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“I wouldn’t claim that it was a hundred percent success, but I would claim that everybody who came over was alive at the end of the war.”

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“I wouldn’t claim that it was a hundred percent success, but

I would claim that everybody who came over was alive at

the end of the war.”

Das Schicksal der österreichischen Exilanten in Großbritannien

1938 - 1945

Masterscriptie

im Fach LDX 5 Ma-scriptie Duits (LDX999M20) an der Rijksuniversiteit Groningen eingereicht bei P.O.H. Groenewold vorgelegt von GFWM de Rooij Studentnummer: 1464647 Eendrachtskade Zuidzijde 238 9726 DD Groningen 06-28536289 g.f.w.m.de.rooij@student.rug.nl g-derooij@hotmail.nl

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Das Zitat auf dem Vorblatt stammt von Nicholas Winton (1909). Er brachte im Jahre 1939 669 Kinder aus der Tschechoslowakei (darunter auch einige österreichische Kinder) auf einem Kindertransport nach Großbritannien. Dies wurde möglich durch Spendenaktionen, für die Winton in Großbritannien geworben hatte. Jahrelang hatte Nicholas Winton über seine Aktionen geschwiegen, erst 1988 kamen sie ans Tageslicht, als seine Frau die Namenslisten der Kinder fand. Die Kinder, die Winton 1939 rettete, wurden später bekannt als die Winton

Children.

Holocaust Education & Archive Research Team: Nicholas Winton with a rescued child,

http://www.holocaustresearchproject.org/holoprelude/images/Nicholas%20Winton%20with%20a%20rescued%20child.jpg (19.04.2012)

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Inhaltsangabe

1 Einleitung ... 5

2 Österreich 1918 - 1938 ... 8

2.1 Deutschösterreich und die Errichtung der Ersten Republik (1918-1919) ... 8

2.1 Die Anfänge der Ersten Republik (1920 – 1933) ... 11

2.2 Austrofaschismus und Ständestaat (1933 – 1938) ... 13

2.2.1 Österreich unter Engelbert Dollfuß (1932-1934) ... 13

2.2.2 Österreich unter Kurt Schuschnigg und die letzten Tage der Ersten Republik (1934-1938) ... 15

3 Der Anschluss Österreichs und die Volksabstimmung im März / April 1938 ... 19

3.1 Der Einmarsch der deutschen Truppen am 12. März 1938 ... 19

3.2 Hitlers Einzug in Wien am 15. März 1938 ... 21

3.3 Die Volksabstimmung am 10. April 1938 ... 22

4 Die Opfer der nationalsozialistischen Politik in Österreich ... 25

4.1 Juden ... 25

4.2 Mischehen ... 28

4.3 Politisch Verfolgte und Andersdenkende ... 30

4.4 Ausländer... 32

5 Großbritannien und die Bewältigung des Flüchtlingsstroms ... 34

5.1 Allein in einem fremden Land – Kindertransporte ... 34

5.2 Domestic Service Visa – Ein Leben als Dienstleistende ... 40

6 Das Leben in Großbritannien: Austrian Centre und Free Austrian Movement ... 43

6.1 Austrian Centre ... 43

6.2 Free Austrian Movement ... 48

7 Just a little foreigner – Lore und Kurt und ein Neuanfang in Großbritannien ... 52

7.1 Lore Groszmann/Lore Segal ... 52

7.2 Kurt Füchsl/Kurt Fuchel ... 56

8 Schlussworte ... 61

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1 Einleitung

Der Anschluss Österreichs an Deutschland im März 1938 änderte das Leben für die Bewohner der Alpenrepublik. Das nationalsozialistische Regime, das die Macht in Österreich übernahm, würde nichts auslassen, um seine Gegner aus dem Weg zu räumen. Um nicht in die Hände der Nationalsozialisten zu gelangen, gab es für die meisten Gegner des Regimes nur eine Lösung: die Emigration. Das Problem war aber, dass viele Länder im Zuge des Anschlusses die Einreisebestimmungen verschärft hatten. Eines dieser Länder war Großbritannien. Trotzdem fanden fast 24.000 Flüchtlinge Zuflucht in diesem Land. Die Flüchtlinge und ihre Situation in Großbritannien sind das Thema dieser Abschlussarbeit.

Im ersten Kapitel wird die Situation Österreichs vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Anschluss besprochen. Dabei soll deutlich gemacht werden, dass sich in Österreich nach dem Abtreten von Kaiser Karl I. und dem Ende des Habburger Kaiserreiches ein vollkommen neues Gesellschaftssystem entwickeln musste. Durch den Vertrag von St-Germain-en-Laye im Jahre 1919 wurde Österreich diktiert, was das Land zu tun hatte. Was diese Bestimmungen genau beinhalten und welche Auswirkungen dies auf das Land hatten, wird hier in einigen Aspekten genannt. Auch soll hierbei betrachtet werden, welche Auswirkungen die Politik der Kanzler Engelbert Dollfuss und Kurt Schuschnigg auf Österreich hatte. Sie bestimmten die Politik des Landes in den dreißiger Jahren. Hierbei werden viele Gesetzestexte und Zeitungen aus der österreichischen Nationalbibliothek (online verfügbar) sowie der Text des Vertrages von St-Germain-en-Laye unter die Lupe genommen. Zusatznotizen sind aus dem Austria Forum entnommen.

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6 hat.

Das nächste Kapitel behandelt jene Menschen, die von der Verfolgung durch die Nationalsozialisten am meisten betroffen waren. Genauso wie in Deutschland, so waren die Nationalsozialisten in Österreich auch dazu angehalten, ihre Gegner auszuschalten. Oftmals geschah dies durch Verhaftung, Drangsalierung oder Konzentrationslager oder durch Emigration. Die Menschen, die am meisten von der Aggressionspolitik betroffen waren, waren Juden, Menschen in Mischehen oder Menschen mit gemischtem Hintergrund (also jüdisch und nicht-jüdisch), Ausländer, Politiker und generell Andersdenkende. Diese Gruppen werden jeweils in einem Unterkapitel näher besprochen. Hierbei werden Quellen des

Deutschen Historischen Museum in Berlin, des United States Holocaust Memorial Museum in

Washington D.C. und das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes verwendet. Die Kapitel werden zusätzlich mit Bildern versehen, die zur Verdeutlichung der Problematik dienen sollen. Angereichert werden die besprochenen Aspekte durch Quellen aus unterschiedlichen Internetseiten.

Das nächste Kapitel behandelt Großbritannien und die Bewältigung des Flüchtlingsstroms. Bereits im April 1938 hatte Großbritannien die Einreisebestimmungen für Österreicher drastisch verschärft. Trotzdem gab es für Österreicher Möglichkeiten, dennoch in Großbritannien Zuflucht zu finden. In dieser Arbeit werden die zwei größten Programme beschrieben, durch die Großbritannien die Menschen einreisen ließ. Das erste Programm, das hierbei näher behandelt werden soll, sind die Kindertransporte. Mit den Kindertransporten konnten ab Dezember 1938, kurz nach der Reichskristallnacht, Kinder bis zu einem Alter von 17 Jahren nach Großbritannien einreisen. Etwa 10.000 Kinder konnten hierdurch von den Nationalsozialisten gerettet werden. Eine zweite Gruppe von Menschen, die nach Großbritannien kamen, sind jene Menschen, die über Domestic Service Visa das Land betraten. Diese Gruppe von Menschen, die zu einem großen Teil weiblich waren und aus Österreich kamen, arbeiteten als Dienstmädchen in britischen Haushalten. Um die Problematik der Kindertransporte und der Domestic Service Visa zu besprechen, werden Quellen der Kindertransport Association in London (online verfügbar), des United States

Holocaust Memorial Museum in Washington D.C., des Association of Jewish Refugees in

Stanmore sowie der BBC News verwendet. Mit einigen ausgewählten Bildern soll dieses Kapitel noch unterbaut werden.

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Großbritannien behandelt. Dabei soll deutlich gemacht werden, dass es mehrere Möglichkeiten für Flüchtlinge gab, um mit anderen Flüchtlingen zusammen zu kommen. In dieser Arbeit werden als Beispiele die zwei größten solcher Projekte genannt, die sich für die Flüchtlinge einsetzten, es sind das Austrian Centre sowie das Free Austrian Movement. Diese beiden Projekte und ihre Aktionen in Großbritannien sollen hierbei näher beleuchtet werden. Dabei haben beide Projekte ein gemeinsames Ziel: das Schicksal Österreichs unter der britischen Bevölkerung bekannt zu machen. Der Text Das Austrian Centre und sein

Umfeld. Eine kleine Chronik. Großbritannien 1938-1945 von Reinhard Müller ist hierbei das

Hauptwerk. Dies wird mit anderen Quellen des IWM London und andere online verfügbaren Quellen angereichert.

In einem letzten Kapitel soll die Situation zweier österreichischer Exilanten näher beleuchtet werden, die vor dem Schrecken der Nationalsozialisten nach Großbritannien geflüchtet sind. Hier kommen Lore Segal und Kurt Fuchel zu Wort, zwei Menschen, die als Kinder mit einem Kindertransport nach Großbritannien gekommen sind, aber dort unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Um ihren Lebensweg zu beleuchten, werden Quellen der Kindertransport Association verwendet, daneben steht auch das Arbeitsbuch zum Film Into the Arms of Strangers von Scott Chamberlin zentral.

