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Der Hitler-Mythos. Zum 'Führer' in der populären Kultur

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Universiteit van Amsterdam

Masterarbeit Literature and Culture: German 2015 Begleiterin: E. Huwiler

Zweitleserin: C. Dauven – van Knippenberg Abgabe: 15.6.2015

Prüfung: 23.6.2015

Der Hitler-Mythos

Zum ‚Führer‘ in der populären Kultur

Coene Wouters 6288537

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung 3

1. Halbwachs und Baudrillard - zur Methodik und Terminologie 8

1.1 Das kollektive Gedächtnis 8

1.2 Simulakren und Simulation 9

2. Der Hitler-Diskurs 11

2.1 Einleitung 11

2.2 Grundlagen des kollektiven Hitler-Bildes 12

2.3 Die ‚historische‘ Hitler-Figur 14

2.4 Die fiktionale Hitler-Figur 15

2.4.1 Der ‚subversive‘ Hitler 16

2.4.2 Der ‚ernsthafte‘ Hitler 19

2.5 Hitler-Simulakren 21

2.6 Fazit 24

3. Der Untergang – eine Analyse 25

3.1 Beschreibung 25

3.2 Analyse 28

3.2.1 Charakterisierung der Hitler-Figur 28

3.2.2 Die Hitler-Figur im Untergang als Simulakrum 30

3.3 Fazit 34

4. ADOLF. Ich hock‘ in meinem Bonker – eine Analyse 35

4.1 Beschreibung 35

4.2 Analyse 37

4.2.1 Charakterisierung der Hitler-Figur 37

4.2.2 ‚Adolf, die Nazi-Sau‘ als Simulakrum 39

4.3 Fazit 41

5. Er ist wieder da – eine Analyse 42

(3)

5.2 Analyse 44

5.2.1 Charakterisierung der Hitler-Figur 44

5.2.2 Vermes’ Hitler als Simulakrum 47

5.3 Fazit 50

6. Die populäre Hitler-Figur – Parallelen 52

6.1 Tendenzen bezüglich der analysierten Hitler-Darstellungen 52

6.1.1 Der ‚Hitler‘-Hitler 52

6.1.2 Der nationalsozialistische Hitler 52

6.1.3 Der militaristische Hitler 52

6.1.4 Der narzisstische Hitler 53

6.1.5 Der realitätsentfremdete Hitler 53

6.1.6 Der nostalgische Hitler 54

6.1.7 Der sympathische Hitler 54

6.2 Die populäre Hitler-Figur - Evaluation 54

Konklusion 56 Literatur 59 Fernsehen 62 Filmographie 63 Sonstige Quellen 63 Bilderverzeichnis 64

(4)

Einleitung1

Noch vor sechzig Jahren hätte ich nicht den geringsten Wert darauf gelegt, unter al jenen unattraktiven und unverständlichen Kopfgeburten einer vorgeblichen ‚Kultur‘ beschwätzt zu werden. Doch

zwischenzeitlich war eine Bewegung entstanden, nach der neuerdings so gut wie alles als Kultur gelten kann oder auch zu einer solchen erhoben wird.2

Der Protagonist von Timur Vermes‘ 2012 erschienenem satirischem Roman Er ist wieder da kann es kaum fassen: Mehr als sechzig Jahre nach seinem angeblichen Tod ist er Kultur. Dass so etwas gerade ihn noch erwischen würde…

Indem er für manche als der „größte Verbrecher aller Zeiten“3 gilt, ist er offensichtlich

nicht der einzige, der auf diese Tatsache im Grunde „nicht den geringsten Wert“ legt. Zur Illustration: Er habe bei vielen einen dermaßen schlechten Ruf, dass er Filmwissenschaftler Klaus Kreimeier zufolge „[…] die einzige Figur in der deutschen Geschichte [sei], deren künstlerische Nachbildung als anrüchig, ‚geschmacklos‘, ‚unmöglich‘ empfunden wird“.4

Dass es in Bezug auf ihn jedoch nichtdestotrotz zugleich so etwas wie eine ‚kollektive Faszination‘ geben soll, war auch Thomas Mann schon klar: „Der Bursche ist eine

Katastrophe; das ist kein Grund, ihn als Charakter und Schicksal nicht interessant zu finden“.5

Eine mögliche Erklärung für die Faszination für den ‚Burschen‘ lässt sich einer seiner vielen Autobiographien entnehmen:

Die bekannte Geschichte verzeichnet keine Erscheinung wie ihn; soll man ihn „groß“ nennen? Niemand hat soviel [sic] Jubel, Hysterie und Heilserwartung erweckt wie er; niemand soviel Haß. Kein anderer hat, in einem nur wenige Jahre dauernden Alleingang, dem Zeitlauf so unglaubliche Beschleunigungen gegeben und den Weltzustand verändert wie er; keiner hat eine solche Spur von Trümmern

hinterlassen.6

Fast keiner ruft derartig gemischte Gefühle hervor wie der Mann, der in Er ist wieder da als Hauptfigur aufgeführt wird. Sein Name: selbstverständlich Adolf Hitler.

Während der ehemalige ‚Führer‘ des Dritten Reichs (1889-1945) selbst seit seinem Selbstmord vom Erdboden verschwunden ist, gilt er in der populären Kultur heutzutage als

1 Teile dieser Einleitung sind der Arbeit Diktator am Schirm. Zur Wahrnehmung der Fiktionalität bei Hitler entnommen. Vgl. Coene Wouters: Diktator am Schirm. Zur Wahrnehmung der Fiktionalität bei Hitler. Bachelorarbeit. Begleiter: Elke Huwiler. Universiteit van Amsterdam 2014. S. 3-4.

2 Timur Vermes: Er ist wieder da. Köln: Eichborn 2012. S. 293-294. Wird im laufenden Text weiter in Klammern mit dem Sigel ‚EIWD‘ angegeben.

3 Margarete Wilhelm: Der größte Verbrecher aller Zeiten? Zu Hitlers Finanzierung. Mohrkirch: Kritik Verlag 1976.

4 Klaus Kreimeier: ‚Trennungen. G. W. Pabst und seine Filme‘. In: Wolfgang Jacobsen (Hg.): G. W. Pabst. Berlin: Argon 1997. S. 117-122. S. 177.

5 Thomas Mann: Politische Schriften und Reden. Band 3. Frankfurt am Main: Fischer 1968. S. 54. 6 Joachim Fest: Hitler. Eine Biographie. Erster Band (‚Der Aufstieg‘). Berlin: Propyläen 1978. S. 17.

(5)

eine fast unverzichtbare Figur. Es gebe seit einigen Jahren einen richtigen

„Hitler-Boom[…]“7, so Filmwissenschaftlerin Sonja M. Schultz, überdies nach Journalistin Cornelia

Fiedler sogar eine Epidemie der „Hitleritis“8. „Irgendwann wird es einen kleinen Hitler als

Figur bei McDonalds, oder im Überraschungsei, oder im Souvenirshop geben“, so Rechtsanwalt Ferdinand von Schirach, Enkel des Enkel des ehemaligen NS-Reichsjugendführers Baldur von Schirach (1907-1974).9

Wie populär die Figur Adolf Hitler tatsächlich ist, zeigt sich unter anderem im Internet. Das online Videoportal YouTube alleine offeriert unter dem Schlagwort ‚Hitler‘ zum Beispiel schon mehr als 3 Millionen Einträge10,

während ehemalige ‚Kollegen‘ wie Stalin und Mussolini mit 641 00011

beziehungsweise 158 00012 Einträgen von einer derartigen

Online-Präsenz (bisher) weit entfernt bleiben. Wer sich im Internet noch weiter nach dem ‚Führer‘ umschaut, kann weiterhin unter anderem auf die Website Catsthatlooklikehitler.com treffen – eine Sammlung voller Fotos von Katzen, die dank eines grillenhaften Spiels des Schicksals bemerkenswerte physische Ähnlichkeiten mit dem früheren Diktator vorweisen (siehe Abbildung 1).13

Als sehr populäre Hitler-bezogene Produktion im Internet kann Felix Gönnerts 2006 erschienener Kurzfilm ADOLF. Ich hock‘ in meinem Bonker bezeichnet werden. Während um seinen Bunker herum Bomben geworfen werden, singt im Video ein animierter Hitler namens ‚Adolf, die Nazi-Sau‘ wie viel er von Kapitulation hält („nix“). Der knapp drei Minuten dauernder Clip, der ins Französische und ins Englische übersetzt wurde, ist in den online Videoportalen YouTube und MyVideo seit seinem Erscheinen insgesamt mehr als 6 Millionen Mal aufgerufen worden14, und wurde außerdem ins Programm des Musiksenders

7 Sonja M. Schultz: ‚Hitler 2.0. Der Diktator im Internet‘. In: Rainer Rother und Karin Herbst-Meßlinger (Hg.): Hitler darstellen. Zur Entwicklung und Bedeutung einer filmischen Figur. München: Richard Boorberg Verlag, 2008. S. 86-100. S. 89.

8 Cornelia Fiedler: ‚Ha, ha, Hitler‘. In: Süddeutsche.de. 9.1.2013. URL:

http://www.sueddeutsche.de/kultur/bestseller-roman-er-ist-wieder-da-ha-ha-hitler-1.1568685 (letzter Zugriff: 10.6.2015).

9 Jens Anker: ‚„Irgendwann gibt es Hitler im Überrasschungsei“‘. Interview mit Baldur von Schirach. In: Welt Online. 27.7.2008. URL:

http://www.welt.de/kultur/article2253401/Irgendwann-gibt-es-Hitler-im-Ueberraschungsei.html (letzter Zugriff: 10.6.2015).

10 YouTube.com. URL: http://www.youtube.com/results?search_query=hitler&sm=3 (letzter Zugriff: 10.6.2015).

11 Ebd. URL: http://www.youtube.com/results?search_query=stalin (letzter Zugriff: 10.6.2015).

12 Ebd. URL: http://www.youtube.com/results?search_query=mussolini&sm=3 (letzter Zugriff: 10.6.2015). 13 Die bezüglichen Katzen bezeichne man nach Angaben dieser Website als ‚Kitlers‘. Vgl.

Catshatlooklikehitler.com. URL: http://catsthatlooklikehitler.com/cgi-bin/seigmiaow.pl (letzter Zugriff: 10.6.2015).

14 Vgl. MyVideo.de. URL: http://www.myvideo.de/search?q=ich+hock+in+meinem+bonker (letzter Zugriff: 10.6.2015); YouTube.com. URL: https://www.youtube.com/results?

search_query=ich+hock+in+meinem+bonker+original+video (letzter Zugriff: 10.6.2015).

Abb.1: Den ‚Führer‘ trifft man überall.

