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2010 Bijlage VWO

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(1)

Bijlage VWO

2010

Duits

tevens oud programma

Duits 1,2

Tekstboekje

tijdvak 1

(2)

Ausland über alles

Mobile Studenten haben Probleme

Mit manchen Daten lässt sich alles und dessen Gegenteil belegen. Auch mit dieser Statistik: Immer mehr deutsche Studenten gehen ins Ausland. 1975 waren es nur 11 000, 1995 41 000; 2005 schon 75 800 – 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Diese Statistik, so würden Freunde des

5

gepflegten Kalauers betonen, ist für den Bildungs- politiker so wie eine Laterne für den Betrunkenen – sie dient eher der Festigung des eigenen Standpunktes denn der Erleuchtung. Die eine Seite fühlt sich in der Befürch- tung bestätigt, dass immer mehr Studenten aus dem

10

deutschen System exilieren, „Braindrain“ heißt das mit alarmistischem Tremolo. Die andere Seite wird die Mobilität der Studenten preisen: Nesthocker? Die doch nicht!

Die sofortige Verfestigung der Gedanken beim Lesen

15

versperrt aber die Sicht auf das wirklich Interessante: die neue Rolle des Auslandsstudiums für den Arbeitsmarkt.

Vor wenigen Jahren war ein Jahr in New York, Oxford, selbst Aix-en-Provence ein Distinktionsmerkmal im Lebenslauf: Ausland = bessere Jobchancen. Je mehr

20

Leute ins Ausland gehen, desto weniger stimmt die Gleichung. 3 müssen her; die Generation der Lebenslauf-Optimierer wird immer schneller, höher, weiter springen müssen, ein Hilfsprojekt in der Süd- sahara anleiern, ein Praktikum bei der US-Notenbank

25

machen, ein Tutorium an einer südkoreanischen Uni geben. So großartig ein Auslandsjahr für jeden einzelnen Studenten ist – für alle zusammen wird der Arbeitsmarkt unentspannter.

(3)

Tekst 2

Ihre Mundart macht sie so machtlos

Können sich unsere Politiker nicht klarer ausdrücken? Können sie nicht – ihnen ist der Schnabel so gewachsen.

Seitdem die akkurat hochdeutsch sprechenden Niedersachsen das Kanzleramt geräumt haben, seitdem Edmund Stoiber nicht mehr überall sein Fußgängerzonen-Bairisch ertö- nen lässt, ist das Land, dialektisch gesehen, im Wandel begriffen. Jüng- stes Beispiel dafür ist die deutlich

hessische Andrea Ypsilanti, der man, anders als ihrem Politfeind Roland Koch, anhört, wo sie her- kommt. Über Deutschlands regio- nale Sprachen und Eigenheiten gibt es sehr viele Urteile und Vorurteile.

Am schärfsten fallen sie meist bei den Nachbarn der Beurteilten aus, also bei Pfälzern über Saarländer, bei Bayern über Schwaben, bei Brandenburgern über Berliner. Men- schen, die im Dialekt sprechen, wer- den häufig schon allein deswegen für provinziell gehalten. Auch dabei übrigens gibt es eine Art Nord-Süd- Gefälle: Ein Göttinger mag einem zwar auf die Nerven gehen, aber wenn er in schönem Schriftdeutsch spricht, neigt man zu der Annahme, er habe auch Abitur. Hört man Niederbayern, Menschen von der schwäbischen Alb oder gar Tiroler, stellt sich dieses spontane positive Vorurteil nicht ein. So haftet etlichen unserer Bundespolitiker im weitesten Sinne ihre Provinz an.

(4)

Ein Quartier braucht Vielfalt

Serie Urbanität: Städte im Umbau – beispielhafte Lösungen (1) Was macht ein Viertel urban? Viel-

falt. Und zwar eine Vielfalt an Nut- zungsmöglichkeiten, an Menschen, an guter Architektur, an städtebaulichen Elementen. Darüber hinaus ist ein

5

urbanes Viertel ein emotionaler Raum, der für die Bewohner ein soziales Milieu ist, mit dem sie sich identifi- zieren können, und der eine Art Hei- matgefühl vermitteln kann. Das, was

10

die Stadt im Inneren zusammenhält.

(2) Aber Urbanität muss wachsen.