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2 Österreich 1918 - 1938

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges stand Österreich vor einem Neuanfang. Der Krieg, der durch die Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand von Österreich-Este am 28. Juni 1914 in Sarajevo und der darauffolgenden Kriegserklärung Österreichs an Serbien vom 28. Juli 1914 ausgelöst wurde1, endete für das Land in einer Katastrophe. Das Kaiserreich gab es nach der Abdankung Karl I. 1918 nicht mehr. Das riesige Kaiserreich zerfiel in einzelne Ländereien.

Österreich bestand nach dem Vertag von St-Germain-en-Laye 1919 nur noch aus dem österreichischen Kernland. Das Land beinhaltete die Provinzen Vorarlberg, Tirol, Kärnten, Salzburg, Niederösterreich, Oberösterreich, Wien sowie das neugegründete Burgenland. Besonders schmerzhaft mag dabei wohl empfunden sein, dass Südtirol, das für die meisten Menschen unlösbar mit Österreich verbunden war, an Italien gegeben wurde. Wie auch Deutschland sah sich das neue Österreich mit einer gewaltigen, schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert.

2.1 Deutschösterreich und die Errichtung der Ersten Republik (1918-1919)

Nach dem Zusammenbruch des riesigen k.u.k. Reiches stand Österreich vor einer riesigen, schier unmöglichen Aufgabe. Auf den Ruinen des Reiches sollte eine neue Staatsform entstehen. Mit dem Staatsgesetzblatt vom November 1918 wurde die Errichtung der Republik Deutschösterreich beschlossen2, die sich auf die deutschsprachigen Gebiete des ehemaligen k.u.k.-Reiches bezog. Deutschösterreich sollte als eine demokratische Republik verstanden werden, deren Verwaltung vom Volk gewählt werden sollte. Dazu wurde Kaiser Karl I. am 11. November 1918 zu einem freiwilligen Abdanken gedrängt3 (das er später

1

In Europa: 1914 – Wenen & Sarajevo, http://ineuropa.nl/programmas/36788896/afleveringen/36883066/ (19.03.2012)

2

Österreichische Nationalbibliothek: ALEX Historische Rechts- und Gesetzestexte Online – Staatsgesetzblatt 1918 – 1920 – Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich, http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?apm=0&aid=sgb&datum=19180004&seite=00000004&zoom=2 (14.03.2012)

3

Wikimedia, Verzichtserklärung Karl I., 11. November 1918,

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widerrief wonach er endgültig das Land in Richtung Madeira verlassen musste4). Das Besondere an dieser Republik war aber, dass sie sich als Teil der Deutschen Republik (wahrscheinlich ist hier die Weimarer Republik 1918-1933 gemeint) verstanden (Artikel 2):

Deutschösterreich ist ein Bestandteil der Deutschen Republik. Besondere Gesetze regeln die Teilnahme Deutschösterreichs an der Gesetzgebung und Verwaltung der Deutschen Republik sowie die Ausdehnung des Geltungsbereiches von Gesetzen und Einrichtungen der Deutschen Republik auf Deutschösterreich.5

Oberhaupt dieses neuen österreichischen Staates wurde Karl Renner (der nach dem Zweiten Weltkrieg der erste österreichische Bundespräsident werden sollte). Diese Republik sollte aber nicht lange bestehen, da bereits mit dem Vertag von Saint-Germain-en-Laye vom 10. September 1919 das endgültige Schicksal Österreichs beschlossen wurde. Auf Druck der Alliierten musste sich Deutschösterreich in Republik Österreich umbenennen, und das Land musste seine neuen auferlegten Grenzen anerkennen, ein Zusammenschluss mit Deutschland war somit ausgeschlossen (Artikel 88):

Die Unabhängigkeit Österreichs ist unabänderlich, es sei denn, dass der Rat des Völkerbundes einer Abänderung zustimmt. Daher übernimmt Österreich die Verpflichtung, sich, außer mit Zustimmung des gedachten Rates, jeder Handlung zu enthalten, die mittelbar oder unmittelbar oder auf irgendwelchem Wege, namentlich - bis zu seiner Zulassung als Mitglied des Völkerbundes - im Wege der Teilnahme an den Angelegenheiten einer anderen Macht seine Unabhängigkeit gefährden könnte.6 Zudem musste die junge Republik auch Gebietsverluste hinnehmen. Schaut man sich die Karte des Gebietes von Deutschösterreich (Karte 1) an und vergleicht man diese mit der österreichischen Republik (Karte 2) so lässt sich einfach feststellen, dass das Land Österreich um ein Vielfaches verkleinert wurde:

4 Austria Lexikon: Karl I., http://austria-lexikon.at/af/AEIOU/Karl_I. (14.03.2012) 5

Österreichische Nationalbibliothek: ALEX Historische Rechts- und Gesetzestexte Online – Staatsgesetzblatt 1918 – 1920 – Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich, http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?apm=0&aid=sgb&datum=19180004&seite=00000004&zoom=2 (14.03.2012)

6

Versailler Vertrag.de: Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye (Staatsvertrag (Friedensvertrag) zwischen Österreich und den alliierten und assoziierten Mächten), Artikel 88,

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Das Land, das vorher etwa 119.000 km2 groß war, war nach dem Vertrag auf eine Größe von knapp 84.000 km2 geschrumpft. Auch die Einwohnerzahl des Landes verkleinerte sich erheblich. Von ehemals knapp 11 Millionen Einwohnern blieben nach dem Vertrag nur noch knappe 6,5 Millionen Menschen übrig. Das Land war unabhängig, aber zu einem hohen Preis. Obwohl das Land von sich selbst aus eine Republik gebildet hat (sich aber später auf Druck der Alliierten umbenennen musste), erweckten die durch den Vertrag von St. Germain auferlegte Forderungen eine unruhige Stimmung in der jungen Republik. Von Verhandlungen über den Vertrag war die Republik ausgeschlossen worden. Gemeinsam mit Deutschland wurde Österreich der alleinigen Kriegsschuld bezichtigt (Artikel 177 des Vertrages von St. Germain9) und musste deswegen noch nicht genauer benannte Kriegsschulden zahlen. Dies erschwerte den Start der jungen Ersten Republik.

7 Wikimedia: Deutschösterreich, http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/archive/9/98/20111229142737!Der_Aufbau_der_Republik_ Deutsch%C3%B6sterreich.png (14.03.2012) 8

Stayres Austria: Austria Map, http://www.stayresaustria.com/images/austria-map.jpg (14.03.2012)

9

Versailler Vertrag.de: Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye (Staatsvertrag (Friedensvertrag) zwischen Österreich und den alliierten und assoziierten Mächten), Artikel 177,

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2.1 Die Anfänge der Ersten Republik (1920 – 1933)

Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von St. Germain am 16. Juli 192010 war die Erste Republik offiziell geboren. Die Probleme, mit denen das Land konfrontiert wurde, waren aber nicht verschwunden. Die neue Regierung Österreichs, unter Leitung des Kanzlers Michael Mayr von der CS11 (1864 – 1922), musste sich mit der neuen Situation auseinander setzen, die sich nach dem Ende des Kaiserreiches sowie des Inkrafttreten des Vertrages von St. Germain ergab. Das Land hatte erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten durch den Verlust von wichtigen Industriegebieten und Rohstoffquellen, die sich jetzt in der unabhängigen Republik der Tschechoslowakei befanden. Österreich, das bis 1918 von einer starken Hand, nämlich dem Kaiser, geleitet wurde, hatte jetzt zugelassene Parteien, die in ihren Ideen weit auseinander lagen. Die beiden großen Parteien in Österreich waren die SDAPÖ (Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs, später SDAP) und die CS (Christlichsoziale Partei). Daneben gab es auch noch die Großdeutsche Volkspartei (GDVP)12, die großdeutsch ausgerichtet war (und einen Anschluss an Deutschland favorisierte), den Landbund (eine Bauernpartei) sowie den Heimatblock (eine militärische Verbindung). Zwischen den Parteien gab es große Unterschiede, wodurch es auch in Österreich, wie auch in Deutschland, zu vielen Kanzlerwechseln kam (manche waren nur einige Monate an der Macht), die Regierungskoalition bestand aber immer aus CS und GDVP.

Erst unter dem neuen Kanzler Ignaz Seipel (1876 – 1932) sollte sich die wirtschaftliche Situation Österreichs ändern. Am 4. Oktober 1922 wurden in Genf die sogenannten Genfer

Protokolle beschlossen, die Österreich eine auf 20 Jahre andauernde Völkerbundanleihe von

650 Millionen Goldkronen (was heute einem Betrag von 6,5 Milliarden Euro entspräche) sicherte um die Inflation im Land zu beenden.13 Das Geld stellte auch die Einführung der neuen Währung Schilling14 anstelle der alten Krone im Jahre 1924 sicher (1 Schilling war 10.000 österreichische Kronen wert). Im Gegenzug verpflichtete sich Österreich zum

10

Österreichische Nationalbibliothek: ALEX Historische Rechts- und Gesetzestexte Online – Staatsgesetzblatt 1918 – 1920 – Staatsvertrag von Saint-Germain-en-Laye vom 10. September 1919, http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=sgb&datum=19200004&seite=00000995 (19.03.2012)

11

CS = Christlichsoziale Partei in Österreich, existierte von 1893 bis 1934 und wird allgemein als Vorgängerpartei der ÖVP gesehen.

