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Sterben heute Thanatosthematik im Darstellungsraum Kunst

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Sterben heute

Thanatosthematik im Darstellungsraum Kunst

Abbildung 1: Ursula Appeldorn 1

57 Jahre │ Geboren am 17. September 1946 Erstes Porträt am 19. November 2003

Gestorben am 22. Dezember 2003 im Hamburg Leuchtfeuer Hospiz

Rijksuniversiteit Groningen Masterarbeit Duits

Fachcode: LDX999M20 Dozentin: Prof. Dr. Waltraud Wende

Zweitgutachter: Prof. Dr. P.O.H. Groenewold Sommersemester 2009

Erarbeitet von: Sarah Maas Studentennummer: S1536141

Groningen, den 30.07.2009

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Einleitung ... 3

1. Gregor Schneider ... 6

1.1. Bisherige Projekte ... 7

1.1.1. Das „Haus u r“ , in Mönchengladbach-Rheydt und das „Tote Haus u r“ in Venedig ... 7

1.1.2. Cube ... 9

1.1.3. Bondi Beach, 21 beach cells ... 11

1.1.4. Sterberaum ... 12

2. Diskussion Sterberaum ... 14

2.1. Thema Tod und Sterben bei anderen Künstlern... 17

3. Die Aufgabe von Kunst ... 20

4. Bilder von Tod und Sterben (Entwicklungsphasen) ... 24

4.1. Bilder des Todes und gesellschaftlicher Hintergrund im Mittelalter ... 24

4.1.1. Einfluss von Krise und Pest im späten Mittelalter ... 33

4.2. Bilder des Todes und gesellschaftlicher Hindergrund in der Neuzeit... 36

4.2.1. Bilder des Todes und gesellschaftlicher Hintergrund in der Renaissance ... 37

4.2.2. Bilder des Todes und gesellschaftlicher Hintergrund in der Reformationszeit 39 4.2.3. Bilder des Todes und gesellschaftlicher Hindergrund im Barock bis ins 19. Jahrhundert ... 41

4.3. Bilder des Todes und gesellschaftlicher Hintergrund im 20. Jahrhundert bis heute ... 45

4.3.1. Umfragen und Statistiken... 49

4.3.2. Das Verdrängungsphänomen in der Thanatosthematik ... 52

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Einleitung

Täglich werden wir durch verschiedene Medien mit ihm konfrontiert. In der Frühstückszeitung am Morgen, in diversen Nachrichten, im Radio, im Fernsehen oder im Internet werden wir darauf aufmerksam gemacht, dass das menschliche Leben nicht unendlich ist, sondern mit dem Tod beendet wird. Auch das wöchentliche Abendprogramm im Fernsehen lockt seine Zuschauer, indem es in vielen gerichtsmedizinischen Serien um die Aufklärung von Morden geht. Hierbei dient „der Leichnam als Schlüssel zur Aufklärung [des] Mordgeschehens.“2 Bilder von Leichen, Obduktionen und Bestattungen sind uns nicht unbekannt und oft gegenwärtig. Der Tod ist ein ständiger Begleiter und der Mensch der Gegenwart glaubt an den Anblick von Leichen gewöhnt zu sein. Doch hierbei kann man ihm nur teilweise Recht geben. Denn sobald die Thanatosthematik3 einen persönlichen Kontext bekommt, ändert sich die komplette Einstellung und Umgangsweise damit. Über den eigenen Tod wird wenig bis nahezu gar nicht gesprochen, geschweige denn nachgedacht. Trotz der täglichen Konfrontation mit dem Tod durch die Medien gelingt es den Menschen den eigenen Tod aus ihren Gedanken zu verdrängen und aus dem Alltag zu verbannen. Fachleute sprechen von einem Verdrängungsphänomen, dass mit beginn der Neuzeit anfing sich zu entwickeln und im 20. und 21. Jahrhundert seinen Höhepunkt findet. Während der Sterbevorgang im Mittelalter einem öffentlichen Fest ähnelte, das durch Rituale und Symbole nahezu angstfrei abgehalten wurde, sind heute nur noch wenig dieser Rituale zu finden. „Sterben und der Tod an sich erfahren jenseits der medial stark positionierten „Öffentlichkeit“ wenig Aufmerksamkeit“4 und sind aus dem gesellschaftlichen Leben nahezu verschwunden. Das Leben in der westlichen Industriegesellschaft hat keine Zeit, um für den Tod eines Menschen still zu stehen oder sich um einen im Sterben liegenden zu kümmern. „In Deutschland wie in den [anderen] westlichen Industriestaaten wird ganz überwiegend in Institutionen gestorben.“5 Aufgrund der verkümmerten Rituale wie Trauerkleidung, Beerdigungsumzüge, Glockengeläut, Kondolenzpflicht und Abschied vom Toten, werden Beerdigungen auf das Nötigste und einen kleinen Familienkreis beschränkt.

2 Macho, Thomas/ Marek, Kirstin (Hg.): Die neue Sichtbarkeit des Todes, 2007. S. 139 3 Thanatos… ist als Wortteil in Zusammensetzungen mit der Bedeutung Tod gleichzusetzen.

Thanatosthematik ist demzufolge die Todesthematik.

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Im Zusammenhang mit diesem kulturgeschichtlichen Wandel der Thanatosthematik erregte das künstlerische Projekt des Sterberaums von Gregor Schneider im Frühjahr 2008 viel Aufmerksamkeit. Die Debatte um das Projekt, in dem der Künstler einen Sterberaum konstruiert hatte und diesen mit einem Sterbenden ausstellen wollte, wurde in erster Instanz negativ geführt. Was hat es damit auf sich? Wieso wurde der Sterberaum von Gregor Schneider im kulturellen Diskurs hauptsächlich negativ erfahren? Besteht hier eine Verbindung mit der bereits erwähnten Verdrängungsthese und der Tabuisierung der Thanatosthematik in unserer heutigen Gesellschaft? Ist die aktuelle Vorstellung des Todes, die eines persönlichen, unsichtbaren und intimen? Oder trifft diese Art der „Verleumdung“ des Todes nicht zu und die Gegenthese, die den Tod als realitätsgerechter und erfolgreicher „bearbeitet“ sieht, „als es in der traditionalen Kulturen und in früheren Jahrhunderten der Fall war“6, ist gegenwärtiger? Mit diesen Fragen ist auch der Konsens des öffentlichen Sterbediskurses verbunden, der ein humanes und würdiges Sterben fordert. Um hier genauer hinter die Kulissen zu schauen beginnt diese Arbeit damit, den Künstler Gregor Schneider und seine Kunstwerke näher zu betrachten.

Im zweiten Teil der Arbeit geht es um die Diskussion Sterberaum. Wie kam es zu dem negativen Diskurs um das Sterbezimmer? Was für einen Standpunkt vertritt Schneider im Rahmen seines Projektes, was sagen die Gegner, die Befürworter dazu und was für eine Rolle spielen die Medien? Eine zentrale Frage im Bezug auf das Sterbezimmer war die nach der Aufgabe von der Kunst. Was ist so provokant an Schneiders Kunst? Wozu ist Kunst eigentlich da? Wer bestimmt, wie weit die Tabuzonen, wenn es sich hier um eine handelt, und Grenzbereiche der Kunst ausgelotet werden? Dies zu durchleuchten gilt es im dritten Kapitel, schließlich gehört der Tod zu den klassischen Themen der Kunstgeschichte, die immer wieder aufgegriffen werden. Auch in der Gegenwart wird er von zahlreichen Künstlern auf der unterschiedlichste Art und Weise und mit verschiedenen Ansichten behandelt (siehe Kapitel 2.1).

Im letzten Teil dieser Arbeit soll der geschichtliche und gesellschaftliche Hintergrund von Tod und Sterben erläutert werden. Ziel ist es hierbei das kulturelle und geistige Leben der verschiedenen Epochen sukzessiv darzulegen und die reziproke Verbindung zum Tod hervorzuheben. Aufgrund der Todesthematik im Mittelalter, die das ganze gesellschaftliche Leben bestimmte und somit im komplementären Gegensatz zum

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gegenwärtigen peripheren Todesereignis steht, ist es sinnvoll, die Entwicklungsphasen des Todes von diesem Zeitpunkt an genauer zu betrachten. Die Strukturierung und der Verlauf des Lebens im Mittelalter waren fest von den Kirchen und dem Klerus vorgegeben und hieran bestand auch viele Jahrhunderte kein Zweifel. Doch mit dem Ende dieser langen und stabilen Zeitepoche änderte sich der Glaube an den Weltaufbau. Eingeleitet wurde dies durch die großen Pest-Epidemien im Hoch- und Spätmittelalter, die ganze Landstriche ausgerottet hatten. Die Menschen starben in so großen Massen, dass Begräbnisse im traditionellen Sinn nicht mehr möglich waren. Durch die Reformation Luthers im 16. Jahrhundert wurde die Sicherheit der Kirche, die durch den Ablasshandel gewährleistet war, in Frage gestellt. Im Jahr 1520 befestigte Luther die reformatorische Bewegung, indem er die drei „Reformatorischen Hauptschriften“ entwickelte. Sie waren der Grundbaustein für die spätere Grundlage des Lutheranismus. Weitere einflussreiche Ereignisse im Hinblick auf die Entwicklung der Thanatosthematik waren, der Dreißig-jährige Krieg, dessen Grund die Glaubensfrage darstellte, der Materialismus und die beginnende Säkularisierung7 im 19. Jahrhundert, in Folge derer der religiöse Weltaufbau entfällt und der Beginn der Demokratisierung (1828-1926), die den Wegfall von geistlicher und fürstlicher Macht zur Folge hatte, sich einleitete. Im 20. Jahrhundert beeinflussten der Erste und der Zweite Weltkrieg den Umgang mit Tod und Sterben gravierend.