Daher gibt es viel mehr gute Beispiele für gelungene Quartiere aus der Ver- gangenheit, etwa die legendäre

15

Stuttgarter Weißenhofsiedlung, die dorfartigen Taut-Siedlungen in Berlin oder auch Städte wie Rothenburg oder Dinkelsbühl, die mittelalterliche Stadt- romantik vermitteln. Neubausied-

20

lungen haben es da schwerer. Sie sind, selbst wenn alle Kriterien der Architek- tur und des Städtebaus erfüllt sind, erst einmal nur neu und fremd. Nur wenige finden von Anfang an breite

25

Akzeptanz, vor allem, wenn sie sich durch die Besonderheit des Standorts auszeichnen, beispielsweise die ehe- maligen Hafengebiete in Hamburg, Rotterdam und Amsterdam. Das 1997

30

fertig gestellte Quartier Borneo Sporenburg in Amsterdam ist hierfür ein gelungenes Beispiel. Auf den still- gelegten Hafenkais wurden in höchster Dichte dreigeschossige Reihenhäuser

35

mit introvertierten Patios errichtet. An dem skulptural anmutenden Gesamt- werk waren etwa 60 Architekten beteiligt. Das Projekt hat sich, durch die Vielfalt der architektonischen

40

Interpretationen, von Anfang an ein gutes Image erworben.

(3) Wer suchet, der findet aber auch in Deutschland eine Reihe von gelun- genen Beispielen. Das Bundesamt für

45

Bauwesen und Raumordnung (BBR) hat, unter www.werkstatt-stadt.de, eine Liste von lebendigen Quartiers- und Nachbarschaftsprojekten veröf- fentlicht, die urbane Kriterien für ver-

50

schiedene Gebietstypen verwirklicht haben. Zu sehen sind innerstädtische Projekte zur Erneuerung, Aufwertung, Nachverdichtung und sozialorientier- ten Wohnungsversorgung. Desweiteren

55

werden erfolgreiche Umwandlungen von ehemaligen Industriegebieten zu Wohn- und Mischgebieten vorgestellt, sowie innovative Konzepte für eine nachhaltige Entwicklung von

60

Großwohnsiedlungen.

(4) Einen bedeutenden Stellenwert im modernen Städtebau nimmt die

Umwandlung ehemaliger Gewerbe- und Militärareale ein. Auch dazu hat

65

das BBR eine Reihe von Musterbei- spielen für architektonisch hochquali- tativen Siedlungsbau gesammelt.

Bemerkenswert ist hier beispielsweise das an der Sieg gelegene Chronos

70

Quartier in Hennef, das durch seine besondere Lage zwischen Stadt und Fluss und durch die Verknüpfung von denkmalgeschützten Bauten, hofartig angelegten Backsteinbauten und unter-

75

schiedlichen Wohnungstypen zu einem lebendigen Viertel gewachsen ist. Ähn- lich das Projekt „Ahrberg“ in der Innenstadt von Hannover, wo auf dem Grundstück einer ehemaligen Wurst-

80

fabrik, mit denkmalwertem Bau- bestand, preiswerte Wohnungen, Gewerbeeinheiten und Arbeitsplätze entstanden sind.

(5)

Tekst 4

Experten der Gewalt

(1) Sicherheit vortäuschen, wo er sie nicht gewährleisten kann: Das kann sich ein Staat nicht leisten. Tut er es doch, untergräbt er sich selbst. Vor kurzem hat der Einsatzleiter für den

5

G-8-Gipfel verkündet, man blicke

„ganz entspannt“ auf die Demonstra- tion. Man sei nach 18 Monaten Vor- bereitung gut gerüstet. „Sollte es aber am Rande zu Ausschreitungen

10

kommen, ist die Polizei gewappnet.“

Sie war es überhaupt nicht. Das ist eine ziemliche Blamage. Offensicht- lich hat die Polizei – aus Naivität?

aus Deeskalationsseligkeit? – die

15

unbedingte Gewaltbereitschaft eines Teils der Demonstranten 10 . (2) Wie eine Naturgewalt fiel der

„schwarze Block“ in Rostock ein.

Doch es war kein Gewitter. Die

20

„Autonomen“ gingen wie gut ge- schulte Techniker der Militanz vor:

in wasserdichtem, atmungsaktivem Outfit, kühl, auf ein Höchstmaß zerstörerischer Effizienz bedacht. In

25

ihrer Zusammensetzung selbst ein Produkt der Globalisierung, ist

ihnen diese völlig gleichgültig. Sie haben weder Wut auf die Globalisie- rung noch Angst vor der Polizei –

30

dafür aber eine starke Corporate Identity. Sie sind die Firma, die nicht redet, sondern bestens aus- gerüstet zuschlägt.