12 Die GDVP existierte bis 1934, ehemalige Mitglieder dieser Partei sind der Ursprung der 1955 gegründeten

Partei FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs). Siehe auch: Austria-Forum: Großdeutsche Volkspartei, http://www.austria-lexikon.at/af/AEIOU/Gro%C3%9Fdeutsche_Volkspartei (19.03.2012)

13

Austria-Forum: Genfer Protokolle, http://www.austria-lexikon.at/af/AEIOU/Genfer_Protokolle (19.03.2012)

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12

wiederholten Male dazu, sich nicht an Deutschland zu binden (Anschlussverbot), und die Souveränität der Republik sollte durch die Alliierten (Großbritannien, Frankreich, Italien und die Tschechoslowakei) gesichert werden.

Auf dem Papier sah die Zukunft für Österreich positiver aus, aber es gab immer noch große Probleme. Die mangelende Anerkennung der Republik durch die Bevölkerung war das größte Problem. Es war, wie der österreichische Publizist Helmut Andics 1962 feststellte, „Ein

Staat, den keiner wollte“.15 Das Heer, dass durch den Vertrag von St. Germain auf ein reines Berufsheer von 30.000 Mann verringert worden war, konnte nicht wirklich zur Stabilität der jungen Republik beitragen. In Österreich bildeten sich paramilitärisch Gruppierungen, deren Mitglieder in den kaiserlichen Heeren gekämpft hatten. Gruppen wie Frontkämpfervereinigung Deutsch-Österreichs (1920 gegründet) als Beispiel einer Heimwehrgruppe16 standen der offiziellen Armee Österreichs, dem Volksheer17, gegenüber. In diesem brisanten Klima gründete sich 1926 die NSDAP in Österreich, die sich vollkommen der gleichnamigen deutschen Partei unterordnete.18 Mit brisanten Slogans gingen die Nationalsozialisten bei folgenden Wahlen auf Stimmenfang: „500.000 Arbeitslose - 400.000

Juden - Ausweg sehr einfach: wählt Nationalsozialisten.“19 Bei den folgenden österreichischen

Wahlen sollte die österreichische NSDAP nur etwa 4 Prozent der Stimmen erhalten, was sie von der Regierungsbildung ausschloss.

Mit den Wahlen von 1930 sollte sich das Schicksal der jungen Republik radikal ändern. Engelbert Dollfuß (1892-1934), Politiker der CS,20 wurde 1931 als Landwirtschaftsminister in das Kabinett von Kanzler Otto Ender (1875-1960) berufen. 1932 war Dollfuß Mitglied des Kabinettes von Kanzler Karl Buresch (1878-1936). Am 28. April 1932 stellten die Sozialdemokraten, nach wiederholten problematischen Auseinandersetzungen im Parlament, einen Antrag zur Auflösung des Nationalrats. Das hätte zu Neuwahlen führen sollen, wenn die Regierung von Karl Buresch nicht zurück getreten wäre. Im Mai 1932 wurde Dollfuß zum Bundeskanzler ernannt und mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt.

15 Andics, Hellmut (1962): Den Staat, den keiner wollte (Freiburg: Herder Verlag) 16

Austria-Forum: Heimwehr, http://www.austria-lexikon.at/af/AEIOU/Heimwehr (19.03.2012)

17

Rauchensteiner 2000, Seite 74

18 Austria-Forum: Nationalsozialismus, http://www.austria-lexikon.at/af/AEIOU/Nationalsozialismus

(19.03.2012)

19

Wagner 2007, Seite 169

20

Austria-Forum: Engelbert Dollfuß,

(13)

13

2.2 Austrofaschismus und Ständestaat (1933 – 1938)

1932 änderte sich das politische Klima in Österreich. Engelbert Dollfuß von der CS wurde im Mai 1932 zum neuen Bundeskanzler Österreichs ernannt. Seine Regierungszeit, und auch die seines Nachfolgers Kurt Schuschnigg (1897-1977), wird auch als die Zeit des

Austrofaschismus bezeichnet. Austrofaschismus ist ein Herrschaftssystem, das sich sehr stark

an das faschistische System von Benito Mussolini (1883-1945) anlehnte.21 Es ist ein autoritäres System, dass von einigen etablierten Gruppen, der Heimwehr und den christsozialen Politikern, getragen wurde. Dadurch entwickelte sich in Österreich auch der Ständestaat, wobei die Bevölkerung unter dem Deckmantel der einzig erlaubten Partei, der Vaterländischen Front (VF), in einzelne Stände geordnet werden sollte.22 Die Zeit von 1932 bis 1938 beschreibt die letzten Jahre der Ersten Republik.

2.2.1 Österreich unter Engelbert Dollfuß (1932-1934)

Als Engelbert Dollfuß auf legale Weise in Österreich an die Macht kam, konnte noch niemand ahnen, welche Ziele er mit seiner Politik verfolgte. Neben seiner Rolle als Bundeskanzler von Österreich war er auch noch Außenminister seines Landes.23 In seiner kurzen Regierungszeit herrschte er de facto diktatorisch über Österreich, dass er in einen Ständestaat verwandelte.

Um aber dieses Ziel zu erreichen, musste Dollfuß das demokratisch gewählte Parlament in Österreich ausschalten. Die Gelegenheit dazu kam bereits im März 1933, als über den seit dem 1. März anhaltenden Eisenbahnerstreik eine Abstimmung im Parlament gehalten werden sollte. Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung führten zum Rücktritt der drei Parlamentspräsidenten, wodurch im Parlament eine Entschlussunfähigkeit eintrat und die Parlamentssitzung nicht rechtsgemäß abgeschlossen werden konnte. Dollfuß bezeichnete diese Zeit als Selbstausschaltung des Parlaments, das „Parlament habe sich selbst unmöglich

gemacht“.24 So ganz stimmt nicht, da Dollfuss nur einen neuen Parlamentspräsidenten hätte ernennen müssen, aber das hatte er nicht getan. Kurz darauf, am 7. März, verkündete

21 Austria-Forum: Austrofaschismus, http://www.austria-lexikon.at/af/AEIOU/Austrofaschismus (19.03.2012) 22

Austria-Forum: Ständestaat, http://www.austria-lexikon.at/af/AEIOU/St%C3%A4ndestaat (19.03.2012)

23

Austria-Forum: Engelbert Dollfuß,

http://www.austria-lexikon.at/af/Wissenssammlungen/Biographien/Dollfu%C3%9F%2C%20Engelbert (19.03.2012)

(14)

14

Dollfuß ein Verbot von Aufmärschen und Versammlungen und führte die Pressezensur in Österreich ein. Gegner wurden mit Waffengewalt niedergeschlagen25, und die Regierung Dollfuß schaltete im gleichen Zuge auch den Verfassungsgerichtshof aus, da dieser nicht ordnungsgemäß zusammentreffen konnte.26 Somit war die demokratische Grundlage Österreichs verschwunden. Auf dieser Basis gründete Dollfuß am 20. Mai 1933 die

Vaterländische Front (VF), die eine parteiübergreifende Kuppelorganisation aller

regierungstreuen Gruppen bilden sollte.27

28

Das Kruckenkreuz, das Symbol des Austrofaschismus.

Diese Entwicklung blieb in Deutschland, wo inzwischen die NSDAP das Sagen hatte, nicht unbeachtet. Sie unterstützten ihre Parteigenossen der NSDAP in Österreich, die bei weiten schlechter dastanden als ihre Genossen in Deutschland. Und das führte zu Konflikten, was in der Tausend-Mark-Sperre resultierte. Menschen, die von Deutschland aus nach Österreich einreisen wollten, mussten ab dem 27. Mai 1933 eine Einreisegebühr von 1.000 Reichsmark in Deutschland zahlen.

Die Tausend-Mark-Sperre wurde von der deutschen Regierung als Antwort auf die Ausweisung des bayerischen Justizministers Hans Frank (1900-1946) gegeben. Die österreichische Regierung hatte damit auf eine Rede von Hans Frank im bayerischen Rundfunk reagiert, in dem dieser einen Gruß „an seine unterdrückten Volksgenossen in

Österreich“ schickte und damit drohte, dass die NSDAP notfalls „die Sicherung der Freiheit der deutschen Volksgenossen in Österreich übernehmen“ würde. Daraufhin beschwerte sich

die österreichische Regierung bei der deutschen Regierung in Berlin, die aber jegliche Verantwortung für die Rede von Hans Frank von sich wies. Als Hans Frank daraufhin im Mai 1933 zu Parteigenossen nach Wien fahren wollte, wurde er vom Bundeskanzler Engelbert Dollfuß zur unerwünschten Person erklärt und des Landes verwiesen. Daraufhin verhing

25

Dusek 1995, Seite 199

26 Neuhäuser 2004, Seite 173 27

Austria-Forum: Vaterländische Front, http://www.austria-lexikon.at/af/AEIOU/Vaterl%C3%A4ndische_Front (19.03.2012)

28

(15)

15

Deutschland die Tausend-Mark-Sperre über Österreich. Weitere Terroranschläge von NSDAP Anhängern in Österreich erfolgten, was am Ende am 19. Juni 1933 im Verbot der NSDAP in Österreich endete.