Die Zielsetzung dieser Arbeit ist, durch das in Erfahrung gebrachte Wissen um den kulturellen Umgang von Tod und Sterben heute sowie im Mittelalter, die negative Diskussion um Gregor Schneiders Projekt Sterberaum besser zu verstehen und eine Position zur bereits genannten Verdrängungsthese des Todes zu beziehen.

Weiter sollte diese Arbeit dazu anregen über das eigene Verhalten im Bezug auf die Thanatosthematik nachzudenken und die gegebenen kulturellen Selbstverständlichkeiten im Bezug auf dieses Thema zu hinterfragen.

7 Säkularisierung: Frühere Bindung an die Religion wurde durch einen Lebenswandel auf Basis von

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1. Gregor Schneider

Der Bildhauer Gregor Schneider wurde am 5. April 19698 in Rheydt geboren. In seiner Kindheit half er mit seinen zwei Brüdern oft im Familienbetrieb einer Bleifabrik aus. Seine Brüder sind heute noch als Hersteller in der sich seit Generationen in Familienhand befindenden Fabrik in Rheydt tätig. Bereits 1985, mit 16 Jahren, stellte Schneider in einer Einzelausstellung in der Galerie Kontraste in Mönchengladbach aus. Diese erste Ausstellung nannte er „Pubertäre Verstimmung“. Mit zwanzig Jahren begann er sein Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf. Bis 1992 studierte er ebenfalls an der Kunstakademie in Münster und an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Schneider beschäftigt sich hauptsächlich mit Räumen, die er in Galerien und Museen ausstellt. Diese Räume versteht er als dreidimensionale, begehbare Skulpturen, die die Ausstellungsorte, wie Museen und Galerien zum Verschwinden bringen sollen.9 Nach seinem Studium in der Zeit von 1999 bis 2003, wurde der Niederrheiner zu verschiedenen Gastprofessuren in Amsterdamer Ateliers, in Hamburg an der Hochschule für bildende Künste und in Kopenhagen an der Royal Academy of Fine Arts eingeladen.

Der Arbeitsschwerpunkt Schneiders sind gebaute Räume, die sich in Doppelhaushälften, Wohnblocks und Straßen deutscher Nachkriegsstädte befinden. Für seine Kunstwerke lässt er sich vor allem durch alle Bereiche von Wohnhäusern inspirieren. Ein immer wieder kehrendes Material, das Blei, ist in vielen seiner Arbeiten zu finden. Bereits in seiner Kindheit hatten ihn die heißen glänzenden Bottiche Blei in der Fabrik seines Vaters beeindruckt. Der ursprüngliche Gedanke Schneiders im Bezug auf seine Raumkonstruktionen war es pro Generation, wie bei einer Zwiebel, eine Raumschicht in einen Raum zu bauen.10 Im Jahr 2001 gelang ihm mit seinem bislang bekanntesten Werk „Totes Haus u r“ der Durchbruch. Auf der Biennale in Venedig erhielt er im selben Jahr für dieses Kunstwerk den goldenen Löwen.

Ab diesem Zeitpunkt kann man von einem weltweiten Erfolg des Künstlers sprechen. Nachdem das „Haus u r“, welches ursprünglich in Mönchengladbach konstruiert wurde, Teilweise in Venedig aufgebaut und rekonstruiert wurde, hatte Schneider noch weitere

8http://www.goethe.de/kue/bku/thm/de2192661.htm [Stand: 13.06.09] 9 http://www.goethe.de/kue/bku/thm/de2192661.htm [Stand: 13.06.09]

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Projekte. Hierzu zählen unter anderem der „CUBE“, welcher letztendlich 2007 in Hamburg seinen Standort fand, die „Bondi Beach, 21 beach cells“ und das 2008 von Schneider bedachte Projekt des Sterberaums.

1.1. Bisherige Projekte

Die Projekte und Ausstellungen von Gregor Schneider weisen eine große Vielfalt auf, die im Rahmen dieser Arbeit, zur Konzentration auf die aktuellen, gegenwärtig interessanten und häufig diskutierten Projekte zwingen. Demnach werden im Folgenden nur eine Auswahl von Schneiders Arbeiten charakterisiert, um sich mit der Art der Arbeit des Künstlers vertraut zu machen.

1.1.1.

Das „Haus u r“ , in Mönchengladbach-Rheydt und das „Tote

Haus u r“ in Venedig

Nach seiner ersten Ausstellung im Jahr 1985 begann Gregor Schneider mit der Arbeit in seinem Elternhaus in der Unterheydener Strasse in Rheydt. Bis 2007 war der Bildhauer damit beschäftigt, das Haus durch neu eingezogene Wände, Gänge ohne Ende, doppelte Böden, verspiegelte Fester, schalldichte Räume labyrinthartig umzubauen.11 Als Vorlage dienten alle Wohnbereiche (Schlafzimmer, Küche, Kaffeezimmer, Flur, Abstellkammer, Keller), die in dem Haus vorhanden waren. In diese Räume installierte Schneider vollständige neue Räume, bestehend aus Wänden, Decke und Boden. So gelang es ihm, dass die Räume in den Räumen nicht mehr als solche für den Besucher ersichtlich sind. Mit Hilfe von kleinen Motoren versetzte Gregor Schneider die Räume in Bewegung. Viele der von Schneider verwendeten Materialien stammen aus Zwangsenteignungen ganzer Dörfer, die im Raum Rheydt aufgrund von großen Kohlevorkommen vernichtet wurden. Bevor die Bulldozer die Dörfer zerstörten bekam Schneider die Möglichkeit ganze Räume und Accessoires auszubauen oder zu rekonstruieren. 12

Die einzelnen Räume wurden durch Nummern der Reihfolge nach gekennzeichnet. Aber nicht nur die Räume selbst auch die Wände, Böden und Decken der Räume sind nummeriert, „sodass sie auch bei Zerstörung wieder zusammengesetzt werden können.“13 Hierdurch sind Schneiders Räume heute alle mobil und können um die ganze Welt reisen. Dies geschah auch zum Teil mit den Räumen des „Haus u r“.

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Die Namensgebung dieses Projektes „Haus u r“ könnte an seinem Standpunkt in der

Unterheyender Strasse in Rheydt festgemacht werden. Es stellt sich allerdings die Frage

ob man dieser banalen Interpretation folgen muss. Weitere Assoziationen, die sich auch auf den Namen des Kunstwerkes beziehen, interpretieren in die Bezeichnung oder Abkürzung u Leerzeile r tiefer gehendes. So kann man sich fragen aus welchem Grund der Künstler zwischen die Buchstaben u und r eine Leerzeile gesetzt hat. Könnte die Leerzeile für einen ausgelassenen Buchstaben stehen, der aus der Bezeichnung/Abkürzung ein Wort macht? Nahe liegend wäre es, die freie Stelle zwischen u und r mit einem h zu füllen und so das Wort uhr entstehen zu lassen. Die Bezeichnung „Haus uhr“ würde dem ganzen Projekt einen zeitlichen Rahmen geben. Aber nicht nur diese Assoziation, in der ein neues Wort entsteht, auch die Betrachtung der gegebenen Buchstaben u und r als Wort ur könnte auf eine zeitliche Bestimmung hin deuteten. Die Recherche des Begriffes Ur- in Nachschlagewerken „weist auf den Anfang, den ersten, ursprünglichen Zustand von jemandem/etwas hin.“14 Ein weiterer Begriff in dem Zusammenhang ist der Urbeginn, der die Entwicklung des Homo sapiens darlegt. Unter Berücksichtigung dieser Definition des Begriffs Ur- lässt sich eine Interpretation herleiten, die Bezug auf den Anfang oder den ursprünglichen Zustand von Gregor Schneider nimmt. Ebenso der Urbeginn, die Entwicklung des Menschen, und die Tatsache, dass es sich bei dem Projekt „Haus u r“ um das Elternhaus Schneiders, den Ort seiner Wurzeln, handelt, legen diese Interpretation nahe. Somit könnte das „Haus u r“ stellvertretend für den Ursprung, Kindheit und Jugend, Schneiders stehen. Folgt man dieser Auslegung und wirft einen Blick auf das nachfolgende Projekt des Künstlers, dass den Namen „ Totes Haus u r“ trägt, stellt sich die Frage wieso das „Haus u r“, welches gleichzustellen ist mit Schneiders Anfängen, auf einmal tot ist. Eine mögliche Erklärung wäre der Abschluss der Kindheit und Jugend Schneiders, der durch den Tod dieser Lebensphase im „Toten Haus u r“ in Venedig verdeutlicht wird. (Mehr zu verschieden Lebensphasen, die Sterben und somit die Vergänglichkeit einleiten, in Kapitel 2.1 unter Boltanskis Auffassung zum Tod.) Grundsätzlich kann man, folgt man der Darlegung, mit dem zweiten Projekt auch auf eine Abkapselung des Künstlers, zu einer früheren Lebensphase, deuten. Fraglich bleibt dann allerdings, wieso Schneider die Räume des „Toten Haus u r“ teilweise aus den Räumen des „Haus u r“ nachgebaut oder ganz übernommen hat, wenn er durch das letztere Projekt von seinem Ursprung Abstand nehmen wollte.

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Mit dem „Toten Haus u r“, welches partiell aus den Räumen des „Haus u r“ und Rekonstruktionen dieser besteht, gelang Gregor Schneider 2001 der internationale Durchbruch. Er gewann auf der 49.Biennale den „Goldenen Löwen“ und sorgte mit seinen beklemmenden, oft unheimlichen Raumkunstwerken für Furore in Venedig.15 Schneider benötigte über 3 Monate, um das Kunstwerk zu erbauen. Schließlich ließ er die insgesamt 24 Räume, die ein Gewicht von 150 Tonnen aufwiesen, mit dem Schiff nach Venedig schicken. Im Jahr 2003 ging das „Tote Haus u r“ das erste mal auf Reise und wurde für ein Jahr im Museum of Contemporary Art in Los Angeles errichtet. Eine letzte Assoziation, die sich auf die Herkunft vieler Räume und Zubehör bezieht (siehe Kapitel 1), legt die Vermutung nahe, mit dieser Kunst, die somit einen geschichtlich historischer Rahmen bekommt, das Verschwinden von Nachkriegsstädten in Deutschland festhalten zu wollen. Die Tatsache, dass Räume Geschichten erzählen und somit auch historisch wertvolle Informationen überliefern, macht diese Interpretation eloquent.

