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Zur Problematik geschlechtergerechter Sprache – Eine Analyse europäischer Sprachen und ihr Umgang mit generischem Maskulinum

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Academic year: 2021

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(1)

UNIVERSITY OF AMSTERDAM

FACULTY OF HUMANITIES

MA:

Linguistics of European Languages: German

MASTER THESIS

Zur Problematik geschlechtergerechter Sprache – Eine Analyse europäischer Sprachen

und ihr Umgang mit generischem Maskulinum

SUBMITTED BY

REBEKKA RÖTTGER

Supervisor: Prof. Dr. A. P. Versloot Second assessor: Prof. Dr. K. Pittner

(2)

2. SPRACHLICHE STRUKTUREN IN DER KRITIK ... 5

2.1 GENERISCHES MASKULINUM ... 5

GRUPPENBEZEICHNUNGEN ... 6

GENERISCHE SINGULAR-AUSDRÜCKE ... 9

ÜBER ZWEI GESCHLECHTER HINAUS ... 9

GENERISCHES FEMININUM ... 10

2.2 DAS WÖRTCHEN MAN ... 10

2.3 REDEWENDUNGEN UND AUSDRÜCKE ... 11

2.4 ARGUMENTE GEGEN GESCHLECHTERGERECHTE SPRACHE ... 12

3. STUDIEN ... 13

3.1 SPRACHEN MIT GRAMMATISCHEM GESCHLECHT ... 13

DEUTSCHBLAKE/KLIMMT (2010).GESCHLECHTERGERECHTE FORMULIERUNGEN IN NACHRICHTENTEXTEN . 14 DEUTSCHSTAHLBERG/SCZESNY (2001).EFFEKTE DES GENERISCHEN MASKULINUMS UND ALTERNATIVER SPRACHFORMEN AUF DEN GEDANKLICHEN EINBEZUG VON FRAUEN ... 15

DEUTSCHBRAUN ET AL.(1998).KÖNNEN GEOPHYSIKER FRAUEN SEIN? ... 17

DEUTSCHBRAUN ET. AL.(2007).„AUS GRÜNDEN DER VERSTÄNDLICHKEIT ...“ ... 17

DEUTSCHGABRIEL/MELLENBERGER (2004).EXCHANGING THE GENERIC MASCULINE FOR GENDER -BALANCED FORMS –THE IMPACT OF CONTEXT VALENCE ... 18

FRANZÖSISCHLÉVY/GYGAX/GABRIEL (2014).FOSTERING THE GENERIC INTERPRETATION OF GRAMMATICALLY MASCULINE FORMS: WHEN MY AUNT COULD BE ONE OF THE MECHANICS ... 19

FRANZÖSISCHGYGAX/GABRIEL (2008).CAN A GROUP OF MUSICIANS BE COMPOSED OF WOMEN?... 20

NORWEGISCHBULL/SWAN (2002).THE REPRESENTATION OF GENDER IN NORWEGIAN ... 21

NORWEGISCHGABRIEL/GYGAX (2008).CAN SOCIETAL LANGUAGE AMENDMENTS CHANGE GENDER REPRESENTATION?THE CASE OF NORWAY ... 23

NIEDERLÄNDISCHGERRITSEN (2002).TOWARDS A MORE GENDER-FAIR USAGE IN NETHERLANDS DUTCH ... 25

ISLÄNDISCHGRÖNBERG (2002).MASCULINE GENERICS IN CURRENT ICELANDIC ... 28

SCHWEDISCHHORNSCHEIDT (2003).LINGUISTIC AND PUBLIC ATTITUDES TOWARDS GENDER IN SWEDISH. ... 32

POLNISCHBUDZISZEWSKA ET AL.(2014).BACKLASH OVER GENDER-FAIR LANGUAGE ... 35

3.2 SPRACHEN OHNE GRAMMATISCHES GESCHLECHT ... 36

TÜRKISCHBRAUN (2001).THE COMMUNICATION OF GENDER IN TURKISH ... 36

FINNISCHENGELBERG (2002).THE COMMUNICATION OF GENDER IN FINNISH ... 38

ENGLISCHSILVEIRA (1980).GENERIC MASCULINE WORDS AND THINKING ... 40

3.3 ERGEBNISSE ... 41 4. DISKUSSION ... 43 5. FAZIT ... 47 6. QUELLENVERZEICHNIS ... 50 6.1 LITERATUR ... 50 6.2 INTERNETQUELLEN ... 52

(3)

1.