Am 1. Mai 1934 führte Dollfuß in Österreich die Maiverfassung ein29, die die einzig gültige Verfassung des Landes bis zum Anschluss 1938 sein sollte. Hiermit zementierte Engelbert Dollfuß seine Macht in Österreich. Die Vaterländische Front wurde die einzig noch erlaubte politische Gruppierung im Land30. Andere Parteien, wie die SDAP31, wurden im Laufe der folgenden Wochen verboten.

Mit seinen Gesetzen schaffte sich Dollfuß erhebliche Feinde, vor allem aus den Kreisen der verbotenen NSDAP. Diese hatten in der Vergangenheit wiederholt auf eine Regierungsbeteiligung gedrängt, wurden aber immer wieder von Dollfuß abgeschmettert, der eine Schwächung seiner Macht befürchtete. Dies führte am 25. Juli 1934 zum Juliputsch, wobei die Anhänger der NSDAP, unterstützt mit finanziellen Mitteln der deutschen NSDAP, einen Ansturm auf das Bundeskanzleramt wagten.32 Dabei wurde Dollfuß von zwei Schüssen tödlich getroffen.33 Der Putsch, dem fast 300 Menschen zum Opfer fielen, wurde am 30. Juli von österreichischen Truppen niedergeschlagen. Die österreichische NSDAP war am Ende, die Republik Österreich existierte noch.

Dollfuß’s Nachfolger im Amt wurde sein Parteigenosse Kurt Schuschnigg, der die Republik in das Ende führen sollte.

2.2.2 Österreich unter Kurt Schuschnigg und die letzten Tage der Ersten Republik (1934-1938)

Die österreichische Regierung unter Bundeskanzler Kurt Schuschnigg (1897 – 1977) wollte eine andere Richtung einschlagen, damit um jeden Preis die Souveränität des Landes erhalten bleiben würde. Die Lage des Landes war prekärer geworden, da sich die

29

Österreichische Nationalbibliothek: ALEX Historische Rechts- und Gesetzestexte Online – Bundesgesetzblatt 1934-1938 - Bundesgesetzblatt für den Bundesstaat Österreich, 1. Mai 1934, http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?apm=0&aid=bgl&datum=19340004&seite=00000001&zoom=2 (19.03.2012) Siehe auch: Parlamentsdirektion Wien 2000: Seite 54

30

Verfassungen.de: Bundesgesetz vom 1. Mai 1934 BGBl. II Nr. 4 / 1934 betreffend die „Vaterländische Front“, http://www.verfassungen.de/at/bg4-34.htm (19.03.2012)

31

Austria-Forum: Sozialdemokratische Partei Österreichs, SPÖ ,

http://www.austria-lexikon.at/af/AEIOU/Sozialdemokratische_Partei_%C3%96sterreichs%2C_SP%C3%96 (19.03.2012)

32

Austria-Forum: Juliputsch 1934, http://www.austria-lexikon.at/af/AEIOU/Juliputsch_1934 (19.03.2012)

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16

Schutzmacht Italien wegen des Italienisch-Äthiopischen Krieges34 an Deutschland annäherte und Österreich somit seine wichtige Schutzmacht im Süden verlor. Zu diesem Zwecke unterzeichnete Schuschnigg am 11. Juli 1936 das sogenannte Juliabkommen35, dass die Souveränität des Landes sichern und die Mark-Sperre aufheben sollte. Die

Tausend-Mark-Sperre, wodurch die Nationalsozialisten eine ernsthafte Schwächung der

österreichischen Wirtschaft erzielten, wurde aufgehoben.

Das Juliabkommen hatte aber weitgehende Folgen für das ohnehin geschwächte Österreich. Der österreichische Staat verpflichtete sich dazu, NSDAP Angehörige, die seit dem gescheiterten Juliputsch von 1933 inhaftiert waren, wieder frei zu lassen. Die NSDAP in Österreich war (noch) nicht wieder zugelassen, die Partei blieb weiterhin verboten. Schuschnigg machte NS-Deutschland noch mehr Zugeständnisse, indem er die österreichischen Nationalsozialisten Edmund Glaise-Horstenau (1882-1946) sowie Guido Schmidt (1901-1957) in seine Regierung berief. Österreich stand nach dem Abkommen schlechter da als zuvor. Die NSDAP blieb zwar weiter verboten, aber durch die Lockerungen, die durch den Vertrag festgesetzt wurden, konnten die Nationalsozialisten den österreichischen Staat noch leichter unterwandern. Die Politik, die Schuschnigg nach dem Abkommen verfolgte, wird auch als der Deutsche Weg bezeichnet. Das lässt erahnen, welche Richtung das Land eingegangen ist. Der von den Nationalsozialisten favorisierte Anschluss scheint jetzt nur noch Formsache zu sein.

Dazu beigetragen hat auch das Berchtesgadener Abkommen36, dass Österreich im Februar 1938 mit Deutschland geschlossen hatte. Mit diesem am 12. Februar geschlossenem Vertrag machte Bundeskanzler Schuschnigg den Nationalsozialisten noch mehr Zugeständnisse. Dies geschah aber nicht aus freiem Willen seitens der österreichischen Regierung, sondern unter massivem Druck von Deutschland. Der Vertrag sagte den Nationalsozialisten freie politische Betätigung zu, daneben wurde auch eine stärkere Beteiligung der Nationalsozialisten an der österreichischen Regierung festgelegt. Mit diesem

34

Der Italienisch-Äthiopische Krieg, auch bekannt als Abessinienkrieg, fand vom 3. Oktober 1935 bis zum 9. Mai 1936 statt. Mit diesem Krieg wollte Benito Mussolini (1883-1945) Äthiopien unterwerfen um seinen Traum von der Wiederbelebung des antiken Römischen Reiches wiederzubeleben. Der Krieg endete mit einem Sieg Italiens und der Unterwerfung Äthiopiens. (Faz.net: Mit Giftgas zum Imperium,

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/2.1715/mit-giftgas-zum-imperium-1439425.html (23.04.2012))

35

Austria-Forum: Juliabkommen 1936, http://www.austria-lexikon.at/af/AEIOU/Juliabkommen_1936 (14.02.2012), siehe auch: Verfreundete Nachbarn 2005, Seite 68

(17)

17

Vertrag wurde Arthur Seyß-Inquart (1892-1946) bereits am 16. Februar zum österreichischen Innenminister ernannt.37 Neben Seyß-Inquart erzwangen die Nationalsozialisten auch, dass der bisherige Chef des Generalstabes, Alfred Jansa (1884-1963), der gegen den Nationalsozialismus war, durch den nationalsozialistischen Generalmajor Franz Böhme (1885-1947) zu ersetzen. Dies erfolgte am 17. Februar. Mit dem Vertrag endete de facto die Souveränität Österreichs. Schuschnigg, der erst danach sah, in welch prekärer Situation sich Österreich befand, er wollte am 13. März eine Volksabstimmung zur Souveränität seines Landes abhalten:

„[…] über ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales, für ein christliches und einiges Österreich […]“38

Zu dieser Volksabstimmung sollte es aber nicht mehr kommen. Auf Druck von Hitler musste Schuschnigg seinen Platz am 11. März 1938 räumen. Am 11. März verkündete Schuschnigg seinen Abschied in einer Rundfunkansprache:

Die deutsche Reichsregierung hat dem Herrn Bundespräsidenten ein befristetes Ultimatum gestellt, nach welchem der Herr Bundespräsident einen ihm vorgeschlagenen Kandidaten zum Bundeskanzler zu ernennen und die Regierung nach den Vorschlägen der deutschen Reichsregierung zu bestellen hätte, widrigenfalls der Einmarsch deutscher Truppen für diese Stunde in Aussicht genommen würde. […] Der Herr Bundespräsident beauftragt mich, dem österreichischen Volk mitzuteilen, dass wir der Gewalt weichen. […] So verabschiede ich mich in dieser Stunde von dem österreichischen Volke mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich!"39

An Schuschnigg‘s Stelle trat der bisherige Innenminister und Hitler-Vertraute Arthur Seyß-Inquart, der auf Druck der Nationalsozialisten noch am gleichen Abend zum Bundeskanzler ernannt wurde. Auf allen wichtigen Positionen des Landes saßen jetzt Nationalsozialisten.