1.1.2. Cube

Der Plan von Gregor Schneider, „auf dem Markusplatz in Venedig einen schwarzen Würfel aufzubauen, der dem muslimischen Heiligtum der Kaaba ähnelt“16, wurde von der Kunstbiennale 2005 wegen seines politischen Charakters abgelehnt. Mit denselben Bedenken wurde die Installation des Cube vor dem Berliner Hauptbahnhof 2006 verweigert. Im Frühjahr 2007 war es dann soweit, der Würfel wurde vor der Hamburger Kunsthalle aufgebaut (siehe Abb.2). Bis heute blieb dies ohne Konsequenzen. Politische Ängste und Befürchtungen haben sich nicht bestätigt. Die kubusartige Installation Schneiders ist 14 Meter hoch, 13 Meter breit und tief. 17 Sie erinnert an das Gemälde des Malers Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch18, das den Namen „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“ trägt und im Jahr 1915 das ersten mal ausgestellt wurde (siehe Abb.3). Mit diesem Werk erregte der ukrainische Maler zu Beginn des 20.Jahrhunderts

15 Vgl. Schneiders Worte von: Schmidt, Marion (Regie): Sterben im Museum? Auf: ARTE, 28.05.09. 16 Bofinger, Karen: Ich will die Schönheit des Todes zeigen. In: art-Das Kunstmagazin, 22.04.08. 17 Vgl. http://www.goethe.de/kue/bku/thm/de2192661.htm [Stand: 13.06.09]

18 Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch (*1878, †1935) war Maler aus der Ukraine. In seinen frühen

Werken ließ er sich vom Impressionismus und vom Fauvismus leiten. Ab 1912 kam er über den Kubismus zu einem abstrakten Stil, den er selbst definierte und als Suprematismus bezeichnete. In seinem

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große Aufmerksamkeit. Die zeitgenössische Kunst des Expressionismus, in der es den Malern nicht um wirklichkeitsgetreue Wiedergabe von Eindrücken und Formen ging, sondern um den reinen Genuss ,den die Bilder ausdrücken sollten, indem sie die Gefühle und Regungen des Künstlers zeigten, stand im komplementären Gegensatz zu Malewitsch schwarzem Quadrat, das eine direkte Aussage verweigert. Viele expressionistische Maler, die ihren Bilder eine tiefere Bedeutung durch den Ausdruck ihrer Gefühle meinten zu geben, waren empört über die plumpe „Abbildung“ Malewitschs von einem schwarzen Viereck, die als Kunst bezeichnet wurde. Die Frage nach dem, was Kunst sei, kam auf, man machte sich Gedanken über die Aufgabe von Kunst und was diese alles dürfe.

In diesem Rahmen bewegt sich auch die Ausstellung von Gregor Schneider im Hamburger Museum mit dem Titel „Das schwarze Quadrat Hommage an Malewitsch“.

Abbildung 2: Der Cube vor der Hamburger Kunsthalle. (Aus:

http://arttattler.com/Images/Architecture/Black%20Box/Cube_Hamburg_-_Gregor_Schneider.jpg [Stand: 14.06.09])

Abbildung 3: Malewitschs „Schwarzes Quadrat auf weißem Grund“ von 1913.

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1.1.3. Bondi Beach, 21 beach cells

Dieses Projekt von Gregor Schneider entstand 2007 auf dem bekannten Strand Bondi Beach im australischen Sydney. Der Künstler errichtete hier 21 begehbare Strandzellen aus Eisen. Die identischen Abteile sind „jeweils mit einer Luftmatratze, einem Sonnenschirm und einem Abfallbeutel ausgerüstet.“19 Der 400 Quadratmeter große Käfig ist bis heute die größte Installation Schneiders in Australien. Mit diesem Projekt könnte er das „sonnige Image“20 Australiens in Frage stellen, das nicht so sonnig ist wie es scheint. Auch hier sind Probleme wie Klimawandel, Trockenheit, Ozonloch, Demographiewandel und Drogen gegenwärtig. Aus diesem Grund könnte Schneider seine Strandzellen an einen Ort aufbauen lassen, wo normalerweise Sonne, Surfen und Partys das Bild prägen.

Eine weitere Assoziation der Strandzellen, die eine gewisse Beschränktheit oder Gefühle des Gefangen seins implizieren, ist der Gegensatz zu den Freiheitsgefühlen, an einem Ort, an dem die meisten Menschen ihren Urlaub verbringen. Schneider könnte demnach mit seiner Strandinstallation auch auf ein allgemeines gesellschaftliches Problem, das sich auf die Befangenheitsgefühle im Urlaub bezieht, aufmerksam machen wollen. In unserer Zeit, in der man auch im Urlaub, am anderen Ende der Welt, fast immer durch Internet/ Handy erreichbar sein muss oder will, ist die Frage nach der Beschränktheit am Urlaubsstrand nahe liegend. Schneider könnte mit seinem Kunstwerk, das die entsprechenden Gefühle überträgt, gerade hierauf aufmerksam machen wollen. Folgt man dieser Interpretation, stellt sich die Frage, ob wir im Urlaub wirklich so frei sind wie wir glauben. Oder ob wir doch noch durch etwas eingeschränkt sind?

Das Projekt, das im Kontrast zu seiner Umgebung steht, ist „Teil des deutschen Kulturfestivals „GerMANY FACES Australia“ des Goethe-Instituts.21

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1.1.4. Sterberaum

Im Frühjahr 2008 erregte das künstlerische Vorhaben des Sterbezimmers von Gregor Schneider viel Aufmerksamkeit in den Medien. Bei dem Sterbezimmer handelt es sich um ein von Schneider kreiertes Raumkunstwerk, das aus einfachen Kisten besteht, die „man betreten muss um sie erleben zu können“22. Hierbei handelt es sich um einen Nachbau eines Werkes von Ludwig Mies van der Rohe23, dessen Gebrauch der Bildhauer Schneider sich an verschiedenen Orten wie Galerien oder Museen vorstellen kann. Das Kunstwerk, so Schneider, ist der Raum, dieser Raum kann wenn es gewünscht wird, für eine bestimmte Funktion genutzt werden. Durch den Sterberaum schafft er ein Angebot, einen Sterbenden oder gerade verstorbenen Menschen zeigt. Die Nutzung und Funktion dieses Kunstwerkes ist eine äußerst umstrittene Angelegenheit. Schneider thematisiert hiermit die Art und Weise des Sterbens in unserer Kultur. In einem Interview sagte er hierzu: „ Die Realität des Sterbens in deutschen Kliniken, Intensivstationen und Operationssälen ist grausam. Der Tod und der Weg dahin ist heute Leiden. Die Auseinandersetzung mit dem Tod, so wie ich sie plane, kann uns den Schrecken vor dem Tod nehmen.“24 Er würde sich „humanere Orte für den Tod“ wünschen und gibt an, dass er selbst gerne in einem von ihm ausgesuchten Raumkunstwerk im öffentlichen (Museum) aber auch gleichzeitig im privaten Bereich umgeben von Kunst sterben würde. Schneider hat die Hoffnung schön und erfüllt zu sterben. Seiner Auffassung nach besteht durchaus Bedarf und Interesse an Sterberäumen, die durch Designer, Architekten, Maler und Bildhauer gebaut werden. Dieses Interesse geht zu Zeit allerdings hauptsächlich von Hospizen und Krankenhäusern aus. Museen sind mit dieser Art von Kunstausstellung noch vorsichtig. Schneider ist allerdings der Meinung, dass das Leben in die Museen hinein gehört und somit auch das Sterben, denn Leben ist Schneider zufolge auch Sterben. Bis heute ist das Sterbezimmer noch nicht benutzt wurden. Doch dies ist nur eine Frage der Zeit, denn potentielle Nutzer, die sich mit dieser Art zu Sterben beschäftigen auseinander setzen, gibt es bereits. So zum Beispiel der Künstler Gerd Gerhard Loeffler. Er ist an einem unheilbaren Gehirntumor erkrankt. Wie viel Zeit er noch hat, ist ungewiss. In so einer Situation liegen Gedanken über den Tod und die Art und Weise des Ablebens nahe. Loeffler beschäftigt sich schon länger mit der Gestaltung seines Todes. Für ihn

22 Schneiders Worte in: Schmidt, Marion (Regie): Sterben im Museum? Auf: ARTE, 28.05.09.

23 Ludwig Mies van der Rohe ( * 27. März 1886 in Aachen, † 17. August 1969 in Chicago) war einer der

bedeutenden deutschen Architekten der Moderne.

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stellt das Projekt Sterberaum von Gregor Schneider eine würdige Möglichkeit um aus dem Leben zu gehen dar.25 Er stellt die Frage, wieso er nicht mit seinem Tod in die Öffentlichkeit gehen solle. In diesem Zusammenhang berichtet er über die schlechte Situation auf der Palliativstation26 seines Kreiskrankenhauses. Offiziell hat diese Station kein Geld zur Verfügung und finanziert sich lediglich aus Spenden. Gerd Gerhard Loeffler kritisiert diese Tatsache. Durch die Ungewissheit, ob er überhaupt ein Zimmer auf der Palliativstation bekommt, rückt die Möglichkeit für Loeffler in einem Sterberaum zu sterben näher. Er sagt hierzu: „ Wenn die [das Krankenhaus] kein Zimmer für mich haben, bring ich mir seins mit und gestalte es mir selbst.“27 Aufgrund der Tatsache, dass der Sterbende und seine Angehörigen die Gestaltung vom Sterbezimmer mitbestimmen können, sieht Loeffler keine Verletzung der Würde des Sterbenden, so wie es in den Medien heiß diskutiert wurde.