E

INLEITUNG

Die Problematik geschlechtergerechter Sprache ist heute aktueller denn je. Schon seit den späten 1970er Jahren wird in Deutschland eine Debatte darüber geführt, ob die deut-sche Sprache aktiv verändert werden muss, um sie neuen gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Die erste deutsche Veröffentlichung dazu ist der Aufsatz Linguistik und Frau-ensprache von Senta Trömel-Plötz, der 1978 in der Fachzeitschrift Linguistische Berichte

veröffentlicht wurde. 1984 erschienen die gesammelten Glossen der Sprachwissenschaftle-rin Luise Pusch unter dem Titel Das Deutsche als Männersprache, in denen sie die männliche Dominanz in der deutschen Sprache humorvoll thematisiert. Seitdem ist die Diskussion über geschlechtergerechte Sprache mal mehr und mal weniger in der Öffentlichkeit, wird aber von Sprachwissenschaftlern als Thema fortlaufend untersucht.

Wo in den Achtzigern allerdings nur die Gleichstellung von Mann und Frau gefordert wurde, gibt es heute Forderungen nach Berücksichtigung von Menschen aller Geschlechter, die sich nicht Mann oder Frau zuordnen lassen wollen. Und obwohl die Diskussion über geschlechtergerechte Sprache bereits seit beinahe 40 Jahren geführt wird, bleibt die Ge-sellschaft weiterhin gespalten und die Meinungen über Für und Wider gehen weit ausei-nander. Die früher als extrem klassifizierten Feministen sind in ihren Forderungen gemäßig-ter oder werden zumindest so wahrgenommen, da die Riege junger Feministen heutzutage noch stärkere Forderungen stellt und auch den Einbezug von Menschen jenseits der Zwei-geschlechtlichkeit von Mann und Frau fordert. Kritisiert werden dabei unterschiedliche As-pekte der Sprache: generisches Maskulinum in Gruppenbezeichnungen, in Ausdrücken wie

MAN oder JEMAND, Berufsbezeichnungen und Redewendungen. In all diesen Aspekten

las-sen sich Strukturen finden, die diskriminierend gegenüber Frauen und anderen Minderhei-ten sind. Die Forderungen, die gestellt werden, beinhalMinderhei-ten, dass solche Formen gestrichen oder so verändert werden sollen, dass sich alle Menschen gleichermaßen angesprochen fühlen.

So zahlreich wie die Meinungen und Forderungen in dieser Debatte sind verschiedene Möglichkeiten der Umsetzung im Deutschen. Diese Arbeit wird daher damit einleiten, dass die unterschiedlichen in Frage gestellten Sprachstrukturen und die Lösungen zu ihrer Auf-hebung vorgestellt werden. Im Anschluss werden einige Studien untersucht, die sich mit der kognitiven Verarbeitung solcher Strukturen beschäftigen. Sie untersuchen auf unter-schiedliche Weise, wie generisch maskuline Formen von Testpersonen wahrgenommen