(6)

MTV Deutschland aufgenommen. Das Lied aus dem Video (komponiert und gesungen von Thomas Pigor) erschien Anfang September 2006 als Single, und gelangte sogar in die deutschen und österreichischen Charts.15

Nicht nur im Internet, sondern auch im Fernsehen und im Kino bildet die Hitler-Figur seit Jahren eine feste Größe: Dokumentarfilme über den Zweiten Weltkrieg zeigen immer wieder die mittlerweile kanonischen Archivbilder des ‚authentischen‘ Hitlers16, der Diktator

taucht in etlichen Sketchshows auf, und der ‚Führer‘ ist in den amerikanischen

Animationsserien Family Guy und The Simpsons sogar regelmäßig als Zeichentrickfigur zu sehen. Die Zahl der filmischen Hitler-Darstellungen belief sich nach Angaben des

amerikanischen Filmexperten Charles P. Mitchell im Jahre 2000 schon auf mehr als 100.17

Seither erschienene Filme wie Daniel Levys Mein Führer – die wirklichste Wahrheit über

Adolf Hitler (2007), Bryan Singers Valkyrie (2008) und Quentin Tarantinos Inglorious Basterds (2009) können zu dieser an sich schon beeindruckendem Zahl sogar noch

hinzugefügt werden.

Ein Film, der ebenfalls unbestreitbar in eine aktuelle Version von Mitchells Filmographie aufgenommen werden sollte, ist die nach Zahlen bisher populärste deutsche filmische Hitler-Darstellung aller Zeiten: Oliver Hirschbiegels Spielfilm Der Untergang (2004). Der Film, in dem die letzten Tage des Dritten Reichs thematisiert werden, wurde von September 2004 bis Februar 2005 in den deutschen Kinos von 4,5 Millionen Zuschauern gesehen - eine Zahl, die in Deutschland vorher noch nie durch einen Film um die Figur Adolf Hitler erreicht wurde.18

Obwohl nach Zahlen populär, war und ist Der Untergang offensichtlich nicht bei jedem in gleichem Maße beliebt: Cineast Wim Wenders bezeichnete den Film kritisch als zu empfindlich, und deswegen als „Verharmlosung“ der historischen Figur Adolf Hitler.19 Der

am Anfang dieser Einleitung erwähnte Roman Er ist wieder da, der bis auf Platz 1 der

15 Vgl. ‚Adolf, die Nazi-Sau – Ich hock‘ in meinem Bonker‘. In: Chartsurfer.de. URL:

http://www.chartsurfer.de/artist/walter-moers-thomas-pigor/adolf-die-nazisau-ich-hock-in-meinem-bonker-song_fuehg.html (letzter Zugriff: 10.6.2015).

16 Zu denken is die hierbei zum Beispiel an Bilder wie die von Hitler in Nürnberg, Hitler auf der Champs-Elysées, oder Hitler in seinem Feriendomizil auf dem Obersalzberg. Vgl. Martin Loiperdinger, Rudolf Herz, Ulrich Pohlmann (Hg.): Führerbilder. Hitler, Mussolini, Roosevelt, Stalin in Fotographie und Film. München: Piper 1995.

17 Vgl. Charles P. Mitchell: The Hitler Filmography. Jefferson (North Carolina): McFarland & Company 2002. S. 1-2.

18 Vgl. Wilhelm Hofmann und Anna Baumert: ‚Hitler als Figur der psychologischen Medienforschung‘. In: Rainer Rother und Karin Herbst-Meßlinger (Hg.): Hitler darstellen. Zur Entwicklung und Bedeutung einer filmischen Figur. München: Richard Boorberg Verlag, 2008. S. 133-144. S. 134.

19 Wim Wenders: ‚Tja, dann wollen wir mal‘. In: Zeit.de. 21.10.2004. URL: http://www.zeit.de/2004/44/Untergang_n (letzter Zugriff: 10.6.2015).

(7)

Bestsellerliste der Zeitschrift Spiegel gelangte20, geriet bei seinem Erscheinen Ende 2012 in

ähnliche Kritik. Die Deutschen, so Rudolf Dreßler, deutscher Botschafter in Israel, in einer Sendung der ARD-Talkshow Hart aber fair, haben hinsichtlich des Zweiten Weltkriegs eine Verantwortung der Welt gegenüber: Die Figur Adolf Hitler sollte immer ernst genommen,

unter keiner Bedingung ‚entlarvt‘ werden.21 Das

Darstellen Adolf Hitlers ist offenbar immer wieder Stoff zur Diskussion. Die Frage stellt sich im Hintergrund jedoch, was die (Verwendung der) Hitler-Figur in der populären Kultur

tatsächlich kennzeichnet: Wie lassen sich die populärsten Hitler-Darstellungen genau

charakterisieren? In anderen Worten: Wie und warum wird der „größte Verbrecher aller Zeiten“ in diesen Fällen eigentlich dargestellt? Diese Studie versucht diese Frage zu

beantworten in Bezug auf drei der populärsten deutschen Hitler-bezogenen Kunstwerke der letzten Jahre: Hirschbiegels Untergang, Gönnerts Ich hock‘ in meinem Bonker und Vermes‘

Er ist wieder da. Wie wird die Hitler-Figur in diesen Werken dargestellt? Zu welchen Zielen

und mit welchen Mitteln wird sie aufgeführt? Auf welche Hitler-Bilder beziehen sich diese Darstellungen? Und woher stammen diese Bilder? Die Methodik zur Ausführung dieser Analyse liefern zwei französische Sozialphilosophen, die sich in ihren Werken beide weitgehend mit gerade dem Zustandekommen von Bilderdiskursen beschäftigen: Jean Baudrillard (1929-2007) und Maurice Halbwachs (1877-1945). Baudrillard bezeichnet in seinem Werk Simulacres et simulation (1981) Kunstwerke als ‚Simulakren‘, also

Repräsentationen eines bestimmten Objekts. Manche Simulakren sind Repräsentationen anderer Simulakren, und haben deshalb streng genommen keine Bindung zur faktischen Welt.22 In Bezug auf die Analyse ist relevant, auf welche Objekte die besprochenen

Hitler-Darstellungen tatsächlich Bezug nehmen: Beziehen sich die analysierten Hitler-Bilder (nur) auf eine historische Figur, oder (auch) aufeinander?

Ein ähnlich hilfreicher Ansatz zur Analyse der Hitler-Bilder ist bei Maurice Halbwachs zu finden. In seinem postmortal publizierten Werk La mémoire collective (1950) vertritt Halbwachs die Ansicht, dass es bestimmte Ideen und Assoziationen gibt, die nicht nur als individuelles Wissen, sondern auch als die

Gedächtnisleistung einer Gruppe von Menschen zu bezeichnen sind. Dieses ‚kollektive

20 Vgl. ‚Belletristik‘. In: Spiegel Online. 17.12.2012. URL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-90157613.html (letzter Zugriff: 10.6.2015).

21 Vgl. Hart aber fair: ‚Hitler als Witzfigur – worüber darf Deutschland lachen?‘. Talkshow im ARD. 25.02.2013.

22 Vgl. Jean Baudrillard: Simulacra and simulation [Simulacres et simulation, 1981]. Aus dem Französischen ins Englische übersetzt von Sheila Faria Glaser. Ann Arbor: University of Michigan Press, 1994. P. 3-7. Wird im laufenden Text weiter in Klammern mit dem Sigel ‚SaS‘ angegeben.

(8)

Gedächtnis‘ ist ein soziales Konstrukt: Es nimmt keinen Bezug auf (historische) Fakte, sondern vielmehr auf geteilte, aus bestimmten sozialen und kulturellen Verhältnissen hervorgehende Weltansichten.23 Da zu behaupten ist, dass es auch im Fall-Hitler gewisse

‚kollektive‘ Bilder und Gedanken gibt, kann unter anderem die Frage sein, auf welche dieser gemeinsamen Ideen sich die drei zu besprechenden Kunstwerke beziehen.

Eine ausführlichere Erklärung zur Methodik und Terminologie der Analyse findet sich in Kapitel 1. In Kapitel 2 ist eine

Auseinandersetzung mit dem breiteren (Bilder-)Diskurs um die Figur Adolf Hitler zu finden, in der die Fragen beantwortet werden, wie man sich diese Figur üblicherweise vorstellt, und wonach sich die kollektiven Hitler-Bilder formen. In den Kapiteln 3, 4 und 5 finden sich Analysen zu dem Untergang, Ich hock‘ in meinem Bonker beziehungsweise Er ist wieder da, wobei jeweils die Frage ist, wie die besprochene Hitler-Darstellung im betreffenden

Kunstwerk zu charakterisieren ist. In Kapitel 6 findet sich schließlich eine

Auseinandersetzung mit den interessantesten Parallelen zwischen den drei besprochenen Kunstwerken: Welche Gemeinsamkeiten kennzeichnen diese rezenten Hitler-Darstellungen?

1. Halbwachs und Baudrillard - zur Methodik und Terminologie

23Vgl. Maurice Halbwachs: Das kollektive Gedächtnis [La mémoire collective, 1950]. Aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt von Holde Lhoest-Offermann. Stuttgart: Ferdinand Enke, 1967. P. 66-71. Wird im laufenden Text weiter in Klammern mit dem Sigel ‚DKG‘ angegeben.

(9)

In diesem Kapitel findet sich eine Erklärung zu der für diese Untersuchung angewendeten Analysemethodik, und den dafür relevanten Begriffen. Die Methodik basiert auf Maurice Halbwachs‘ La Mémoire Collective und Jean Baudrillards Simulacres et Simulation und wird, wenn nötig, unter Erwähnung der jeweiligen Titel anhand weiterer Werke ergänzt oder erklärt.

1.1 Das kollektive Gedächtnis

In seinem postum veröffentlichten Werk La Mémoire Collective (1950) vertritt der

französische Soziologe Maurice Halbwachs (1877-1945) die Ansicht, dass bestimmte Ideen und Assoziationen nicht nur als individuelles Wissen, sondern auch als die Gedächtnisleistung einer Gruppe von Menschen zu bezeichnen sind: Neben der individuellen Erinnerung, so Halbwachs, gibt es ein kollektives Gedächtnis. Dieses kollektive Gedächtnis unterscheidet sich von der individuellen Erinnerung, indem es nicht aus individueller Perzeption, sondern vielmehr aus sozialer Zugehörigkeit hervorgeht:

Es kommt recht häufig vor, dass wir uns selbst Vorstellungen und Überlegungen oder Gefühle und Leidenschaften zuschreiben […], die uns von unserer Gruppe eingegeben worden sind. Dann sind wir so gut auf unsere Mitmenschen abgestimmt, dass wir mit ihnen „im Gleichtakt schwingen“ und nicht mehr wissen, wo der Ausgangspunkt der Schwingungen liegt, ob in uns oder in den anderen. Wie oft bringt man dann nicht mit einer ganz persönlich scheinenden Überzeugung Überlegungen zum Ausdruck, die man einer Zeitung, einem Buch oder einer Unterhaltung übernommen hat? (DKG, S. 26-27).