(3) Wieder einmal haben die Orga-

35

nisatoren des friedlichen Protestes gewusst, was da auf sie zukommt – und die Augen verschlossen. Als schon längst klar war, wer da Gewalt ausgeübt hat, wurden wieder die so

40

ritualisierten wie dummen Vorwürfe erhoben, erst „Provokationen“ der Polizei hätten zum Ausbruch ge- führt. Der Einspruch gegen die Globalisierung – ohnehin meist

45

recht ahnungslos – verliert alle Glaubwürdigkeit, wenn er notorisch unfähig und unwillig ist, den

militanten Rand zu isolieren. Jene, die eine andere Welt für möglich

50

halten, müssen sich klar von den Experten der Gewalt in ihren Reihen distanzieren.

(6)

Das große Arten-Raten

Wie schlimm das Tier- und Pflanzensterben weltweit ist, lässt sich kaum abschätzen

(1) Es klingt wie eine gruselige Holly- wood-Fiktion: Nicht einmal die Hälfte der heute existierenden Tier- und Pflanzenarten wird das Ende dieses Jahrhunderts überleben, wenn die

5

Menschen damit fortfahren, Organis- men und Lebensräume zu zerstören.

Die Weltnaturschutzunion IUCN spricht von einem dramatischen Rück- gang der Biodiversität. Der Mensch

10

trage bereits seit etwa 100 000 Jahren signifikant zum weltweiten Arten- sterben bei, so die IUCN, die jährlich die internationale „rote Liste“ gefähr- deter Tier- und Pflanzenarten ver-

15

öffentlicht. Zwar ist das Aussterben von Arten durchaus auch ein natür- licher Vorgang. Doch durch den Ein- griff des Menschen vor allem in die Lebensräume seien die aktuellen Raten

20

um das Hundert- bis Tausendfache erhöht. Aussagen, die sich auch Natur- schutzorganisationen wie der World Wildlife Fund (WWF) international gerne auf die Fahnen schreiben.

25

(2) Weltweit soll es etwa 30 Millionen Tier- und Pflanzenarten geben. Die Zahl beruht auf Forschungsergebnis- sen und Tierzählungen im tropischen Regenwald Panamas. Doch solche

30

Untersuchungen lassen sich nicht auf die Verhältnisse etwa in Mitteleuropa übertragen. Vielleicht gibt es also doch

„nur“ acht Millionen Arten – oder aber über hundert Millionen, wenn man an

35

die vielen noch unentdeckten Bakte- rien denkt? Die Schätzungen verschie- dener Forschergruppen und Umwelt- organisationen weisen enorme Unter- schiede auf. Wie aussagekräftig sind

40

solche Zahlen also überhaupt?

(3) „Das fragen wir uns auch manch- mal“, sagt Harald Martens, Arten- schutzexperte beim Bundesamt für Naturschutz. Auch beim WWF

45

Deutschland ist man vorsichtiger geworden, wenn es darum geht, welt- weit gültige Prognosen zur Artenviel- falt aufzustellen. „An globalen Hoch- rechnungen darüber, wie viele Arten

50

tatsächlich innerhalb der letzten hun- dert Jahre auf der Erde ausgestorben sind, beteiligen wir uns nicht gerne“, sagt Stefan Ziegler vom Fachbereich Biodiversität. Bei solchen Aussagen

55

handle es sich letztendlich um Wahr- scheinlichkeiten. „Im Grunde weiß man noch nicht einmal genau, wie viele Rehe es in Deutschland gibt“, so der Artenschutzexperte. Mit voreiligen

60

Schlüssen müsse man also vorsichtig sein.

(4) Doch viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass jährlich hunderte bis tausende verschiedener Arten durch

65

Menschenhand unwiederbringlich verschwinden. Nach Einschätzung von Karl Eduard Linsenmair, Professor für Tierökologie und Tropenbiologie an der Universität Würzburg, dürften

70

jährlich nicht mehr als vier Arten verschwinden, damit sich Entstehungs- und Aussterberate ausgleichen könn- ten. Die Realität sähe aber ganz anders aus, sagt Linsenmair. Ende der 90er

75

Jahre untersuchte er ein Wald-Areal im Osten Borneos, in dem vor einem Jahrhundert Bäume abgeholzt worden waren. „Auf den ersten Blick sah dieses Gebiet wieder aus wie der ursprüng-

80

liche Wald“, so Linsenmair. „Doch bei unseren Untersuchungen stellten wir

(7)

fest, dass allein 40 Prozent der Ameisenarten, die normalerweise im Primärwald leben, in diesem Gebiet

85

fehlten. Bedenkt man nun, dass in Brasilien schon 90 bis 95 Prozent des Tropenwaldes zerstört sind, dann halte ich Hochrechnungen über das welt- weite Artensterben prinzipiell für