(4)

werden und ermöglichen daher die Arbeit mit empirisch erwiesenen Ergebnissen. Das gibt dieser Arbeit eine Grundlage, mit der Pro- und Kontra-Argumente der Debatte besprochen werden können. Die Studien sind dabei nur zu einem Teil explizit auf die deutsche Sprache ausgerichtet. Drüber hinaus werden auch Studien untersucht, die sich mit anderen Spra-chen beschäftigen, da diese neue Perspektiven ermögliSpra-chen und die UrsaSpra-chen von diskri-minierenden Sprachstrukturen so eingegrenzt und genauer bestimmt werden können. Es werden sowohl Sprachen, die wie das Deutsche über ein Genussystem verfügen untersucht, aber auch Sprachen ohne Genussystem, um zu überprüfen, welche Auswirkungen eine Än-derung des Systems wie es aktuell ist auf die deutsche Sprache hätte. Dabei werden die Studien und ihre Ergebnisse allerdings nicht nur hingenommen, sondern auch kritisch auf ihre Ergebnisse sowie auf deren Anwendbarkeit hin überprüft. Es soll herausgefunden wer-den, ob die Studien nur die Ergebnisse liefern, die sie selbst besprechen oder ob noch weitere Erkenntnisse aus ihnen gezogen werden können. Zudem wird versucht die Ergeb-nisse dieser verschiedenen Studien zu den Lösungsansätzen des Deutschen hinzuzuziehen und diese somit auf ihre Ausführbarkeit hin zu untersuchen.

Zusätzlich werden auch einige politische und soziale Komponenten hinzugezogen, die die Gleichberechtigung in den Ländern betreffen, um abwägen zu können inwiefern die Sprache eines Landes tatsächlich Einfluss auf politische, soziale und gesellschaftliche The-men hat.

Im Anschluss werden die Ergebnisse der Studien und ihrer Kritik auf das Deutsche und vorgeschlagene Problemlösungsansätze übertragen, sodass herausgefunden werden kann, in welchem Maße eine Veränderung möglich ist und wo Problemlösungen tatsächlich sinn-voll sind. Es wird außerdem eine kritische Einschätzung dessen gegeben, was an Forderun-gen im Deutschen vorliegt und welche Grenzen die Veränderung einer Sprache hat.

Die Frage, die sich dabei durch die gesamte Arbeit zieht, ist in welchem Maße Sprache Einfluss auf gesellschaftliche Strukturen hat, und ob es nicht viel mehr die Gesellschaft ist, die sprachliche Strukturen prägt. Zu dieser Frage gibt es unterschiedliche Meinungen. So soll Judith Baxter laut eines Interview mit The Guardian gesagt haben: „The language we use not only reflects our culture but also constructs it“ (Bearne: 2016). Andere wiederum sagen, dass Sprache immer nur wiedergibt was die Gesellschaft denkt, und nicht die Macht hat gesellschaftliche Strukturen zu ändern. So schreibt Steinfeld (2012) in einem Artikel: „Zum Scheitern verurteilt ist das Projekt einer geschlechtsneutralen Sprache wohl ohnehin – wie alle Bemühungen, die Welt an ihrem sprachlichen Ausdruck zu korrigieren.“

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Dabei besteht auch die Frage, ob selbst wenn Gesetze dazu erlassen werden Sprache zu ändern und bestimmte Formen zu verbieten, diese sich im privaten Sprachgebrauch durch-setzen. Die oben genannte Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch, die bereits in den Anfän-gen der Kritik mit aktiv war, hatte dazu folAnfän-genden Gedanken: „Wenn die öffentliche Sprache in der Schule, den Medien und der Gesetzgebung konsequent die Vorreiterrolle übernimmt, zieht nach Pusch die private Sprache bald nach“ (Samel 2000: 73). Sie schließt sich also dem Gedankengang Judith Baxters an.

Die vorliegende Arbeit soll klären, welche dieser beiden Positionen von sprachwissen-schaftlichen Studien untermauert wird und ob die Ergebnisse einem Bemühen um ge-schlechtergerechte Sprache die Aussicht auf Erfolg einräumen.

2.