Österreich war nicht mehr das Land, dass es vor den beiden Verträgen, dem Juliabkommen 1936 und dem Berchtesgadener Abkommen 1938 gewesen war. Der

Anschluss, die Einverleibung Österreichs durch das nationalsozialistische Deutschland, war

37 Österreichisches Staatsarchiv: Berchtesgadener Abkommen,

http://www.oesta.gv.at/site/cob_27099/5164/default.aspx (17.02.2012)

38

Verfreundete Nachbarn 2005, Seite 68

39

(18)
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19

3 Der Anschluss Österreichs und die Volksabstimmung im März / April 1938

Unter dem Namen Anschluss wurde die Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich von Adolf Hitler, der selbst Österreicher war, bekannt. Diese Annexion erfolgte am 12. März 1938 durch den Einmarsch der deutschen Truppen, die zum Teil frenetisch begrüßt wurden. Heim

ins Reich40 - Mit diesen Schlagworten holten sich die Nationalsozialisten Stück für Stück jene Ländereien zurück, die ihrer Meinung nach schon immer Deutsch waren. Und sie wurden von den Bürgern Österreichs, wenn man Filmaufnahmen Glauben schenken mag, begeistert begrüßt.41

3.1 Der Einmarsch der deutschen Truppen am 12. März 1938

Nachdem Kurt Schuschnigg bei seinem Abgang verkündet hatte, „dass man der Gewalt

weichen würde“42 um ein unnötiges Blutvergießen zu vermeiden, war der gewaltfreie Einmarsch deutscher Truppen möglich. Mit dem Hitler-Vertrauten Arthur Seyß-Inquart (1892-1946) als Bundeskanzler an der Spitze der österreichischen Regierung war einem reibungslosen Ablauf des Anschlusses nichts mehr entgegenzusetzen. Am 11. März 1938, kurz nachdem Schuschnigg unter Druck zurückgetreten war, hatte Hitler bereits die Operation Unternehmen Otto angewiesen:

Ich beabsichtige, wenn andere Mittel nicht zum Ziele führen, mit bewaffneten Kräften in Österreich einzurücken, um dort verfassungsmäßige Zustände herzustellen und weitere Gewalttaten gegen die deutschgesinnte Bevölkerung zu unterbinden.43 Kurz darauf setzte Hitler das Unternehmen Otto in Gang. Noch bevor die Soldaten in Österreich einmarschierten, ließen österreichische Nationalsozialisten an öffentlichen Gebäuden Hakenkreuzfahnen aufhängen44, und an vielen Orten wurden amtierende Politiker, die nicht national-sozialistisch gesinnt waren, durch NS-Gesinnte ersetzt. Am 12. März ließ

40

profilm.de: Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich und die Folgen http://www.profilm.de/dokumente/verfolgung-AU.html (13.02.2012)

41 YouTube: Hitler in Vienna after the take-over of Austria in Mar,

http://www.youtube.com/watch?v=ndP7fzbz9rY (19.03.2012)

42

Hagalil:“Wir weichen der Gewalt“ – Österreichs Weg zum Anschluß März 1938, http://www.hagalil.com/austria/aktuell/anschluss.htm (22.03.2012)

43

documentArchiv.de: Weisung des Obersten Befehlshaber der Wehrmacht Adolf Hitler für den bewaffneten Einmarsch der Wehrmacht in Österreich.

("Unternehmen Otto"), http://www.documentarchiv.de/ns/1938/weisung-nr01_otto.html (22.03.2012)

(20)

20

Hitler 65.000 Soldaten, teils schwer bewaffnet, in das Land einmarschieren. Deren Einmarsch wurde von heftigen antijüdischen Pogromen sowie willkürlichen Verhaftungen, vor allem von Regimegegnern und Juden, begleitet.45 Zugleich traf auch Heinrich Himmler (1900-1945) in Wien ein um die Macht über die Polizei zu übernehmen, wodurch jeglicher öffentlicher Widerstand zum Anschluss unterbunden werden sollte. Die Grenzen zu den Nachbarstaaten wurden geschlossen, um eine eventuelle Flucht von Regimegegnern zu verhindern. Am Nachmittag des 12. März überquerte Hitler bei Braunau die Grenze zu Österreich. Nach einem kurzen Aufenthalt in Braunau mit Besuch des elterlichen Grabes fuhr Hitler weiter nach Linz. Noch am gleichen Abend trafen sich Hitler und der amtierende national-sozialistische Bundeskanzler Arthur Seyß-Inquart in Linz, um über das weitere Vorgehen zu diskutieren.

Am nächsten Tag, dem 13. März, wurde bereits das Gesetz über die

Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich46 verabschiedet. Am Abend des 13. März wurde das Gesetz vom Kabinett Seyß-Inquart angenommen und in Kraft gesetzt. Das Gesetz besagt, dass „Österreich ist ein Land des Deutschen Reiches“47 ist und am 10. April eine Abstimmung zum Anschluss abgehalten werden soll. Überraschender Weise soll aber bis auf weiteres das österreichische Recht gelten, aber:

Das derzeit in Österreich geltende Recht bleibt bis auf weiteres in Kraft. Die Einführung des Reichsrechts in Österreich erfolgt durch den Führer und Reichskanzler oder den von ihm hierzu ermächtigten Reichsminister.48

Diese Anweisung kam nicht nur einem Anschluss, sondern einer regelrechten Einverleibung Österreichs durch Deutschland gleich. Der amtierende österreichische Präsident Wilhelm Miklas (1872-1956), der sich weigerte, das Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs

mit dem Deutschen Reich zu ratifizieren und sich gegen einen Anschluss gewehrt hatte, trat

noch am 13. März auf Druck von Deutschland von seinem Amt zurück.49 Damit waren alle Gegner auf politischer Ebene „ausgeschaltet“. Die Regierung Österreichs von Arthur

45

Verfreundete Nachbarn 2005, Seite 69

46 documentArchiv.de: Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich,

http://www.documentarchiv.de/ns/1938/anschluss_oesterreich_deutsches-reich.html (26.03.2012)

47

documentArchiv.de: Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Artikel I, http://www.documentarchiv.de/ns/1938/anschluss_oesterreich_deutsches-reich.html (26.03.2012)

48

documentArchiv.de: Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich, Artikel II, http://www.documentarchiv.de/ns/1938/anschluss_oesterreich_deutsches-reich.html (26.03.2012)

49

(21)

21

Inquart blieb an der Macht, aber sie war jetzt anstelle einer Bundesregierung zu einer

Landesregierung geworden, die der Reichsregierung in Berlin direkt unterstellt war.

Der 13. März 1938 gilt als der offizielle Tag des Anschlusses von Österreich an Deutschland. Von der Bevölkerung sollte dieser Vertrag im April noch durch eine Abstimmung „beglaubigt“ werden.

3.2 Hitlers Einzug in Wien am 15. März 1938

Drei Tage, nachdem Nazi-Deutschland Österreich annektiert hatte, kommt Hitler nach Wien. Mit seiner Einreise in Wien hatte Hitler eines seiner Hauptziele erreicht: Österreich war wieder Teil des Deutschen Reiches. Dies hatte er bereits 1925/1926 in seinem Manifest Mein

Kampf festgehalten, worin er den Anschluss Österreichs an Deutschland forderte.

Auf dem Balkon der Wiener Hofburg gibt er eine Rede an die versammelten Menschenmassen:

[…] Ich proklamiere nunmehr für dieses Land seine neue Mission. Sie entspricht dem Gebote, das einst die deutschen Siedler aus allen Gauen des Altreiches hierher berufen hat: Die älteste Ostmark des deutschen Volkes soll von jetzt ab das jüngste Bollwerk der deutschen Nation und damit des Deutschen Reiches sein. […]50

Die Bilder dieses Tages erwecken beim Zuschauer den Eindruck, dass Hitler frenetisch begrüßt wurde, als Retter der Nation gesehen wurde. Dazu beigetragen hat auch, dass Hitler selbst auch aus Österreich kam. Aber nicht alle Menschen, die am 15. März auf dem Heldenplatz standen, waren dort aus freien Stücken. Viele waren von ihren Arbeitgebern dazu verpflichtet worden, auf dem Heldenplatz anwesend zu sein. Aber das allgemeine Bild in der Öffentlichkeit wurde von einer allgemeinen Zustimmung der Österreicher zum Anschluss bestimmt.51

Die wenigen ausländischen Journalisten, die sich noch in Wien befanden und über das Ereignis berichteten, hatten ein anderes Bild von den Ereignissen und ahnten bereits Schlimmes, so auch der britische Journalist George Eric Rowe Gedye (1890-1970), der die Ereignisse in Wien beobachtet hatte:

50

Doktumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: Der 15. März 1938 – Wiener Heldenplatz, http://www.doew.at/thema/thema_alt/wuv/maerz38/heldenplatz.html (22.03.2012)

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22

Wenn man sagt, daß die Massen auf der Ringstraße vor Begeisterung wie wahnsinnig waren, als sie Hitler begrüßten, so ist dies alles eher als eine Übertreibung. Trotz der Gewaltakte und Schreckensszenen, die – wie ich wußte – dem Einzug folgen würden, fand ich etwas Pathetisches an der begeisterten Überzeugung dieser Vertreter des kleinen Mittelstandes, die, durch ihren Fanatismus aus der gewohnten Behäbigkeit gerissen, fest glaubten, daß für sie das Tausendjährige Reich angebrochen war […]52 Was dem Anschluss noch folgen würde, konnten zu diesem Zeitpunkt nur die wenigsten Menschen ahnen. Gedye selbst merkte nur allzu schnell, dass sich die Stimmung in Wien geändert hatte. Er wurde, nur drei Tage nach dem Anschluss, als unerwünschter Ausländer von der Gestapo aus Österreich abgeschoben.

3.3 Die Volksabstimmung am 10. April 1938

Hitler ließ, um den Anschluss nachträglich von der Bevölkerung ab segnen zu lassen, am 10. April 1938 eine Volksabstimmung über den Anschluss in Deutschland und Österreich abhalten. Innerhalb des Monats nach dem Anschluss konnten die Menschen erahnen, zu welchen Taten die neuen Besatzer fähig waren. Verhaftungswellen von Regimegegnern gingen durch das Land, etwa 72.000 Menschen, vor allem Juden, wurden in den ersten Tagen nach dem Anschluss verhaftet. Viele von diesen Gefangenen wurden ins Konzentrationslager nach Dachau deportiert.

