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Das Bild der Mutter in Deutschland

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Academic year: 2021

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(1)

Das Bild der Mutter in

Deutschland

Eine Diskursanalyse der Mutterrolle während

der Diskussion um die Kinderkrippen

(2)

Inhaltsangabe

1. Einleitung 2

2. Rollendifferenzierung im 18. Jahrhundert 5 3. Restauration und Revolution 7

3.1 Familienpolitik der Nachkriegszeit bis in die achtziger Jahre des vorigen

Jahrhunderts 7

4. Feminismus 11

4.1 Feminismus in den sechziger und siebziger Jahren 12 4.2 Feminismus und die ‚Kinderfrage’ 13

5. Die moderne Familie 16

5.1 Zum Wandel der Familie – Gibt es die moderne Familie? 16 6. Theorie des Diskurses 19

6.1 Die kritische Diskursanalyse 20 6.2 Die historische Diskursanalyse 22

6.3 Die Grounded Theory 24

7. Das Verfahren der Diskursanalyse 26

7. 1 Das Material 27

7.1.1 Die Zeitungen 28

7.2 Der Zeitraum 30

7.3 Der diskursive Kontext - Die Diskussion um die Kinderkrippen 30

7.4 Das Materialcorpus 33

7.5 Der Diskursstrang 34

7.6 Die Diskursfragmente 35

7.7 Die Diskursordnung 36

7.7.1 Die diskursive Elite 36 7.7.2 Die diskursive Struktur 37

8. Die Diskursanalyse 40

8.1 ‚Familie’ und ‚Mutter’ im Diskurs um die Kinderkrippen 41

8.2 Die nicht erwerbstätige Mutter im Diskurs um die Kinderkrippen 42 8.3 Die erwerbstätige Mutter im Diskurs um die Kinderkrippen 44 8.4 Interpretation 45

9. Schlussfolgerung 48

Literatur 53

1. Einleitung

(3)

jungen Frauen vermittelte Bild, in dem Frauen Männern in jeder Hinsicht gleichgestellt sind, ist kein genauer Spiegel der Wirklichkeit. Dies wurde mir durch die Diskussion um die Kinderkrippen deutlich, die sich im Jahre 2007 in den deutschen Medien abspielte. In dieser Diskussion wurden viele Aussagen über Frauen und Mütter gemacht, die mich mein Bild von der Gleichheit der Geschlechter konzipieren ließen. Außerdem wurde mir in diesem Kontext erst deutlich, wie groß der Mangel an Kinderbetreuung überhaupt ist, und dass auch die Politik die Gleichheit der Geschlechter nicht fördert.

Woher kam mein Denken, dass das Geschlecht nur eine kleine Rolle spielt? Hat sich tatsächlich in meinem Denken verankert, dass Deutschland heute eine Kanzlerin hat, dass die Tagesschau von Frauen moderiert wird, dass Sabine Christiansen und Anne Will politische Diskussionsrunden leiten, und dass Sportshows von Frauen moderiert werden? Oder ist es die Generation meiner Eltern, in der Mütter genauso wie Väter berufstätig sind und meiner Generation ein Bild der egalitären Partnerschaft vorführen?

Junge Frauen der heutigen Zeit leben und verhalten sich anders, als deren Mütter und Großmütter. Die Veränderungen in der Berufswelt, im Bildungsbereich und in den Charakteristiken der Familien werden immer deutlicher. Die Modernisierung der Gesellschaft beeinflusst zwar die Familien im Allgemeinen, hat aber vor allem Einfluss auf die Frauen. Heute arbeiten 42,3 Prozent[1] der Frauen und studieren mehr Frauen als Männer an der Universität[2]. Trotzdem haben Männer und Frauen heute noch ganz unterschiedliche Lebensläufe. Die Mitte des weiblichen Lebenslaufs[3] ist nicht von Erwerbsarbeit, sondern von familiärer Reproduktionsarbeit gekennzeichnet. Die Unterschiede zwischen den Lebensläufen von Männern und Frauen, können dadurch begründet werden, dass die sozialpolitischen Maßnahmen, die kontinuierliche Erwerbstätigkeit von Müttern hemmen, anstatt sie zu fördern. Dies erkennt man auch an den unzureichenden Rahmenbedingungen für erwerbstätige Mütter, die Kinderkrippen, Kindergärten und Ganztagsschulen betreffen. Diese Problematik der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, versuchen viele Frauen durch Teilzeitarbeit zu lösen.[4] Ein Großteil der Mütter kehrt zwar nach der Geburt des Kindes auf dem Arbeitsmarkt zurück, allerdings meistens nur in Teilzeitbeschäftigung, da oftmals die Kinderbetreuung nicht ausreichend vorhanden ist, und viele Mütter sich am Nachmittag selbst um ihre Kinder kümmern müssen.[5] Die Möglichkeit zur Kinderbetreuung ist bis heute nicht ausreichend gegeben. In Deutschland können nur 3 Prozent der Null- bis Dreijährigen in öffentlichen Tagesstätten untergebracht werden.[6] Die Verfügbarkeit dieser Betreuungsmöglichkeiten ist aber für die Kombination von Beruf und Familie eine Notwendigkeit.

(4)

Um diese Frage zu beantworten wird zunächst der Ursprung der traditionellen Rollenmuster erläutert. Wann und wie hat sich die Verteilung der Geschlechter über Erwerbs- und Hausarbeit entwickelt und welche Gefolgen hat die Herausbildung dieser Verteilung für die heutige Situation? Im dritten Kapitel wird hierauf ausführlicher eingegangen, indem die familienpolitischen Entwicklungen seit dem zweiten Weltkrieg bis zu den achtziger Jahren beschrieben werden. Anschließend folgen im vierten Kapitel Ansichten und Ziele der Frauenbewegung im Zeitraum von 1960 bis 1980. Die Frauenbewegung hat in vielerlei Hinsicht zur Emanzipierung der Frau und der Familie beigetragen. Wie sich die Familie infolgedessen gewandelt hat, wird im fünften Kapitel erläutert.

In dieser Arbeit werde ich mich auf West-Deutschland konzentrieren, da in der DDR ein ganz anderes Frauen- und Familienleitbild vorherrschte. Bis zur Wiedervereinigung 1989 standen sich in Deutschland zwei verschiedene Typen Familien gegenüber, das männliche Erwerbsmodell des Westens und die sozialistische Zweiverdienerfamilie im Osten Deutschlands.

Zur Untersuchung der Diskussion um den Ausbau der Kinderkrippen wird als methodischer Rahmen auf die Diskursanalyse zurückgegriffen. Nach einer theoretischen Abhandlung zum Diskursbegriff im sechsten Kapitel werden die verschiedenen Diskurstheorien erläutert, die für diese Untersuchung als theoretische Grundlage dienen.

Im siebten Kapitels dieser Masterarbeit wird im empirischen Teil analysiert, wie die Tageszeitungen Frankfurter Allgemeine Zeitung, Bildzeitung und tageszeitung,

Applikationsvorgaben für die Mutterrolle in Deutschland produzieren. Die Wirkung der Massenmedien wird erläutert und die Frage wird aufgeworfen, welche Rolle die Massenmedien bei der Bildung von Diskursen spielen. Es folgt die Eingrenzung des Untersuchungszeitraums und des benutzten Materials. Der Abschluss bildet die Diskursanalyse. Die Diskursanalyse beabsichtigt einen genauen Überblick der Auffassungen über die Familie in Deutschland zu geben. Außerdem wird die Frage, welches Mutterbild in den Medien vorherrscht, beantwortet. In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass Medien ein Spiegel der Gesellschaft sind und zeigen können, wie traditionell oder modern Deutschland hinsichtlich dieser Frage in seinem Denken ist.

2. Rollendifferenzierung im 18. Jahrhundert

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Aufgaben der Reproduktion und ökonomischen Produktion haben die Familienmitgliedern der frühen Neuzeit miteinander verbunden.[8]

Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert kam es zur Trennung von Familienleben und Erwerbsarbeit. Die Erwerbsarbeit fand nun außerhalb der Familie in Verwaltung oder Fabrik statt, die Familie ‚privatisierte’ sich, und die zwischenmenschlichen Beziehungen gewannen dadurch an Bedeutung. Die Familie wurde vermehrt zu einer Institution, die sich auf die Kernfamilie, aus Eltern und Kindern bestehend, konzentrierte. Der Wandel der Familie ging mit einer neuen Arbeitsteilung einher. Die bisher gemeinschaftliche Aufgabe von Mann und Frau, die Familie ökonomisch zu erhalten, wurde jetzt geschlechtsspezifisch aufgeteilt: Der Mann agierte in der Öffentlichkeit und ging einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit nach, die Frau konzentrierte sich auf die Mutterschaft und die Führung des Haushalts.[9]Von Frauen wurde erwartet, dass sie sich die Versorgung des Mannes und der Kinder übernahmen und damit die Rolle der unterstützenden Frau und Mutter akzeptierten. Das Ziel der Erziehung von Mädchen richtete sich seit dieser Zeit darauf, sie zu einer guten Ehefrau und Mutter zu formen.[10]

Dieses auf Geschlechterrollen basierte Familienmodell bildete sich am Ende des 18. Jahrhundert in den bürgerlichen Schichten heraus. Das bürgerliche Modell der Ehe und Familie als eine ‚Liebesgemeinschaft’ mit einer geschlechtspezifischen Aufgabenteilung wurde im 19. Jahrhundert von anderen sozialen Schichten übernommen und schließlich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur Norm für die gesamte Gesellschaft.[11] Diese Norm beinhaltete, dass die Ehe persönliches Glück, Liebe und exklusive Intimität garantieren musste. Außereheliche Sexualität wurde abgelehnt: Es führte dazu, dass Liebe und Sexualität im vorgegebenen Rahmen des Ehe- und Familienmodells bleiben sollten.[12] In diesem Modell, in dem die Geschlechterrolle betont wurde, die Frau für die Erziehung der Kinder zuständig war, sich durch die zunehmende Technisierung die Arbeit im Haushalt verminderte, wurde die Erziehung zur einzigen und wesentlichen Aufgabe der Mutter.[13] Diese Aufgabe passte zu den Merkmalen, die der Frau zugeschrieben wurden: Frauen galten als passiv, emotional und fürsorglich, während sich Männer durch Aktivität, Rationalität und Berufsorientierung kennzeichneten. Dieses Bild der Geschlechterpolarität war im 19. Jahrhundert allgemein akzeptiert und man könnte sich fragen, ob dieses Geschlechtermodell auch heute – im 21. Jahrhundert – noch gilt.[14]

3. Restauration und Revolution

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3.1 Familienpolitik der Nachkriegszeit bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts

Die Herausbildung des westdeutschen Wohlfahrtsstaates begann nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Nachkriegszeit in West-Deutschland wurde von einer Suche nach Normalität gekennzeichnet. Frauen hatten während des Krieges und in den ersten Jahren nach 1945 alleine für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen, doch jetzt sollte das ‚normale’ Leben wieder restauriert werden. Während die Männer von der Front oder aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrten, vollzog sich eine Restauration der traditionellen Familienmuster und Geschlechterrollen.[15] Die konservative, CDU-Regierung unterstützte diese Entwicklung.