Er selbst stellt sich seinen Sterberaum als Wohnatelier vor, in dem er seine letzten Monate und Tage zum Abschiednehmen verbringen möchte.

Nach diesem kleinen Prolog zum Sterbezimmer, soll im Folgenden der Umgang dieses Themas in dem Medien im Zentrum meiner Analyse stehen. Hierbei sind die Folgenden Fragen genauer zu betrachten: Inwieweit beeinflussen die Medien den kulturellen Umgang mit dem Tod und welche Rolle hat die Kunst in diesem Zusammenhang. Was darf Kunst?

25 Vgl. Schmidt, Marion (Regie): Sterben im Museum? Auf: ARTE, 28.05.09.

26 Station im Krankenhaus auf der unheilbar Kranke Menschen im fortgeschrittenen Stadium auf das

Sterben vorbereitet werden. Sie haben etwa den gleichen Grundgedanken wie Hospize. Durch den Einsatz von Medikamenten sollen Symptome gelindert und der Rest der Lebenszeit verbessert werden.

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2. Diskussion Sterberaum

In den Medien wird Gregor Schneider auch als der „unheimlichste Künstler der Gegenwart“28 bezeichnet, dies liegt vor allem an seinen Arbeiten, die die für uns üblichen Gestaltungsgrenzen überschreiten. Am 19.03.08 äußerte Schneider in der britischen Kunstzeitschrift „The Art Newspaper“ sein Vorhaben, einen Menschen ausstellen zu wollen, der eines natürlichen Todes stirbt oder der gerade verstorben ist. Im Zentrum steht hierbei für den Installationskünstler, „die Schönheit des Todes zu zeigen“, ihn aus der gesellschaftlichen Tabuzone zu führen und gleich wie die Geburt von Menschen zu einer schönen Erfahrung zu machen. Die Idee an sich war für Schneider nicht neu, er hatte sich bereits seit 1996 Gedanken über ein solches Projekt zum Thema Tod und Sterben gemacht, in dem er die Inhumanität vom Ableben thematisieren möchte. Nach dem Interview mit der britischen Zeitschrift war eine sachliche Diskussion im Zusammenhang mit Schneiders Vorhaben nicht mehr möglich. Die Medien überschlugen sich förmlich mit hauptsächlich negativen Berichten, in denen es um den unwürdigen Umgang Schneiders mit dem Tod vor einem Publikum ging. Die Brisanz lag in den Überschriften der Zeitungen, die nahezu alle dieselbe Aussage enthielten; „Gregor Schneider will einen Menschen sterben lassen und das öffentlich“29, so die Essenz der Überschriften in der Presse. Dies hat Schneider nach eigener Aussage in der Dokumentation „Sterben im Museum?“30 nicht gesagt. Schneiders Haupanliegen ist der Raum, den er als Kunstwerk sieht und in dem, seiner Funktion nach, (wenn erwünscht) ein Toter oder gerade Verstorbener gezeigt werden kann. Die Aussagen der Medien unterstellen Schneider förmlich, dass er jemanden dazu zwingen würde zu sterben oder dass er Hilfe unterlassen würde. Doch auf das Sterben kann Schneider keinen Einfluss nehmen und er hat von Anfang an betont, dass die Einwilligung und Mitbestimmung des potentiellen Nutzers sowie dessen Angehörigen Voraussetzung ist. Trotzdem nahm die negative Furore von allen Seiten nicht ab. In Internet- Foren einiger Zeitungen kam es zu Gewalt verherrlichenden Äußerungen. Per Telefon und E-Mail bekam der Niederrheiner sogar Morddrohungen. Die Skurrilität im Umgang mit diesem Thema riss noch lange nicht ab, als ein Mann laut Online-Spiegel vom 22.04.08 vorschlug „den neuen Mann seiner Ex-Frau für die Rolle des Toten zur Verfügung zu

28 Bezeichnung stammt aus der Süddeutschen Zeitung.

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stellen.“31 Schneider selbst ist beinahe sprachlos über die radikale Entrüstung, die er mit seiner Kunst verursacht hatte. Er kann die Empörtheit nicht nachvollziehen. Der Direktor des Krefelder Kunstmuseums -für das Schneider seinen Raum entworfen hatte- Martin Hentschel, beurteilt das Projekt Sterberaum als „„ein bloßes Spektakel“, das mit Kunst wenig zu tun habe“32, der nordrhein-westfälische Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff bewertet Schneiders Vorhaben als „„unausgegorene Idee“ und stellt die Frage, ob Kunst nicht, nachdem alle Tabus gebrochen sind auch dazu beitragen muss diese wieder zu errichten.“33 Auch die Worte von Paul Kathstede (Vorsitzender des Krefelder Kunstvereins) sind nicht positiv. Er sagt: „Ich finde das Wort pervers für diese Idee noch zu schwach.“34 Sogar der Stiftungsvorstand der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Grysch, warnt davor alle Tabus unserer Gesellschaft niederzureißen und somit eine enthemmte und würdelose Gesellschaft zu fördern. Infolge der nicht endenden Debatte um Schneides „unwürdiges“ Projekt begannen sich auch Politiker kritisch zu äußern. Im Allgemeinen wurden Kritiken wie „Missbrauch künstlerischer Freiheit“ geäußert. Schneiders Vorhaben wurde als „Versuch einer Provokation“ abgetan. Die Grünen sprachen sogar von einer „Zoo-Situation“35 und die FDP appellierte an die Würde des Sterbenden. Dies taten auch die CDU- Bundestagsabgeordneten Wolfgang Börnsen –kulturpolitischer Sprecher der CDU/CSU- Fraktion- und Günter Kings –Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien-. Sie sind der Auffassung, dass der Mensch nach seinem Tod nicht zum bloßen Anschauungsobjekt herabgewürdigt werden sollte. Der Tod dürfe nicht durch eine Zurschaustellung für künstlerische Zwecke instrumentalisiert werden.“36 Zum Handlungshintergrund des Künstlers sprachen die Bundestagsabgeordneten von einer Idee, in die Schneider sich verrannt habe um an makabere, voyeuristische Instinkte zu appellieren.37 Der Aufruf der CDU- Bundestagsabgeordneten, die Würde der Toten nicht zu „beschmutzen“ indem man sie nach dem Tod zeigt, steht im Kontrast zur Auffassung des Umgangs mit dem Tod von Walter Schels und Beate Lakotta (hierzu mehr in Kapitel 2.1). Der Fotograf und die Journalistin haben in jahrelanger Begleittätigkeit in Hospizen Menschen vor und nach ihrem Tod porträtiert und

31 Spiegel- Online: Künstler Schneider bekommt Morddrohungen. 22.04.09.

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,548954,00.html [Stand: 23.07.09]

32 Bofinger, Karen: Ich will die Schönheit des Todes zeigen. In: art-Das Kunstmagazin, 22.04.08. 33 Vgl. ebenda.

34 Ebanda.

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fotografiert. Mit Einwilligung der Sterbenden sind Fotos wie Abbildung 1 auf der Titelseite entstanden. Schels und Lakotta stellen unseren kulturellen Umgang mit Toten, die meist schnell in die Kiste kommen und aus unserem Blickfeld verschwinden müssen in Frage.“38 Für sie wird der Mensch gewürdigt, wenn man ihn auch nach dem Tod noch ansieht. Unter Betrachtung von Schels, Lakottas und Schneiders Ansichten zum kulturellen Umgang mit dem Tod erscheint die einfache Kritik der CDU- Bundestagsabgeordneten als undifferenziert und naiv. Beide Politiker, die kulturpolitisch tätig sind, sollten auch den eigenen Umgang mit dem Tod hinterfragen können. Besonders Günter Kings, der Mitglied im Ausschuss für Kultur und Medien ist, sollte die Faktenwiedergabe der Medien kritisch betrachten können und somit eine differenziertere Sichtweise auf die Diskussion entwickeln können.

Dennoch lässt sich unter dem Berg massiver Kritik, auch eine positive oder verständnisaufbringende Stimme für die Installation Sterberaum finden. Der Kunstexperte, Ausstellungsmacher und Jenseitspater Professor Friedhelm Mennekes. Er baute in Köln die internationale Kunststation St. Peter39 auf und hat Schneider schon einige Male ausgestellt.

Seinen Auffassungen zu Folge ist Schneiders Sterbezimmer ein positiv helfender Anstoß, um über unseren Umgang mit dem Tod nachzudenken. Er beobachtet schon länger eine wachsende Sehnsucht der Menschen nach Ritualen und Gestaltung für die schwierigen Momente im Leben. Durch die Kunst sieht er die Möglichkeit, dieses schwierige Tabuthema dem Menschen besser zugänglich zu machen. Im Gegensatz zur Religion, welche einen recht starren Umgang mit dem Tod vorgibt, kann die Kunst mehrere Wege des Umgangs mit dem Tod öffnen. Für den Seelsorger stellt die Kunst eine Voraussetzung für die Befasstheit mit dem Tod dar.40 Der Sterberaum, der nach Menneke wie ein Sarg, ein Gefäß in einem Raum ist, kann in verschiedenen Räumen stehen. In einem Museum aber auch in einer Kirche, die nicht anders als das Museum, der Form nach, einen Energieraum darstellt. Trotz seiner Befürwortung für Schneiders Projekt gibt Mennekes zu, von der Radikalität überrascht zu sein.

38 Vgl. Beate Lakottas Worte in: Schmidt, Marion (Regie): Sterben im Museum? Auf: ARTE, 28.05.09. 39 Die internationale Kunststation St. Peter befindet sich seit 1987 in der gotischen Sankt Peter Kirche

(1513-1525 errichtet) in Köln. Hier finden vor allem Ausstellungen zeitgenössischer Kunst, Musik und Literatur statt.

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Schneiders Thematisierung des Todes hat dazu geführt, dass die Menschen wieder oder mehr über ihren eigenen Tod nachdenken und diesen nicht verdrängen. Hierzu gehört auch der Raum oder das Ritual.