90

gerechtfertigt – obwohl es natürlich regionale Unterschiede gibt.“

(5) Anstatt Horrorvisionen zu insze- nieren, setzt das Bundesamt für Natur- schutz deshalb auf die international

95

anerkannten roten Listen als

Bewertungsinstrument. Darin wird nur der Gefahrenstatus von Tier- und Pflanzenarten beurteilt, über die

gesicherte Daten vorliegen. Doch auch

100

diese Zahlen sind in vielen Fällen besorgniserregend: So ist der Bestand des Sperlings in Deutschland in den vergangenen sechs Jahren um 20 Prozent zurückgegangen. Der Spatz

105

wurde daher im Jahr 2002 in die so genannte Vorwarnstufe für gefährdete Tierarten eingestuft. „Wir sehen eine derartige Entwicklung inzwischen auch bei den so genannten Allerweltsarten“,

110

sagt Martens. „Wichtig ist doch das, worin wir uns alle einig sind: Die Tier- und Pflanzenbestände gehen durch den Eingriff des Menschen stark zurück – da dürfen wir nicht tatenlos zusehen.“

115

(8)

Tausende Hessen müssen

am Computer wählen

Berlin – Tausende Bürger werden ihre Stimmen bei der Landtagswahl am Sonntag in Hessen nicht wie gewohnt mit Stift und Zettel abgeben, sondern per Wahlcomputer. Der Hessische

5

Staatsgerichtshof wies den Eilantrag einer Wählerin aus Alsbach-Hähnlein zurück, die den Einsatz der umstritte- nen Geräte in ihrer Gemeinde verhin- dern wollte.

10

Die Klägerin hält die Computer des niederländischen Herstellers Nedap für technisch leicht manipulierbar.

Während bei der klassischen Zettel- wahl jederzeit überprüft werden

15

könne, ob die Voten tatsächlich und unverändert registriert wurden, sei das bei der technisierten Abstimmung nicht mehr möglich. Ausdrucke der einzelnen Stimmabgaben seien nicht

20

vorgesehen, deshalb werde der

Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl verletzt, argumentierte die Klägerin, die vom Hamburger Chaos Computer Club (CCC) unterstützt wurde.

25

Der Staatsgerichtshof in Wies- baden erklärte dagegen, Bedenken gegen die Wahlcomputer könnten prinzipiell erst nach der Wahl über- prüft werden. Die Annahme möglicher

30

Fehlfunktionen sei für ein erfolg- reiches Eilverfahren nicht hinreichend belegt worden, urteilte das Gericht. In ihrer Entscheidung sagten die Richter nichts über die generelle Zuverlässig-

35

keit der Wahlcomputer, die in acht Gemeinden eingesetzt werden sollen.

Der CCC kündigte an, schon jetzt hätten sich zahlreiche Wähler gemel- det, die nach der Wahl Einspruch ein-

40

legen wollen. Auch beim Bundesverfas- sungsgericht ist eine Wahlprüfungs- beschwerde gegen den Einsatz der Computer bei der Bundestagswahl 2005 anhängig. Mit einer Entschei-

45

dung wird im Laufe des Jahres gerechnet.

(9)

Tekst 7

Schmutziger Überlebenstrick

Die Larve des japanischen Schwal- benschwanzes (Papilio xuthus) ist eine Verwandlungskünstlerin, sie legt gleich verschiedene Masken an.

Bevor sie als Schmetterling davon- flattert, tarnt sie sich erst als Vogel- kot und dann als Pflanzenblatt. Um ihre Fressfeinde zu täuschen, sieht die Raupe in den ersten vier Wachs- tumsphasen schwarz-weiß und klebrig aus, wie die Ausscheidungen eines Vogels. Im letzten Entwick- lungsstadium vor der Verwandlung zum Schmetterling ist die Larve aber

schon zu groß, um als Vogeldreck zu überzeugen. Nun ahmt sie das Aussehen der Wirtspflanze nach und tarnt sich als hellgrünes, gerolltes Blatt. An den Metamorphosen ist das Juvenil-Hormon beteiligt. Vor der Wandlung zum Blattimitat nimmt seine Konzentration stark ab, be- richten Ryo Futahashi und Haruhiko Fujiwara von der Universität Tokyo (Science, Bd. 319, S. 1061). Gaben sie den Raupen 23 , blieb die Vogelkot-Tarnung teilweise beste- hen.