Der CDU-Familienminister Würmeling, der von 1953 bis 1962 in der von Adenauer geführten Bundesregierung tätig war, verteidigte ein Familienmodell, in dem der Vater erwerbstätig und die Mutter für die Sorge der Kinder zuständig war.[16]Der Staat, geprägt durch die Erfahrungen des NS-Regimes, in dem Funktionalisierung der Familie und der Zugriff der NS-Organisationen auf die Kinder und Jugendlichen eine prägnante Rolle spielte, hatte sich in der Nachkriegspolitik die Aufgabe gestellt, nur begrenzt ins Familienleben einzugreifen. Der Staat sollte, laut Artikel 6 des Grundgesetztes, die Familie beschützen ohne in die Privatsphäre einzudringen.[17] Es wurde eine Politik betrieben, mit der die rechtliche Stellung der verheirateten Paare und Familien gestärkt wurde. Überdies wurden ab den späten vierziger und in den fünfziger Jahren die ersten familienpolitischen Maßnahmen seit Kriegsende durchgeführt, wie zum Beispiel im Jahre 1954 das Kindergeldgesetz.[18]Grund hierfür war der CDU-Gedanke, die Chancen zu verringern, dass sich Mütter zur Erwerbstätigkeit gezwungen sahen, um das Gehalt ihres Mannes zu ergänzen. Die CDU vertrat den Standpunkt, dass es Kindern Schaden würde, wenn die Mutter arbeiten müsste.[19]Die erwerbstätigen Mütter wurden in der Öffentlichkeit heftig diskutiert und kritisiert. Der gesellschaftliche Konsens bestand aus einer Ablehnung der erwerbstätigen Mutter.[20] Aus demoskopischen Erhebungen ergab sich, dass eine Mehrheit in der Bevölkerung für ein Verbot der Erwerbstätigkeit von verheirateten Müttern eintrat.[21] Die Meinung, dass die Erwerbstätigkeit der Mutter zu einer Vernachlässigung des Kindes führen würde, war weit verbreitet.[22]Die Medien warfen den arbeitenden Frauen vor, sie würden auf Kosten der Kinder ihre Konsumbedürfnisse befriedigen. Im Jahre 1957 ging man von der Haushaltstätigkeit der Frau aus. Im Familienanpassungsgesetz, das im gleichen Jahr verabschiedet wurde, ist die Frauenerwerbstätigkeit nur gestattet „soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist“.[23] Die Struktur, in der sich die Frau um den Haushalt und die Kinder kümmerte und der Mann erwerbstätig war, hielt sich bis weit in die sechziger Jahre, auch als die Geburtenziffer und die Geburten pro Frau abnahmen.[24]

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erwerbstätigen Mütter in öffentlichen und privaten Einrichtungen kaum vorhanden waren und Mütter die Betreuung weitgehend selbst organisieren mussten.[26] Der Versorgungsgrad der Einrichtungen blieb ab den fünfziger bis in die siebziger Jahre relativ konstant auf 0,7 Prozent für die Null- bis Dreijährigen.[27]

Im Laufe der sechziger Jahre erwies sich die Politik, die die Mütter von der Erwerbstätigkeit fernzuhalten versuchte, als gescheitert, da die Erwerbsquote aller Frauen zwischen 15 und 64 Jahren im Zeitraum zwischen 1960 und 1970 auf 49 beziehungsweise 48 Prozent anwuchs. Der Anteil aller erwerbstätigen verheirateten Frauen stieg in den sechziger Jahren bis auf 35,2 Prozent im Jahre 1970.[28] Trotz des Versuchs, durch finanzielle Leistungen an den Familienernährer, Frauenerwerbstätigkeit überflüssig zu machen, stieg die Müttererwerbsquote. Im Zuge dessen, wurde die Forderung gestellt, finanzielle Leistungen nur noch direkt Müttern mit jungen Kindern zu gewähren. Diese besonderen finanziellen Leistungen sollten als Ausgleich für den Verzicht auf außerhäusliche Arbeit und den dadurch entstandenen Einkommensverlust dienen.[29] Diese Entwicklung kann als eine Folge, der im Jahre 1966 stattgefundenen, politischen Verschiebung nach links, bezeichnet werden. Damals trat die SPD in einer Koalition mit der CDU an.[30] Während der Großen Koalition - eine Koalition der CDU und der SPD - in den sechziger Jahren hat die SPD das Thema ‚Teilzeitarbeit’ diskutiert. Die Folgen dieser Diskussion bedeuteten zwar nicht das Ende der traditionellen Frauenrolle, sie verliehen den Frauen jedoch eine gewisse wirtschaftliche Freiheit. Das deutsche Familienleitbild hatte sich durch den Zutritt der Frauen ins Erwerbsleben geändert, und es wurde nach entsprechenden familienpolitischen Maßnahmen gesucht. Weitere Reformen erfolgten ab 1969 als die SPD in einer Koalition mit den Liberalen regierte und weitreichende, familienpolitische Neuerungen ankündigte. Auch die Kinderbetreuung wurde intensiv im Bundestag besprochen. Trotz dieser Bemühungen änderte sich allerdings nur wenig. Ein Versuch die Kindergartenplätze für die Drei- bis Fünfjährigen rechtlich zu sichern, scheiterte an einem Veto der konservativen Bundesländer im Bundesrat.[31] 1973 wurde vom Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit der folgende Paragraph verabschiedet:

Kinder bis zum vollendeten 3. Lebensjahr haben nur dann einen Anspruch auf Hilfe zur Pflege und Erziehung in Tageseinrichtungen, wenn durch den Ausfall der Pflege und Erziehung durch die Mutter oder die Familie ein Erziehungsnotstand droht, der auf andere Weise durch dritte Personen nicht behoben werden kann. Ein drohender Erziehungsnotstand ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Mutter zeitweilig aus gesundheitlichen Gründen außerstande ist, selbst für das Kind zu sorgen.[32]

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Im Zuge der Studentenbewegung, auf die im Folgenden eingegangen werden soll, wurde am Ende der sechziger Jahre, die Frauenerwerbstätigkeit immer mehr akzeptiert. Das Bild der aus Existenznot erwerbstätigen Mutter konnte nicht mehr aufrechterhalten werden. Eine Kombination von Familie und Beruf kam für immer mehr Frauen in Frage. Zu Beginn der siebziger Jahre intensivierte sich diese Entwicklung durch Forderungen der Frauenbewegung[33]einerseits und den Säkularisierungs- und Entkirchlichungsschubs andererseits.[34] Während Frauen in den sechziger Jahren noch die Notwendigkeit ihrer Erwerbstätigkeit glaubhaft machen und auch ihren Bedarf an Krippenplätzen erklären mussten, wurde in den siebziger Jahren die Frage nach Krippenplätzen immer öfter mit pädagogischen Motiven begründet. Es ging den Müttern in den siebziger Jahren nicht nur um die Unterbringung ihrer Kinder, vielmehr spielte auch die Lern- und Entwicklungsmöglichkeit der Kinder eine große Rolle.[35] Der Kindergarten war so entworfen, dass Kinder dort unter semi-professioneller Betreuung spielen konnten. Die Einrichtung war aber bis Mitte der siebziger Jahre nicht darauf bedacht, Frauen die Möglichkeit zu bieten, erwerbstätig zu sein, da sie oftmals nur halbtags geöffnet war. Ende der siebziger Jahre hatte sich der Kindergarten zu einer Institution entwickelt, die Frauen höchstens die Teilzeitarbeit ermöglichte.[36]

4. Feminismus

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In folgenden Kapitel wird die Gesellschaft im Rahmen des neuen Feminismus der sechziger und siebziger Jahren beschrieben. Welche Ziele hatte die Frauenbewegung in Deutschland und wie ging sie mit der ‚Kinderfrage’ um?

4.1 Feminismus in den sechziger und siebziger Jahren

Nach dem zweiten Weltkrieg erreichte die Idee der Mutterschaft ihren Höhepunkt. Bis Anfang der siebziger Jahre gab es den Trend, Jung zu Heiraten, parallel dazu und wurden die Familien größer. Eine Entwicklung, die heute als ‚Baby Boom’ bezeichnet wird. Der größte Teil der Frauen beendete ihre Arbeit, die sie während und unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg des Krieges ausgeübt hatte und widmete sich der Mutterschaft. Manche Frauenrechtlerinnen sahen in dieser Entwicklung das Ende der Emanzipation, aber genau das Gegenteil erfolgte: Innerhalb von weniger Jahre bildete sich eine neue Generation der Frauenbewegung, ein neuer Feminismus,[41]denn nicht alle Frauen konnten und wollten zu ihren alten Rollen zurückkehren. Viele verwitwete Frauen mussten ihre Kinder alleine großziehen. Ihre Kinder wuchsen in einer Eineltern-konstellation auf, die sehr gut funktionierte. Vertreterinnen dieser Kinder sind Frauen, die um das Jahr 1968 zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt waren und die als die Gründerinnen der Frauenbewegung in die Geschichte eingingen. Ein bekanntes Gesicht dieser Bewegung ist Alice Schwarzer.[42]

Einer der Gründe für die Entstehung der Frauenbewegung war die wachsende Arbeitspartizipation von Frauen in den 50er und 60er Jahren. Im Jahre 1968 entwickelte die Studentenbewegung Proteststrategien, die die Frauenbewegung erfolgreich für ihre eigenen Zielen einsetzte.[43] Die Entwicklung der Pille, die Familienplanung und mehr sexuelle Freiheit ermöglichte, wurde in den sechziger Jahren zu einem wichtigen Thema innerhalb der Frauenbewegung. Doch nicht nur für die Verhütung, sondern auch für das Recht auf Abtreibung haben sich Millionen von Frauen eingesetzt.[44]

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4.2 Feminismus und die ‚Kinderfrage’

Nach dem zweiten Weltkrieg versank Deutschland in politischer Apathie. Während das Land in den fünfziger und sechziger Jahren wiederaufgebaut wurde und den Wirtschaftsboom erlebte, zogen sich die Menschen gleichzeitig in ihrer Privatsphäre zurück. Ende der sechziger Jahre änderte sich die Situation grundlegend. Als sich 1966 die erste wirtschaftliche Krise nach dem Zweiten Weltkrieg ankündigte, entstanden verschiedene sozialen Bewegungen, wie zum Beispiel die Frauenbewegung und der Sozialistische Deutsche Studentenbund[47] (SDS). Diese Bewegungen wurden hauptsächlich von der jungen, kritischen und sehr politischen Nachkriegsgeneration getragen.[48]Der SDS war ein linker Studentenverband, der sich selbst als eine emanzipatorische und egalitäre Bewegung verstand. Innerhalb des SDS begann man Räte zu bilden, die sich unter anderem für die Gleichstellung der Frauen einsetzten.[49]Auch wurden schon bald Konzepte für die sogenannten ‚Kinderläden’ entwickelt.