Schneider sieht seine Arbeit mit der Anfertigung seines Raumkunstwerkes als getan. Letztendlich liegt es nun an einem Sterbenden, ob er den Raum, der zugleich Kunstwerk und Schutzraum darstellt, für sich nutzen möchte. Der Sterbende wird uns zeigen, wie er seinem Tod gestaltet. Hierbei betont Schneider deutlich, dass er es nicht als seine Aufgabe sieht, für andere zu denken. Er hat mit seinem Kunstwerk einen Anstoß dafür gegeben. Letztendlich muss jeder selber wissen, durch wen oder was sein Tod gestaltet werden soll. Durch die Medizin, die Religion, die Kunst oder durch einen selber.

2.1. Thema Tod und Sterben bei anderen Künstlern

Beschäftigt man sich mit dem Thema Tod und Kunst wird man festzustellen, dass sich zahlreiche Gegenwartskünstler auf die unterschiedlichste Art und Weise, mit verschiedensten Ansätzen ebenfalls damit auseinandersetzen. Beate Lakotta und Walter Schels zum Beispiel stellten vor drei Jahren das Projekt „Noch mal Leben vor dem Tod“ auf die Beine. Im Rahmen dieses Projektes haben die beiden, über einen Zeitraum von zwei Jahren, 25 Menschen während ihrer letzten Lebenstage in Hospizen begleitet. Mit Hilfe von Tonbändern und einer Kamera entstanden so Porträts von Todkranken vor und nach ihrem Tod. Diese wurden in einem Buch festgehalten, das unter dem gleichen Namen des Projektes 2008 veröffentlicht wurde. Zusätzlich entstand eine Ausstellung -ebenfalls mit dem gleichen Namen- die an vielen Orten in Europa -Deutschland (Hamburg, Berlin, Bremerhaven, Mainz, Kassel, Dresden), Schweiz (Warth), England (London), Portugal (Lissabon), Israel (Haifa), die Fotos wie unter anderem in Abbildung 1 zeigt. Die Porträtierten wurden mit ihrem richtigen Namen festgehalten. Keiner der Gesprächspartner wollte anonymisiert werden, wie Lakotta berichtet. „ Für viele war es wichtig, auf diese Weise eine Spur zu hinterlassen. Manche hatten das Gefühl, dass ihr Leben ansonsten nicht besonders bedeutungsvoll gewesen war.“41 Für die Journalistin und den Fotografen hingegen hatte das Projekt einen anderen Hintergrund. Das Paar hatte sich zu Beginn aus persönlichen Gründen mit dem Thema Tod beschäftigt. Der Altersunterschied der Beiden entfachte eine Auseinandersetzung mit dem Sterben. Dabei beschäftigten sie sich hauptsächlich mit dem kulturellen Umgang des Todes. Sie

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hinterfragten besonders das schnelle Abhandeln des Todesvorganges, bei dem die Angehörigen oft einen Blick auf den Toten meiden. Das Thema der Totenwürde spielte bei Lakotta und Schels eine große Rolle. Für sie würdigt man die Toten, indem man sie sich auch nach dem Tod ansieht und dies verarbeiteten sie in der Art der Porträtierung ihres Projektes.

Während Beate Lakotta und Walter Schels, in Deutschland mit ihren Porträts und Fotografien den Toten auch nach dem Tod ein Gesicht geben, lehnt der französische Künstler Christian Boltanski die Abbildung von Toten völlig ab. Seit Anfang 2008 beschäftigt sich Boltanski in seinem Projekt Les archives du coeur (Archiv des Herzens) mit der Endlichkeit des Seins und dem menschlichen Kampf gegen die Vergänglichkeit. In diesem Projekt legt er auf der japanischen Insel Ejima ein Archiv von menschlichen Herztönen an. Hiermit versucht der Künstler das unaufhaltsame Schicksal aller Menschen, das mit dem Tod endet, zu archivieren.42 Für Boltanski kommt der Tod nicht plötzlich. Für ihn setzt sich das Leben aus mehreren Teilen zusammen, die nacheinander sterben. So gesehen ist der erste Lebensteil, der stirbt, die Kindheit. Die Darstellung der Vergänglichkeit geschieht bei Boltanski meist nicht durch bildliche Illustration. Zeigt er doch Bilder von Toten, sind diese so verfremdet, dass man sie als solche nicht mehr erkennen kann. Seine optische Visualisierung des Todes sieht vorwiegend anders aus. So verbindet Boltanski zum Beispiel seinen Herzschlag, der zu hören ist, in einem dunklen Raum mit einer Glühbirne, die im Rhythmus seines Herzens mit schlägt. Die Gestaltung des Kunstwerkes findet demzufolge durch optische und akustische Reize statt. Für Christian Boltanski hat jeder Künstler seine eigene Moralvorstellung, die sich in seiner Arbeit widerspiegeln wird. Er selber lehnt es ab „Spaß durch etwas grausiges Auszulösen“43 in diesem Fall durch das Veröffentlichen von Totenabbildungen.

Im völligen Kontrast hierzu steht die Kunst von Sue Fox. Mit dem Tod ihrer Mutter begann die Amerikanerin aus Manchester ihre Fotos in Leichenschauhäusern, Krematorien, Krankenhäusern und auf Friedhöfen zu machen. Hierbei geht es der Buddhistin vorrangig um ihre eigene Selbsterfahrung mit dem Tod. Gefühlsregungen und Äußerungen mit dem Thema spielen eine große Rolle und werden von Fox durch Videoaufnahmen und Fotos festgehalten. 2005 entstand so ein Film mit dem Titel „ Eine Reise zum Grab meiner Mutter“. Fox, die zum ersten Mal ein nahe stehendes Familienmitglied verloren hatte, denkt viel über den Tod nach. Doch so viel sie auch

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darüber nachdenkt, immer kommt sie zu dem Schluss, dass sie nichts auf den Tod vorbereiten kann. Trotzdem will sie dem Tod ins Auge sehen, um ihn zu verstehen. Sie hofft sich durch ihre Arbeit auf den Schock vorbereiten zu können und Vorkehrungen für die nächste Begegnung mit dem Tod zu treffen. Die Buddhistin folgt ihrem Glauben, der besagt, man solle den Verfall ausgiebig betrachten und über seine Eigenart nachdenken. Für die Umsetzung ihres Glaubens geht Fox dann in die bereits genannten Institutionen, wo man täglich mit dem Verfall zu tun hat. Sie macht Bilder von meist anonymen Leichen, aber auch von ihrer verstorbenen Mutter. Ihre Bilder kaschieren nichts, sie sind “schonungslos und schwer auszuhalten“44. Manch einer würde sie als makaber und unwürdig bezeichnen. Doch diese Fotographien “erzeugen keine Albernheit, erlauben keine Entladung der Anspannung durch Gelächter, provozieren keine Entschärfung des grausigen Anblicks.“45 Der Vater von Fox war gegen die Leichenfotos seiner eigenen Frau. Aber Fox geht es nicht darum, durch die Grausigkeit des Themas Aufmerksamkeit zu erregen. Für sie ist es wichtig, dass die Menschen Seiten des Lebens betrachten, bei denen sie normalerweise wegsehen würden. Ihre Fotos sollen die Leute zum hingucken zwingen und die Realität von Leben und Tod ans Tageslicht bringen. Den Tod zu verdrängen bringt die Menschen nicht weiter, denn irgendwann begegnen sie ihm doch. Die Art der Buddhistin mit dem Tod umzugehen und das Wissen darüber gibt ihr Kraft. Fox beschreibt eine gewisse neue Lebendigkeit in ihrem Leben, welche aus dem Wissen über den eigenen Tod und derer aus ihrem Umfeld resultiert.

In den Niederlanden befasst sich der Künstler Hans van Houwelingen in seinem Projekt „Sluipweg, waarlangs de dood heeft weten te ontsnappen“ (Schleichweg an dem entlang der Tod wusste zu entkommen) auf eine noch andere Weise mit dem Tod. Er unterscheidet ebenfalls wie Boltanski mehrere Stufen des Todes, doch beziehen sich diese auf die Zeit nach dem Tod. Van Houwelingen recycelt Grabsteine und hat so ein Denkmal -in Form eines Weges- für den Tod geschaffen. Indem er den Weg mit alten Grabsteinen gepflastert hat, thematisiert er die Vergänglichkeit des Todes in unserer Gesellschaft. Heutzutage besteht ein Grab so lange beziehungsweise darf so lange getrauert/geruht werden, wie dafür bezahlt wird. Danach wird das Grab aufgelöst und der Tod stirbt ein zweites Mal. Der neu radikale Künstler spricht im ersten Fall vom

44 Schmidt, Marion (Regie): Sterben im Museum? Auf: ARTE, 28.05.09.

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Tod, unter dem er das Ende eines menschlichen Lebens versteht, doch für ihn endet es damit noch nicht. Nach van Houwelinges Ansichten gibt es auch einen Moment in dem der Tod aufhört zu bestehen. Hiermit meint er die Auflösung von Gräbern. Er bezeichnet diesen Moment als Tod tot.46 Um dieses in Frage zu stellen und zu sehen, welche Bedeutung der Beginn vom Tod tot für die Menschen hat, ist er mit dem Bau des Schleichweges auf der Kunstfestung Vijhuizen begonnen. Vermutungen des Künstlers, dass dies ein Thema von Interesse bei den Menschen ist, haben sich aufgrund der hohen Hilfsbereitschaft an dem Projekt bestätigt. Alle Teilnehmer, die an dem Projekt arbeiten, haben hierfür einen besonderen Grund, der sie an das Projekt bindet. Kritik wird vor allem an der Art des Kunstwerkes, das einen Weg darstellt, geübt. Die Frage, ob man auf den Grabsteinen laufen soll oder darf, steht hierbei im Raum. Doch jeder kann für sich entscheiden, ob er auf dem Weg oder daneben gehen möchte. Der Weg wurde allerdings so ausgerichtet, dass, wenn man in eine Richtung läuft, die Grabsteine auch lesen kann. Der Effekt davon ist, dass der Tod, der von den Grabsteinen im Schleichweg ausgeht, nicht Tod tot ist, da sie immer noch gelesen und betrachtet werden können. Mit dem Projekt gibt der Künstler dem Tod die Chance, einen Weg zu finden ohne von der Bildfläche zu verschwinden.