(10)

Schneise durchs Dickicht

Das erste deutsch-französische Schulbuch hat Modellcharakter

(1) Welches Schulbuch hat schon eine 75-jährige Geschichte? Als die Histo- riker Jean de Pange und Fritz Kern um 1930 herum ein Handbuch über

deutsch-französische Beziehungen

5

vereinbarten, konnten sie nicht ahnen, was einmal daraus werden würde: Ein sehr buntes, deutsch-französisches Geschichtsbuch in zwei Sprachen über die Zeit nach 1945 für Oberstufen-

10

schüler beider Länder.

(2) Die wechselhafte Geschichte des Geschichtsbuchs mit dem schlichten Titel „Geschichte/Histoire“ spiegelt nicht nur das Auf und Ab der

15

Beziehungen beider Länder wider, sondern auch die Rolle der deutschen Kultusbürokratie.

(3) Die Unterschrift für das deutsch- französische Projekt brachte das 40.

20

Jubiläum des Elysée-Vertrags im Jahr 2003. Die Kultusministerkonferenz hätte es am liebsten gekippt, weil sie, wie so oft, die Bildungshoheit der Län- der in Gefahr sah. Saarlands Minister-

25

präsident Peter Müller verteidigte das Buch. Ohne die solide Partnerschaft von Deutschland und Frankreich, die mittlerweile einer alten Ehe gleicht, wäre das Buch wohl nie erschienen.

30

Bemerkenswert ist auch, dass es das erste bundesweit zugelassene Schul- buch überhaupt ist. Aber Geschwister streiten bekanntlich weniger, wenn Fremde anwesend sind.

35

(4) Mit seinen deutschen Ko-Autoren habe er sich prächtig verstanden, sagt der französische Herausgeber

Guillaume Le Quintrec, Meinungs- verschiedenheiten in der Interpreta-

40

tion habe es nicht gegeben. Doch der

nächste Band über die Kriegsepoche von 1815 bis 1945 dürfte mehr Kontro- versen hervorrufen. Die Kunst des Gemeinschaftswerks bestand denn

45

auch eher darin, entgegengesetzte pädagogische Ansätze zu vereinen. Ge- schichte wird dies- und jenseits des Rheins sehr verschieden unterrichtet.

Das hat mit dem Verständnis der Rolle

50

des Lehrers zu tun, aber auch mit dem kollektiven Gedächtnis. Das französi- sche patrimoine1) ist eine Meister- erzählung, die deutsche Vergangenheit eine Collage.

55

(5) Unterricht in Frankreich ist tradi- tionell stark auf den Lehrplan fixiert, er geschieht an der Tafel, unter der Hoheit des Lehrers. Was der Schüler wissen muss, ist in einer knappen Lek-

60

tion zusammengefasst, die man am besten auswendig lernt, Punkt. Hierzu- lande dagegen wird diskutiert, Schüler machen Rollenspiele, sie werden zu einem persönlichen Urteil gezwungen

65

– eine Folge der 68er-Zeit. Der Diskurs soll die Persönlichkeit entwickeln und dem Duckmäusertum entgegenwirken.

Der Lehrer ist allenfalls Moderator ohne Deutungshoheit, der Unterricht

70

soll multiperspektivisch sein, Deutsch- lands schwierige, gebrochene Ge- schichte erlaubt keine Eindimensiona- lität. Französische Schüler dagegen können sich an der Chronologie ihrer

75

Könige und Kaiser entlanghangeln, sie lernen die großen Linien der Geschich- te einer großen Nation. Erst in den letzten Jahren hat man über die Schat- tenseiten der Kolonialisierung gestrit-

80

ten und wie diese in Schulbüchern dargestellt werden soll.

(11)

(6) Auch deshalb transportieren fran- zösische Bücher klare Botschaften, die nicht mit dem Lehrerwort konkurrie-

85

ren. Die deutschen dagegen überfor- dern häufig mit überlangen Texten, zu wenigen Quellen und Bildern, sie sind mit Details überfrachtet und oft ziem- lich unverständlich. „Superkompli-

90

ziert“, ja sogar elitär findet Le Quintrec die deutschen Bücher.

(7) Dass ein gutes Geschichtsbuch so nicht sein muss, belegt das deutsch- französische Werk. Durchgesetzt hat

95

sich die französische Didaktik, ent- halten sind aber auch interessante Aufgaben, die das eigene Denken anregen sollen. Links der Text, rechts die Quellen – „Geschichte“ schlägt

100

gleichsam eine Schneise durch das Dickicht der Ereignisse, setzt Daten, gibt Orientierung. Wenn es landes- typische Unterschiede in der Inter- pretation gibt, etwa bei der Rolle des

105

Kommunismus nach 1945, werden sie thematisiert.