Innerhalb des SDS und auch bei den, zum gleichen Zeitpunkt entstandenen, selbständig funktionierenden antiautoritären Frauenbewegungen[50] war die ‚Kinderfrage’ einige Zeit ein wichtiges Thema. Es wurden zahlreiche Kinderläden gegründet. Diese Kinderläden sollten ein emanzipatorisches Gegenmodell zu den herkömmlichen Kindergärten darstellten. Frauen erhofften sich hierdurch mehr Zeit zu bekommen, und diese Zeit für das Studium oder für politische Ziele einsetzen zu können. Der Aufbau der Kinderläden erwies sich jedoch als sehr zeitaufwendig und brachte Frauen nicht die erhoffte ‚Mehrzeit’. Darüber hinaus gelang der Organisation nicht die Verbindung zu anderen Organisationen, wie zum Beispiel der Gewerkschaft. Dies hatte zur Folge, dass die Frauenbewegung in ihren Anfangstagen ein zu kleine Basis hatte, um ihre Ziele durchzusetzen. Ein weiterer Grund, warum die jüngere Generation der Frauenbewegung keinen Zugang zu anderen Gruppen bekam, waren ihre Zielsetzungen. So forderte sie die Zerschlagung der Familie und eine Revolutionierung der Erziehung.[51] Die antiautoritäre Studentenbewegung ebbte zu Anfang der siebziger Jahre allmählich ab und die Kinderfrage verlor zunehmend an gewicht. Als die Frauenbewegung begann sich hauptsächlich mit dem Abtreibungsthema zu beschäftigten, trat die Kinderfrage nahezu ganz in den Hintergrund.[52]

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Die zweite feministische Welle war keineswegs nur ein deutsches, sondern sie war ein europäisches Phänomen. Man führte einen internationalen Kampf für die Rechte der Frauen und bewirkte, dass in den meisten europäischen Ländern das Recht auf Abtreibung und die Einführung der Pille wichtige Themen wurden. Die Frage nach Kinderbetreuung wurde jedoch nur in einigen Ländern thematisiert. In Schweden, zum Beispiel, wurde intensiv für mehr Kinderbetreuung gekämpft.[55] In Deutschland gab es dagegen nur wenige Initiativen, die sich für mehr Kinderbetreuung einsetzten, und diese waren nie von wirklich vielen Frauen getragen. Eine Begründung hierfür könnte man in der Komplexität dieses Themas finden. Es ist leichter, Menschen für eindimensionale, als für vielschichtige Ziele zu mobilisieren. Die Forderung nach Kinderbetreuung ist vielschichtig: Elternurlaub, flexible Arbeitszeiten und Steuergesetzänderungen gehören genauso dazu wie Veränderungen im Denken über unsere Bilder von Mutter-Vater-Kind-Konstellationen. Obendrein ist Kinderbetreuung nicht für alle Frauen von gleicher Relevanz.[56] Außerdem könnte man vielleicht auch sagen, dass sich die Frauenbewegung im konservativen politischen Klima oft diskriminiert sah, wenn es um die Umgestaltung des Familienleitbilds ging. Frauenerwerbstätigkeit war keineswegs nur politisch unerwünscht, auch die Gesellschaft als ganzes war keineswegs offen dafür, gewohnte und tradierte Vorstellungsbilder vom ‚richtigen’ zusammenleben der Geschlechter zu korrigieren.

5. Die moderne Familie

In diesem Kapitel werden die verschiedenen Lebensformen, die seit den siebziger Jahren ihre Verbreitung in Deutschland fanden, beschrieben. Welche Lebensform ist in Deutschland am meisten verbreitet? Wie hat sich die Familie im Laufe der Jahre verändert und welche Auswirkungen hat diese ‚moderne Familie’ auf Frauen?

5.1 Zum Wandel der Familie – Gibt es die moderne Familie?

Seit den siebziger Jahren gibt es eine wachsende Vielfalt privater Lebensformen. Die relationalen Veränderungen haben dazu geführt, dass neben der traditionellen Familie verschiedenen Lebensformen denkbar sind. Die Familie wandelt sich:

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seit einigen Jahren Entdifferenzierungstendenzen ab, die zu einer weiteren Differenzierung neuer privater Lebensformen führten (und führen).[57]

Mit der Ehe als gängigen Familiensystem, hat sich ein sehr geschlossenes System durchgesetzt. Die Ehe betont das persönliche Glück, die Liebe und eine exklusive Intimität. Die außereheliche Sexualität wird hierdurch stigmatisiert, was dazu führt, dass Liebe und Sexualität in einem vorgegebenen Rahmen des Ehe- und Familienmodells bleiben sollten. Dieses bürgerliche Ideal der romantischen Liebe und das zugehörige Partnerschaftsideal blieben aber lange Zeit nur ein Ideal. In der Realität waren das eigentliche Ziel der Eheschließung, die Erhaltung des Familienkapitals und der Reproduktion. Aus der institutionellen Festlegung der Verteilung des Kapitals zwischen den Ehepartnern, bildete sich die typische Rollendifferenzierung heraus. In jener Zeit entwickelte sich die Trennung des Erwerbs- und Familienbereichs und wurden verheiratete Frauen ausschließlich auf die Führung des Haushaltes und die Versorgung der Familie verwiesen. Außerdem sollte die Frau die Umstände schaffen, in denen der Ehemann optimal als Arbeitskraft funktionieren konnte. Die ‚Kernfamilie’ wie wir sie verstehen, ist demzufolge ein Produkt der wohlhabenden Bürgerfamilien, wie es am Ende des 18. Jahrhunderts existierte.[58][59] Die Kernfamilie beinhaltete das Ernährermodell und dieses verbreitete sich zu beginn des 20. Jahrhunderts durch wachsende Wohlfahrt sehr schnell in allen Schichten der Bevölkerung. In den siebziger Jahren machten sich allerdings die Veränderungen in diesem Ehe-und Familiensystem bemerkbar.

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Partnerschaften und Ehen können auf den Wandel des Bildungs- und Erwerbssystems und auf der Anpassungsfähigkeit der Frau auf die veränderten Umstände, zurückgeführt werden.[63] Die Ursache für den Wandel der privaten Lebensformen ist auf das Wegfallen der Legimitationsgründe für die Ehe zurückzuführen. Bis in die siebziger Jahre war die Ehe gesellschaftlich erfordert und eine ökonomische Absicherung für sowohl Mann als Frau. Durch gesetzliche Umgestaltungen, aber vor allem durch den Anstieg des Bildungsniveaus und der damit verbundenen größeren Erwerbstätigkeit von Frauen, haben sich die Argumente für eine Eheschließung verändert.[64]

In den letzten Jahren ist das Partnerschaftssystem, eine stark wachsende und inzwischen eine viel vorkommende Lebensform. Das macht Deutschland eher zu einer Paargesellschaft und nicht, wie oft behauptet wird, zu einer Single-Gesellschaft. Diese Dominanz des Partnerschaftsystems, nämlich der nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften und kinderlosen Ehen liegt an der Akzeptanz und der größeren Verbreitung dieser Lebensform. Die steigende Zahl der Menschen, die im Partnerschaftssystem leben, hängt auch mit der höheren Lebenserwartung zusammen. Durch die höhere Lebenserwartung nimmt wiederum die Erziehungsaufgabe im Familiensystem nur noch ein Viertel des gesamten Lebens in Anspruch. Dadurch verlängert sich die nachelterliche Phase. Das tatsächliche Familienleben nimmt heute somit nur ein Viertel des gesamten Lebens in Anspruch, während die nachelterliche Phase viel länger andauert.[65]

6. Theorie des Diskurses

Was ist ein Diskurs? Die Beantwortung dieser Frage scheint schwierig, da sich der Begriff Diskurs nur schwer definieren lässt. Außerdem hat der Terminus in verschiedenen Ländern eine unterschiedliche Bedeutung. So steht Diskurs im Englischen für ein Gespräch, bedeutet im Französischen jedoch Rede. Im Deutschen ist Diskurs kein alltäglicher Begriff und wird in den Medien als „Synonym für alles (medial vermittelte) öffentlich Gesprochene und Geschriebene zu einer bestimmten Thematik mit gesellschaftlicher Relevanz verwendet.“[66]Der Begriff Diskurs hat auch in der Wissenschaft verschiedene Bedeutungen und ist in vielen Disziplinen zu finden. So wird der Diskurs nicht nur in der Linguistik, sondern auch in den Geschichts-, Kultur- und Politikwissenschaften, der Psychologie und der Soziologie als Konzept angewendet.[67] Daraus ergibt sich, dass die Diskursanalyse kein einheitliches Konzept verfolgt und vom angewendeten diskurstheoretischen Konzept, abhängig ist.