Die verschiedensten Ansätze und Auslegungen über den Umgang mit dem Tod haben alle eins gemeinsam, sie werden durch die Kunst zum Gesprächsthema. Doch wieso bedarf es bei so einem Tabuthema der Kunst, um darüber sprechen zu können? Wie schafft sie es, den Menschen einen besseren Zugang zu ermöglichen? Diese Fragen stellen das Hauptaugenmerk des nächsten Kapitels dar.

3. Die Aufgabe von Kunst

Bevor in diesem Kapitel näher auf die Aufgabe und Wirkung von Kunst in der Gegenwart eingegangen wird, ist es zunächst von Nöten, sich mit dem Begriff selbst und seiner Entwicklung auseinanderzusetzen.

Die Definition für Kunst hatte im Althochdeutschen ursprünglich die Bedeutung Wissen, Weisheit, Kenntnis aber auch Fertigkeit.47 Das Phänomen menschlicher Kunsttätigkeit lässt sich weit in die vorgeschichtliche Zeit, in der Menschen begannen

46 Vgl. van Houwelings Worte in: van Driel, Paul/Ebers, Charlotte/Hartkamp, Godfried/Gerbers,

Dolf/Kramer, Paul/Pelgrum, Puud/Sips, Maaike/Wagenaar-Ros, Barbara (Regie): Een monument voor de dood naar de dood. Auf: AVRO Kunstuur/ Van de Straat, 31.01.09.

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Felsbilder zu malen, zurückverfolgen. Zu dieser Zeit hatte die Kunst noch einen kultisch religiösen Kontext. Ebenso im Mittelalter (ca. 500- 1500 n. Chr.). Hier bot die Kunst die Möglichkeit, die Schöpfung von Gottes Werken in haltbaren Materialien fest zu halten. Dabei unterschied man noch nicht zwischen Handwerk und Kunst. Dies geschah erst ab dem 16. Jahrhundert. Der deutsche Kunstbergriff begann sich langsam von seiner ursprünglichen Bedeutung Fertigkeit/Handwerk zu lösen. Man fing ab dieser Zeit an, Handwerk und Kunst von einander zu unterscheiden.

Erst im 18. und 19. Jahrhundert entwickelte sich der Kunstbegriff, aufgrund der von Immanuel Kant48 erkannten Begriffsvereinbarung, auf der sich keine Norm stützte, so dass er sich dem heutigen Kunstverständnis langsam näherte. Der höchste Zweck eines Kunstwerkes war demnach seine Schönheit, wobei es keine objektive Geschmacksbestimmung gab, welche festlegte, was schön ist.49 Dieses Begriffsverständnis und die Beeinflussung des Kunstbegriffs in den romanischen Sprachen, wie italienisch mit l `arte und französisch mit l ` art, führten dazu, dass „der Weg für ein subjektives Verhältnis zur Kunst bis in die Gegenwart Europas geöffnet“50 wurde. Nachdem Kant mit seinem Vereinbarungsbegriff Kunst einen wichtigen Beitrag geleistet hatte, setzte Georg Wilhelm Friedrich Hegel51 einen neuen Akzent im Bereich des Kunstverständnisses. Er thematisierte die Kunstproduktion, die das höchste Bedürfnis seiner Meinung nach nicht mehr ausfüllte. Die Kunstproduktion, so Hegel „benötige zu ihrer Rechtfertigung die Reflektion.“52 Diese ist seither durch die Kunst zu einem fruchtbaren Anlass der Kunstproduktion geworden, die auch die eigene Ablehnung beinhalten kann. Nach dieser Sinndeutung Hegels vom „Ende der Kunst“53 stellt A.C. Danto54 den Reflexionscharakter vor allem bezogen auf das eigene künstlerische Schaffen und den Status, überhaupt Kunst zu sein, in Frage. Seinen

48 Immanuel Kant (* 22. April 1724 in Königsberg; † 12. Februar 1804) war einer der bedeutenden

deutschen Philosophen in der Zeit der Aufklärung. Mit seinem Werk Kritik der reinen Vernunft beeinflusste er die Philosophiegeschichte so gravierend, dass man ab diesem Zeitpunkt von dem Beginn der Modernen Philosophie spricht.

49 Vgl. Brockhaus Enzyklopädie. völlig neu bearb. Aufl. 2006. Bd. 21, S. 94. 50 Ebenda. S. 94

51 Georg Wilhelm Friedrich Hegel (* 27. August 1770 in Stuttgart; † 14. November 1831 in Berlin) war

ein deutscher Philosoph des Idealismus. In der Erfassung der Wirklichkeit erhebt Hegel Anspruch darauf, diese durch die Vielfalt ihrer Erscheinungsformen und die geschichtliche Entwicklung logisch zu definieren.

52 Vgl. Brockhaus Enzyklopädie. völlig neu bearb. Aufl. 2006. Bd. 21 S. 4. 53 Vgl. ebenda. S. 94.

54 Arthur Coleman Danto (* 1. Januar 1924 in Ann Arbor, Michigan) ist ein amerikanischer Philosoph und

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Einfluss hatte hier auch der französische Maler und Objektkünstler Marcel Duchamp55. Die neu erfasste These Dantos „stellte ab einem bestimmten Zeitpunkt des 20. Jh. als »Frageobjekt« selbst die Frage, ob sie Kunst sei, dadurch k[am] sie zugleich an das Ende ihrer bisherigen Geschichte […] und tr[at] in ihre nachgeschichtliche postmoderne Phase ein.“56 Für diese neue Phase der Kunstgeschichte sind vor allem der Pluralismus und die Grund- beziehungsweise Vorsätze der Künstler ausschlaggebend. Nach dem Motto „ anything goes“ setzt sich diese Kunstepoche gravierend von der bisherigen Kunstgeschichte ab, in der vor allem Konzepte von Nachahmung und Ähnlichkeit dominierten. Nach heutiger Auffassung unterteilt sich Kunst in verschiedene Zweige wie Literatur, Musik, darstellende57 und bildende Kunst58 auf, wobei Grenzüberschreitungen, in der gegenwärtigen Moderne, in der alles möglich ist, nicht selten vorkommen. Im täglichen Sprachgebrauch wird der Begriff Kunst überwiegend für die Bezeichnung der bildenden Kunst gebraucht. In der Gegenwart als auch in der Vergangenheit ist die Beurteilung und Klassifikation von Kunst von denselben Faktoren, wie den Normen der Zeitepoche und der jeweiligen individuellen Gesellschaftsschicht, abhängig. Hierbei ist obligatorisch zu beachten, dass die gegenwärtigen Kunstrezeptionen, Kunsttheorien und der Kunstbegriff nicht separat von der Stellung des Künstlers betrachtet werden können.

Die Funktion von Kunst, die aufklärt und in Frage stellt, wird aktuell auch am Beispiel von Gregor Schneiders Sterberaum, das wie bereits erläutert, massiv abgelehnt wurde, deutlich. Doch was ist die Aufgabe der Kunst im Bezug auf dieses Beispiel und im allgemeinen? Wie Professor Friedhelm Mennekes (einziger Befürworter von Schneiders Projekt, siehe Kapitel 2) erläuterte, hat die Kunst die Fähigkeit ein Thema, in diesem Fall ein Thema, das durch die Norm unserer Epoche von einem Tabu besetzt ist, zugänglicher für die Menschen zu machen. Im Gegensatz zur Religion, die auch einen Zugangsweg zum Thema Tod bietet, wenn auch einen recht starren, kann die Kunst mehrere und verschiedenartige Zugangswege zur Materie schaffen. Die verschiedenen

55 Marcel Duchkamp (* 28. Juli 1887 in Blainville-Crevon; † 2. Oktober 1968 in Neuilly-sur-Seine) gilt

als Mitbegründer der Konzeptkunst und als Vertreter des Dadaismus sowie des Surrealismus.

56Brockhaus Enzyklopädie. völlig neu bearb. Aufl. 2006. Bd. 21. S. 94.

57 darstellende Kunst beruht auf Darbietungen oder Darstellungen die vergänglich sind und demzufolge

einen zeitlichen Ablauf haben In der Regel finden diese Darbietungen vor einem Publikum statt, wie zum Beispiel Theater, Tanz und Film.