(8) Manch deutscher Historiker findet es zu bunt und zu vereinfachend, stört sich an Details, merkt dann freilich ein

110

wenig süffisant an, immerhin pädago- gisch sei das Ganze gelungen. Schließ- lich ist es ja auch für Schüler gedacht.

Le Quintrec wundert sich über die

akademische Überheblichkeit; Es sei

115

doch schwieriger die Shoah angemes- sen auf zwei als auf zweihundert Seiten darzustellen.

(9) Wer die europäische Idee mög- lichst früh in die Köpfe einpflanzen

120

will, muss sie erst einmal in die Schul- bücher bringen. Denn Bewusstsein für die eigene Geschichte entsteht größ- tenteils in der Schule. Weil „Geschich- te“ nationale Standpunkte hinterfrage,

125

sei es ein wahrhaft europäisches Pro- jekt, so der deutsche Herausgeber Peter Geiss. Der Augsburger Histori- kerin Susanne Popp dagegen kommt das Gesamteuropäische zu kurz. Wohl

130

könne das Schulbuch Vorbild für ande- re Länder mit einer konfliktreichen bilateralen Geschichte sein, wie Japan, Korea und China. Die Bundesrepublik aber liege in Europas Mitte und habe

135

auch Verantwortungen gegenüber den Nachbarn im Osten.

(10) So gesehen könnte man das Ge- schichtsbuch mit dem deutsch-franzö- sischen Motor in der EU vergleichen.

140

Dieser ist unerlässlich für die europä- ische Einigung. Er kann aber wohl kaum – da man sich für ein Groß- europa vom Atlantik bis zum Schwar- zen Meer entschieden hat – auf Dauer

145

dessen einziger Antrieb sein.

noot 1 patrimoine = (cultureel) erfgoed

(12)

Ran an den Schüler

Die neuste McKinsey-Studie führt nicht nur zu der Erkenntnis, dass es auf den Lehrer ankommt, sondern auch dass Bildungsforscher ebenfalls unterrichten müssten. Ihnen fehlt viel zu oft der

Praxisbezug zu ihrem Forschungsthema.

Auf den Lehrer kommt es an. Das weiß man nicht erst seit der jüngsten McKinsey-Studie, das predigen deutsche Bildungs- forscher seit Jahren. Geschehen ist bislang nichts. Pädagogen- auslese wird höchstens in der Form betrieben, dass man an den Universitäten auch diejenigen fürs Lehramtsstudium zulässt, die ein Numerus-clausus-Fach nicht schaffen. 31

Tekst 10

██

Erforscht und erfunden

in Joint macht jeden zum Freund, heißt es. Ein Team von US-Neurologen konnte den angstlösenden Effekt der Wirk- stoffe im Haschisch jetzt mittels Magnet- resonanztomografie nachweisen. Sie ließen zwei Gruppen von Versuchspersonen Bil- der von 32 Gesichtern betrachten. Bei der Gruppe unter Cannabinol-Einfluss war die für Emotionen zuständige Hirnregion deutlich weniger stark aktiviert.

E

(13)

Tekst 11

Foul am Mikrofon

Stadionsprecher sind in den meisten Fällen Fans. Sie haben den Sprung vom Anhänger, angewiesen auf die pure Kraft seiner Stimmbänder, zum Anheizer mit Mikrofongewalt geschafft. 33 ist dabei nicht nur erlaubt, sondern

gewünscht: Es gehört sich, die Aufstellung des Gegners leise herunterzunuscheln und anschließend die Namen der eigenen Gladiatoren mit Karacho durchs Stadion zu schmettern.

Kaum haben die Anheizer die Linie vom Fan zum Sprecher überschritten, wartet auf der anderen Seite aller- dings schon eine weitere Grenze. Sie wird gezogen vom Deutschen Fußball-Bund: 34 sollen während des Spiels nicht bewertet werden. Rolf Störmann, Stadionsprecher des Fußball-Zweitligisten FC Augsburg, hat sich einen nicht zu verzeihenden Fauxpas erlaubt, als er in der Halbzeit des Spiels gegen den TSV 1860 München verkündete, der Freistoß zum 0:1 sei nicht hinter der Torlinie gewesen. „Das zeigen die Fernsehbilder“, rief Störmann, und es fehlte nur noch der Hinweis an den Schiri, man wisse, wo sein Auto steht. 35 , dass sich Fahrzeughalter Kinhöfer zunächst weigerte, die Partie wieder anzupfeifen, so lange Störmann – von der Münchner Boulevardpresse „Störfall“ getauft – am Mikrofon sei.