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seine etymologischen Wurzeln im Lateinischen und wird vom Verb ‚discurrere’, abgeleitet, was auseinanderlaufen oder sich ausbreiten bedeutet.[68]

Der Philosoph Descartes war der Erste, der den Diskurs als wissenschaftlichen Terminus benutzte. Es war aber der Linguist De Saussure, der die Grundlagen für den Diskursbegriff in der Wissenschaft schuf. Der Diskursbegriff wird oft mit den strukturalistischen Überlegungen der fünfziger und sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts in Verbindung gebracht. Durch die Kritik der Poststrukturalisten in den sechziger Jahren, zu deren Hauptvertreter Foucault gehörte, änderte sich die Sicht- und Verwendungsweise des Diskursbegriffs aufs Neue.[69] Heute ist der Begriff zu einem „Allerwelts- und Modewort [geworden], dessen schillernde Bedeutung eine verbindliche Definition nahezu unmöglich macht.“[70] Obwohl der Diskursbegriff sich nicht eindeutig definieren lässt, richtet sich, laut Landwehr, der wissenschaftliche Einsatz von ‚Diskurs’

immer auf Untersuchungen des Sprach- und Zeichengebrauchs, ob es sich dabei nun um mündliche oder schriftliche Aussagen, konkrete Kommunikationsprozesse, die Analyse größerer Textkorpora oder die Untersuchung bildlicher und akustischer Medien handelt. Dabei ist üblicherweise das Ziel, formale oder inhaltliche Strukturierungen aufzudecken.[71]

Der Diskurs lässt sich also als Set von Regelmäßigkeiten, einzelnen Äußerungen oder Texten, definieren.[72] In der Wissenschaft bezieht sich die Verwendung des Diskursbegriffs auf verschiedene theoretische Traditionen und hierbei wird vielfach Diskurs „als spezialisierte Bezeichnung für diejenigen Felder der öffentlichen Debatten definiert in denen die kollektiv verbindlichen Deutungsmuster, Selbstbeschreibungen und Zuschreibungspraktiken der Gesellschaft ausgebildet, verbreitet und stabilisiert“[73]werden.

In der vorliegenden Diskursanalyse der Mutterrolle werden die Deutungsmuster, Selbstbeschreibungen und Zuschreibungspraktiken, die während der Diskussion um den Kinderkrippenausbau geäußert werden untersucht. Als Vorlage wird teilweise das Jägersche und Landwehrsche diskurstheoretische Konzept orientiert. Außerdem wurde die ‚Grounded Theory’ hinzugezogen um eine kontextbezogene Analyse anzuwenden. Im Folgenden werden diese diskurstheoretischen Konzepte dargestellt.

6.1 Die kritische Diskursanalyse

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von Wissen und einer damit einhergehenden Materialisierung“.[76] Die Diskursanalyse ist Transdisziplinär, so Jäger.[77]Er charakterisiert die Diskursanalyse folgendermaßen:

Sie [die kritische Diskursanalyse, E.H.] übersteigt damit die Grenzen der Disziplin Linguistik, indem sie sich auf die Analyse des Diskurses bzw. der Diskurse konzentriert, die sie als Verläufe oder Flüsse von sozialen Wissensvorräten durch die

Zeit versteht, die die Applikationsvorgaben für die Gestaltung der gesellschaftlichen

Wirklichkeit enthalten und in diese gegenständlich umgesetzt werden und, in Verbindung mit diesen ‚Vergegenständlichungen’, insgesamt also als Dispositive, weiterwirken, sie ‚am Leben halten’, sie und sich voneinander auch zum Absterben bringen können.[78]

Jäger möchte mit der kritischen Diskursanalyse eine Methode bieten, mit der die Wirkung der Diskursen analysiert werden kann. Darüber hinaus dient die Methode als Handhabe, um die Strukturen der Diskurse durchschaubar zu machen. Außerdem soll anschaulich werden, warum Diskurse sich im Massen- und Individualbewusstsein verfestigen und so als Applikationsvorlage für Denk- und Handelsweisen dienen.[79] Die Diskursanalyse zeigt, laut Jäger, mit welchen Mitteln, welche ‚Wahrheiten’ im Massen- und Individualbewusstsein akzeptiert sind, was sich in dem Bewusstsein als ‚normal’ und ‚anormal’ verfestigt hat und was sagbar ist und was nicht. Die Diskursanalyse zeigt „mit Hilfe welcher Implikate, welcher Kollektivsymbole, welcher Argumentationsstrategien etc. welche Inhalte in wessen Interesse im Diskurs verwendet werden“[80].[81]

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6.2 Die historische Diskursanalyse

Der Historiker Landwehr beschäftigt sich in seiner historischen Diskursanalyse mit Aussagen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort erscheinen. Landwehr befasst sich also mit der Frage, warum eine bestimmte Aussage, und keine andere Aussage, zu einem bestimmten Zeitpunkt auftritt. Der Diskurs bildet sich durch Aussagen, die zu einem Thema systematisch geäußert werden. Diese Aussagen regulieren außerdem, was gedacht, gesagt und getan werden kann.

Die historische Diskursanalyse “[…] versucht, den Zugang zu einer Geschichte der Wahrheit, der Wirklichkeit und des Wissens zu ermöglichen.“[85] Dabei sind die Wissensbestände, wie zum Beispiel die naturwissenschaftlichen Fortschritte, nicht von größter Bedeutung, sondern eher die „nicht-formulierte Wahrheit, […] über die man sich nicht verständigen muss.“[86]. Landwehr fasst die historische Diskursanalyse wie folgt zusammen;

Historische Diskursanalyse untersucht mithin Wahrnehmungen von Wirklichkeit, den Wandel sozialer Realitätsauffassungen, oder um es besonders allgemein zu formulieren: Historische Diskursanalyse erforscht die Sachverhalte, die zu einer bestimmten Zeit in ihrer sprachlichen und gesellschaftlichen Vermittlung […] als gegeben anerkannt werden.[87]

Landwehr geht davon aus, dass die Welt für jede Person bereits eingerichtet ist und dass das Individuum wenig, oder nichts, selbst erfindet. Die Wahrnehmungen und Erfahrungen der Individuen werden durch die Diskurse und Ordnungen organisiert. Man kann diese Ordnungen zwar bis zu einem gewissen Punkt durchbrechen und sich individuelle Positionen anmessen, dennoch bleiben die persönlichen Gestaltungsmöglichkeiten gering. Wir leben an Hand von vorgegebenen Regeln und können zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht alles sagen oder denken. „ […] Wir bewegen [uns] innerhalb von Diskursen, die unser Denken, Sprechen und Handeln bestimmen.[88]“ Die Art und Weise wie wir mit unserer Umwelt umgehen ist gesellschaftlich vermittelt. Die Sprache ist reich an Deutungen aus der Vergangenheit und die das Begreifen der Welt geschieht, indem man über sie redet. Wenn der Kontext, in dem etwas ausgesagt wird, eindeutig ist, kann man erst den Diskurs erkennen. Darum, sollte man, Landwehr zufolge, bei der Suche nach einem Diskurs nicht von einem einzelnen Text ausgehen, sondern ihn im Zusammenhang mit anderen Texten betrachten.[89]

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und die Familie beeinflusst oder sogar bestimmt. Eine Analyse der historischen Situation ermöglicht eine bessere Sicht auf die gesellschaftliche, politische und institutionelle Position der Frau als Mutter. Die Aussagen, die in der heutigen Diskussion geäußert wurden, sind besser verständlich wenn man den Kontext der bürgerlichen Rollenverteilung mit den Auseinandersetzungen des Feminismus mit dieser Rollenverteilung betrachtet. Landwehrs Überlegungen sind von Einfluss auf die Einteilung dieser Arbeit gewesen, da der Diskursanalyse eine historische Kontextbeschreibung vorangeht. Hinzu kommt eine Untersuchung der situativen und historischen Kontexts.

Landwehr schlägt vor, die linguistische Methodik nicht zu komplex zu gestalten und zwischen der Makro- und Mikrostruktur eines Textes zu unterscheiden. Dabei konzentriert er sich jedoch auf eine sprachwissenschaftlich angelegte Analysemethode. Grund dafür findet Keller[90] in der Tatsache, dass die meisten ausführlicheren Methodenvorschläge zur Diskursanalyse, in dem Bereich der Sprachforschung gemacht worden sind. [91] Landswehrs Analysemethode richte „sich jedoch auf die sprachlichen Formen, in denen und mittels derer ein Diskurs erscheint. Sie befindet sich deswegen häufig in der historisch orientierten sprachwissenschaftlichen Forschung.[92]“ Diese Untersuchung richtet sich jedoch weniger auf sprachliche Formen und nimmt deshalb, bei der Interpretation der Aussprachen über die Mutterrolle, Abstand von Landwehrs Analysemethode.

6.3 Die Grounded Theory

Die Grounded Theory ist ein methodischer Ansatz zur Diskursanalyse der amerikanischen Soziologen Barney G. Glaser und Anselm Strauss.[93]Der Name ‚Grounded Theory’ deutet an, dass es sich um eine gegenstandsbezogene Theoriebildung handelt. Die Grounded Theory muss aber nicht direkt zu einer Theoriebildung führen. Sie bietet Leitlinien, „die eine relativ offene, interpretative Herangehensweise von dem Datenmaterial erlauben“[94]. Die Theorie versucht durch eine methodisch kontrollierte Selektion und Gruppierung der Daten das Textmaterial der Diskursanalyse übersichtlich zu machen. Die große Datenmenge, die zusammen den Materialcorpus bildet, wird strukturiert, um diese Datenfülle danach weiter einzugrenzen und in Haupt- und Subkategorien zu verteilen. In der Grounded Theory werden Daten durch ein induktives Vorgehen selektiert. In dieser Untersuchung werden nur die Daten benutzt, die Aussagen über Mütter oder Familie enthalten.