58 bildende Kunst hat sich als Bezeichnung seit dem 19. Jh. im deutschen Sprachraum für die visuellen

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Zugänge der Kunst irritieren, zerstören die Sicherheit, in der sich die Menschen oft glauben zu befinden, und stellen den eigenen Möglichkeitssinn in Frage. Die Art und Weise der Betrachtung soll so sensibilisiert und alle vorhandene Selbstverständlichkeit thematisiert werden. Durch die Kunst wird so eine Sichtweise ermöglicht, die im alltäglichen Leben, gefangen von Normen, nicht denkbar ist. In der Hinsicht auf das Thema Tod wird somit eine Konfrontation mit dem Sterben provoziert, die die aufgebaute Sicherheit durch banale Verdrängung zerstört. So gesehen könnte man assoziieren, dass die massenhafte negative Reaktion auf das Projekt von Schneider, der damit den Menschen die aufgebaute Sicherheit unter den Füßen weg reißt, eine normale menschliche ist. Denn wer reagiert auf eine ihn selbst betreffende Nachricht, die den Umgang mit der eigenen Existenz und dem Tod in Frage stellt, zunächst positiv? Betrachtet man die Themen der Kunstgeschichte ist festzustellen, dass diese zu allen Zeiten fast dieselben geblieben sind. „Künstler haben sich schon immer mit der Frage nach Gott, mit Sex, dem Tod, Natur und der Liebe beschäftigt. Diese Themen, circa ein Dutzend, werden immer wieder neu aufgenommen, auch von Philosophen und Theologen.“59 Somit ist auch das Thema Tod und Sterben eines der ganz offensichtlichen. Im Zusammenhang mit dem Tod wird in der gegenwärtigen Kunst gerade in Bezug auf das Projekt Sterbezimmer immer wieder die Frage gestellt, was Kunst dürfe, und ob Kunst überhaupt noch aufrüttelt. Betrachtet man die Kunstgeschichte am Beispiel Malewitsch und der expressionistischen Kunstepoche (Kapitel 1.1.2.) und berücksichtigt auch hier bei der Beurteilung die Norm der Zeitgeschichte und der jeweiligen Gesellschaftsschicht, wird man feststellen, dass es auch schon damals auf neuartige und damit revolutionäre Kunst viel zerreißende Kritik gab. Ebenso bei Malewitsch, der mit seiner geometrischen Kunst die expressionistischen Gefühlsmalerei in Frage stellte und somit die bis dato bestehende Definition von Kunst ins Wanken brachte. Unter Betrachtung dieser Aspekte und dem Verlauf der Kunstgeschichte, in der das Beispiel von Malewitsch kein Einzelfall ist, könnte man die Frage, ob Kunst noch aufrüttelt, mit einem Ja beantworten, da die Reaktionen auf neue radikale Inhalte in der Kunst sind die gleichen geblieben. Sie werden zunächst völlig abgelehnt bevor, die genauen Inhalte betrachtet werden.

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4. Bilder von Tod und Sterben (Entwicklungsphasen)

Um die Entwicklung der Todesbilder zu untersuchen, ist es wichtig, sich mit den jeweiligen Epochen und deren Entwicklungshindergrund zu beschäftigen. Anhand der Geschichte des Todes kann man dann die Entwicklungsphasen mit den dazugehörigen Todesbildern untersuchen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass „die Definition des Todes […] immer eine bestimmte Einstellung zum Leben [enthält]“60, die von der Gestaltung der Gesellschaft, den staatlichen Institutionen, den kulturellen Einrichtungen, dem Brauchtum und individuellem Verhalten abhängig ist, und somit nicht getrennt vom historischen Hintergrund betrachtet werden kann. Genau wie die Geschichte der Menschen sich ständig verändert, so sind auch die Todesbilder einem ständigen Wandel unterworfen. Dieser Wandel der Todesbilder beruht auf der Angst der Menschen vor dem Tod. Der Versuch diese Angst zu bewältigen, sie greifbar zu machen, wurde in der Vergangenheit durch Integration oder in der Gegenwart durch Ausschluss des Todesvorgangs unternommen. Ausschlaggebend für die Entwicklung des Todes, mit seinen Bildern und dem Umgang, ist vor allem das Auftreten der Pest im 14. Jahrhundert und die darauf folgende Säkularisierung im 19.Jahrhundert.

4.1. Bilder des Todes und gesellschaftlicher Hintergrund im

Mittelalter

Die Epoche des Mittelalters datiert sich auf die Zeit von ca. 500-1500 in Europa. In dieser Zeit war der Tod eine tägliche Angelegenheit der Menschen. Man musste jederzeit mit dem Tod rechnen. Er zählte zu den „Unsicherheiten des Alltags“61. Bis ins 19. Jahrhundert war die Lebenserwartung der Menschen äußerst gering. Leider ist das Wissen über Geburten und Sterbezahlen von dieser Zeit aber auch von früheren Zeiten weitgehend unerforscht. Je weiter man in der Geschichte zurückgeht, desto ungenauer werden die Ermittlungen der durchschnittlichen Lebenserwartungen. Der Grund hierfür liegt zum einen an den -wenn vorhanden- unvollständigen Überlieferungen oder an der Tatsache, dass Bürger der Unterschichten nicht in die Toten- oder Gedenkbücher aufgenommen wurden. Die einzigen Quellen, aus denen Zahlen der Geburten- und Sterbefälle entnommen werden können sind Kirchenbücher, die ab Mitte des 16.Jahrhunderts unter dem Namen „Seelenbuchhaltung“ eingeführt wurden. Wichtige Daten, wie Alter der Verstorben und Todesursache fehlen aber auch hier bis ins 18.

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Jahrhundert hinein. Die einzigen genauen Lebensangaben, die existieren, sind die von damaligen Fürsten, Königen und Kaisern. Hier sind genaue Geburts- und Sterbedaten bekannt. Doch lassen sich diese nicht auf die gestammte mittelalterliche Bevölkerung übertragen, weil die Lebensumstände der niedrigen Sichten weitaus schlechter waren als in den Königs- und Fürstenhäusern. Nach Schätzungen von Historikern jedoch, werden die Lebenserwartungen im Mittelalter und bis ins 19. Jahrhundert hinein, auf höchstens 35 Jahre festgelegt. Diese niedrige Lebenserwartung war hauptsächlich durch die hohe Kinder- und Säuglingssterblichkeit, sowie durch ihren hohen Anteil in der Bevölkerung bedingt. Das enge Zusammenleben förderte obendrein die Ansteckungsgefahr und legte den Tod für den Einzelnen sehr nahe.62 In dieser Zeit starben 40-50% aller Menschen bevor sie das 10. Lebensjahr erreicht hatten.63 Die höchste Sterblichkeitsrate war im

ersten Lebensjahr mit ¼ aller Neugeborenen zu verzeichnen. „Es brauchte zwei Geburten, um einen Erwachsenen Menschen zu ersetzen.“64 Demographisch betrachtet bedeutet diese Lebenserwartung allerdings nicht, dass es im Mittelalter keine Menschen gab, die älter als 35 Jahre wurden. Im Gegenteil, vereinzelt wurden Menschen immer wieder sehr viel älter.

Oft kam es vor, dass Väter und Mütter alle ihre Kinder überlebten und im Alter allein da standen. In den Städten war die Lebenserwartung aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte von Kranken und Gesunden, die die Infektionsgelegenheit förderte, niedriger als auf dem Land, wo die Menschen sich besser aus dem Weg gehen konnten. Auch zwischen den einzelnen Schichten gab es gravierende Unterschiede, was den Gesundheitszustand eines jeden einzelnen betraf. Kinder von ärmeren Schichten waren, durch Mangel an Widerstandskräften, der in schlechter Ernährung, Hygiene und Wohlbefinden zu begründen ist, öfter von lebensbedrohlichen Infektionskrankheiten betroffen. „Je mehr Kinder die Armen hatten, um so mehr starben auch.“ 65 Fast die Hälfte der Menschen, die in der Stadt lebten, war unter 20. Dabei hatten es Frauen, durch das hohe Risiko einer Schwangerschaft und in ländlichen Gebieten, durch harte Arbeit, schwerer ein hohes Alter zu erreichen. Hatten sie jedoch die heikle Lebensphase des Kinderkriegens (15.-40. Lebensjahr) überstanden, so konnten „sie, wie die Männer

62 Vgl. Joachim- Meyer, Sandra: Sinnbilder von Leben und Tod….2004. S. 42. 63 Vgl. Mischke, Marianne: Der Umgang mit dem Tod…1996. S. 29.

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mit weiteren 15 bis 20 Jahren rechnen.“66 Durch die Verwendung von antiseptischen Mitteln gelang es ab 1870 die Müttersterblichkeit zu senken.

Das kurze Leben der Gesellschaft im Mittelalter war durch einen starken Glauben an Gott und an ein Jenseits geprägt. Die Krankheiten als auch der Tod waren Gottes Werk. Somit erwies es sich als Gottes Gnade alt zu werden. Alte Menschen waren durch ihr bloßes Existieren hoch geachtet, da Gottes Gnade auf ihnen lag.

Der allgegenwärtige oft vorkommende Tod im frühen Mittelalter hatte eine nüchterne Einstellung der Menschen gegenüber Schmerzen und Sterben zur Folge. Der Tod war ein ständiger Begleiter des Lebens und wurde von den Menschen akzeptiert. Das Verhältnis der Menschen zum Tod wurde durch genau festgelegte Rituale und spezifische Normen des Christentums geregelt. Durch eine symbolische Ordnung wurde den Lebenden und den Sterbenden eine bestimmte Rolle zugewiesen, die ihr Verhältnis zueinander festlegte. Die Rituale boten zum einen Schutz, aber sie bezogen auch die gesammte Gemeinschaft eines Ortes mit ein und machten den Tod so zu einem öffentlichen Ereignis. Die herrschende Ordnung in der christlichen Gesellschaft des Mittelalters wurde als eine von Gott und nicht vom Menschen erschaffene angesehen. Der soziale Stand, in den die Menschen hineingeboren wurden, war bestimmend für das Leben in dieser Zeit. Das Feudalsystem, das sich im frühen Mittelalter entwickelte, gab die soziale Ordnung und die Regeln des Zusammenlebens vor. Es bestand aus zwei Mächten; der Kirche und dem Reich, die durch den Papst und den Kaiser repräsentiert wurden. Die Kirche und somit die Religion regelte das gesamte Leben im Christentum. Aufgaben wie Trösten, Beschützen, Richten und im Krankheitsfall zu helfen, fielen in den Tätigkeitsbereich der Religion. Die Normen der Kirche „ regelten die Geburt, die Heirat, das Geschlechtsleben, das Essen, die Gesetze, die Medizin und den Tod.“67 Durch dieses System entstand eine Gesellschaft, die trotz der hohen Sterberate Zugehörigkeit und Sicherheit bot. Gefühle des Allein oder Verloren seins kamen trotz der Umstände in der lückenlos funktionierenden Gemeinschaften gar nicht erst auf. Natürlich gab es in der Zeit des Glaubens auch Gruppen, die den christlichen Weltansichten der Masse nicht folgten.68 Minderheiten, wie die Pariser Averroisten, glaubten, dass sie mit dem Tod das absolute Nichts erwarten würde. Ihre aristotelischen

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und averroistischen Thesen wurden 1277 an der Sorbone69 durch den Pariser Bischof Ètienne Tempier verurteilt.