S

PRACHLICHE

S

TRUKTUREN IN DER

K

RITIK

Wie oben geschrieben gibt es bereits seit den 1980er-Jahren Vorschläge der feministi-schen Linguistik im Deutfeministi-schen alternative Formen zum Ersatz des generifeministi-schen Maskulinums anzuwenden. Damals vorgeschlagen wurde das Binnen-I, das aus beinahe jeder männlichen Personenbezeichnung im Plural, eine Frau-inklusive Form bilden kann. Aus WÄHLER wird

WÄHLERINNEN, aus BAUARBEITER BAUARBEITERINNEN und aus FAHRER FAHRERINNEN. Inzwischen

gibt es zahlreiche unterschiedliche Möglichkeiten das generische Maskulinum zu umgehen. Das vor über 30 Jahren eingeführte Binnen-I ist dabei die gängigste Methode, es gibt aber weitere wie zum Beispiel Beidnennung (WÄHLERINNEN UND WÄHLER), Ersatzformulierungen

(STUDIERENDE statt STUDENTEN) oder typographische Möglichkeiten wie die Variante mit

Schrägstrich (FAHRER/INNEN).

Der Hauptaspekt der vorliegenden Arbeit liegt auf dem generischen Maskulinum, das im folgenden Kapitel genauer beschrieben wird. Es gibt allerdings auch noch andere sprachliche Strukturen im Deutschen, die teils als diskriminierend verstanden werden. Zu diesen wird es in den weiteren Unterkapiteln dieses Kapitels noch einige Erläuterungen ge-ben.

2 . 1 Generisches Maskulinum

Mit generischem Maskulinum ist die sprachliche Strategie gemeint, dass Wortformen, die einem spezifischen Maskulinum entsprechen auch generisch verwendet werden, um sowohl über Frauen, wie auch über Männer zu sprechen. Dies kann in unterschiedlichen sprachlichen Strukturen der Fall sein und tritt in vielen Sprachen der Welt als Phänomen

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auf. Es gibt mehrere sprachliche Strukturen in denen ein generisches Maskulinum det wird: Nomen oder Pronomen, die Männer bezeichnen, können auch generisch verwen-det werden um alle Menschen zu bezeichnen. Das führt dazu, dass der Mann als Norm wahrgenommen wird und die Norm zugleich aus Männern zu bestehen scheint. Dies schlägt sich auch in der zweiten sprachlichen Struktur nieder: Die maskuline Form ist die unmarkierte Form von der die feminine auf irgendeine Weise abgeleitet werden muss. Die weibliche Form stellt daher die Abweichung von der Norm dar. Zusätzlich sind auch viele feminine Bezeichnungen von der maskulinen abgeleitet und werden unter anderem durch Suffigierung gebildet. Zudem zeigt sich bei weiblichen Bezeichnungen eine größere Ten-denz zu Konnotationen, die über die reine (Berufs-)Bezeichnung hinausgehen1, wie z. B. der

Unterschied zwischen MASSEURIN und MASSEUSE. Auf all diese Einzelheiten wird in den

wei-teren Kapiteln noch näher eingegangen.

Das Problem des generischen Maskulinums resultiert daraus, dass immer Unklarheit dar-über besteht, ob in einem bestimmten Fall tatsächlich ein generisches Maskulinum vorliegt oder ob nicht doch ein spezifisches gemeint ist. Da das generische Maskulinum mit dem spezifischen Maskulinum übereinstimmt, muss man als Rezipient selbst abwägen mit wel-cher der beiden Formen man es zu tun hat. Zudem ist das Maskulinum als Norm proble-matisch, da der Eindruck entsteht Männer seien nicht nur in der Sprache die Norm, sondern auch im realen Leben. Sie sind sichtbarer in der Sprache, während Frauen zwar ‚mitgemeint‘ sind, aber nicht präsent.