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7. Das Verfahren der Diskursanalyse

Diese Untersuchung würde zu weit führen, wenn man das gesamte Verfahren der kritischen Diskursanalyse von Jäger oder das Verfahren der historischen Diskursanalyse von Landwehr anwendet. Diese Arbeit bewegt sich von der Methodik her, auf einer Ebene, die eine geringere Komplexität und Sprachwissenschaftlichkeit aufweist. Obwohl nicht versucht wurde, eine linguistische Untersuchung durchzuführen, diente Jägers Methodeninstrumentarium, als Orientierungshilfe. Vom Aufbau des Materialcorpus und der Zusammenstellung des Diskursstrangs einer Zeitung bis zum Herausfinden der diskurs- und zeitungstypischen Fragmente, bot die Jägersche Methodik viele Hilfestellungen. Weiterhin wurde orientiert an Landwehrs historische Diskursanalyse. Diese Analyse richtet auf Sätze und Gedanken und ist somit eher semantisch aufgebaut. Auch die so genannte Grounded Theory, hat sich, vor allem für die Diskursanalyse der Diskussion um die Kinderkrippen, als eine interessante und vor allem sehr aufschlussreiche Methode erwiesen.

Für die Diskursanalyse macht Jäger einige terminologische Vorschläge, die im Folgenden erläutert und im Weiteren auch benutzt werden. Er führt die Begriffe ‚Diskursfragment’ und ‚Diskursstrang’ ein. Als Diskursfragment wird einen Text oder ein Textteil bezeichnet, der ein bestimmtes Thema behandelt.[98]Ein Diskursstrang besteht aus Diskursfragmenten, die alle das gleiche Thema behandeln. Der Diskursstrang hat eine synchrone und eine diachrone Dimension. Der synchrone Schnitt durch einen Diskursstrang ermittelt, was zu einem bestimmten Zeitpunkt, früher oder heute ‚gesagt’ wurde, oder besser gesagt, was zu dem Zeitpunkt ‚sagbar’ war oder ist. Dieser Schnitt hat eine bestimmte qualitative und endliche, zeitlich begrenzte, Bandbreite. Man könnte sagen, die Diskursstränge sind thematische Wissensflüsse, die durch die Zeit führen. Sie verschränken sich miteinander und beeinflussen sich gegenseitig, wodurch diskursive Effekte entstehen. Die Diskursanalyse soll nicht nur die jeweiligen Diskursstränge untersuchen, sondern auch die Diskursverschränkungen in betracht nehmen.[99]Zur Analyse der Diskursstränge ist es sinnvoll zwischen Hauptthemen und Unterthemen zu unterscheiden. Die Unterthemen sind immer mit dem Hauptthema verschränkt, und manchmal sind auch Hauptthemen der verschiedenen Stränge miteinander verschränkt. Ziel der Diskursanalyse ist es, die verschiedenen Diskursstränge und ihre Verschränkungen zu erfassen und somit den gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu ermitteln.[100]

7. 1 Das Material

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zu verstehen, durch den ein Individuum in die Gesellschaft einbezogen wird.[101] Wenn es um die Meinungsbildung einer Gesellschaft geht, wird der Begriff der öffentlichen Meinung benutzt. Die Verwendung dieses Begriffes ist trotz Definitionsschwierigkeiten sehr konsequent und umfasst das unbewusste Bestreben, von in einem Verband lebenden Menschen, um zu einem gemeinsamen Urteil oder einer Übereinstimmung zu gelangen. Die öffentliche Meinung soll das Individuum zur gesellschaftlichen Anpassung zwingen. Diese Integration ist notwendig, um nicht isoliert von der Gemeinschaft leben zu müssen.[102] Medien funktionieren als Vermittler, die für die Öffentlichkeit oftmals schwer zugängliches Wissen aufbereiten und darstellen. Das Individuum orientiert sich an gesellschaftlichen Vorgaben, in denen die Kollektivsymbolik eine bedeutende Funktion hat. Link versteht unter dieser Kollektivsymbolik „die Gesamtheit der sogenannten Bildlichkeit einer Kultur, die Gesamtheit ihrer am weitesten verbreiteten Allegorien und Embleme, Metaphern, Exempelfälle, anschaulichen Modelle und orientierenden Topiken, Vergleiche und Analogien.“[103] Die Tatsache, dass viele komplexe Themen mithilfe der Kollektivsymbolik verständlich werden, macht diese Symbolik zu einem äußerst wirkungsvollen Effekt. Der Einsatz von Kollektivsymbolik bietet den Empfänger eines Textes Verständigungs-und Orientierungshilfen, die in der Normalitätskonzeption der BRD passen. Es wird dem Empfänger vermittelt, was er als ‚normal’ und was soll er als ‚a-normal’, Beispielsweise ‚normwidrig’, empfinden soll.[104]. In diesem Fall erschafft die, in der Bildzeitung, der FAZ und der TAZ ausgetragene, Diskussion um den Kinderkrippenausbau Normalitätskonzepte für die Mutterrolle innerhalb Deutschlands, indem Bilder von Familien und Mutter generiert werden. Diese Normalitätskonzepte werden jedoch nur durch vielfältige Wiederholung dessen, was eine ‚gute’ oder ‚schlechte’ Familie oder Mutter ist, konstruiert. Andererseits sind Zeitungen eine mediale Resonanzfläche der gesellschaftlichen Kollektiven Bilder, Bildwelten, Sinnkonstruktionen und Deutungsmuster für Familie beziehungsweise Mutter. Zeitungen haben einen großen Einfluss auf das kollektive Empfinden dessen, was als eine ‚normale’ beziehungsweise ‚gute’ Familie und Mutter angesehen wird.[105]

Die öffentliche Meinung oder besser gesagt: ‚der Diskurs’ beeinflusst auf das individuelle- und Massenbewusstsein. Im Gegensatz zum Diskurs, wirkt sich ein einzelner Text nur minimal auf das Bewusstsein aus. Der Diskurs vermittelt kontinuierlich Inhalte, Symbole und Strategien und setzt damit ‚Wissen’ und Normalitätskonzepte in unser Bewusstsein.[106] Zum Normalitätsbegriff schreibt Link:

Entscheidend ist […] nicht die Hermeneutik von Einzelbeispielen (einzelnen Karikaturen, ‚Sprachbildern’, Fotos, Texten, Filmen etc.), sondern der ständige Wiederholungseffekt großer Massen von Applikationsvorlagen und punktuellen Applikationsvorgängen. Aus diesem ständigen massenhaften Recycling der Symbole (das in der frühesten Kindheit beginnt und erst mit dem Tode endet) resultiert in den Gehirnen der normalistischen Subjekte so etwas wie eine große Katachrese aus ‚medizinischen Körper’ und den ‚High-Tech-Vehikeln’ als Folie sowohl des ‚Ich’ wie des ‚Wir’.[107]

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Rezipient automatisch versteht, was gemeint wird. Dieses Verständnis beruht auf der fortwährenden Wiederholung der Symbole.

7.1.1 Die Zeitungen

Das Ziel dieser Diskursanalyse ist es, den Diskursstrang ‚Mutterrolle’ im Diskurs um die Kinderkrippen vollständig zu erfassen. Bei der Untersuchung findet eine Fokussierung auf Texte, aus drei Zeitungen, statt. Die Wahl für Printmedien kann damit begründet werden, dass sie sich an ein Massenpublikum richten und für die Konstituierung des öffentlichen Bewusstseins von Bedeutung sind. Printmedien bieten eine Auswahl an verschiedensten Themen und Bereichen und wollen dem Leser zu verstehen geben, mit diesen Informationen tatsächlich informiert zu sein.[108] Überregionale Zeitungen sind für eine breite Leserschaft zugänglich. Diese unterschiedlichen Zeitungen repräsentieren breites Gesellschaftliches Spektrum und tragen eine Vielzahl gesellschaftlicher Vorstellungen und Denkbilder aus.[109] Die drei ausgewählten Zeitungen können als repräsentativ gesehen werden, da sie die Meinung großer Teile der Bevölkerung wiedergeben. Für die Diskursanalyse werden sie als Einheit behandelt. Sie bilden zusammen der Spiegel der Gesellschaft. Die Zeitungen könnte man als folgend darstellen:

Aufmachung, Stil und Inhalt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, deuten auf eine Bindung mit konservativen Lesern hin. Mit 951.000 Lesern ist sie die fast auflagenstärkste Zeitung Deutschlands. Die FAZ hat den Ruf, die kompetenteste Berichterstattung im Wirtschaftsbereichen zu liefern.[110] Die Zeitung ist laut eigener Aussage Pflichtblatt an den deutschen Wertpapierbörsen und wird täglich in 140 Länder geliefert.[111]

Die ‚tageszeitung’ ist eine vergleichsweise junge Zeitung. Sie wurde im Jahre 1978 gegründet und ist ein Produkt verschiedener demokratischer Bewegungen. Die taz kann man im politischen Kontext und nach eigener Aussage als ‚alternativ’ bezeichnen. Sie setzt sich für Minderheiten ein und macht sich gegen Diskriminierungen und Ausgrenzungen stark.[112]Sie erreicht täglich 260.000 Leser.[113]

Die Bildzeitung nimmt, im Vergleich zur taz, eine entgegengesetzte Position ein. Man könnte sie als konservativ mit einem völkisch-nationalen Einschlag bezeichnen. Die Bildzeitung ist die einflussreichste Boulevardzeitung Deutschlands und „muss deshalb zu den wichtigsten Regulierungs- und Normalisierungsinstanzen gezählt werden[114].“[115] Sie hat 11.640 Millionen Leser und war 2006 sogar Europas größte Tageszeitung. Im Presseservice der Zeitung meint, die Zeitung sei von der Leserstruktur her, ein Spiegelbild der Gesellschaft.[116]

7.2 Der Zeitraum

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der Diskussion um die Kinderkrippen abspielt. Man kann die Diskussion um den Kinderkrippenausbau als ein zeitlich begrenztes Thema sehen. Den Anlass für die Diskussion formte der Vorschlag der CDU-Familienministerin von der Leyen die Kinderbetreuungsplätze, auszubauen. Andererseits bleibt der Diskurs um die Mutter wegen seiner Gesellschaftlichen Relevanz aktuell.

In dieser Untersuchung wird das Mutterbild in Deutschland während der Kinderkrippendiskussion untersucht. Da die Diskussion erst im Februar 2007 anfing und immer noch fortwährt, vermittelt sie das Mutterbild vom Jahre 2007 bis heute. Es geht in dieser Untersuchung darum, die Anforderungen an Mütter und die Inhalte welche an der Mutterschaft herangetragen werden, zu analysieren.