Das kollektive Gedächtnis ist der Rahmen des gemeinsamen Wissens einer bestimmten Gruppe, und enthält demnach Erinnerungsbildern, die nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Individuums existieren (DKG, S. 1-12). Obwohl diese Erinnerungsbilder durch Institutionalisierung zu geschichtlichen Fakten werden können (DKG, S. 66-71), nehmen sie nicht notwendigerweise Bezug auf dasjenige, was als ‚historisch korrekt‘ bezeichnet wird: „[D]as kollektive Gedächtnis ist nicht mit der Geschichte zu verwechseln“, so Halbwachs (DKG, S. 66). Vielmehr ist das kollektive Wissen als soziales Konstrukt zu charakterisieren: Die gemeinsame Erinnerungsbilder entsprechen der kulturellen Identität einer bestimmten Gruppe, und können an neue Mitglieder dieser Gruppe weitergereicht werden.

Die Trennungslinie zwischen kollektiven und individuellen Erinnerungsbilder ist Halbwachs zufolge prinzipiell unklar. Alle individuellen Erinnerungen können zu kollektiven Erinnerungen werden und vice versa:

[U]nsere Erinnerungen [sind] kollektiv und werden uns von anderen Menschen ins Gedächtnis zurückgerufen – selbst dann wenn es sich um Ereignisse handelt, die allein wir durchlebt und um

(10)

Gegenstände, die alle allein wir gesehen haben. Das bedeutet, dass wir in Wirklichkeit niemals allein sind. Es ist nicht notwendig, dass andere Menschen anwesend sind, die sich materiell von uns unterscheiden: denn wir tragen stets eine Anzahl unverwechselbarer Personen mit und in uns. (DKG, S. 2).

1.2. Simulakren und Simulation

In seinem Schlüsselwerk Simulacres et Simulation (1981) reflektiert der französische Sozialphilosoph Jean Baudrillard (1929-2007) auf die Beziehung zwischen Bildern,

Gesellschaft und Realität. Es gibt nach Baudrillard vier Arten oder Ordnungen24 eines Bildes:

it is the reflection of a profound reality; it masks and denatures a profound reality; it masks the absence of a profound reality; it has no relation to any reality whatsoever: it is its own pure simulacrum.

(SaS, S. 6).

Nur ein Bild der ersten Ordnung ist das, was man in strengem Sinne als die ‚naturgemäße‘ Wiedergabe von einem Aspekt der Wirklichkeit charakterisieren könnte – Bilder der drei weiteren Ordnung bieten keine Repräsentationen eines ‚echten‘ Objektes, sondern bearbeitete Versionen dieses Objektes (die zweite Ordnung), beziehungsweise konstruierte Wahrheiten, die sich für bestimmte ‚echte‘ Objekte ausgeben (die dritte Ordnung), sowie Vorstellungen, die überhaupt in keinerlei Beziehung zur Wirklichkeit stehen (die vierte Ordnung). Die Bilder der letzten drei Kategorien bezeichnet Baudrillard als Simulakren [simulacres], die

Wiedergabe eines nicht existenten Objektes als Simulation [simulation] (SaS, S. 6-7).25

In der (post)modernen Gesellschaft sind Simulakren wegen der Allgegenwärtigkeit der Medien nicht nur omnipräsent, sondern Baudrillard zufolge auch unmöglich von dem zu unterscheiden, was man als ‚Realität‘ bezeichnen würde: Simulakren spiegeln andere Simulakren. Es gibt folglich eine Genese der Simulakren [précession des simulacres]: Weil die Wirklichkeit und Simulationen der Wirklichkeit nicht differenzierbar sind, hat sich die Perzeption der Realität völlig nach Simulationen geformt. Die Landschaft definiert so nicht die Landkarte, sondern umgekehrt: Die Welt an sich wird durch simulierte Wirklichkeiten erfahren. Die Qualifikationen ‚echt‘ und ‚unecht‘ sind inhaltlos – Simulationen sind überall (SaS, S. 1-3).26

24 Die deutsche Fassungen der Baudrillard’schen Begrifflichkeiten sind der deutschen Übersetzung seines Werkes L’échange symbolique et la mort entnommen. Vgl. Jean Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod [L’échange symbolique et la mort, 1976]. Aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt von Gerd Bergfleth, Gabriel Ricke und Ronald Voullié. München: Matthes & Seitz 1982. S. 90.

25 Die Begriffe ‘Simulakrum’ und ‘Simulation’ werden von Baudrillard manchmal auswechselbar gebraucht. Vgl. u.a. SaS, S. 12-14.

26 Das Konzept des Realen fungiert Baudrillard zufolge nicht selten als ‚Alibi‘ um gewisse Machtstrukturen zu schützen. Vgl. unter anderem SaS, S. 14-19.

(11)

Wenn eine Simulation zur ‚neuen‘ Wahrheit wird, ist die Rede von einer Hyperrealität [hyperréalité]. Eine Repräsentation ohne Referenten wird in diesem Szenario als ‚echt‘ erfahren. Ein Beispiel einer solchen Hyperrealität ist die Ökonomie. Die Ökonomie ist ein im Grunde ‚leeres‘ Symbol: Sie ist ein Modell, in dem auf Objekte wie aus Papier hergestellte Banknoten ein bestimmter ‚Wert‘ projiziert wird, über den sie streng genommen nicht

verfügen. Trotz seiner Fiktionalität bildet dieses System jedoch unbestreitbar einen wichtigen Teil des gesellschaftlichen Lebens: Eine Simulation wird zur Realität.

Auch beispielhaft in Bezug auf Hyperrealität ist Disneyland. Im Fall dieses

Vergnügungsparks ist es aber nicht die Simulation an sich, die als Wirklichkeit verstanden wird, sondern ihre Implikation, dass die Welt außer Disneyland die ‚echte‘ ist. Simulationen beschränken sich laut Baudrillard nicht exklusiv auf Vergnügungsparks, sondern bestimmen überall im gesellschaftlichen Leben, wie man die Welt wahrnimmt und versteht. Disneyland ist demnach nicht nur als Simulakrum der zweiten (man könnte meinen, dass der Park eine Verarbeitung der amerikanischen Lebensweise bietet) und vierten (der Park zeigt Märchen), sondern vor allem als Simulakrum der dritten Ordnung zu bezeichnen: Disneyland prätendiert fiktional zu sein, was es aber nicht ist – nicht mehr, auf jeden Fall, als der Rest der Welt (SaS, S. 12-14).

2. Der Hitler-Diskurs27

27 Teile dieses Kapitels sind der Arbeit Diktator am Schirm. Zur Wahrnehmung der Fiktionalität bei Hitler entnommen. Vgl. Wouters 2014. S. 7-9, 21-24.

(12)

Dieses Kapitel untersucht die Wirkung des Hitler-Diskurses. Wie stellt man (sich) Hitler üblicherweise vor? Wie erkennt man den Diktator? Welche Wesenszüge bringt man mit ihm in Verbindung? Und wonach formt sich das kollektive Hitler-Bild?

2.1 Einleitung

In strengem Sinne ist ein Konzept wie ‚Identität‘ immer als ‚diskursiv‘ zu bezeichnen: Ein Objekt als etwas zu erkennen hat ja nicht nur mit dem Objekt an sich, sondern vielmehr mit der Beziehung zwischen Wahrnehmer und Objekt zu tun – einer Beziehung, in der sozial bestimmte Konventionen entscheidend sind. Anders formuliert: Es geht in der Wahrnehmung einer Figur nicht um die Merkmale, die diese Figur definieren, sondern um die Merkmale, von denen man es aus diskursiven Gründen gewohnt ist, dass sie die betreffende Figur definieren. Identität, so ist zu behaupten, ist ein Konstrukt.28

Vor allem beim Erkennen von einer Figur wie Adolf Hitler spielt dieses Prinzip eine große Rolle. Fast jeder, der den Namen des Diktators hört, ‚weiß‘, wer gemeint wird. Es kann daher durchaus behauptet werden, dass die Hitler-Figur dasjenige repräsentiert, was vom im vorigen Kapitel aufgeführten Soziologen Maurice Halbwachs als kollektives Erinnerungsbild bezeichnet wird: Man hört den Namen Hitler oder sieht ein bestimmtes Bild, und bezieht diese Wahrnehmungen auf die eigenen Vorstellungen der historischen Figur Adolf Hitler – Vorstellungen, die bei vielen durchaus ähnlich aussehen.

Da man also - nicht unberechtigt - meinen könnte, dass das Erkennen der Hitler-Figur aus einem Diskurs hervorgeht, macht es hier Sinn, diesen Diskurs der Hitler-Bilder näher zu betrachten. Wie erkennt man, nach dem vorherrschenden Diskurs, Adolf Hitler? Wie sehen die kollektiven Hitler-Bilder aus, worauf sich auch die in den Kapiteln 3, 4 und 5 zu

besprechenden Kunstwerke beziehen?

In dieser Analyse den ganzen Hitler-Diskurs durchzuleuchten, wäre alleine schon wegen der fast unendlichen Zahl der verfügbaren Hitler-Bilder ein wenig zu ambitiös: Mit schon mehr als 3,2 Millionen Einträgen im online Video-Portal YouTube alleine, sind die als ‚Hitler-Bild‘ zu bezeichnenden Bilder fast allgegenwärtig. Ein zu mehr oder weniger

generellen Erkenntnissen führender Durchblick bietet sich aufgrund eines Durchschnitts dieser Bilder jedoch schon.

Von den Grundlagen dieses kollektiven Hitler-Bildes handelt es in 2.2: Welche Merkmale braucht man, damit man etwas als Verweis auf Hitler erkennt? In 2.3 geht es um das kollektive Bild des ‚authentischen‘ Hitlers, und wird die Frage beantwortet, welche 28 Vgl. Baudrillard 1982. S. 90.

(13)

Wesenszüge dem Diskurs zufolge generell als Eigenheiten der historischen Figur Adolf Hitler anzudeuten sind. Um die Fragen, was im Allgemeinen die fiktionalen Darstellungen der Hitler-Figur kennzeichnet, und wie sich diese Adaptionen zu den kollektiven Bildern des ‚historischen‘ Hitlers verhalten, handeln sich schließlich 2.4 und 2.5. Was charakterisiert den Hitler-Diskurs?