Der Bundespräsident Wilhelm Miklas a.D. konnte in seiner Wiener Dienstwohnung bleiben, musste sich aber den Nationalsozialisten verantworten. Dem ehemaligen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg ging es nach dem Anschluss bei weitem schlechter. Er wurde noch am Tag des Anschlusses in seiner Wohnung im Belvedere inhaftiert und stand unter Hausarrest.

Angst und Schrecken verbreitete sich innerhalb der kurzen Zeit in Österreich. Um die Bevölkerung davon zu überzeugen, dem Anschluss am 10. April zuzustimmen, unterzeichneten viele Menschen aus Politik und Prominenz bereits vorher Erklärungen, in denen sie ihre Zustimmung zum Anschluss bekannten. Die Kirche unterzeichnete bereits am 18. März eine Erklärung zum Anschluss53. Bekannte Wiener Persönlichkeiten ließen am 7.

52

Gedye 1947, Seite 305

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23

April 1938 eine Erklärung in der Wiener Zeitung publizieren, in der sie sich zum Anschluss und zum Führer bekannten, einer davon war der Direktor der Wiener Staatsoper Erwin Kerber:

Deutsch sein, heißt eine Sache um ihrer selbst Willen tun – unter diesem Leitmotiv schreitet in der Stunde der Heimkehr die Wiener Staatsoper nach schweren Jahren frohgemut und voll Zuversicht in die neue große Zeit!54

Die Propaganda zur Befürwortung zum Anschluss zog sich durch ganz Österreich. Überall wurden Plakate aufgehängt, die die Menschen dazu anregen sollten, am 10. April mit Ja zu stimmen. Dazu wurden auch einschlägige Werbeblätter verteilt, sogar in Briefstempeln wurden die Menschen zum Ja aufgerufen.55 Presse und Rundfunk waren verstaatlicht worden, so dass es in den Medien keine Gegenstimmen zur Abstimmung geben konnte. Aber nicht alle Menschen wurden zur Wahl aufgerufen, etwa 7 Prozent der eigentlich wahlberechtigten Österreicher, darunter Juden und bereits Inhaftierte, wurden von der Wahl ausgeschlossen, sie wurden erst gar nicht als Wahlberechtigte betrachtet. Bereits am 2. April 1938 konnten die 2500 in England wohnenden Deutsche und Österreicher über den Anschluss abstimmen. Zu diesem Zwecke wurde das 1937 gebaute Schiff, die Wilhelm

Gustloff, zwei Meilen vor der englischen Küste zum Wahllokal umfunktioniert.56

Am Abstimmungstag, dem 10. April, spielten sich, für Außenstehende, befremdliche Bilder ab. Stimmberechtigte gaben ihre Stimme in aller Öffentlichkeit vor den Wahlhelfern ab und nicht geheimer Wahl. Der wahrscheinlichste Grund dafür war, dass man nicht als Gegner des Anschlusses gelten wollte und man ansonsten wahrscheinlich erheblichen Problemen ausgesetzt war.57 So tief hatte die nationalsozialistische Maschinerie bereits in Österreich gegriffen. Die Auswirkungen dieser nationalsozialistischen Politik in Österreich waren vorhersehbar.

Am Abend gab der Gauleiter von Wien, Josef Bürckel (1895-1944), bekannt, dass 99,73 Prozent aller Österreicher die Abstimmung zum Anschluss bejahten. In Deutschland

Kirche bekennt sich zu Großdeutschland!,

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?apm=0&aid=wrb&datum=19380403&seite=17&zoom=1 (26.03.2012)

54 Österrreichische Nationalbibliothek: ANNO Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften – Wiener

Künstler zum 10. April, http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?apm=0&aid=nwj&datum=19380407&seite=13 (26.03.2012)

55 Rauchensteiner 2000, Seite 79 56

Spiegel.de: Erinnerungen, die nicht untergehen,

http://einestages.spiegel.de/static/entry/erinnerungen_die_nicht_untergehen/7636/mobiles_wahllokal.html?o =position-ASCENDING&s=8&r=1&a=1312&c=1 (26.03.2012)

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24

stimmten 99,08 Prozent der Wahlberechtigten für den Anschluss. Großartig verfälschen brauchten die Nationalsozialisten das Ergebnis nicht. Ihre Politik des Terrors und der Einschüchterung hatte bereits dafür gesorgt, dass die Menschen fast einheitlich dem Anschluss zustimmten.58,59

Österreich wurde später in Ostmark umbenannt und war damit ein Land innerhalb des Deutschen Reiches. Jeglicher Hinweis auf eine Eigenständigkeit Österreichs sollte im Keim erstickt werden.60 Wien wurde von einer Hauptstadt zu einer normalen Stadt herabgestuft, Hauptstadt des Reiches sollte einzig und allein Berlin sein.61

Damit sollte Österreich als Ostmark und später ab 1942 als Donau- und

Alpenreichgaue bis 1945 von den Nationalsozialisten besetzt sein.

62

58 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: Das 99%ige Abstimmungsergebnis,

http://www.doew.at/service/ausstellung/1938/2/2abstimm.html (26.03.2012)

59

Verfreundete Nachbarn 2005, Seite 70, siehe auch: Wikimedia: Stimmzettel zur Abstimmung über den Anschluss, http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/57/Stimmzettel-Anschluss.jpg (22.03.2012) 60 Vocelka 2002, Seite 300 61 Hanisch 1994, Seite 363 62

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4 Die Opfer der nationalsozialistischen Politik in Österreich

Bereits kurz nach dem Anschluss wurde deutlich, dass die Nationalsozialisten in Österreich genauso rigoros gegenüber ihren Gegnern vorgehen würden wie in Deutschland. Das bedeutete in den Augen der Nationalsozialisten, dass diese Menschen eliminiert werden mussten. Oder dass diese sich, durch einschränkende Maßnahmen der Nationalsozialisten, dessen bewusst werden sollten, dass es sich nicht lohnen würde, gegen die Nationalsozialisten zu sein. Die meisten dieser Auswanderer kehrten Österreich für immer den Rücken, nur wenige kamen nach 1945 in ihr Heimatland zurück.63

Welche Menschen in Österreich waren vor allem von der Härte der Nationalsozialisten betroffen? Diese Gruppen sollen in den folgenden Abschnitten näher betrachtet werden.

4.1 Juden

Schon vom Beginn der Partei an hatten die Nationalsozialisten einen selbsterklärten Hauptfeind: die Juden. Bereits in ihrem 25-Punkte-Programm von 1920 machten die Nazis es klar, wie sehr sie die Juden verabscheuten:

Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein. […]64

Bereits dieser Punkt Vier des Programmes lässt erahnen, dass die Juden von den Nationalsozialisten nur als Menschen zweiter Klasse behandelt werden würden. Wer aber war Jude nach dem Vorbild der Nationalsozialisten? Dazu geben die Nürnberger Gesetze die folgende Antwort:

Jude ist, wer von mindestens drei der Rassen nach volljüdischen Großeltern abstammt. §2 Abs. 2 Satz 2 findet Anwendung.65

Das jüdische Leben in Österreich änderte sich ab März 1938 radikal.

63 AEIOU: Auswanderung, http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.a/a968660.htm (11.04.2012) 64

Deutsches Historisches Museum: Die 25 Punkte des Programms der NSDAP, http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/nsdap25/index.html (28.03.2012)

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Austrian Nazis and local residents look on as Jews are forced to get on their hands and knees and scrub the pavement.

Viele jüdische Österreicher hatten Familie oder Bekannte in Deutschland, die schon seit 1933 den Repressalien der Nationalsozialisten ausgesetzt waren. Jetzt sollte dies auch in Österreich geschehen. Dazu muss aber gesagt werden, dass es bereits vor dem Anschluss Repressalien gegenüber Juden in Österreich gegeben hatte. Berühmt wurde auch der Spruch

Wer Jude ist, bestimme ich!, den der jahrelange Wiener (CS) Bürgermeister Karl Lueger (1844

– 1910) mal gesagt haben soll.67

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Antisemitisches Wahlplakat der Christlichsozialen Partei (CS) in Wien 1920.

Bereits vor dem Anschluss sind viele österreichische Juden emigriert, denn ursprünglich lebten etwa 500.000 Juden in Österreich. 1938 gab es in Österreich noch 206.000 Juden, die etwa drei Prozent der Bevölkerung Österreichs ausmachten. Von diesen Juden waren nur

66

United States Holocaust Memorial Museum: Austrian Nazis and local residents look on as Jews are forced to get on their hands and knees and scrub the pavement,

http://digitalassets.ushmm.org/photoarchives/detail.aspx?id=28172&search=03741&index=1 (28.03.2012)

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Elon 2002, Seite 224

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Spiegel.de: Alarm an jeder Straßenecke,

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etwa 181.000 Menschen offiziell Mitglieder bei der Israelitischen Kultusgemeinde.69

Die meisten Juden in Österreich, etwa 80 Prozent, lebten in Wien.70 Nur etwa 20 Prozent aller österreichischen Juden lebten in den anderen Bundesländern. Diese Juden, die noch in den anderen Bundesländern lebten, wurden von den Nationalsozialisten dazu gezwungen, nach Wien überzusiedeln.