7.3 Der diskursive Kontext - Die Diskussion um die Kinderkrippen

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Pofalla und auch andere Spitzenpolitiker der Union die Nachricht, dass das Unionspräsidium vollständig hinter der Ministerin stehe. Pofalla und andere Spitzenpolitiker der CDU betonten, dass wirkliche Wahlfreiheit zwischen Berufstätigkeit und häuslicher Erziehung erst geschaffen werde, indem genügend Kinderkrippenplätze zur Verfügung stehen. Der Begriff der Wahlfreiheit wurde daraufhin zu einer beliebten Floskel innerhalb der Diskussion.[124]

Die Union bevorzugt die Ehe als Lebensform, doch die Infragestellung dieser Bevorzugung führte Anfang 2007 zu heftigen, internen Diskussionen. Der Vorschlag das Ehegattensplitting zum Familiensplitting umzusetzen wird ausgiebig besprochen und kritisiert. Die Vorschlagsgegner, wie zum Beispiel der CDU-Fraktionsvorsitzende des baden-württembergischen Landtags, Mappus, meldeten sich zu Wort. Mappus warf der Familienministerin vor, sie würde die Fundamente der CDU wegreißen. Er erkennt den Grundwert der CDU in einer Familie, die aufgebaut wird im Rahmen der Ehe.[125] In den konservativen Kreisen der Union kehrt keine Ruhe ein. Von der Leyens Familienpolitik, deren Finanzierungsvorschläge und das gesamte CDU-Profil führen zu Spaltungen innerhalb der Partei. Es werden in der Union aber nicht nur kritische Stimmen laut, Bundeskanzlerin Merkel, der hessische Ministerpräsident Koch, der niedersächsische Ministerpräsident Wulff und der baden-württembergische Ministerpräsident Oettinger sind nur einige der Unionspolitiker, die Von der Leyens Pläne zustimmen.[126]

Während die Union mit den internen Streitigkeiten beschäftigt ist, machte sich die SPD Gedanken über die Finanzierung der auszubauenden Kinderkrippenplätze. Die Fragen, die sich die SPD stellte, waren die folgenden: Woher kommen die drei Milliarden für den Ausbau? Werden die Länder und Kommunen damit finanziell belastet und kann der Bund dann den Ausbau mitfinanzieren? Die SPD forderte Von der Leyen auf, möglichst bald mit einem Finanzierungsvorschlag zu kommen.[127]Diesen Vorschlag wird sie Anfang Mai 2007 machen. Am 23. Februar 2007 bot die SPD ein alternatives Finanzierungskonzept für den Ausbau der Kinderkrippenplätze an, in dem die Erhöhung des Kindergeldes eingefroren wird und an Stelle des Ehegattensplittings ein ‚Realsplitting’ kommen soll.[128] Trotzdem lief die Frage der Finanzierung während der ganzen Diskussion weiter und wurde im Untersuchungszeitraum nicht mehr geklärt. Es wurde ein Krippengipfel vorgeschlagen um die Finanzierungsfrage zu lösen.[129] Auf dem Krippengipfel am 2. April wurde die finanzielle Beteiligung des Bundes festgelegt, aber die die tatsächlichen Kosten herrschte immer noch Unklarheit.[130]

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Kardinal Wetter, meinte, dass die Familienpolitik die Familie kaputtmachen würde, ist somit auch äußerst negativ über von der Leyens Pläne.[133]Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken vertritt demgegenüber die Meinung, die Pläne seien überfällig und dringend notwendig. Auch die evangelische hannoverische Landesbischöfin Käßmann kann die Empörung nicht nachvollziehen und befürwortet den Ausbau der Kinderkrippen.[134]

7.4 Das Materialcorpus

Nach Jägers Analyseverfahren kann man ein Materialcorpus zusammenstellen, indem man die Artikel in chronologischer Reihenfolge recherchiert und kategorisiert.[135] Nach diesem Muster wurden auch die Artikel aus der taz, FAZ und Bildzeitung, in der Periode vom 1. Februar bis zum 30. April 2007, die sich mit dem Thema Kinderkrippe, Ursula von der Leyen und die Mutterrolle befassen, recherchiert und im Corpus aufgenommen. Die Artikel, die sich mit dem Thema beschäftigen, enthalten auch Aussagen über die Rolle von Müttern.

Die recherchierten Texte werden mittels Stichwörter und Kategorien systematisiert. Zunächst müssen Basisdaten formuliert werden, wie, zum Beispiel, Datum, Titel, Autor, Bebilderung und Textsorte. Dann wird der Text genauer gelesen und Hauptthema, Nebenthemen und Neben-Nebenthemen bestimmt. Darauf folgt die Identifizierung der Kernbotschaft und die Bedeutung der Artikel auf eine positive oder negative Haltung in Hinsicht auf Kinderbetreuung und die Pläne Ursula von der Leyens. Außerdem wird nach den verwendeten Kollektivsymbole gesucht.

Auf Grund dieser Daten und Analysen, werden im nächsten Schritt der gesamte Diskursstrang und die Diskursordnung erfasst.[136]

7.5 Der Diskursstrang

Der hier untersuchte Diskursstrang, die Diskussion um die Kinderkrippen, ist thematisch festgelegt, und hat sich auf Grund eines diskursiven Ereignisses formiert: Es handelt sich um die Diskussion um den Kinderkrippenausbau, die Familienministerin Ursula von der Leyen, nach ihrer Ankündigung, die Betreuungsplätze für unter Dreijährige bis 2013 zu verdreifachen, auslöste. Zum Diskursstrang der Diskussion um die Kinderkrippen gehören all jene Aussagen, die sich explizit auf das Mutterbild, die Kinderkrippen und die Familienpolitik beziehen.

Das Materialcorpus kann man in bestimmte Haupt- und Subthemen aufteilen. Häufig vorkommende Subthemen zu den Hauptthemen Mutterbild, Kinderkrippen und Familienpolitik, sind:

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• Die gesellte Kritik (von der katholischen Kirche, insbesondere von Bischof Mixa und dem Familiennetzwerk)

• Die CDU (dabei handelt es sich um ihre Bemühungen, das Parteiprofil aufrecht zu erhalten, die Unterstützung für Von der Leyen und parteiinterne Auseinandersetzungen) • Die Wahlfreiheit (ob man zu Hause betreut oder das Angebot der Tagesbetreuung nützt) • Das Familienleitbild (Mann/ Frau-Verhältnis, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf). Zu diesen Themen äußern sich auch Leser in Briefen, die in der taz und der FAZ abgedruckt wurden. Da der Diskurs als Auseinandersetzung von Meinungen begriffen wird, sind auch Leserbriefe im Materialcorpus aufgenommen worden. Es werden die Diskursfragmente aus dem Materialcorpus selektiert, die Aussagen über das Mutterbild enthalten und daraus wird ein Dossier zusammengestellt.

Das Interesse dieser Untersuchung gilt dem Mutterbild im Diskurs um die Kinderkrippen, in der Periode zwischen Februar und Ende April 2007 (und immer noch aktuell ist). Der Diskursstrang des Diskurses um die Kinderkrippen kann mit einer Untersuchung zur Mutterrolle verbunden werden, da er direkten und indirekte Aussagen über Mütter einen Platz bietet. Der Diskurs gibt darüber hinaus Aufschluss über das Verhältnis der deutschen Gesellschaft zur Mutterschaft und der weiblichen Erwerbstätigkeit. Mit dieser Erkenntnis wird der Übergang vom Materialcorpus zum Dossier gemacht..

7.6 Die Diskursfragmente

Aus der Fülle der Artikel, die zum Diskursstrang gehören, ist ein weitreichendes Aussagengebilde entstanden. Die große Menge der Textumfang beschränkt sich auf repräsentative Texte. Es gibt, wie in Kapitel 6.5 bereits erwähnt, bestimmte diskursive Felder, in denen sich der Diskurs um die Kinderkrippen abspielt.

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7.7 Die Diskursordnung

Die Diskursordnung besteht aus Trägern und Beiträgern.[137] Die Träger sind die diskursive Eliten, das heißt, die Produzenten der Diskursfragmente. Die Beiträge, sind die im Dossier aufgenommenen Diskursfragmente.

7.7.1 Die diskursive Elite

Die Träger der diskursiven Elite kommen aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft, aber in dieser Untersuchung bestehen sie aus Redakteuren und Journalisten der jeweiligen Zeitungen. Außerdem werden im Dossier viele Leserbriefe aus der FAZ aufgenommen. Die soziale Struktur der Diskursordnung der Kinderkrippendiskussion sieht folgendermaßen aus;

FAZtazBild

Redaktionelle Artikel 13 11 7 Agentur- & Redaktionsmeldungen- 1

-Leserbriefe 14 3

-Externe Expertenquellen 2

-Für zwei von den drei Zeitungen lassen sich die Namen der Redakteure oder Autoren feststellen, die sich schwerpunktmäßig mit der Kinderkrippenthematik beschäftigen. Bei der FAZ hat Stephan Löwenstein am häufigsten zum Thema geschrieben und bei der taz sind es Christian Füller und Cosima Schmitt. Die Bildzeitung hat nur wenige Artikel zum Thema, und es ist nicht deutlich, welcher Redakteur oder Journalist häufig über die Thematik geschrieben hat.

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Die Beiträge der diskursiven Eliten werden im Folgenden, unabhängig vom Autor, analysiert. Im Diskurs geht es nicht um die Frage, wer die Aussagen gemacht hat, sondern welche Aussagen gemacht wurden und welche sich durchgesetzt haben.[138] Es wird zunächst, an Hand der Grounded Theory, die diskursive Struktur der Beiträge im Dossier analysiert.

7.7.2 Die diskursive Struktur

Das finden der diskursiven Struktur, ist einer der wichtigsten Schritte dieser Untersuchung. Das Dossier, dass mit den 51 Artikel, beinhaltet und alle Aussagen über die Mutterrolle enthält, wurde anhand der Fragestellung erneut gelesen und strukturiert. Diese Fragen lauten im Sinne dieser Untersuchung;

• Wie wird Familie interpretiert?

• Welche Rolle wird den Frauen zugeschrieben?