2.2 Grundlagen des kollektiven Hitler-Bildes

Die Frage „Wie erkennt man Adolf Hitler?“, so ergibt sich ziemlich schnell, lässt sich erstens und vor allem anhand eines einzigen körperlichen Merkmals beantworten: eines Schnurrbarts. Es wäre nicht unberechtigt, den kleinen, schwarzen Schnurrbart als bedeutendstes Hitler-Attribut zu bezeichnen: Wo Hitler ist, ist der Schnurrbart, und - so ist zudem erkennbar - wo der Schnurrbart ist, ist Hitler. Der schwarze Schnurbart und, in geringerem Mäße, die schwarze Seitenscheitel bilden einen roten Faden durch die Mehrheit der als Hitler-Bild

bezeichneten Bildnisse. Beispielhaft für die

Wirkung des Hitler-Schnurrbarts sind die Abbildungen 3, 4, 5, 6 und 7. Die wiedergegebenen Bilder zeigen zwar keinen ‚authentischen‘

Hitler, haben aber schon bewiesen, im kollektiven Gedächtnis das Bild des Diktators hervorrufen zu können. Abbildung 2, zum Beispiel, zeigt ein Foto, das von der Internetseite Catsthatlooklikehitler.com stammt –

einer Site voller Fotos von Katzen, die in physischer Hinsicht,

zumindest nach der Meinung der Website-Besucher, irgendwie Adolf Hitler ähneln.29 In Abbildung 3 ist der Umschlag des in Kapitel 4 näher zu

betrachtenden Bestsellers Er ist wieder da (2012) zu sehen. Auch hier wird durch die Wiedergabe eines (in diesem Fall aus Buchstaben

zusammengestellten) Schnurrbarts in Kombination mit einer schwarzen Seitenscheitel eine Hitler-Assoziation hervorgerufen. Abbildung 4

zeigt eine Teekanne, die im Jahre 2013 von der amerikanischen Firma J.C. Penney ins Sortiment aufgenommen wurde. Wegen ihrer angeblichen Ähnlichkeiten mit Adolf Hitler entwickelte sich diese Kanne bald zu einem Kultobjekt, und wurde gleich darauf aus dem Handel genommen.30 Die Teekanne verfügt auf dem Foto nicht nur über Schnurrbart und

Seitenscheitel, sondern scheint mit ihrer Tülle sogar einen Hitlergruß abzubilden. In 29 Vgl. Catsthatlooklikehitler.com.

30 Vgl. ‚Das Ende der Hitler-Teekanne‘. N24.de. 30.5.2013. URL:

http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Panorama/d/2922574/das-ende-der-hitler-teekanne.html (letzter Zugriff: 10.6.2015).

Abb. 2: Hitler-Katze.

Abb. 3: Hitler-Umschlag.

(14)

Abbildung 5 ergibt sich, dass auch schon relativ bekannte Figuren wie der russische Präsident Vladimir Putin durch Hinzufügung einer gewissen Frisur zu einer erkennbaren Hitler-Figur gemacht werden können.31 Ähnliches passiert in Abbildung 6, in diesem Fall

jedoch auf eigene Initiative der ‚hitlerisierten‘ Person. Pegida-Parteivorsitzender Lutz Bachmann posiert auf diesem Anfang 2015 im sozialen Netzwerk Facebook aufgefundenen Foto mit ‚klassischer‘ Hitler-Frisur. Der Verweis auf Hitler sei hier – nach Angaben des

Protagonisten – als „Scherz“ gemeint: „Ich hatte das Foto zur Veröffentlichung des Satire-Hörbuchs von Er ist wieder da beim Friseur geknipst und [Hörbuchsprecher, CW] Christoph Maria Herbst auf die Pinwand gepostet“, wurde

der Politiker zitiert.32 Die ungewollte

Veröffentlichung des ‚scherzhaften‘ Fotos stellte Bachmann jedoch ins Zentrum der öffentlichen Kritik, wobei auch die rechte Signatur seiner Partei eine Rolle zu spielen schien: „Wer sich in der Politik wie Hitler

maskiert, ist entweder ein ziemlicher Idiot

oder ein Nazi“, so SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel.33 Bachmann

trat (zwar zeitlich) als Pegida-Vorsitzender zurück – ein Zeichen dafür, was eine einfache Frisur bedeuten kann.

Nicht nur rein visuelle Aspekte können zu den Grundlagen einer auf Hitler verweisenden Figur gezählt werden, sondern auch bestimmte auditive

Elemente. Hierbei ist vor allem zu denken an diejenige Sprechweise, die im kollektiven Gedächtnis als Sprachduktus des ‚Führers‘ gilt. Wer den Diktator verbal zu imitieren

versucht, bedient sich durchaus eines Sprachduktus, der von einer charakteristischen, generell Hitler zugeschriebenen Betonung der Worten geprägt wird. Als beispielhaft für diese

spezifische Interpretation des Hitler’schen Sprechens können unter anderem Hitler-Imitationen etlicher Kabarettisten34 bezeichnet werden, wie auch ein bis vor kurzem im

Internet verfügbares Sprachprogramm namens Hitlerizer, das einen beliebigen Text unter

31 Vgl. Jan Hunin: ‚“Vladimir Poetin is de nieuwe Adolf Hitler“‘. In: Volkskrant.nl. 14.3.2014. URL:

http://www.volkskrant.nl/vk/nl/30323/Onrust-in-Oekraine/article/detail/3607100/2014/03/04/Vladimir-Poetin-is-de-nieuwe-Adolf-Hitler.dhtml (letzter Zugriff: 10.6.2015).

32 ‚Pegida-Gründer spielt Hitler‘. In: FAZ.net. 21.1.2015. URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/lutz-bachmann-pegida-gruender-spielt-hitler-13382531.html (letzter Zugriff: 10.6.2015). Bachmanns Darstellung wurde von Herbst später durch dessen Anwalt dementiert. Vgl. ‚Pegida-Gründer Bachmann verteidigt Hitler-Foto auf Facebook als Spaß‘. In: Focus Online. 21.1.2015. URL:

http://www.focus.de/politik/deutschland/umstrittenes-selfie-nur-spass-pegida-gruender-verteidigt-hitler-foto_id_4418414.html (letzter Zugriff: 10.6.2015).

33 ‚Pegida-Gründer spielt Hitler‘.

34 Vgl. u.a. ‚Harald Schmidt als Hitler verkleidet‘. In: Youtube.com. 6.11.2006. URL: https://www.youtube.com/watch?v=yCLralhpcdI (letzter Zugriff: 10.6.2015).

Abb. 4: Hitler-Teekanne.

Abb. 5: Hitler-Putin.

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anderem durch Hinzufügung rollender ‚R‘s‘ ‚hitlerisiert‘35. Auch im verbalen Bereich gilt

also, dass die Frage, inwieweit eine Hitler-Imitation überhaupt dem des ‚historischen‘

Diktators ähnelt, für eine gelungene Hitler-Imitation eigentlich nur in geringem Maße relevant ist: Man braucht nur einfache Grundlagen, um im kollektiven Gedächtnis das Bild der

historischen Figur Adolf Hitler hervorzurufen.

2.3 Die ‚historische‘ Hitler-Figur

Die obenstehenden Beispiele illustrieren, dass eine Figur nur ein paar Merkmale (eine Hitler-Frisur, eine gewisse Körperhaltung, eine bestimmte Art und Weise des Sprechens) braucht, um im kollektiven Gedächtnis Adolf Hitler hervorzurufen, und daher als Hitler-Figur zu gelten. Als Bilder des ‚echten‘ Hitlers werden eine Teekanne oder ein Buchumschlag von den meisten wahrscheinlich aber nicht wahrgenommen. Wie ist nach dem heutigen Diskurs dieser ‚authentische‘ Hitler zu charakterisieren?

Eine Antwort auf diese Frage liegt in den Bildern der

historischen Figur Adolf Hitler, und in deren Verarbeitung in zum Beispiel Dokumentarfilmen. Hitler kennt man

demzufolge als ein meist uniformierter, mit Schnurrbart und Seitenscheitel versehener, deutschsprachiger Mann, der nicht nur sein Volk einen Gruß mit seinem eigenen Namen

verwenden lässt, sondern auch während emotionaler Reden,

wie es Hitler-Biograph Joachim Fest bezeichnet, als „große[r] Demagoge“ Ideen und Worten „als Instrumente“ verwendet36. Ikonische Bilder bilden diesbezüglich zum Beispiel Hitlers

von unter anderem Fotografen Heinrich Hoffmann37 und Filmregisseurin Leni Riefenstahl38

verewigten Reden in Nürnberg (siehe Abbildung 7).

Zu den etwas weniger bekannten (wobei ‚etwas weniger bekannt‘ hier als relative Andeutung gelten soll), nichtsdestotrotz aber im kollektiven Gedächtnis gespeicherten, ‚kanonischen‘ Merkmalen des historischen Hitlers können unter anderem die ihn

kennzeichnenden Körperhaltungen, etliche biographische ‚Fakten‘ wie Hitlers (historisch

35 Vgl. Daniel Erk: ‚Es geht om Doitschland‘. In: Hitler-Blog. 15.10.2006. URL:

http://blogs.taz.de/hitlerblog/2006/10/15/es-geht-om-doitschland/ (letzter Zugriff: 10.6.2015).

36Joachim Fest: Hitler. Eine Biographie. Zweiter Band (‚Der Führer‘). Berlin: Propyläen 1978. S. 1041 37 Hoffmann (1885-1857) galt als bevorzugter Fotograf Hitlers, und war für einen großen Teil der offiziellen Hitler-Fotos verantwortlich. Vgl. Loiperdinger 1995.

38 Vgl. Leni Riefenstahl (Regie, Produktion): Triumph des Willens. Dokumentarfilm. Deutschland: Leni Riefenstahl-Produktion, 1935.

Abb. 7: Adolf Hitler in Leni Riefenstahls Triumph des

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belegte) Vorliebe für Kuchen39 und die Opern Wagners40, und Zitate wie „Seit 5 Uhr 45 wird

jetzt zurückgeschossen!“41 gerechnet werden. Weiterhin ist der ‚echte‘ Hitler im kollektiven

Gedächtnis eng verknüpft mit seinem aus mittlerweile ebenfalls als ‚ikonisch‘ zu bezeichnenden Figuren bestehenden Umfeld: Propagandaminister Joseph Goebbels, Reichsmarschall Hermann Goering, SS-Führer Heinrich Himmler, dem italienischen Duce Benito Mussolini, Architekten Albert Speer, Eva Braun oder sogar Blondi, dem Hund des Diktators.