In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, auch bekannt als

Reichskristallnacht, erreichte die Judenhetze einen unrühmlichen Höhepunkt. In Städten wie

Wien, Klagenfurt, Linz, Graz, Salzburg, Innsbruck wurden jüdische Einrichtungen zerstört und waren Juden den tätlichen Angriffen von Nationalsozialisten ausgesetzt. Sämtliche Synagogen in Wien wurden zerstört, jüdische Geschäfte oder Organisationen wurden zerstört und geschlossen. Über Opfer wie Hilda Wiener, 1904 in Wien geboren und zudem auch noch gehörlos, wird von diesen Tagen in Wien berichtet:

Hilda had to wait in long lines to buy food for the family, and was in constant fear that she would be discovered to be Jewish. She witnessed Nazis humiliating and persecuting Jews in the streets, and Lilly witnessed the temple next door burn to the ground during Kristallnacht. When Hilda saw Adolf Hitler during a military parade, surrounded by saluting Austrians, she realized that she and her family would have to escape.71

Für die meisten Juden wie Hilda Wiener gab es nach 1938 nur noch eine Möglichkeit, das Leben zu retten: die Flucht ins Ausland. Dazu wurden sie auch von den Nationalsozialisten gezwungen. Wenn sie nahezu ihr gesamtes Vermögen zurückließen und eine Reichsfluchtsteuer zahlten, konnten sie emigrieren. Fast 130.000 österreichische Juden nutzten diese Möglichkeit, darunter auch der Psychoanalytiker Sigmund Freud (1856 – 1939), der am 4. Juni 1938, nach Zahlung der Reichsfluchtsteuer, mit seiner Familie nach England flüchtete.72 Nach der Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942, auf der die systematische Vernichtung der Juden beschlossen wurde, war auch der Weg zur Emigration verschlossen. Die übriggebliebenen Juden, etwa 76.000 Menschen, wurden in Konzentrationslager oder in

69 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: Die Demographie der österreichischen Juden 1938

– 1945, http://www.doew.at/projekte/holocaust/shoah/demo.html (28.03.2012)

70

Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: Tabelle Demographie der Juden Österreichs vom 13.3. bis zum 31.12.1938, http://www.doew.at/projekte/holocaust/shoah/demo2.html (28.03.2012)

71

United States Holocaust Memorial Museum: Hilda Wiener,

http://www.ushmm.org/research/collections/photo.php?source=photo&content=38152 (28.03.2012) (Hilda wanderte 1940 mit ihrer Familie in die USA aus)

(28)

28

polnische Ghettos deportiert.73 Der damalige Wiener Gauleiter Baldur von Schirach (1907 – 1974) erklärte später zynisch beim Kongreß der Europäischen Jugend in Wien vom 14. September 1942:

Jeder Jude, der in Europa wirkt, ist eine Gefahr für die europäische Kultur. Wenn man mir den Vorwurf machen wollte, daß ich aus dieser Stadt, die einst die europäische Metropole des Judentums gewesen ist, Zehntausende und aber Zehntausende von Juden ins östliche Ghetto abgeschoben habe, muß ich antworten: Ich sehe darin einen aktiven Beitrag zur europäischen Kultur.74

Ab 1942 wurde Wien judenfrei erklärt.

4.2 Mischehen

1938 gab es in Österreich 206.000 Juden, von denen nur etwa 181.000 Menschen offiziell Mitglieder bei der Israelitischen Kultusgemeinde waren. Diese knapp 24.000 Menschen die nicht Mitglied bei einer Israelitischen Kultusgemeinde waren, hatten jüdische Vorfahren und waren im Zuge der eingeführten Nürnberger Gesetze zu Juden gemacht worden.75

Was sind aber diese jüdischen Mischlinge, wie die Nationalsozialisten es titulierten? Dazu sagen die Nürnberger Gesetze in Artikel 2 Absatz 2 unter anderem:

Jüdischer Mischling ist, wer von ein oder zwei der Rassen nach volljüdischer Großelternteilen abstammt, sofern er nicht nach §5 Abs.2 als Jude gilt. Als volljüdisch gilt ein Großelternteil ohne weiteres, wenn er der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat.76

Es gab auch 4.900 Menschen, die keine Juden laut Nürnberger Gesetze waren. Diese Menschen waren meist Eheleute, die durch Eheschließung zum Judentum übergetreten waren. Diese Menschen wurden von den Nationalsozialisten dazu gezwungen, aus der Israelitischen Kultusgemeinde auszutreten, sie galten ab dann als Nichtjuden.

73

Wien.at: Vertreibung und Ermordung – Geschichte der Jüdinnen und Juden in Wien,

http://www.wien.gv.at/kultur/juedischeswien/geschichte/nationalsozialismus.html (28.03.2012)

74

Zeno.org: Der Nürnberger Prozeß – Fünfunddreißigster Tag. Mittwoch, 16. Januar 1946,

http://www.zeno.org/Geschichte/M/Der%20N%FCrnberger%20Proze%DF/Hauptverhandlungen/F%FCnfunddre i%DFigster%20Tag.%20Mittwoch,%2016.%20Januar%201946/Vormittagssitzung (28.03.2012)

75

Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes: Die Demographie der österreichischen Juden 1938 – 1945, http://www.doew.at/projekte/holocaust/shoah/demo.html (28.03.2012)

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Damit waren sie zwar von der Verfolgung durch die Nazis ausgeschlossen, aber zweifelsfrei wurde Ihnen das Leben schwer gemacht, weil sie mit einem Juden verheiratet waren. Kinder aus Mischehen oder Erwachsene, die von Juden abstammten aber selber keine Juden waren, hatten unter der drakonischen Politik der Nazis zu leiden. Nach der Klassifizierung der Nazis waren sie „Halbjuden“, und dabei machte es nichts aus, wer das jüdische Elternteil war.

In der jüdischen Tradition ist diese Frage ganz eindeutig geklärt. Die Halacha, die jüdischen Gesetze in der Torah, befassen sich mit dieser Frage. Jüdisch sind nur Menschen, deren Mutter auch jüdisch ist oder deren Eltern beide jüdisch sind. Dabei müssen diese keine praktizierenden Juden sein.77 Dies wurde von den Nationalsozialisten aber nicht in Betracht genommen. Mit einem jüdischen Verwandten in der Familie war man bei den Nazis zu einer

persona non grata geworden, alle Menschen, die von dieser Politik betroffen waren, waren

„Mischlingsjuden“, was zu einem Schimpfwort in den von den Nationalsozialisten besetzten Gebieten wurde, so auch in Österreich.

Die Nationalsozialisten hatten aber auch hierbei eine Einteilung vorgenommen, wonach der jüdische Grad eines Menschen bestimmt werden konnte. Als Halbjuden wurden jene Menschen bezeichnet, von denen ein Elternteil jüdisch war. Ob Vater oder Mutter machte hierbei nichts aus. Von diesen Mischlingen I. Grades gab es in Österreich 1938 16.938 Menschen. Vierteljuden wiederum waren Menschen, von denen ein Großelternteil jüdisch war, und auch hier machte es nichts aus, ob dieses Großelternteil männlich oder weiblich war. 1938 gab es 7.391 Vierteljuden in Österreich. Von diesen 24.329 Mischlingsjuden waren in Österreich 1.452 Menschen sogenannte Geltungsjuden. Das waren Menschen, die aus gemischten Beziehungen entstanden und jüdisch erzogen worden waren.78 Es gab auch Achteljuden, wobei ein Urgroßelternteil jüdisch war. Auch hierbei machte es den Nationalsozialisten nicht aus, ob dieses Familienmitglied männlich oder weiblich war. Genaue Zahlen gibt es dazu nicht.

Die Folgen dieser kaltblütigen Klassifizierungsmethoden der Nationalsozialisten auf die Betroffenen waren schwerwiegend. Kinder konnten keine höheren Schulen besuchen oder wurden, wenn sie bereits eine besuchten, gezwungen, die Schulen zu verlassen. Einzige

77

Jewish Virtual Library: Who is a Jew?, http://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/Judaism/whojew1.html (11.04.2012)

78

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Möglichkeit auf eine gediegene Ausbildung war nur noch der Weg in niedrigere Schulen, aber auch dort waren sie vor Anfeindungen nicht geschützt, da sie ja immerhin jüdische Verwandte hatten. Noch dazu kam dass die Mischlingsjuden I. Grades bis 1941 zur Wehrmacht eingezogen wurden, Mischlingsjuden II. Grades sogar noch bis Kriegsende in der Wehrmacht dienen sollten. Vom öffentlichen Leben in Österreich waren sie aber weitestgehend ausgeschlossen.

Anders als bei Volljuden (also Menschen die laut den Nationalsozialisten über drei Generationen jüdischer Abstammung waren), waren sie zuerst von der Verfolgung ausgeschlossen. Nachdem die Volljuden beseitigt wären, sollten auch die Mischlingsjuden vernichtet werden, so die Nationalsozialisten. Auf der Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942 wurde festgestellt, dass Geltungsjuden und mit Juden verheiratete Mischlingsjuden nicht mehr von der Vernichtung ausgeschlossen werden sollten.79

Um aber dieser Vernichtung und Unterdrückung zu entgehen, konnte man entweder untertauchen oder in das Exil gehen. Die Angst um die Verwandten blieb aber immer gleich.

