiner Abhandlung Filmwirtschaft, Filmsoziologie und Filmentwicklung (1971 [1969]) die Meinung, dass Filme die gesellschaftliche Realität spiegeln, sodass sie neben einem soziologischem auch ein gesellschaftliches

87

Vgl. Robert Gugutzer (2010), S. 123-125. 88

Ebd., S. 125. Weiterführend vgl. Robert Gugutzer (2012), S. 209: Die Untersuchung der Gesellschaft im und ‚hinter‘ dem Film zählt zu den Aufgabenfeldern der Filmsoziologie, die sich erstens mit den gesellschaftlichen Bedingungen der Filmproduktion, zweitens mit dem Publikum als Filmrezipient und drittens mit dem Film als Medium von Kommunikation und Kunstform befasst. Walter Dadek hatte bereits in den sechziger Jahren von „Produktionssoziologie“, „Publikumssoziologie“ und „Theorie des Filmmediums“ gesprochen, um die drei Teilbereiche der Filmsoziologie zu bezeichnen.

89

Werner Faulstich (2002), S. 159. 90

Inwieweit Filme Einfluss auf die Gesellschaft ausüben, soll hier unberücksichtigt bleiben. Zusätzlich vgl. Robert Gugutzer (2012), S. 209: Mehr Informationen zu den drei gesellschaftlichen Funktionen von Filmen (Sozialisations-, Integrations- und Handlungsfunktion) ist in Gugutzers Aufsatz Sport im Film (2008) nachzulesen (siehe Bibliographie).

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Erkenntnispotenzial haben. Filme ermöglichen weiterhin nach Dadek (Der gegenwärtige Stand der Filmsoziologie, 1960) die kollektive Selbstdeutung und somit die Erfüllung einer bedeutenden sozialen Funktion. Vor dem Hintergrund kann die soziologische Filmanalyse auch im Sinne von Manfred Mai und Rainer Winter (Das Kino der Gesellschaft - die Gesellschaft des Kinos, 2006) als Gesellschaftsanalyse charakterisiert werden, da sie den Menschen zu gesellschaftlichen Konflikten, Sinnstrukturen und Ideologien leitet, welche Einfluss auf das menschliche Handeln haben.91

In der soziologischen Filmanalyse kann man zwei methodologische Grundlagen unterscheiden: Neben einer quantitativen besteht auch eine qualitative Art. Die quantitative Inhaltsanalyse ist hierbei die dominierende Methode im ersten Fall. Ihr Ziel ist auf quantifizierbare Weise eine Ermittlung von Strukturen in den Äußerungen der Massenmedien durchzuführen. Demgegenüber lehnen sich qualitative Methoden insbesondere an die sozialwissenschaftliche Hermeneutik an: Das Fundament der hermeneutischen Arbeitsweise ist das zirkuläre Verfahren. Der Film, der als Text92 aufgefasst wird, wird von einem Vorverständnis ausgehend immer von Neuem befragt, um bereits vorhandenes Wissen zu prüfen und schließlich zu vergrößern. Die Analyse strebt also das Sinnverstehen des Films an. Die Vielzahl an Sinnebenen wird durch die hermeneutische Filmanalyse rekonstruiert. Dadurch gewährleistet die Filmanalyse eine Interpretation der Mehrdeutigkeit des filmischen Textes. Auf diese Weise kann die Filmanalyse tiefer liegende Sinnstrukturen ermitteln.

Bei einer sozialwissenschaftlich-hermeneutischen Filmanalyse wird die Sequenzanalyse, ein methodisches Verfahren, präferiert, das im engeren Sinne zur Rekonstruktion der Erzählstruktur eines Films dient. Sequenzanalyse bedeutet im weiteren Sinne das chronologische Gliedern eines Films in seine abgeschlossenen Sinneinheiten. In erster Instanz wird jede einzelne Sequenz gedeutet. Danach werden sie erneut in einem

91

Vgl. Robert Gugutzer (2010), S. 125. 92

Über den Spielfilm als „Literatur“ Werner Faulstich (2002), S. 16-17: „Wie alle literarischen Produkte in alle Medien transportieren auch Spielfilme ihre Informationen nicht möglichst eindeutig, sondern umgekehrt gerade mehrdeutig, vielschichtig, mehrdimensional, polyvalent, und daß heißt: interpretierbar.“

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gegenseitigen Bezug aufeinander interpretiert. Die folgenden fünf Sinnaspekte sollen hierbei aufgedeckt werden:

1. Kontext: Wie kann der reale politisch-ökonomisch-kulturelle Kontext, in dem der Film aufgenommen wurde, beschrieben werden? Welchen historischen, kulturellen oder gesellschaftlichen Kontext hat die Geschichte des Films? Welches Verhältnis besteht zwischen realem und fiktionalem Kontext des Films?

2. Struktur (Form): Welche (bipolaren) Konfliktmuster erstrecken sich im Film? Welche Wert- und Entscheidungskonflikte werden durch den Film thematisiert? Wer ist Träger des Konflikts: ein Individuum oder mehrere zentrale Filmfiguren?

3. Handlung (Inhalt): Wie verläuft die Handlung im Film? Wie viele Wendepunkte bestehen und welchen Inhalt haben sie? Werden Brüche oder Widersprüche in Handlungen der Hauptprotagonisten sichtbar? Welche Ereignisse erfolgen auf der expliziten und der impliziten Handlungsebene?

4. Ästhetik (Musik, Bilder): Welche Musik wird abgespielt? Wie können die Liedtexte interpretiert werden? Wie ist der Stil von Kleidung und Wohnungseinrichtung der Protagonisten zu charakterisieren? Auf welche Art und Weise werden Städte, Stadtteile, Landschaften, Orte und Räume veranschaulicht?

5. Botschaft (Bedeutung): Plädiert der Film für gewisse Werte, Weltbilder, Ideologien, Ideale, Verhaltensmuster? Wie stellt der Film gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse dar: schönend, realistisch oder kritisch? Inwiefern schlägt der Film alternative Handlung oder Lösungen für wirklich existierende soziale Probleme vor?

Im Analyseteil (fünftes Kapitel) wird die Paradies-Trilogie von Ulrich Seidl mit der dargestellten Methode analysiert, wobei auch Körper und Körperbilder zum Gegenstand werden. Wie Faulstich für eine soziologische Filmanalyse vorschlägt, werden drei Filme zum Gegenstand, welche zur selben Zeit veröffentlicht wurden und ungefähr gleichwertigen Erfolg hatten.93

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Referenties

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