Eines der wichtigsten im kollektiven Gedächtnis mit dem Namen ‚Adolf Hitler‘ assoziierten Konzepte bildet jedoch dasjenige, was den ‚Führer‘ vielen zufolge bis heute zum ‚Symbol des Bösen‘ machen wird: seine Ideologie. Unumgänglich im Hitler-Diskurs ist die durch unter anderem Militarismus und ausgeprägten Antisemitismus gekennzeichnete nationalsozialistische Politik, und Hitlers spezifische Rolle innerhalb dieser Politik:

Da [der Faschismus] in so hohem Maße Reaktion und verzweifelter Abwehrreflex ist, liegt es in der Natur seines Wesens, dass die Voraussetzungen, auf die er gründet, nur Voraussetzungen sind; das heißt, faschistische Bewegungen bedürfen, stärker als andere politische Gruppierungen, des

überragenden Führers. Er sammelt die Ressentiments, bezeichnet die Feinde, verwandelt die Depression in Rausch und bringt die Schwäche zum Bewusstsein ihrer Kraft.42

Adolf Hitler als berechnender Volksverführer, rücksichtloser Diktator, Megalomaner, eigenartiger Redner, Symbol des Bösen, Antisemit, Tierfreund und/oder Wagner-Fan – alles dominante Vorstellungen über die historische Figur Hitler. Inwieweit widerspiegeln sich diese Ideen in den fiktionalen Darstellungen Hitlers?

2.4 Die fiktionale Hitler-Figur

Zahlreicher noch als die Auftritte des ‚authentischen‘ Hitlers sind die fiktionalen

Darstellungen des Diktators. Da diese unzähligen (künstlerischen) Adaptionen der Figur ‚Adolf Hitler‘ – sei es nur wegen der Diskussionen um den rezenten „Hitler-Boom“ - einen unumgänglichen Beitrag leisten zu demjenigen Diskurs, mit dem auch die in den Kapiteln 3, 4 und 5 zu besprechenden Kunstwerke eng verknüpft sind, wäre eine Betrachtung des

Durchschnitts der Hitler-Bilder ohne Bezugnahme auf die fiktionalen Diktator-Vorstellungen alles andere als vollständig. Zu welchen allgemeinen Erkenntnissen führt diese Bezugnahme? Und wie verhält sich der fiktionale Hitler generell zum ‚authentischen‘ Hitler?

39 Fest 1978 (‚Der Führer‘). S. 992.

40 Vgl. u.a. Ian Kershaw: Hitler 1936-1945: Nemesis. London: Penguin 2000. S. 13, 16.

41 Hitler am 1. September im Reichstag zum Anfang des Polenfeldzugs. 1978 (‚Der Führer‘). S. 823. 42 Fest 1978 (‚Der Führer‘). S. 1041.

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Im Feld der künstlerischen Hitler-Darstellungen gibt es Filmwissenschaftlerin Margrit Fröhlich zufolge „im wesentlichen“ zwei Zugänge: die „um Geschichtsdeutung und

Aufklärung bemühte ernsthafte Auseinandersetzung“ einerseits, den respektlose[n], subversive[n] Umgang […]“ andererseits. Beide Darstellungsarten würden sich unterschiedlich zum Führerbild der NS-Propaganda verhalten: Die „ernsthafte Auseinandersetzung“ bediene sich einer „realistischen oder pseudorealistischen

Rekonstruktion historischer Ereignisse“, während die „subversive“ Darstellung der Hitler-Figur „bevorzugt die burleske Karikatur und das Lächerlichmachen als wirksame Mittel“ einsetze.43

Obwohl Fröhlichs Unterschied, wie in §2.5 zu lesen sein wird, prinzipiell nicht zu behaupten ist, reicht er im Rahmen dieses Kapitels nichtsdestotrotz als provisorischer Ausgangspunkt für eine – wiederum – unmöglich zu vervollständigende, aber dennoch zu generellen Erkenntnissen führende Übersicht über das (breite) Spektrum der fiktionalen Hitler-Darstellungen.44

2.4.1 Der ‚subversive‘ Hitler

An erster Stelle zu besprechen in dieser Übersicht ist der nach Fröhlich als ‚subversiv‘ zu bezeichnende Zugang zur Hitler-Figur. Als besonders beispielhaft für diese Gattung der Führer-Adaptionen kann ihr als ältester kommerziell erfolgreicher45 – und, nach vieler

Behauptung, einflussreichster46 – Exponent bezeichnet werden: Charlie Chaplins Spielfilm

The Great Dictator (USA, 1940). In diesem 124 Minuten dauernden und heutzutage als fester

Teil des kinematographischen Kanons geltenden47 Film spielt der (zudem für Regie und

Szenario verantwortliche) amerikanische Komiker Charlie Chaplin sowohl einen jüdischen Friseur als auch einen Hitler ähnelnden Diktator namens Adenoid Hynkel.48 Die von Chaplin

43 Vgl. Margrit Fröhlich: ‚Tot oder lebendig. Hitler als Figur im Spielfilm‘. In: Rainer Rother und Karin Herbst-Meßlinger (Hg.): Hitler darstellen. Zur Entwicklung und Bedeutung einer filmischen Figur. München: Richard Boorberg Verlag, 2008. S. 13-33. S. 13-14.

44 Der Spielfilm Der Untergang, der Internetclip Ich hock‘ in meinem Bonker und der Roman Er ist wieder da sind in diese Übersicht nicht oder nur indirekt aufgenommen, und werden in den Kapiteln 3, 4, 5 und 6 ausführlich besprochen. Ebenfalls außer Betracht gelassen werden, ihrer relativen Obskurität wegen, pornografische und rechtsextreme Hitler-Darstellungen. Vgl. Mitchell 2000. S. 2; Sonja M.: ‚Hitler 2.0. Der Diktator im Internet‘. In: Rainer Rother und Karin Herbst-Meßlinger (Hg.): Hitler darstellen. Zur Entwicklung und Bedeutung einer filmischen Figur. München: Richard Boorberg Verlag, 2008. S. 86-100. S. 95-97. 45 Vgl. Mitchell 2000

46 Vgl. u.a. Mitchell 2000: S. 78-81; Fröhlich 2008: 20-22.

47 Vgl. u.a. Charles Robert Cole: ‚Anglo-American Anti-fascist Film Propaganda in a Time of Neutrality: „The Great Dictator“ (1940)’. In : Historical Journal of Film, Radio and Television 21:2 (2001). S. 137-152; Adrian Daub: ‚"Hannah, can you hear me?" : Chaplin's "Great Dictator", "Schtonk", and the vicissitudes of voice’. Criticism 51:3 (2009). S. 451-482.

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dargestellte Hitler-Figur bezieht sich hierbei aus gegenwärtiger Sicht nachdrücklich auf mehrere der in §2.2 und §2.3 erwähnten Hitler-Vorstellungen.

Wer sich den Spielfilm – der sich, wie im Vorspann erwähnt wird, zwischen zwei Weltkriegen abspielt - anschaut, stößt bei Adenoid Hynkel auf die ‚Basismerkmale‘ einer Hitler-Figur: den Schnurrbart und die Seitenscheitel. Chaplins Diktator trägt zudem eine Uniform, ist überzeugter Antisemit, lässt sich mit „Hail Hynkel!“ begrüßen, und arbeitet in einem Palast – allesamt Merkmale, die auf das (zumindest) heutzutage gültige kollektive Bild des ‚authentischen‘ Hitlers verweisen.

Besonders beispielhaft für die Beziehung des Chaplin-Films zum Bild des ‚echten‘ Hitlers sind Szenen wie die, worin Hynkel eine öffentliche Rede hält. Szenen wie diese sind fast als ‚Bildzitate‘ zu betrachten: Viele Elemente um die im Film dargestellte Rede

verweisen mehr oder weniger direkt auf diejenigen Reden, die den ‚echten‘ Hitler im

kollektiven Gedächtnis kennzeichnen. Wer sich von Hynkels Rede in The Great Dictator zum Beispiel nur die Inszenierung anschaut, wird wahrscheinlich schon bewusst oder unbewusst an bestimmte historische Bilder erinnert (vgl. Abbildungen 8 und 9). Auch bezüglich der Rede an sich werden einige im heutigen Diskurs übliche Bilder Hitlers aufgerufen: Heftig gestikulierend redet Chaplins Diktator in höchst emotionaler Weise, wobei ihm die

anwesende Menschenmasse regelmäßig zujauchzt. Das soziale Umfeld des Diktators besteht unterdessen aus Figuren wie Garbitsch – einer, der nicht nur durch das von ihm bekleideten Amt des

Propagandaministers, sondern auch seines Äußeres und seines Namens wegen den ‚echten‘ Propagandaminister des Dritten Reichs, Joseph Goebbels, in Erinnerung ruft - Kriegsminister Herring (Goering?) und einem in italienischem Akzent sprechenden Staatsoberhaupt namens Napaloni (Mussolini?).

Chaplin stellt seinen Diktator als selbstverliebte, sich selbst inszenierende,

megalomane Figur dar, die mehrmals zum gleichen Zeitpunkt für sowohl einen Maler als auch für einen Bildhauer posiert, und ständig das besuchende Staatsoberhaupt Napaloni psychologisch zu erniedrigen versucht. Illustrativ ist auch die Szene, in der Hynkel unter den Klängen von Wagners Lohengrin – einem Verweis auf den bevorzugten Komponisten des ‚echten‘ Hitlers - fast kindisch mit einer Weltkugel tanzt, bis dieser ihm schließlich unter den

Abb. 9: … Adolf Hitler bei einem NSDAP-Ortsgruppenfeier. Abb. 8: Adenoid Hynkel in The

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Händen zerplatzt. Kennzeichnend für Chaplins Hitler-Darstellung ist zudem die Bearbeitung des emotionalen Hitler’schen Sprechens, in dem keine Botschaft – oder überhaupt Kohärenz -erscheint, und nur ab zu Wörter wie „Schnitzel“, „Wurst und “Katzenjammer“ erkennbar sind.