Die Aufregung der 1860-Verantwortlichen wirkte hin- gegen 36 . Ihrem eigenen Stadionsprecher Stefan

Schneider ist nämlich im April der gleiche Fauxpas passiert.

Nachdem Schiedsrichter Fandel einen Zusammenstoß von Josh Wolff mit dem Karlsruher Carnell nicht als Foul inter- pretierte, sagte Schneider damals in der Halbzeit über die Mikrofone: „Die Kollegen vom DSF sagen, es wäre Elfer für Sechzig gewesen!“ Zuschauer aus Karlsruhe erregten sich, es sei fast zu Tumulten gekommen – das interessierte den

Boulevard ebenso wenig wie den DFB, der darauf verwies, der Schiedsrichter habe nichts gehört und der Gegner nicht geklagt.

Damals wurde nicht ermittelt. Diesmal ging ein Bericht an den DFB-Kontrollausschuss. Den Augsburgern droht eine Strafe. Schiedsrichter-Sprecher Manfred Amerell sprach von einem „unglaublichen und bisher einmaligen Vorfall“. So 37 ein Rüffel für den FC Augsburg ist – die Verantwort- lichen müssen sich fragen lassen, warum sie mit zweierlei

(14)

Die imperialen Truppen der Landwirtschaft

Immer schneller, immer billiger, immer mehr – Nikolaus Geyrhalter zeigt, wie

„Unser täglich Brot“ entsteht

(1) Nein, dies ist mal keine Ekel-Doku, trotz Kuh-Kaiserschnitt und Schweine- schlachtstraße, und obwohl der Blick hinter die Kulissen unserer Nahrungs- mittelindustrie unappetitliche Enthül-

5

lungen fast schon automatisch ver- spricht. Eine perverse Schönheit strah- len vielmehr die Maschinen und Pro- duktionsprozesse aus, die Nikolaus Geyrhalter in der High-Tech-Landwirt-

10

schaft entdeckt hat. Die Erntemaschine zum Beispiel, die ihre riesenhaften Heuschreckenarme ganz weit ausfährt wie ein Kampfroboter der imperialen Truppen – hat sie nicht etwas Majestä-

15

tisches? Direkt einem Science-Fiction- Film scheint auch die grausig-ko- mische Olivenschüttelmaschine zu entstammen. Ein, zwei Minuten lang wird ausgerechnet ein alt-ehrwürdiger

20

Olivenbaum von einem Greifarm in so fürchterliche Schwingungen versetzt, dass er alle seine Früchte abwirft. Eine Spezies, die so etwas erfindet, muss man bewundern – und fürchten!

25

(2) Geyrhalter hat selbst die Kamera geführt, auf 35-Millimeter-Film ge- dreht und die Schauplätze der indus- triellen Nahrungsmittelproduktion eindrucksvoll in Szene gesetzt, in sym-

30

metrischen Totalen, in leuchtenden Farben, als scheinbare Idylle oder plastifizierte Welt. Einen Kommentar oder Interviews gibt es nicht – wie bei James Benning, an dessen Plansequen-

35

zen aus der kalifornischen Landwirt- schaft manche Aufnahmen erinnern (ohne deren meditative Kraft zu er- reichen), oder wie bei Frederick

Wiseman, dessen „Meat“ aus dem Jahr

40

1976 als „Urvater“ aller Dokumentar- filme über die industrialisierte Nah- rungsmittelproduktion gelten kann.

(3) „Unser täglich Brot“ vertraut wie seine Vorgänger auf die Kraft der

45

Bilder. Dem sanften Horror und der bizarren Schönheit von Geyrhalters Film aber kann man sich nicht leicht entziehen. Das Prinzip der Hochleis- tungslandwirtschaft – immer schnel-

50

ler, immer billiger, immer mehr – ist bekannt, aber hier lassen sich Blüten dieses Systems bestaunen, die man sich nicht hätte vorstellen können.

Geyrhalter entgeht nicht immer der

55

Gefahr, seine Aufnahmen zu einem Bilderfluss zusammenzufügen, in dem die Aufmerksamkeit des Zuschauers versinkt; wird dieser Fluss allerdings produktiv gestört, ist der Störfaktor oft

60

der Mensch. Da wetzt eine Arbeiterin in einem Schweineschlachthaus mit zärtlicher Sorgfalt ein Messer – ein Stück Handarbeit in einer durchtech- nisierten Welt. Eine andere kaut Kau-

65

gummi, während sie an einem Fließ- band vorbeiziehenden Schweinen die Füße abschneidet – ein Zeichen von Menschlichkeit oder von Abstump- fung? Und immer wieder zeigt

70

Geyrhalter Menschen beim Essen. Das irritiert ungemein, wenn etwa eine Arbeiterin in einer Kükenfabrik ein Sandwich auspackt, das in seiner labbrigen Charakterlosigkeit die

75

seelenlose Effizienz des Kükenproduk- tionsprozesses spiegelt.