In der dominanten christlichen Gesellschaft des Mittelalters jedoch, in der gemeinschaftlich gelebt wurde (jeder war vom andern abhängig), wurde auch der Tod als etwas gemeinschaftliches erfahren. „Das Todesgefühl war ein allgemeines, überpersönliches, kein persönliches, einmaliges; es war ein Gemeinschaftsgefühl, so wie auch das Erlebnis des Todes ein Gemeinschaftserlebnis war.“70 Dabei wurde der Tod als omnipräsentes Schicksal der Menschen hingenommen. Man glaubte der Tod sei ein Übergangsstadium zum Jüngsten Gericht, an dem über den Jenseitsstatus entschieden wurde. Erlösung oder Verdammnis standen einem Sterbenden bevor. Die Vorstellung der Verdammnis galt als unwendbares Schreckensbild und erwartete die Menschen, die „im Zustand schwerer Sünden aus dem Leben schieden.“71 Dementsprechend war es für die Christen im Mittelalter lebenswichtig den teuflischen Höllenqualen der Verdammnis durch Buße und Absolution zu entkommen. Die Sünde war zwar Bestandteil des Lebens, doch sie konnte durch Buße vergeben werden. Anders war es mit den Ungläubigen, sie waren im Gegensatz zu den Sündern für immer von einer Erlösung ausgeschlossen. Das Leben in dieser Zeit war durch den Glauben an ein besseres Leben im Jenseits geprägt. Der Tod stellte somit den entscheidensten Schritt für ein schöneres Weiterleben der Seele in einer anderen Welt da. Es bestand kein Zweifel an der Existenz Gottes und an einem Weiterleben nach dem Tod. Die Mitgliedschaft in einer Kirche war somit selbstverständlich.

In den Anfängen des Mittelalters bis zum 12. Jahrhundert entwickelte sich ein Bild des Todes, dass für Arme und Wohlhabende gleichermaßen galt. Die Menschen dieser Zeit spürten den Tod herankommen. Wurde ein Mensch krank „war er auf das baldige Ende gefaßt.“72 Der Wirkung von Heilmitteln schenkte man wenig glauben. Der baldige Tod wurde an bestimmten Symptomen festgemacht, die in Zusammenhang mit Epidemien, hygienischen Zuständen, der Gesundheitsversorgung, der Ernährung, den Wohnverhältnissen, der Infrastruktur als auch mit Krieg und Frieden standen. Aber auch durch Träume wurde der Tod oft vor seinem Eintreten erahnt. Infektionskrankheiten stellten die Haupttodesursache dar. Aufgrund von weniger medizinischer Mittel war ein

69 Sorbone ist die traditionelle Bezeichnung der ersten Universität in Frankreich, welche in Paris erbaut

wurde.

70 Mischke, Marianne: Der Umgang mit dem Tod…1996.S. 38. 71 Ebenda. S. 38.

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langer leidvoller Tod selten. Die Menschen starben im Mittelalter einen frühen meist schnellen Tod, der sich ankündigte. Ein unangekündigter Tod hingegen verursachte große Furcht. Er war dem Glauben nach von einem Fluch befallen und jeder hoffte und betete, dass er von dieser Art des Sterbens verschont bliebe. Der hässliche, gemeine, plötzliche oder absurde Tod wurde als Beweis für ein schadhaftes Leben gedeutet. Die Rituale, die zu einem Sterbevorgang des Mittelalters gehörten, waren eine vom Sterbenden eröffnete festliche Zeremonie, die mit Hilfe der Öffentlichkeit abgehalten wurde. Aber nicht nur für das Sterben selbst gab es genau vorgegebenen Ritus, auch die Bestattung und die Trauerbekundung verlief nach einem genau vorgeschriebenen Plan. Der Sterberitus beinhalte viele Anweisungen, die allerdings in verschiedener Reihenfolge abgehalten werden konnten. Glaubte jemand das irdische Leben zu verlassen, so wurde das Haus geschlossen und die Verwandten sowie Priester gerufen. Familie, Angestellte, Freunde, Nachbarn und auch Kinder kamen zum Sterbenden ans Bett. Mit dem Läuten der Zügenglocke wurde dann jeder der Gemeine dazu eingeladen in das Haus des Sterbenden zu kommen. Auch Fremde kamen und verwandelten das „Sterbehaus“ zu einem öffentlichen Ort. Der Sterbende lag auf dem Rücken in seinem Bett und nahm der Reihe nach Abschied von Familie und Lebensbegleitern. Soweit er körperlich und geistig noch dazu in der Lage war, erzählte der Sterbende aus seinem Leben. Von guten sowie schlechten Taten und bat um Vergebung der Letzteren. Man betete gemeinsam und am Ende erhielt der aus dem Leben scheidende die drei Sterbesakramente, die sich aus Generalbeichte, Kommunion und einer letzten Ölung zusammensetzten. Sie beinhalteten „die Bitte um Vergebung der Sünden, das »Confiteor« und schließlich die »Commendatio animae«, die Empfehlung der Seelen, die Absolution durch den Priester, der dazu das »Libera nos Domine« betete.73 Bis zu seinem Tod wurde der Sterbende nicht alleine gelassen. Ihm wurde hohes Ansehen erteilt und letzte Worte wurden häufig als Offenbarungen oder Prophezeiungen gedeutet. Besonders Bedeutsam war die Selbstverständlichkeit mit der ein Sterberitus abgehalten wurde. Ohne emotionale Ausbrüche oder einen dramatischen Rahmen wurden die Sterbenden von der Gemeinschaft in die Übergangsphase zum ewigen Leben begleitet. Nach dem Eintreten des Todes wurden dem Toten die Augen aus Angst vor dem bösen Blick geschlossen. Der Mund wurde ebenfalls geschlossen, damit die Seele, die den Körper direkt nach dem Eintritt des Todes verlassen hatte, nicht wieder in den Körper

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zurückkehrte. Somit konnte Unheil durch einen Wiedergänger74 des Toten, der auch Lebende mit sich nehmen konnte verhindert werden. Oft kam es vor, dass nach dem Sterben die Fenster und Türen des Hauses weit geöffnet wurden, um der Seele die Möglichkeit zu geben zu entweichen. Bei der Bestattungszeremonie war es von höchster Wichtigkeit, dass keine Tränen den Toten berührten. Dieser konnte sonst im Grab nicht zur Ruhe kommen. Durch den Tod war die Phase des Zwischenreiches angebrochen. Hierbei befand sich der Gestorbene weder im Diesseits noch im Jenseits. Die Menschen glaubten daran, dass der Verstorbene noch eine Zeitlang weiter lebte und somit auch hören und fühlen konnte. Er war folglich auch noch in der Lage, sich für Achtlosigkeiten zu rächen. Die Hinterbliebenen begegneten ihren Toten ängstlich und mit viel Respekt. Die Sterbeglocke wurde geläutet, um den Tod an die restliche Gemeinde bekannt zu geben. „Meist konnte der Art des Geläuts Geschlecht, Alter und Stand des Gestorbenen entnommen werden.“75 Aber es hatte auch die folgenden Aufgaben: Es gab den Tod bekannt, rief zum Fürbitten auf und sollte böse Geister verscheuchen. Es war Sitte über der Haustür des Sterbehauses schwarze Tücher zu hängen, Kerzen anzuzünden und Weihwasser zu versprenkeln. Als unehrenhaft galt das Amt des Leichenansagers, der nicht nur den Tod verkündete, sondern auch den Tag der Beerdigung festlegte und die Einladungen für den Leichenschmaus bekannt gab. Nach der Absolution wurde der Tote in Bett oder im Sarg umgeben von Kerzen aufgebart. Hierfür wurde er entweder von Angehörigen oder von ausgebildeten Toten- Seelenweibern gewaschen, angekleidet und zurechtgemacht. Danach wurde der tote Körper in ein Leichentuch gewickelt, wobei das Gesicht meist frei bleib. Am Kopf oder an der Seite des Verstorbenen stand ein Kreuz und zu seinen Füßen ein Gefäß mit Weihwasser. Damit besprenkelten die Besucher, die zum Beten kamen, den Toten. Mit der Totenwache, die von Freunden und Nachbarn, abgehalten wurde, wurde gezeigt, dass der Aufgebarte, der mit dem Blick zur Tür lag, noch zum Kreis der Familie gehörte. Sie wurde aber auch abgehalten, um das Haus vor Bedrohlichkeiten, die vom Toten ausgehen konnten, zu schützen. Die Anzahl der Teilnehmer an der Wache war

74 In archaischen Gesellschaften wird dem Verstorbenen die Macht zugeschrieben, zurückzukehren und

Einfluss auf die Lebenden zu nehmen. Auch im Christentum wirkt die Angst vor den „Wiedergängern“: „Die Leute fürchten die Rückkehr des Todes und machten ihr für eine Reihe von Unwettern

Verantwortlich. Nach dem Volksglauben waren die Seelen der Geächteten also nicht nur zur Höllenstrafe verdammt, sondern ihre Körper ebenso zur schadenstiftenden Wiedergängerei verurteilt“(Illi in Jezler, 1994, 60). Aus: Joachim- Meyer, Sandra: Sinnbilder von Leben und Tod- Die Verdrängung des Todes in der Modernen Gesellschaft. Marburg: Tectum Verlag, 2004. S. 44.

75 Vgl. Metken, Sigrid: Zeremonien des Todes. Sterberiten und Trauergepränge in München und

Referenties

GERELATEERDE DOCUMENTEN

Chat mit dem Professor Man kann darüber streiten, ob amerikanische Elite- Universitäten Vorlesungsvideos hauptsächlich anbieten, um „charismatischen Professoren eine Gelegenheit

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