Für diese Untersuchung wurde nicht der vollständige Text eines Artikels untersucht, sondern nur die Textfragmente, die für die Beantwortung der Fragestellung relevant waren. Des weiteren wurden nur wenige Kategorien gebildet, um eine Analyse machen zu können.[139]

Die Aussagen über die Mutterrolle, sind anhand der Fragestellung recherchiert und kategorisiert. Über die Häufigkeit dieser Aussagen kann nichts ausgesagt werden, da alle Texte eine unterschiedliche Länge besitzen. Es besteht die Möglichkeit, dass in einem Text gleiche Aussage mehrmals benutzt wurde. Ironische Aussagen wurden nicht berücksichtigt, da sie aus ihrem Kontext entfernt, nicht erkennbar sind.[140] Das Kategoriensystem, dass aus der Menge der Aussagen aus den selektierten Texten entstanden ist, sieht folgendermaßen aus;

Familie mit Kind (Familienmodell)

Politik Kirche

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Mutter-Kind-Bindung

Das Kategoriensystem besteht aus 13 Kategorien, die sich auf drei Ebenen befinden. Die Hauptkategorie formt die Kategorie ‚Familie mit Kind’. Für diese Kategorie gibt es vier Subkategorien. Die Kategorie ‚Familie mit Kind’ und nicht ‚Frau mit Kind’, da oft über Väter und Mütter im Allgemeinen gesprochen wird. Zwei weitere Kategorien beziehen sich hingegen auf die nicht-erwerbstätige Mutter und die erwerbstätige Mutter. Für diese beiden Kategorien wurden jeweils drei Subkategorien erstellt.

Nachdem die Texte aus dem Dossier neu geordnet, und die Strukturanalyse durchgeführt wurde, folgte die tatsächliche Diskursanalyse. Dabei wurden die Leitfragen, die bereits erwähnt wurden, als Orientierungshilfe benutzt. Außerdem kamen ausgewählte Artikel aus dem Dossier hinzu, um Beispiele geben zu können. Die Analyse basiert sich auf den Aussagen, die den relevanten Kategorien und Subkategorien zugeordnet werden und sich zur Beantwortung der Fragestellung eignen.[141]

8. Die Diskursanalyse

Es wird untersucht, welche semantischen Deutungsmuster für die Rolle der Mutter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Bildzeitung und der Tageszeitung konstruiert werden. Dies geschieht anhand der formulierten Hauptfragen: Welches Verständnis der ‚Mutter’ liegt den Äußerungen im Diskurs um die Kinderkrippen zugrunde? Welches Familienmuster wird im Diskurs um die Kinderkrippen verwendet?

Um diese Fragen beantworten zu können, ist die Analyse in drei Cluster aufgeteilt. Zuerst wird der Begriff der Familie im Verhältnis zu Politik und Kirche betrachtet. Des Weiteren bezieht sich die Analyse des Begriffs ‚Familie’ auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenn in den Zeitungen der Begriff ‚Familie’ verwendet wird, ist implizit die Mutter gemeint. Die Aussagen über die Familie enthalten Vorgaben für die Mutterrolle.

Darauf folgt eine Analyse der zu Hause erziehenden Mutter. Wie wird die Rolle der Mutter in den drei Zeitungen interpretiert? Welche Eigenschaften hat sie und wie wird ihre Beziehung zum Kind dargestellt?

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zugeschrieben, und was erwartet man von der Beziehung zwischen erwerbstätigen Müttern und ihren Kindern?

Schematisch dargestellt sieht die Analyse folgendermaßen aus;

1. Welches Verständnis der ‚Familie’ und ‚Mutter’ liegt den Äußerungen im Diskurs um die Kinderkrippen zugrunde?

• Was kennzeichnet das Verhältnis der Familie zu Politik und Kirche und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

2. Welches Verständnis der nicht erwerbstätigen Mutter liegt den Äußerungen im Diskurs um die Kinderkrippen zugrunde?

• Welcher Mutterbegriff ist zu erkennen, wenn über die Eigenschaften, das Kindeswohl und die Mutter-Kind-Bindung nicht erwerbstätigen Mutter berichtet wird?

3. Welches Verständnis von der erwerbstätigen Mutter liegt den Äußerungen im Kinderkrippendiskurs zugrunde?

• Welcher Mutterbegriff ist zu erkennen, wenn über die Eigenschaften, das Kindeswohl, die Mutter-Kind-Bindung der erwerbstätigen Mutter berichtet wird?

8.1 ‚Familie’ und ‚Mutter’ im Diskurs um die Kinderkrippen

Die Familie wird im Diskurs um die Kinderkrippen als eine gesellschaftlich unter Druck stehende Instanz betrachtet. Sie leidet unter der neuen Familienpolitik der Familienministerin Von der Leyen. Es bedeutet, dass sich die traditionelle Familie diskriminiert fühlt, da für sie keine weiteren finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Diese Mittel würden nun der Doppelverdienerfamilie, durch den Ausbau der Kinderkrippen, zufließen.

Andererseits sagt die Mehrzahl der Autoren, dass die konservative Familienpolitik der letzten Jahrzehnte, die Familie ihrerseits benachteiligt hätte, indem Maßnahmen ergriffen wurden, die die Nichterwerbstätigkeit der Mutter förderten.

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Verbesserungsvorschläge beziehen sich ausschließlich auf Frauen bzw. Mütter, Männer werden im Diskurs nicht erwähnt.

Alle Diskursteilnehmer sind sich einig darüber, dass es nötig und möglich sein muss, Familie und Beruf miteinander vereinbaren zu können. Vereinbarkeit von Familie und Beruf bezieht sich auf die Frau, die ihre Familie und ihr Beruf kombinieren möchte oder muss. Männer werden hier nicht gemeint.

Einerseits, benötigt die Wirtschaft weibliche Arbeitskräfte[145] und andererseits sollte die Gesellschaft, Müttern die arbeiten wollen, die Möglichkeit auch bieten.[146] Allerdings wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch als eine Ablehnung der traditionellen Familie bewertet.[147] Gleichzeitig zeigen die Befürworter der traditionellen Familie eine ablehnende Haltung gegenüber Doppelverdienern. Dies, obwohl den Doppelverdienern im Diskurs sporadisch auch Anerkennung zukommt. Die ‚junge’ Frau, die berufstätig sein will, gehört zur Realität[148] und entspricht damit dem mehrheitlich gewünschten Lebensentwurf-Modell der jüngeren Generationen.[149]

8.2 Die nicht erwerbstätige Mutter im Diskurs um die Kinderkrippen

Im Diskurs um die Kinderkrippen sieht sich die nicht erwerbstätige Mutter zur Verteidigung genötigt. Viele Autoren machen deutlich, dass sich viele nicht erwerbstätige Mütter durch die neue Familienpolitik und die ‚moderne’ erwerbstätige Mutter angegriffen fühlen, da ihnen kaum soziale Anerkennung zukommt. Im Vergleich zur erwerbstätigen und ‚erfolgreichen’ Mutter fühlt sie sich als „der letzte Trottel“[150], das heißt sich finanziell unterlegen und gesellschaftlich abgewertet fühlen. Die nicht erwerbstätige Mutter findet, dass sie nicht mehr respektiert[151] wird. In einigen Fällen glaubt sie, dass sie selbst jetzt zur ‚Rabenmutter’[152] gemacht wird. Dieser Paradigmenwechsel[153], der statt der erwerbstätigen, die nicht erwerbstätige Mutter zur Rabenmutter macht, wird vom Staat propagiert, und dies kann man auch an den politischen Maßnahmen erkennen. Früher bezeichnete der Begriff ‚Rabenmutter’ Frauen, die ihre Kinder vernachlässigten, indem sie andere Interessen wie zum Beispiel Hobbys oder Beruf in den Vordergrund stellten. Oftmals schreiben die nicht berufstätigen Mütter in Leserbriefen, dass die Mutterschaft ihrem Leben mindestens genauso oder sogar noch mehr Bereicherung als Berufstätigkeit bietet. Sie berichten von „einer Quelle sinnlicher Lust“[154]. Die Mutterschaft sei eine kostbare und verantwortungsvolle Aufgabe und die sollte nicht verunglimpft werden.[155] Auch wird die Mutterschaft zu einer heiligen Berufung gemacht, die als die einzig wirkliche, von Gott her vorgesehene Aufgabe der Frau gilt.[156]

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Im Diskurs wird deutlich, dass ein wichtiger Grund für die nicht erwerbstätige Mutter, um zu Hause zu bleiben, das Kindeswohl ist. Ein Kind braucht, ihrer Meinung nach, keine Professionalität[157], das heißt die Erziehung durch Fachkräfte im außerhäuslichen Bereich, sondern die Einfühlsamkeit und Aufmerksamkeit, die ihm nur eine Mutter geben kann. Es brauche eine Person, die direkt auf seine Bedürfnisse eingeht.[158] Der Gedanke, dass das Kind durch einen professionellen Kinderbetreuer besser gefördert werde als durch die nicht erwerbstätige Mutter, sei eine von den Medien propagierte Vorstellung.[159]Einige Eltern, und gelegentlich melden sich auch Väter zu Wort, sind der Meinung, dass die Kinderbetreuung keine Freizeitbeschäftigung sei, die man am Wochenende und nach Feierabend erledigen könne. Dies sei auch wider den Bedürfnissen des Kindes[160].

Als ein weiterer Grund für die häusliche Betreuung des Kindes wird die Mutter-Kind-Bindung angegeben, da es nichts Schöneres geben würde, als die gemeinsame Zeit mit dem Kind.[161] Dieses Kind brauche in den ersten Lebensjahren eine „sichere Bindung“[162] zur Mutter und Nestwärme.[163] Ohne eine feste Bezugsperson, würde ein „bedürftiges“ Kind erzogen werden.[164] Die Verwendung des Begriffes ‚Bedürftigkeit’ könnte als direkter Anfall auf die erwerbstätige Mutter gesehen werden, das bedeutet hier, dass die erwerbstätige Mutter keine ‚sichere Bindung’ und ‚Nestwärme’ bietet.