Gruppenbezeichnungen

Im Deutschen sind die Gruppenbezeichnungen dasjenige sprachliche Phänomen, das aus feministisch sprachkritischer Sicht und im öffentlichen Diskurs derzeit am heftigsten diskutiert wird. Bei der Adressierung von Gruppen (LIEBE LEHRER) oder wenn man über eine

Personengruppe spricht (DIE KURSTEILNEHMER WAREN ALLESAMT BEGEISTERT), wird traditionell

auf das generische Maskulinum zurückgegriffen, um alle gemeinten Personen zu bezeich-nen. Selbst wenn der Großteil der Gruppe aus Frauen besteht, wird das generische Masku-linum verwendet. Lediglich bei einer rein weiblichen Gruppe wird die weibliche Gruppen-bezeichnung verwendet. Das Problem dabei ist, dass „[t]he use of the masculine plural bi-ases information processing, resulting in a male oriented representation“ (Gygax et. al.: 2008: 465).

(7)

Da dies das am meisten und in der Öffentlichkeit noch am akzeptiertesten diskutierte Sprachphänomen ist, gibt es zahlreiche Ideen, wie man das generische Maskulinum in Gruppenbezeichnungen umgehen kann. Diese werden insbesondere dann angewandt, wenn eine Gruppe von Leuten angesprochen wird; z. B. in Briefen oder E-Mails, bei Reden oder auf Wahlplakaten. Aber auch in Nachrichtentexten werden teils alternative Formen gebraucht.2

Um die Gruppenbezeichnungen nicht im generischen Maskulinum darzustellen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die Idee, die als erste aufgekommen ist, ist die Beidnennung, auch ZweiGenderung genannt. Hierbei werden sowohl Männer, wie auch Frauen explizit genannt. Z. B. LIEBE WÄHLERINNEN UND WÄHLER oder SEHR GEEHRTE KOLLEGEN UND KOLLEGINNEN.

Teilweise wird hier von engagierten Sprachkritiker noch gefordert die weibliche Form zuerst zu nennen, da andererseits durch die Zweitstellung die Frau dem Mann weiterhin unterge-ordnet wäre. Nach der Beidnennung ist die Nutzung des Binnen-Is am weitesten verbreitet. Auch mit dieser typographischen Lösung werden Männer und Frauen gleichermaßen an-gesprochen. Das Binnen-I zeigt die Grenze zwischen männlicher und weiblicher Form an, und vereint doch beide innerhalb eines Wortes. Z. B. in KINDERGÄRTNERINNEN. Die weibliche

Pluralbildung wird dabei als Ausgang genommen, sodass sich in diesem Fall die männliche Form der weiblichen leicht unterordnet. Bei ÄRZTINNEN zum Beispiel wäre die männliche

Form ÄRZTE; das übrige E wird in der Binnen-I-Form allerdings nicht aufgegriffen. Das

Bin-nen-I hat den Vorteil, dass es auch im Singular anwendbar ist: GRAFIKERIN GESUCHT! Auch

hier trennt es optisch die männliche und weibliche Form. Immer wieder gibt es Diskussionen um die Frage, wie eine solche typographische Lösung phonetisch realisiert werden soll. Doch auch dazu gibt es Vorschläge. „Ausgesprochen wird diese Form mit einer kurzen Pause vor dem großen ‚I‘ und einer Betonung desselben“ schlägt die AG Feministisch Sprachhandeln (14/15: 28) der Humboldt-Universität zu Berlin in ihrem Sprachleitfaden vor. Der sogenannte Glottisschlag wird von Deutschen zwar nur unbewusst genutzt und viele mögen davon noch nie gehört haben, er wird aber immer automatisch richtig realisiert, wenn er gefordert wird. So z. B. bei der Unterscheidung zwischen VEREISEN und VERREISEN.

Diese Wörter unterscheiden sich in der Aussprache nur durch den Glottisschlag nach Aus-sprache des Rs, der in vereisen realisiert wird und in verreisen nicht.3 Eine typographische

2 So verwenden einige Autoren der TAZ verschiedene geschlechtergerechte Formen in ihren Texten.

3 Diese Unterscheidung mag klein sein, wird von Rezipienten in der Regel aber immer richtig wahrgenommen.

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Sichtbarmachung der Trennung zwischen männlich und weiblich wäre auch bei den weni-gen Bezeichnunweni-gen vorstellbar, die eine weibliche Standardform haben. So würden bei-spielsweise HEXE und WITWE zu HEXER und WITWER. Wie hier eine Pluralbildung aussehen

könnte, müsste noch diskutiert werden. Im Zweifelsfall wäre bei einer solchen Ausnahme dann aber eine Doppelnennung möglich.