(4) Auch wenn „Unser täglich Brot“

seine Zuschauer nicht zutextet, stellen sich Überlegungen wie von selber ein.

80

(15)

Wollen wir, dass das, was wir essen, so lebt? Wollen wir, dass Landschaften so aussehen – von Plastikplanen über- zogen bis zum Horizont? Was ist von einer Gesellschaft zu halten, die so

85

wenig Respekt vor dem Leben hat?

Schon der Filmtitel legt eine religiöse

Dimension des Themas, legt die Schuldfrage nahe; und auch der Schluss des Films spielt darauf an. Da

90

wird eine Schlachtstraße mit Reini- gungsschaum sehr sorgfältig abge- spritzt – als wollte eine ganze Industrie ihre Hände in Unschuld waschen.

(16)

Nachruf auf Ulrich Mühe

Ulrich Mühe

(1953-2007)

(1) Er war der stillste aller Stars, doch selten wurde inniger Abschied genom- men. Als bekannt wurde, dass Uli Mühe gestorben ist, wurde das Fern- sehprogramm umgestellt und die

5

„Bild“-Zeitung feierte ihn als Helden.

Ein jäher Tod, knapp ein halbes Jahr nachdem er verwundert in Hollywood in den Weltruhm geblinzelt hatte, wo der Stasi-Film „Das Leben der Ande-

10

ren“ den Oscar bekommen hatte. Es ist zudem ein unheimlicher Tod: Seine Ex-Frau war an Krebs gestorben, und mit ihr hatte er bis zuletzt über ihre mutmaßlichen Stasi-Spitzeleien ge-

15

stritten. Nun ist er ihr hinterhergestor- ben, ebenfalls an Krebs, und alle Kämpfe um die Wahrheit nehmen sich plötzlich absurd und vergeblich aus.

(2) Uli Mühe kam in Grimma in Sach-

20

sen zur Welt. Sein Vater war Kürsch- ner, ein Handwerker, und auch er selbst sprach über seinen Beruf wie über ein Handwerk. Er kam über die DDR-Provinz ans Deutsche Theater

25

nach Berlin, wo er die klassischen Heldenrollen spielte, doch eigentlich war er stets zu zart für den Egmont, den Philotas, den Hamlet. Er spielte sie aus dem Kopf heraus, in nervöser

30

Exaltiertheit, er unterlief ihr Helden- tum.

(3) Den Rollentyp seines Lebens hatte er in seiner ersten großen Kinoproduk- tion gefunden, in Bernhard Wickis

35

„Spinnennetz“, wo er Leutnant Lohse war, der Opportunist, ein bleiches Gesicht, ausdruckslos, ein Täter aus Schwäche, eine Maske ohne Selbst, nur

die aufgerissenen Augen erzählen von

40

den geheimen Verwundungen.

(4) Er verstand sie, die Schwäche, doch er konnte sie nicht dulden. Er selbst hatte dem alten Regime als Grenzsoldat gedient und war krank

45

darüber geworden. Er bildete Ge- schwüre aus. Eine verpfuschte Opera- tion kostete ihn dann zwei Drittel seines Magens.

(5) Als er fünf Tage vor dem Fall der

50

Mauer auf der Großkundgebung auf dem Alexanderplatz endlich seine Stimme gegen das Regime erheben konnte, hatte es sich praktisch schon selber aufgelöst. Richtig besiegt hat er

55

es erst fast 20 Jahre später, in seiner Rolle als Stasi-Abhörspezialist in dem Film „Das Leben der Anderen“ – nie- mand zuvor hat so genau das gespielt, was diese Diktatur anrichtete.

60

(17)

(6) Seit den frühen Neunzigern war Uli Mühe mit der Schauspielerin Susanne Lothar liiert, eine große Liebe und eine fast symbiotische Beziehung, auch in künstlerischer Hinsicht. Er

65

stand mit ihr in Thrillern wie „Funny Games“ gemeinsam vor der Kamera

und in Theaterhits wie Yasmina Rezas

„Drei Mal Leben“ auf der Bühne. Mit ihr hat er zwei Kinder bekommen. Sie

70

hatten sich in Sachsen-Anhalt ein Schwedenhaus gebaut, als Refugium.

Dort ist Uli Mühe, im engsten Kreise, gestorben.

Referenties

GERELATEERDE DOCUMENTEN

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