4.3 Politisch Verfolgte und Andersdenkende

Menschen, die andere Ansichten als die Nationalsozialisten hatten, wussten, dass ihr Leben nach dem Anschluss erheblich komplizierter werden würde. In Österreich waren die Parteien bereits unter Bundeskanzler Engelbert Dollfuß verboten worden, unter anderen auch die österreichische NSDAP. Die war am 19. Juni 1933 verboten worden. Nach dem Anschluss war die NSDAP die einzig erlaubte Partei, und die Rache wegen des Verbotes durch die Vaterländische Front (VF) sollte für Österreich massive Folgen haben.

Politiker, die in der Vaterländischen Front (VF) involviert waren, waren von der Verfolgung ebenso betroffen wie ehemalige Mitglieder der SDAP (= Sozialdemokratische Partei Österreichs) oder der KPÖ (= Kommunistische Partei Österreichs). Dies waren die erklärten Feinde der Nationalsozialisten. Ehepartner sowie etwaige Kinder von Österreichs ehemaliger Politprominenz waren ebenfalls von den Restriktionen der Nationalsozialisten betroffen. Prominente Figur dieser Verfolgungspolitik in Österreich war der letzte Bundeskanzler Österreichs, Kurt Schuschnigg. Er stand bereits kurz nach dem Anschluss unter

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31

Hausarrest und wurde ab Mai 1938 in der Wiener Gestapo inhaftiert. Kurz danach wurde Schuschnigg nach Deutschland überführt, wurde danach in Konzentrationslager inhaftiert und war erst 1945 auf einem Transport von Sonderhäftlingen befreit worden.80 Schuschnigg war aber, im Gegensatz zu den meisten Häftlingen, ein Häftling mit Prominentenstatus, was ihm eine bevorzugte Behandlung einbrachte. Andere politische Häftlinge, die in den Augen der Nationalsozialisten nicht von großer Bedeutung waren, wurden wie alle anderen Inhaftierten behandelt.

Viele Politiker gingen in die USA. Es gab aber auch einige, die nach Großbritannien gegangen waren. Dazu gehörten Politiker wie Heinrich Allina (SDAP, 1878 – 1953) oder auch Robert Habsburg-Lothringen (1915 – 1996).81 Dort wurden viele Mitglieder in Organisationen, die sich für die Befreiung ihres Landes einsetzten, so entstand auch das Free

Austrian Movement als Dachverband von österreichischen Exilorganisationen oder das Austrian Centre. Es gab aber auch einige Österreicher, die sich aktiv an der Befreiung des

besetzten Europas beteiligten. Etwa 100.000 Österreicher kämpften auf Seiten der Alliierten gegen das Naziregime.82

Auch Menschen, die nicht direkt politisch tätig waren und in Österreich lebten, waren sich dessen bewusst, dass sich das Blatt in ihrem Land nicht schnell wenden würde. Um ihr eigenes Leben zu retten, wählten auch viele von ihnen den Weg in die Emigration. Zu dieser Gruppe von Menschen gehörten auch viele Intellektuelle,

Eines war aber allen Politikern und Andersdenkenden vollkommen bewusst: unter den Nationalsozialisten würde es für sie keine Zukunft geben. Um diesem Schicksal zu entkommen, gingen viele Politiker und Andersdenkende in das selbstgewählte, aber manchmal auch gezwungene, Exil. Diejenigen, die das Land nicht mehr verlassen konnten, waren den Repressalien der Nationalsozialisten schutzlos ausgeliefert.

80

Profil.at: profil-Serie, Teil 3 - Der Kanzler gegen Hitler: Das Scheitern des Kurt Schuschnigg,

http://www.profil.at/articles/0808/560/198245/profil-serie-teil-3-der-kanzler-hitler-das-scheitern-kurt-schuschnigg (11.04.2012)

81

Österreichische Literatur und Kultur im historischen Prozess: Einige österreichische Flüchtlinge in

Großbritannien, http://www.literaturepochen.at/exil/multimedia/pdf/exilantenlistereinhard.pdf (11.04.2012)

82

Deutsches Historisches Museum: Österreich 1938 – 1945,

(32)

32

4.4 Ausländer

Ausländer waren ebenfalls ein erklärtes Ziel der Nationalsozialisten. So sagten sie bereits 1920 in ihrem 25-Punkte-Programm:

Jede weitere Einwanderung Nicht-Deutscher ist zu verhindern. Wir fordern, daß alle Nicht-Deutschen, die seit dem 2. August 1914 in Deutschland eingewandert sind, sofort zum Verlassen des Reiches gezwungen werden.83

Dieses Recht wurde von den Nationalsozialisten nach dem Anschluss auch auf Österreich angewandt. Bereits kurz nach dem Anschluss wurden einige Kritiker des Landes verwiesen, wie zum Beispiel der britische Journalist George Eric Rowe Gedye (1890-1970), der kritisch über die Geschehnisse in Deutschland und Österreich berichtet hatte. Er musste bereits drei Tage nach dem Anschluss das Land verlassen, wurde als unerwünschter Ausländer abgeschoben.

Andere Ausländer wurden, oft unter falschen Versprechungen und gegen ihren Willen, zur Zwangsarbeit eingesetzt. Sie hatten keinerlei Einwirkungen darauf, wie lange ihr Arbeitseinsatz dauern würde und waren somit den Nationalsozialisten vollkommen ausgeliefert. Betroffen waren auch Paare, von denen ein Partner Ausländer war. Die Rassenideologie der Nationalsozialisten kommt hier wieder zur Sprache. Durch Mischung mit der weißen Rasse konnten Ausländer laut NS-Ideologie die arische Rasse erheblich schwächen, was natürlich nicht im Sinne der Nationalsozialisten war.84 Kinder aus diesen Beziehungen hatten auf den Schulen unter der neuen rassistischen Ideologie zu leiden und wurden von vielen Aktivitäten ausgeschlossen. Im Gegensatz zu anderen Gruppen waren Ausländer aber nicht noch nicht von der systematischen Verfolgung betroffen.

Wie auch bei allen anderen Gegnern der Nationalsozialisten waren auch die Ausländer weitestgehend vom öffentlichen Leben in Österreich ausgeschlossen worden. Eine von der NS-Ideologie bestimmten Ausländerpolitik sorgte wiederum dafür, dass sich im nationalsozialistisch regierten Österreich kaum Zuwanderer, die nicht deutsch waren,

83 Deutsches Historisches Museum: Die 25 Punkte des Programms der NSDAP,

http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/nsdap25/index.html (28.03.2012)

84

Exil-Club: Schwarze im Dritten Reich,

(33)

33 niederließen.85

Um dieser beklemmenden Situation zu entkommen, verließen viele Ausländer, solange es noch möglich war, Österreich.

85

Notre Dame University: Von Metternich bis zum EU Betritt - Reichsfremde, Staatsfremde und Drittausländer - Immigration und Einwanderungspolitik in Österreich,

(34)

34

5 Großbritannien und die Bewältigung des Flüchtlingsstroms

Bereits 1933, mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland, stand die politische Entwicklung in Mitteleuropa unter der kritischen Beobachtung der britischen Behörden. Mit dem Anschluss Österreichs im März 1938 wurde in Großbritannien deutlich, auf welches Ziel die Nationalsozialisten hinaus liefen. Ein Krieg war nicht mehr zu verhindern. Dies bedeutete dass viele Länder sich mit einem großen Einwanderungsstrom von Menschen konfrontiert sahen, die alle, aus unterschiedlichen Gründen, ihre Heimat verlassen wollten oder mussten. Etliche Länder, unter anderem die USA, hatten aber ihre Grenzen für Flüchtlinge rigoros geschlossen oder ließen nur spärlich Menschen einreisen und Großbritannien hatte im April 1938 wieder den Visumzwang für Österreicher eingeführt.86

In diesem Kapitel werden die zwei wichtigsten Programme besprochen, durch die Großbritannien nach dem Anschluss 1938 Flüchtlinge in das Land einreisen ließ. Zum einen gibt es die bekannten Kindertransporte, und zum anderen die weit weniger bekannte Geschichte der Domestic Service Visa. So unterschiedlich die Beweggründe waren, mit denen die Flüchtlinge durch diese beiden Programme nach England kamen, dennoch haben sie alle eine große Gemeinsamkeit: die Emigration nach Großbritannien rettete ihnen das Leben.

5.1 Allein in einem fremden Land – Kindertransporte

Nach 1933, aber vor allem nach 1938 wurde die Situation für jüdische Familien in Österreich immer dramatischer. Familien, die nicht das Geld dazu hatten, um ihre gesamte Familie ins Ausland zu bringen, saßen in ihren Ländern fest. Denn es gab nicht genug Länder, die ausreisewillige Menschen aufnehmen wollten.87

Die Ereignisse der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, die Reichskristallnacht, änderte aber die Einstellung einiger Länder zur Einwanderung, unter anderem auch in Großbritannien. Die bis dahin zum Teil abwartende und ablehnende Haltung gegenüber österreichischen Flüchtlingen änderte sich.88 Das British Jewish Refugee Committee appellierte an das britische Parlament, um zu mindestens Kinder in Großbritannien

86

Müller 2002, Seite 2

87

The Kindertransport Association: Kindertransport and KTA History – 1933 – 1938 in the Reich, http://www.kindertransport.org/history02_1933.htm (16.04.2012)

Referenties

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