Zu den ebenfalls typographischen Lösungen gehören Alternativen mit Klammersetzung oder Schrägstrich: Liebe Kommiliton/inn/en oder Liebe Kommiliton(inn)en. Diese allerdings werden von kritischen Feministen als „pseudo-antidiskriminierend“ (ebd.: 39) bezeichnet.

Beide Formen verbleiben in der ZweiGenderung und ordnen zusätzlich die weibliche der männlichen Form grafisch unter – entweder durch Abtrennen oder Einklammern. Sie sind also nicht einmal zwei-genderungs’gerecht‘. (ebd.: 39–40)

Ebenfalls in diese Kategorie der gleichberechtigten Bezeichnungen gehören kreative Lö-sungen wie z. B. SUS aus SCHÜLERINNEN UND SCHÜLER, welches im Lehramts- und

Schulkon-text bereits weit verbreitet ist. Ähnliche Lösungen für andere häufig auftretende Begriffe wären denkbar.

Eine weitere Forderung, die manchmal in Verbindung mit einer weiblichen Pluralbildung auftritt, sind Komposita, die im generischen Maskulinum stehen. So endet die Forderung mancher Sprachkritiker nicht dabei von BÜRGERMEISTERINNEN zu sprechen, sondern von B ÜR-GERINNENMEISTERINNEN. Selbiges gälte für BÜRGERINNENSTEIGE und alle weiteren irgendwie

aus einem generischen Maskulinum abgeleiteten Begriffe. Der Sprachleitfaden der Univer-sität Wien empfiehlt diese Komposita durch andere Begriffe zu ersetzten, beispielsweise ZEBRASTREIFEN statt FUßGÄNGERÜBERGANG und MITARBEITENDENGESPRÄCHE statt M ITARBEITERGE-SPRÄCHE.4

Eine weitere Möglichkeit das generische Maskulinum zu umgehen ist der Gebrauch von Ersatzformen, häufig aus Partizipien gebildet. Aus STUDENTEN UND STUDENTINNEN wirdS TU-DIERENDE. Dies soll ein neutraler Begriff sein, der weder überwiegend an Männer noch an

Frauen denken lässt. Diese Möglichkeit hat gerade mit dem Wort STUDIERENDE weite

Ver-breitung gefunden und wird im universitären Umfeld genutzt. Analog dazu wurde das S TU-DENTENWERK in ein STUDIERENDENWERK umbenannt. Nun aber gibt es bereits neue

Forderun-gen, da auch Partizipialformen nicht antidiskriminierend seien. Im Sprachleitfaden der Hum-boldt-Universität heißt es:

Wörtern wie VEREISEN und VERREISEN nur deshalb so problemlos funktioniert, weil der Kontext starke Hinweise liefert, welches Wort gemeint ist. Bei einer akzentuierten Aussprache sollte allerdings auch die phonetische Realisierung und Unterscheidung zwischen BÜRGERINNEN und BÜRGERINNEN möglich sein.

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Diese Sprachform hat genau deshalb so schnell Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch gefun-den, weil sie ausschließende Konzepte gerade nicht herausfordert, gängige Wahrnehmungen also nicht irritiert werden und sich auf diese Weise auch keine sozialen und diskriminierenden Konzeptua-lisierungen verändern. (AG 14/15: 39)

Generische Singular-Ausdrücke

Neben den eben beschriebenen Gruppenbezeichnungen, gibt es auch im Singular For-mulierungen, die vom generischen Maskulinum Gebrauch machen: Z. B. Ausdrücke wie SEI-NEN SENF DAZUGEBEN oder JEDER MACHT MAL FEHLER. Auch hier wird eine männliche Norm

angenommen und Frauen werden nicht repräsentiert. Möglichkeiten diese Ausdrücke ge-schlechtergerecht zu formulieren machen von typographischen Zeichen Gebrauch: SEI-NEN/IHREN SENF DAZUGEBEN oder JEDE*R MACHT MAL FEHLER.