8.3 Die erwerbstätige Mutter im Diskurs um die Kinderkrippen

Verschiedene Autoren äußern sich negativ über die erwerbstätige Mutter. Die Angriffe, so kann man sie in einigen Fällen bezeichnen, werden meistens von nicht erwerbstätige Müttern oder von Männern geäußert. Oft werden erwerbstätigen Müttern, kühle Organisation oder eine schlechte Haushaltsführung vorgeworfen.[165] Außerdem wird suggeriert, sie würde „den Verlockungen des Ehrgeizes, des Geldes und des Exhibitionismus“[166] erliegen, statt sich für ihr Kind aufzuopfern. Die erwerbstätige Mutter wird als sehr egozentrisch dargestellt und ihre Mutterschaft im Allgemeinen auch angegriffen. Mutterschaft sei für „diese Art Frauen eine nette Freizeitbeschäftigung, die sich nebenbei oder am Wochenende erledigen lässt.“[167] Diese ‚Vernachlässigung’ sei auf die Emanzipation zurückzuführen.[168]

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sie Spaß an ihrer Arbeit hat. Die Notwendigkeit der Erwerbstätigkeit wird in den Leserbriefen nicht erwähnt.

Der Begriff des Kindeswohls, wird im Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit der Mutter genannt. Es werden weitgehende Sorgen um das Kind geäußert.[172] So würde die frühe Erwerbstätigkeit der Frau, das symbiotische Band zwischen Mutter und Kind zu früh zerreißen.[173] Auch wird vor einer sozialen Verwahrlosung des Kindes gewarnt.[174] In den drei Zeitungen, die FAZ, taz und die Bildzeitung, wird jedoch geregelt differenziert, und die Mutter-Kind-Bindung nicht in Verbindung mit der zusammen verbrachten Zeit gesetzt. Gradmeter ist die Qualität der gemeinsamen Zeit.[175] Außerdem ist das Kindeswohl abhängig von den Familienverhältnissen. Schlechte Familienverhältnisse wären nicht von der Berufstätigkeit der Eltern abhängig.[176]

8.4 Interpretation

Was ist eine gute Mutter? Dies scheint der Grundgedanke der Kinderkrippendiskussion zu sein. Ist eine gute Mutter eine erwerbstätige Frau oder bleibt sie zu Hause und sorgt für ihre Kinder? Die Vorstellung der Mutterrolle und der Mutter-Kind-Beziehung sind durch verschiedenen Grundmuster oder ‚sozialen Codes’ innerhalb der Gesellschaft kulturell geprägt.[177] Das deutsche Mutterbild beruht auf der Tradition eines Diskurses, der am Ende des 18. Jahrhunderts produziert ist. Das Bild der ‚hingebenden Mutter’ und hat am Anfang des 19. Jahrhunderts Form angenommen. Mutterschaft und Mutterliebe wurden propagiert.[178]Das Ideal der ‚guten Mutter’ konstituiert sich. Diese ‚gute Mutter’ hat einen mütterliches Instinkt, eine selbstaufopfernde Haltung und ist die ‚hingebende Mutter’.[179] Eine ‚hingebende Mutter’ sollte auf die Bedürfnisse ihres Kindes eingehen können und sich daran mit Einfühlung anpassen. Nur dann könne sich das Kind harmonisch entwickeln. Versagt die Mutter, könnte dies im schlimmsten Fall, zum Beispiel, zu einem autistischen Kind führen.[180]Die seelische Gesundheit des Kindes ist die wichtigste Aufgabe einer ‚guten Mutter’. Deswegen sollte sie auch immer für ihr Kind da sein. Eine Mutter, die es nicht schafft, sich rund um die Uhr mit ihrem Kind zu beschäftigen, und dieses Kind in die Krippe gibt, ist demnach eine schlechte Mutter.[181]Mutterliebe erfordert einen Verzicht auf maskuline Wünsche, wie zum Beispiel der Wunsch nach Erwerbstätigkeit. Die ‚hingebende Mutter’ sollte ihre selbstliebenden, egoistischen Wünsche aufgeben und sich den Aufgaben der Mutterschaft zuwenden, um so ihr ‚wahres’ Glück zu finden.[182]

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‚Ernährer’ doch gar nicht so schlecht.[184]“ schreibt ein Mediziner in seinem Leserbrief an die FAZ. Der Gedanke, dass die Frau ihre Familie betreut und für den Haushalt zuständig ist, wird heute noch häufig vertreten. Dass die Realität allmählich dieses Bild der ‚hingebenden Mutter’ verdrängt und das traditionelle Frauenbild mittlerweile durch mehrere Frauenbilder korrigiert wird, scheint vielen Teilnehmern der Diskussion um die Kinderkrippen unakzeptabel zu sein. Die in Verruf geratene Familienpolitik kann man als Folge einer abwehrenden Haltung gegen die Veränderungen in der heutigen Familie und ein Festhalten an der traditionellen Frauenrolle, sehen.[185]

Die traditionelle Familie wird in den genannten Zeitungen als eine bedrohte Institution gesehen. Man könnte von einer Krise der Familie[186] sprechen. Diese Krise ist allem Anschein nach, der Veränderung der Frauenrolle zuzuschreiben. Von der sich verändernden Rolle des Mannes ist kaum die Rede, da es in der Diskussion um die Kinderkrippen offen bleibt, ob die Veränderungen der Familie ein anderes Männerbild hervorbringt. Im Diskurs um die Kinderkrippen ist die männliche Erwerbstätigkeit vorausgesetzt und befindet sich die Frau in einer ambivalenten Situation. Es werden von ihr zwei verschiedene Rollen erwartet, an die sie sich anpassen soll. Einerseits, die Rolle der Mutter und Ehefrau, andererseits, die der erwerbstätigen und ‚modernen’ Frau. Die Vereinbarkeit der beiden Rollen scheint ein Problem zu sein, eine Frau entscheidet sich entweder für oder gegen die die Familie und für oder gegen den Beruf.[187] Auch wenn sie Familie und Beruf zu kombinieren versucht, trifft sie eine Wahl, die oft als Wahl gegen die Mutterschaft betrachtet wird.[188]

9. Schlussfolgerung

Die Nachkriegszeit in West-Deutschland wurde von einer Suche nach Normalität gekennzeichnet. Es vollzog sich eine Restauration der traditionellen Familienmuster und Geschlechterrollen.[189] Die konservative, ursprünglich katholisch christdemokratische Regierung unterstützte diese Entwicklung und verteidigte ein Familienmodell, in dem der Vater erwerbstätig war und die Mutter zu Hause bei den Kindern blieb, das sogenannte Ernährermodell[190] Auch der gesellschaftliche Konsens bestand aus einer Ablehnung der erwerbstätigen Mutter.[191] Die Kinderbetreuung war, der vorherrschenden traditionellen Haltung entsprechend, kaum organisiert. Mütter mussten die Betreuung der Kinder deshalb weitgehend privat arrangieren.[192]

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wurden. Die Frage nach Kinderbetreuung wurde allerdings nur in einigen Ländern thematisiert. In Schweden, zum Beispiel, wurde intensiv für mehr Kinderbetreuung gekämpft.[194] In Deutschland gab es dagegen nur wenige Initiativen, die sich für mehr Kinderbetreuung einsetzten, und diese konnten auch nie größere Gruppen von Frauen mobilisieren. Es ist leichter, Menschen für eindimensionale, als für vielschichtige Ziele zu interessieren. Die Forderung nach Kinderbetreuung ist vielschichtig: Elternurlaub, flexible Arbeitszeiten und Steuergesetzänderungen müssen berücksichtigt werden. Obendrein ist Kinderbetreuung nicht für alle Frauen von gleicher Relevanz.[195]Außerdem wurde die Frauenbewegung im konservativen politischen Klima der Zeit oft diskriminiert, wenn es sich um die Frage der Umgestaltung des Familienleitbildes handelte. Nicht nur politisch war die Frauenerwerbstätigkeit unerwünscht, auch innerhalb der Gesellschaft wurde sie abgelehnt. Mitte der siebziger Jahre hatte sich der Kindergarten trotzdem zu einer Institution entwickelt, die Frauen die Teilzeitarbeit ermöglichte.[196] In dieser Zeit wurde die Kinderbetreuung intensiv im Bundestag besprochen. Trotz dieser Bemühungen änderte sich wenig. Ein Versuch, die Kindergartenplätze für die Drei-bis Fünfjährigen rechtlich zu sichern, scheiterte an einem Veto der konservativen Bundesländer im Bundesrat.[197]

Die abweisende Haltung gegenüber der Frauenerwerbstätigkeit existiert heute nicht mehr in dem Maße, wie sie in den sechziger und siebziger Jahren spürbar war. Die traditionelle Familie und das Ernährermodell haben an Gültigkeit verloren, da immer mehr Variationen des Zusammenlebens und der Familie möglich sind.[198] Die gesellschaftliche Akzeptanz der Frauenerwerbstätigkeit hat sich vergrößert und die Politik erkennt das Problem des Geburtenrückgangs. Politiker wie Schmidt[199]und von der Leyen, setzten sich in den vergangenen Jahren für Maßnahmen ein, die die Kombination von Familie und Erwerbstätigkeit erleichtern sollten.

In zahlreichen Untersuchungen, die das Verhalten von Frauen innerhalb des Wohlfahrtsstaates beschreiben, wird oft eine Verbindung zwischen den sozialen Rechten der Frau und dem Maß ihrer Befreiung von familiären Verpflichtungen gelegt. Es ist für Frauen wichtig, dass das Kinderbetreuungsangebot gut ausgebaut ist und damit eine Kombination von Mutterschaft und Arbeit ermöglicht. Man kann an der institutionellen Unterstützung der Kernfamilie sehen, inwieweit der Staat Frauen für die Sorge der Kinder und der Fortpflanzung verantwortlich macht. Wird das Ernährermodel angestrebt, so wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht besonders gefördert. Einen Staat, der das Ernährermodell fördert, erkennt man an der Höhe des Kindergeldes, am Ehegattensplitting, an Steuervorteilen für Kinder und nicht-erwerbstätige Ehepartner und am Grad des öffentlichen Kinderbetreuungsangebots für Kinder ab drei Jahren. In diesem Staat, wird von einem Elternteil erwartet, dass er zu Hause bleibt und die Kinderbetreuung auf sich nimmt. Kinder werden nicht jeden Tag und nicht ganztäglich betreut und für Kleinstkinder (die Null- bis Dreijährigen) ist die Betreuung nur marginal verfügbar. Die Kinderbetreuung in einer Gesellschaft, die das Ernährermodell fördert, ist auf eine Mutter ausgerichtet, die während der ersten Lebensjahre des Kindes zu Hause bleibt und eventuell wenn die Kinder älter sind, die Erwerbstätigkeit auf Teilzeitarbeit beschränkt.

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