Obwohl sich der Protagonist des Great Dictator in vielerlei Hinsicht klar auf die historische Figur Adolf Hitler bezieht, wird man ihn durchaus nicht als punktgenaue Kopie dieser Figur betrachten. Vielmehr handelt es sich in Chaplins Film um eine Adaption, wobei die Diktator-Figur durch Hervorhebung - oder vielleicht sogar Hinzufügung? - bestimmter Wesenszüge (Eitelkeit, fast infantiler Megalomanie)

lächerlich gemacht wird. Zudem wirkt die Hitler-Figur in

The Great Dictator komisch (oder sogar ‚entlarvt‘), indem

sie in Situationen gezeigt wird, die kontrastieren mit dem Bild des ‚monumentalen‘ Hitlers: Es findet eine

Neukontextualisierung des Diktators statt. Abb. 10: ‚Respektlose‘ Neukontextualisierung der Hitler-Figur: In

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Die gezielte Übertreibung und Neukontextualisierung der historischen Figur Adolf Hitler bilden Elemente, die generell in jedem als ‚respektlose‘ Auseinandersetzung mit dem

‚Führer‘ zu bezeichnenden

Kunstwerk aufzufinden sind. In Dani Levys populärer Komödie Mein

Führer – die wirklichste Wahrheit über Adolf Hitler (2007) wird Hitler

zum Beispiel unter anderem in

unvorteilhaftem Trainingsanzug (Abbildung 10) und mit einer Modellschiff in einer Badewanne gezeigt (Abbildung 11) 49, während er in Mel Brooks‘ im Jahre 2005

neuverfilmten The Producers (USA, 1968) begleitet von einem SS-Showballet in einem Musical auftaucht.50 Im Videoclip zum Song To Be or Not to Be (The Hitler Rap) rapt der

Regisseur des letztgenannten Films in der Rolle Adolf Hitlers über die wichtigsten Ereignisse im Leben des Diktators. Hierbei ist zu sehen, wie der ‚Führer‘ Breakdance macht.51 Mit dem

schon in §2.2 erwähnten Hitlerizer wird die Figur Hitler auf einen für ihn charakteristisch geachteten Sprachduktus reduziert und in einem neuen Kontext dargestellt, indem man ‚‘Hitler‘ jeden beliebigen Text aussprechen lassen kann. In der amerikanischen

Zeichentrickserie Family Guy wird gezeigt, wie Hitler während einer Rede in München von seinem dicken Bruder Peter geärgert wird (Abbildung 12) . Dieser bringt schließlich das Volk zum Jubeln, indem er „Free beer on this Motherführer!“ durch das Mikrofon ruft.52 Dass

sich die scherzhaft gemeinte Neukontextualisierung der Hitler-Figur offenbar auch in weniger gelungener Form präsentieren kann, zeigt schließlich der Fall Lutz Bachmann (siehe §2.2).

Dass eine groteske, unrealistische Hitler-Darstellung nicht immer eindeutig ‚lustig‘ gemeint zu sein braucht, zeigt das Beispiel des amerikanischen Computerspiels Wolfenstein. Im Spiel tritt ein Zombie-Hitler als Antagonist des Spielers auf.53 Obwohl in hohem Maße

fraglich sein darf, inwieweit hier von einer programmatischen Entmystifizierung des ‚Führers‘ die Rede ist, wird der Diktator in diesem Fall, ähnlich wie bei den eindeutig satirisch

gemeinten Hitler-Darstellungen, in einer gewissen Weise karikiert, indem sein Ruf als idealer Bösewicht ad absurdum geführt wird.

49 Dani Levy (Regie), Stefan Arndt (Produktion): Mein Führer – die wirklichste Wahrheit über Adolf Hitler. Spielfilm. Deutschland: X Filme 2007.

50 Vgl. Mel Brooks (Regie), Sidney Glazier (Produktion): The Producers. USA: Embassy Pictures, 1968. 51 Vgl. Mel Brooks (Regie): To Be or Not to Be (The Hitler Rap). Videoclip. USA: Island Records, 1983 52 Vgl. Zac Moncrief (Regie), Seth MacFarlane (Produktion): Family Guy, Saison 4, Folge 27 (‚The Griffin Family History‘). Animation. USA: 20th Century Fox Television 2006.

53 Vgl. id Software: Wolfenstein. Computerspiel. USA: Raven Software 2009.

Abb. 11: …und in der Badewanne.

Abb. 12: Adolf Hitler mit seinem Bruder Peter.

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2.4.2 Der ‚ernsthafte‘ Hitler

Während es sich bei den als ‚respektlos‘ zu bezeichnenden ‚Führer‘-Darstellungen im Allgemeinen um nicht selten scherzhaft intendierte Neukontextualisierungen und

Übertreibungen der historischen Figur Adolf Hitler handelt, sind bei den von Fröhlich als „ernsthaft[…]“ charakterisierten Auseinandersetzungen mit dieser Figur im Allgemeinen andere Tendenzen wahrnehmbar. Als beispielhaft für diese Tendenzen kann hier der – wie

The Great Dictator mittlerweile als ‚kanonisch‘ zu bezeichnenden54 - Spielfilm Der letzte Akt

(BRD, 1955) aufgeführt werden. Georg Wilhelm Pabsts Drama – der erste deutschsprachige Film, in dem Hitler von einem Schauspieler dargestellt wird55 - handelt vom in der

Filmgeschichte öfter adaptierten (siehe Kapitel 3) Motiv der letzten zehn Tage Hitlers in seinem Bunker in Berlin.56 Dass sich Der letzte Akt – zumindest programmatisch – von den

‚respektlosen‘ Auseinandersetzungen mit der Figur Hitler unterscheidet, zeigt unter anderem der erste Text im Vorspann zum Film:

Dieser Film erzählt die Geschichte einer Zeit, wie sie war und nie mehr wiederkehren darf. Berichte der Überlebenden und geschichtliche Quellen lieferten den Stoff für die Gestaltung des Drehbuches. Inwieweit die in Pabsts Film wiedergegebenen Ereignisse und Figuren wirklich als geschichtlich völlig akkurat zu bezeichnen sind, gilt als umstritten.57 Anders als bei zum

Beispiel The Great Dictator gibt es hier jedoch anscheinend den Anspruch, irgendwie ein (zum größten Teil) geschichtlich untermauertes‚ wahrhaftes‘ Bild der Figur Adolf Hitler wiederzugeben, wie auch die Absicht, sie zu deuten. Hierbei wird in vielerlei Hinsicht enger Bezug genommen auf das in §2.3 skizzierte (zumindest zum heutigen Tag gültige) kollektive Bild des ‚echten‘ Diktators als bei den ‚subversiven‘ Hitler-Darstellungen. Weiterhin wird dieses Bild nicht in einer ‚burlesken‘, sondern eher in einer als ‚tragisch‘ zu bezeichnenden Weise adaptiert.

Beispielhaft ist diesbezüglich eine Szene in Pabsts Film, in der sich Hitler (Albin Skoda) alleine in seinem Arbeitszimmer im Bunker einem – historisch belegten58 – Porträt des

54 Vgl. unter anderem Andreas Kilb: ‚Ein Mahnmal, ein Reißer, ein Meisterwerk? Das Ende Adolf Hitlers: Der

letzte Akt von Georg Wilhelm Pabst und Der Untergang von Oliver Hirschbiegel im Vergleich‘. In: Margrit

Fröhlich, Christian Schneider, Karsten Visarius (Hg.): Das Böse im Blick. Die Gegenwart des Nationalsozialismus im Film. München: Edition Text + Kritik 2007. S. 87-97; Mitchell 137-139. 55 Vgl. Fröhlich 2008. S.14-15.

56 Vgl. Georg Wilhelm Pabst (Regie), Carl Skozoll (Produktion): Der letzte Akt. BRD, Österreich: Cosmopol-Film 1955

57 Vgl. Mitchell 2000. S. 139.

58 Vgl. Fest 1978 (‚Der Führer‘). S. 991. Abb. 13: Albin Skoda als Adolf Hitler

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preußischen Königs Friedrich des Großen gegenüber in einer ‚hitlerisch‘ anmutenden Rede verliert (Abbildung 13). Anders als bei den bekannten Reden Hitlers ist hier Ratlosigkeit, und sogar Manie spürbar, indem der Diktator mit seinem Ende in Sicht mit sich selbst redet. Skoda erklärte zu seiner Hitler-Darstellung: „Die äußere Erscheinung meines Hitlers gleicht zwangsläufig nicht dem Führer der Parteitage, Paraden und Postkarten, meinem Hitler fehlen Posen und Pathos. Ohne Masken und ohne Nerven wütet er im Bunker unter der zerstörten Reichskanzlei, ein Vernichteter mit krummem Rücken, mit schleppendem Fuß, das

schlurfende Wrack eines Tyrannen. […] Mein Hitler ist ein Demaskierter ohne Gloriole“.59

Ziel des Regisseurs sei es mittlerweile gewesen, „[…] die Shakespearsche Tragödie des Menschen Hitler und seiner letzten Tage [zu] gestalten“.60

Der letzte Akt kann hinsichtlich seiner Absichten in Bezug auf die Hitler-Figur als

exemplarisch für eine bestimmte Kategorie der Hitler-Darstellungen angesehen werden, der auch ein Spielfilm wie Valkyrie (2008)61 zuzuordnen ist. In den dieser Kategorie zugehörigen

Kunstwerken wird durchaus – nicht selten mithilfe des ‚Authentizitätsgestus‘ der

geschichtlichen Fakten – versucht, die Figur Hitler in irgendeiner Weise zu deuten. Sie wird ‚hinter den Kulissen‘ gezeigt, und mithin – wie sich zeigt am Beispiel von Pabsts Film - psychologisiert. Hierbei werden oft ‚menschliche‘ Eigentümlichkeiten auf den Diktator projiziert, die den Archivbildern des rücksichtlosen, furiosen Redners zwar nicht immer direkt entsprechen, aber trotzdem mit diesen Bildern in Verbindung zu setzen sind. Vermeintliche Wesenszüge Hitlers werden aufgegriffen, um im jeweiligen Kunstwerk einen ‚glaubwürdig‘ geachteten Hitler darzustellen – eine Figur, die dementsprechend nicht allzu sehr vom

kollektiven Bild des Diktators abweicht, aber nichtsdestotrotz dasjenige repräsentiert, was als eine ‚interessant‘ zu bezeichnende dramatische Figur definiert.

2.5 Hitler-Simulakren

Wie schwierig die von Fröhlich vorgeschlagene Dichotomie zwischen „ernsthaften“ und „subversiven“ Hitler-Darstellungen zu verteidigen ist, zeigt sich anhand des Beispiels von Oliver Hirschbiegels in Kapitel 3 zu besprechenden Spielfilm Der Untergang - einem Film, den man im Grunde durchaus als ‚ernsthafte‘ Auseinandersetzung mit Adolf Hitler

charakterisieren würde. Zahlreiche einzelne Szenen aus dem Film sind im Internet

59 ‚Größer Schauspieler als Hitler! Burgschauspieler Albin Skoda spielt in dem Cosmopol-Film der Columbia die Rolle Adolf Hitlers‘. In: Columbia Filmgesellschaft mbH (Hg.): Columbia hilft werben! Presseheft zum Spielfilm Der letzte Akt. Heidelberg: Columbia 1955. Zitiert in: Fröhlich 2008. S. 16.

60 Zitiert in Kilb 2007. S. 88.

61 Vgl. Bryan Slinger (Regie, Produktion), Christopher McQuarrie (Produktion): Valkyrie. Spielfilm. USA: United Artists 2008.

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aufzufinden, manchmal mit anderssprachigen Untertiteln. Oft geht es hierbei um (mehr oder weniger) korrekte Übersetzungen der jeweiligen Szenen, nicht selten aber auch um gezielte Persiflagen, in denen zwar der gesprochene Originaltext erhalten geblieben ist, dieser Text in den Untertiteln aber als ernsthafte Auseinandersetzung mit einem Thema wie der

Fußballweltmeisterschaft in Brasilien (2014)62 oder Pferde-Viagra63 übersetzt wird. Der

Effekt: Hitler erlebt in seinem Bunker einen emotionalen Wutausbruch, während dem er seinen Generälen das Ignorieren seiner Befehle vorwirft. Den Untertiteln zufolge beschwert sich der ‚Führer‘ jedoch darüber, dass die Generale im Toto fälschlich auf einen 5:1-Sieg von Spanien gegen die Niederlande gewettet haben. Eine angeblich ‚ernsthafte‘

Auseinandersetzung mit der historischen Figur Adolf Hitler wird demzufolge durch Hinzufügung einer Unterschrift zu einer Satire, in der die Hitler-Figur, indem sie sich über Themen wie Viagra aufregt, eine Neukontextualisierung erfährt. Da die Tatsache, dass der gesprochene Text nicht mit den Untertiteln übereinstimmt, hierbei für ein

nicht-deutschsprachiges Publikum nicht erkennbar zu sein braucht, ist ein Unterschied zwischen Ernst und Satire hier in manchen Fällen nicht oder kaum festzustellen.

Es darf sogar angezweifelt werden, ob dieser Unterschied in Bezug auf Hitler-Darstellungen überhaupt festzustellen ist. Diejenigen Elemente, die als Merkmale einer Hitler-Satire bezeichnet werden können – ein beabsichtigter komisch-kritischer Effekt, Übertreibung, Neukontextualisierung – sind innerhalb eines Kunstwerks prinzipiell ja nicht objektiv als solche erkennbar. Eine gewisse Absicht, zum einen, lässt sich nur aus (im Grunde arbiträr zu interpretierenden64) Symbolen erschließen. Das Erkennen von sowohl

Übertreibung als auch Neukontextualisierung, zum zweiten, gründet bezüglich der Hitler-Figur auf einem objektiven Unterschied zwischen dem ‚authentischen‘, vom jeweiligen Kunstwerk zu kritisierenden Hitler einerseits und einem fiktionalen, burlesken Hitler andererseits. Gerade diese Grenze ist jedoch vage.

Dass das kollektive Bild des ‚authentischen‘ Hitlers nicht nur auf historischem Material gründet, sondern auch von Hitler-bezogener Fiktion beeinflusst wird, ist evident: Fast alle Bilder mit dem ‚authentischen‘ Hitler sind Propagandafilme65, demnach in gewissem

Maße inszeniert, und daher in strengem Sinne als eine Art Fiktion zu bezeichnen. Zudem ist durchaus zu behaupten, dass (fiktionale) Filme, Bücher und Fernsehserien über Hitler einen

62 Vgl. ‚Hitler voorspelt WK wedstrijd Spanje Nederland‘ [sic]. Internetclip. In: Youtube.com. 14.6.2011. URL: https://www.youtube.com/watch?v=YBdmNGPR7tM (letzter Zugriff: 10.6.2015).

63 Vgl. ‚Hitler takes too much Viagra‘. Internetclip. In: Youtube.com. 6.9.2011. URL: https://www.youtube.com/watch?v=wAqyWpBo9OU (letzter Zugriff: 10.6.2015). 64 Vgl. Baudrillard 1982. S. 90.

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bestimmten Einfluss auf historische Studien nach dem, und daher auf den Diskurs um den ‚echten‘ Hitler ausüben.66

Es ist daher fraglich, inwieweit die in 2.3 erwähnten kollektiven Bilder dem

historischen Hitler entsprechen, oder Hitler-bezogener Fiktion entstammen. Verweist Chaplin in The Great Dictator zum Beispiel auf Hitler-Bilder, die schon kollektive Bilder sind, oder

macht er sie zu kollektiven Bildern, indem er auf sie verweist? Reproduziert Chaplin gewisse

Hitler-Bilder, oder produziert er sie? Ist Pabsts Hitler nicht ebenso karikaturistisch wie Adenoid Hynkel? Eine Antwort auf diese Fragen ist kaum festzulegen. Zu behaupten ist aber schon, dass – auch wegen der in Bezug auf die historische Figur Adolf Hitler gültige

Dominanz der Propagandabilder - eine ‚wahrhafte‘ Hitler-Adaption zudem eine Adaption anderer Hitler-Adaptionen, und dementsprechend irgendwie eine Repräsentation des vom Diskurs erschaffenen Bildes des Diktators ist. Was genau den ‚wahren‘ Hitler charakterisieren soll, ist prinzipiell nicht festzustellen.

In Bezug auf den Hitler-Diskurs scheint sich gerade dasjenige abzuspielen, was von Jean Baudrillard als Genese der Simulakren bezeichnet wird: Weil die Hitler-Figur in der (vor allem im 20. und 21. Jahrhundert rasch zunehmenden) Vielheit der Bilder allgegenwärtig ist, sind die Begriffe ‚echt‘ und ‚unecht‘ bezüglich dieser Figur inhaltslos geworden. Der Hitler-Diskurs wird von einer dermaßen komplizierten Intertextualität gekennzeichnet, dass nicht abzuleiten ist, inwieweit sich die Adaptionen auf eine ‚echte‘ Person beziehen.

Dass die bezügliche ‚echte‘ Person schon seit 1945 vom Erdboden verschwunden ist, und von ihr vor allem Propagandabilder und zeitgenössische Zeugnisse überliefert sind, spielt hierbei eine erhebliche Rolle. Wer die Figur Adolf Hitler – sei es in Worten, sei es in Bildern – medial zu verarbeiten versucht, kann sich in diesem Prozess nur auf Erinnerungskonstrukte und Hitler-Darstellungen anderer verlassen. Die Archivbilder des ‚echten‘ Hitlers zu

verwenden, würde eine Neukontextualisierung bedeuten, die dem (von Baudrillard in diesem Fall also nicht zu Unrecht verworfenen) Konzept des Realen auch nicht entsprechen würde.

Die Vorstellung der Figur Adolf Hitler ändert sich im kollektiven Gedächtnis dementsprechend ständig, indem sie sich von jedem (sich auf andere Hitler-Vorstellungen beziehenden) Film, Text oder Bild beeinflussen lässt, worin auf Hitler verwiesen wird. Simulationen bestimmen also das Bild des Diktators. Alle medialen Anwendungen der Figur Adolf Hitler - seien sie Filme wie The Great Dictator oder Der Untergang oder die von

66 Vgl. Michael Wildt: ‚Hitler goes Fiction. Hitler-Filme und Geschichtswissenschaft’. In: Rainer Rother und Karin Herbst-Meßlinger (Hg.): Hitler darstellen. Zur Entwicklung und Bedeutung einer filmischen Figur. München: Richard Boorberg Verlag 2008. S. 113-120.

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Joachim Fest erstellte Biographie - sind im Grunde Simulakren, die anderen Simulakren widerspiegeln. Wie es Baudrillard umschreibt:

Kunst ist daher überall, denn das Künstlerische steht im Zentrum der Realität. Die Kunst ist daher tot, nicht nur weil ihre kritische Transzendenz tot ist , sondern weil die Realität selbst […] mit ihrem eigenen Bild verschmolzen ist. Sie hat noch nicht einmal mehr Zeit, den Anschein von Realität anzunehmen. Sie überbietet auch die Fiktion nicht mehr: sie ergreift jeden Traum, bevor er den Anschein eines Traumes bekommt. Ein schizophrener Rausch von seriellen Zeichen, die keine Imitation, keine Sublimierung kennen, die in ihrer Wiederholung eingeschlossen sind – wer könnte sagen, wo die Realität dessen ist, was sie simulieren? […] Das Simulationsprinzip überwindet das Realitätsprinzip […].67

Eine Darstellung der Figur Adolf Hitler wird immer ein Simulakrum sein. Interessant ist diesbezüglich, was genau simuliert wird: Wie lassen sich die heutigen Hitler-Simulakren definieren? Welche Hitler-Bilder werden (re)produziert? Mögliche Antworten präsentieren sich in den nächsten drei Kapiteln anhand dreier Analysen populärer rezenter

Hitler-Darstellungen.

2.6 Fazit

Um die Figur Adolf Hitler findet sich ein umfangreicher, ständig wechselnder Diskurs, der bestimmten mit dem Diktator in Verbindung zu bringenden Wesenszügen eine prominente Stelle im kollektiven Gedächtnis verliehen hat. Zu diesem Diskurs trägt nicht nur die

Gesamtheit der Archivbilder des historischen ‚Führers‘ bei, sondern auch die Hitler-bezogene Fiktion. Da fiktionale Vorstellungen des Diktators also das kollektive Hitler-Bild

beeinflussen, ist im Grunde keine klare Grenze zu ziehen zwischen dem ‚echten‘ Hitler, ‚ernsthaften‘ Hitler-Darstellungen und Hitler-Karikaturen. Eine Hitler-Darstellung darf daher – auch wegen der Absenz eines ‚echten‘ Hitlers und aufgrund der propagandistischen Art der Archivbilder dieser Figur - im Sinne Jean Baudrillards durchaus als Simulakrum gelten.

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3. Der Untergang – eine Analyse

In diesem Kapitel finden sich eine Beschreibung (§3.1) und Analyse (§3.2) des Spielfilms

Der Untergang (2004). Fokus bildet die von Bruno Ganz dargestellte Hitler-Figur. Die

Beschreibung und die Analyse beziehen sich auf die 175 Minuten dauernde TV-Fassung des Films. Die kommentierten Szenen sind mit einer globalen, auf die Dauer des gesamten Spielfilms zutreffenden Zeitangabe versehen. Wie ist die Hitler-Darstellung im Untergang zu charakterisieren? Auf welche Hitler-Bilder wird implizit oder explizit Bezug genommen? Und zu welchen Zielen wird die Hitler-Figur abgebildet?

3.1 Beschreibung

Der Untergang ist ein Spielfilm des deutschen Regisseurs Oliver Hirschbiegel (1957). Der

unter anderem auf dem gleichnamigen Werk des Historikers Joachim Fest (1926-2006)68 und

den Memoiren von Hitlers Sekretärin Traudl Junge (1920-2002)69 basierende Film

thematisiert die letzten Tage des Dritten Reichs und das Ende Adolf Hitlers. Der Untergang feierte am 14. September 2004 seine internationale Premiere auf dem Toronto International Film Festival, und wurde 2005 für den Oscar in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film nominiert. In Deutschland wurde der Film von September 2004 bis Februar 2005 von 4,5 Millionen Zuschauern gesehen - eine Zahl, die in Deutschland vorher noch nie durch einen Film um die Figur Adolf Hitler erreicht wurde.70

Nach einem Fragment aus einem aus dem Dokumentarfilm Im toten Winkel (2002) stammenden Interview mit Traudl Junge71 fängt Der Untergang im Jahre 1942 an im

ostpreußischen ‚Führerhauptquartier Wolfsschanze‘. Zu sehen ist, wie fünf junge Frauen sich bewerben für eine Stelle als Privatsekretärin Adolf Hitlers (0:01:30-0:06:30). Der vom schweizerischen Schauspieler Bruno Ganz dargestellte Hitler – in Anzug gestochen,

sprechend mit rollendem ‚R‘, und leicht bucklig - begrüßt die Frauen freundlich, und erbittet

68 Vgl. Traudl Junge und Melissa Müller: Bis zur letzten Stunde. Hitlers Sekretärin erzählt ihr Leben. München: Claassen Verlag 2002.

69 Vgl. Joachim Fest: Der Untergang. Berlin: Alexander Fest Verlag 2002. 70 Vgl. Hofmann und Baumert 2008. S. 134.

71 Vgl. André Heller und Othmar Schmiederer (Regie), Danny Krausz und Kurt Stocker (Produktion): Im toten Winkel. Dokumentarfilm. Österreich: Dor Film, 2002.

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sie das übliche „Heil, mein Führer“ zu unterlassen. Traudl Junge (Alexandra Maria Lara) - zu dieser Zeitpunkt im Film noch Traudl Humps (nach ihrem Geburtsnamen) - stellt sich vor als Münchnerin, und wird von Hitler gleich zum Büroraum gebeten für eine

Tauglichkeitsprüfung. Im Büro stellt der Diktator Junge seinen Hund Blondi vor („intelligenter als die meisten Menschen“) und versucht er die nervöse junge Frau zu beruhigen („Ich mache bei meinen Diktaten so viele Fehler, so viele können sie unmöglich machen“). Trotz erheblicher Fehler beim Transkribieren eines Hitler-Diktats wird Junge als Sekretärin angestellt.

Die nächste Szene (0:06:30-0:08:40) spielt sich im kriegszerstörten Berlin ab. Das Datum ist laut einem ins Bild einblendenden Text der 20. April 1945: der 56. Geburtstag Adolf Hitlers. Nach einem Artillerieangriff erfährt Hitler in seinem Bunker telefonisch, dass „der Russe“ sich bis auf 12 Kilometer vom Stadtkern genähert hat. Während der Diktator den Hörer mit Gewalt auflegt, entbrennt er in Wut („Man müsse die ganze Luftwaffe-Führung sofort aufhängen!“). Der linke Hand Hitlers erscheint hierbei spastisch. Es wird der ‚Fall Clausewitz‘ ausgegeben: Berlin wird zur Frontstadt erklärt. SS-Führer Heinrich Himmler (Ulrich Noethen) und Walther Hewel (Gerald Held) versuchen Hitler davon zu überzeugen, die Hauptstadt zu verlassen. Dieser aber insistiert darauf, zu bleiben (0:11:45-0:13:00), und treibt mit Architekten Albert Speer (Heino Ferch) sogar schon architektonische Planungen für die Periode nach dem „Endsieg“ voran (0:14:40-0:16:50).

Die Rote Armee rückt auf. Nachdem Hitler eine offenbar unrealistische Strategie zur Verteidigung Berlins entfaltet hat (0:18:40-0:21:00) und zur Aussage gekommen ist, dass er das deutsche Volk lieber sterben als kapitulieren sieht (0:26:30-0:25:40), entsteht unter dessen Generälen Uneinigkeit darüber, ob der ‚Führer‘ vielleicht „den Sinn für die Realität“ verloren habe. Als vier Generale Hitler die aussichtslose Lage im Streit um Berlin klarzumachen versuchen, reagiert dieser mit einem Wutausbruch (0:38:50-0:44:00). Der Diktator bezeichnet seine Generale als „treulose Feiglinge“ und erklärt, dass er sich vom ganzen Militärwesen verraten fühlt. „Es ist aus, der Krieg ist verloren“, sagt er zum Schluss.

Während in Berlin Chaos herrscht, gibt es unter den unterschiedlichen hohen Offizieren und politischen Führungsleuten des Dritten Reichs offenbar divergierende Interessen. Propagandaminister Joseph Goebbels (Ulrich Matthes), der einem Militär gegenüber erklärt, dass das deutsche Volk seinem Untergang selbst schuld ist (0:51:40-0:52:50), lässt seine Frau und Kinder im Führerbunker unterbringen. Die sechs Goebbels-Kinder singen ein Lied für den Diktator („Onkel Hitler“), was dieser offenbar zu schätzen weiß (0:54:10-0:54:40). In der nächsten Szene (0:54:40-0:56:00) bespricht Hitler mit Eva

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Braun und seinen Sekretärinnen das Thema ‚Suizid‘. Die Frauen würden im Fall eines Selbstmordes einen Blausäurekapsel bevorzugen, Hitler favorisiert einen Pistolenschuss. „[D]ann platzt der Schädel“, lautet seine plastische Beschreibung dieses Vorgangs.

Hitler erfährt, dass drei seiner engsten Vertrauten gegen seine Befehle handeln: Göring (Mathias Gnädiger), der Berlin entflohen ist, versucht von außen die Regierungsgewalt zu übernehmen (1:02:40-1:04:50), Speer gibt offen zu, seit Monaten Hitlers ‚Taktik der verbrennten Erde‘ nicht zur Ausführung zu bringen (1:04:50-1:13:00), und Himmler

unterbreitet den Alliierten in Lübeck ein Kapitulationsangebot (1:15:20-1:18:30). Nach den Berichten Görings und Himmlers reagiert Hitler mit weiteren Wutausbrüchen, Speers

Bekenntnis ruft beim Diktator nur stilles Entsetzen hervor. Hitler, der offenbar doch noch an einen Endsieg glaubt, nimmt sich vor Göring und Himmler zu strafen. Er ernennt Robert Ritter von Reims (Dittrich Hollinderbäumer) als Nachfolger Görings.

Hitler lässt Verbindungsoffizier Hermann Fegelein (Thomas Kretschmann), den Schwager von Eva Braun, wegen ‚Fahnenflucht‘ erschießen (1:28:20-1:29:00): „Mit Verrätern gibt es kein Mitleid“, so der Diktator (1:24:20). Während die russische Armee weiter aufrückt, diktiert Hitler Traudl Junge sein politisches Testament (1:29:40-1:31:50). Eine Szene später heiratet er im Bunker Eva Braun (1:32:00-1:33:00). Als Hitler erfährt, dass die Russen dem Bunker – in dem mittlerweile exzessiv getrunken wird - bis auf einige

hunderte Meter genähert sind und zudem die von ihm erhoffte Militärhilfe von außen ausbleiben wird, entscheidet er sich dafür, sich das Leben zu nehmen (1:35:00-1:38:00): Zuerst tötet er seinen Hund Blondi (1:41:00-1:42:00), dann begeht er zusammen mit Eva Braun Selbstmord (1:52:00-1:53:00). Ihre Leichname werden vor der Reichskanzlei mit Benzin übergossen und verbrannt (1:53:00-1:55:00). Auch das Ehepaar Goebbels begeht, nachdem Magda Goebbels (Corinna Harfouch) zuerst ihre Kinder mit Blausäurekapseln umgebracht hat (2:03:00-2:05:00), Selbstmord (2:10:00-2:11:30). Traudl Junge entflieht dem Führerbunker (2:12:00-2:23:30)

Die Handlung des Films endet mit der Kapitulation der Wehrmacht (2:22:30-2:23:30). Es folgt ein Nachspann, in dem über die weiteren Lebenswege der dargestellten historischen Figuren zu lesen ist (2:24:50-2:27:20). Darauf wird, wie am Anfang des Films, ein Fragment aus einem Interview mit der ‚echten‘ Traudl Junge (2:27:20-2:28:40) gezeigt. Letztlich sind die Schlusstitel zu sehen.

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3.2 Analyse

3.2.1 Charakterisierung der Hitler-Figur

Im Untergang handelt es sich um eine filmische Adaption der Figur Adolf Hitler. Die Mittel, mit denen der Diktator dargestellt wird, sind demnach visuell (bewegender Farbfilm) wie auch auditiv (Tonband).

In visueller Hinsicht fällt auf, dass die vom Schauspieler Bruno Ganz verkörperte Vorstellung des ‚Führers‘ äußerlich in hohem Maße den kollektiven Bildern des ‚historischen‘ Hitlers entspricht (vgl. Abbildungen 14 und 15). Nähere Beachtung verdienen diesbezüglich jedoch einige Details der

körperlichen Verfassung, in der Hitler – vor allem in den

Bunkerszenen - vorgestellt wird: Anders als der ‚monumentale‘

Diktator der Archivbilder läuft Ganz‘ Hitler mühsam, wobei die linke Hand

zittert, und in Nahaufnahmen graue Haare sichtbar sind. Der

Untergang zeigt einen ‚alten‘, gebrechlichen Hitler.

Dieser ‚alte‘ Hitler wird in einer Umgebung dargestellt, die scheinbar weitgehend nach geschichtlichen ‚Fakten‘ modelliert ist: Die Zeit (Der Zweite Weltkrieg) und der Ort (ein Bunker unter der Reichskanzlei) der Handlung, wie auch das Umfeld der dargestellten Hitler-Figur (von Himmler und Goebbels bis auf weniger bekannte Teile der Entourage wie SS-Offizier Fegelein) werden im kollektiven Gedächtnis durchaus in engem Zusammenhang mit dem historischen Diktator stehen. Auch Details wie das als Bild im kollektiven Gedächtnis wahrscheinlich weniger weitverbreite aber nichtsdestotrotz als historisch belegt geltende72

Porträt Friedrichs des Großen im Arbeitszimmer Hitlers (0:59:00-0:59:30) unterstützen hier die Idee einer in geschichtlicher Hinsicht ‚wahrhaften‘ Hitler-Darstellung.

Nicht nur visuell, sondern auch sprachlich entspricht die Hitler-Figur im Untergang dem Bild des ‚echten‘ Hitlers, indem sich der Protagonist des Films mit seinem Akzent, seiner Betonung und seiner auch in Privatgesprächen oft pathetisch anmutenden Wortwahl („Das 72 Vgl. Fest 1978 (‚Der Führer‘). S. 991.

Abb. 14: Bruno Ganz als Hitler im Spielfilm Der Untergang…

Abb. 15: …und Adolf Hitler als Hitler in Leni

Riefenstahls Triumph des

Referenties

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