Über zwei Geschlechter hinaus

Seit Anfang der 2000er gibt es außerdem eine weitere Entwicklung der feministischen Linguistik, die neben der Gleichstellung von Mann und Frau in der Sprache auch die Men-schen sichtbar machen möchte, die sich nicht der binären Geschlechterzuweisung unter-ordnen lassen. Um auch diesem Teil der Gesellschaft einen Platz in der Sprache zu schaffen, gibt es alternative Formen, die ebenfalls mit typographischen Mitteln gebildet werden.

Eine Möglichkeit Menschen aller Geschlechter sprachlich zu repräsentieren ist die Ver-wendung eines Sternchens (auch: Gendersternchen). Das sieht dann folgendermaßen aus: BAUARBEITER*INNEN. Das Sternchen dient als Platzhalter für jegliche vorstellbare Person, „da

das Sternchen viele unterschiedliche Strahlen hat und damit nochmal stärker symbolisch ganz Unterschiedliches meinen kann“ (ebd.: 25). Eine weitere Erklärung für die Vielseitigkeit des Sternchens findet sich in seinen Wurzeln im IT-Bereich. Dort wird es auch Asterisk ge-nannt und ersetzt einen beliebigen Buchstaben in einer Zeichenfolge. In der feministischen Linguistik kann es analog als ein Platzhalter für jedes beliebige Geschlecht angesehen wer-den. Das Gendersternchen funktioniert ebenfalls für Formulierungen im Singular (B AUARBEI-TER*IN) und kann auch in Fragewörtern eine Gleichberechtigung verdeutlichen, z. B. W EL-CHE*R?

Der Unterstrich – auch Gender_Gap genannt – hingegen wird als Lücke zwischen Mann- und Fraukennzeichnung gesehen, die Platz für alle weiteren Menschen schaffen und „viel-fältige Möglichkeiten und Gestaltungsspielräume symbolisieren“ (ebd.: 25) soll. Unterstrich und Sternchen werden phonetisch beide wie das Binnen-I auch mit einem Glottisschlag realisiert.

(10)

Ein weiterer Vorschlag5 der sprachkritischen Feministen versucht nicht Frauen sichtbarer

zu machen, sondern geht den anderen Weg der Neutralisation. Mit Hilfe des Buchstaben X

soll am Wort nicht mehr zu erkennen sein, ob es sich um eine weibliche oder männliche Form handelt. Damit würde aus den akademischen Titeln DOKTOR oder PROFESSOR bzw.

DOKTORIN und PROFESSORIN die Formen DOKTOX und PROFESSX. Auch dieses X lässt sich auf

allerlei Formulierungen übertragen: JEDEX MACHT MAL FEHLER oder WEX IST DAS?6

Generisches Femininum

Das generische Femininum wird als radikalste Methode verstanden die Aufmerksamkeit auf die Ungerechtigkeit der Sprache zu lenken. Es wird auch umfassende Frauisierung ge-nannt.

Diese Form kann in Kontexten genutzt werden, in denen eine implizit männliche Norm besteht, die nun sprachlich irritiert werden soll. Diese Sprachhandlung wirkt insbesondere in Kontexten aufrüttelnd, in denen männliche Normalvorstellungen wenig hinterfragt sind. (ebd.: 26)

Das bedeutet, dass es besonders dann gefragt ist, wenn bei einer Nutzung des generischen Maskulinums des Kontexts wegen beinahe ausschließlich an Männer gedacht wird, z. B. bei MASCHINENBAUERN oder ANGLERN. In diesen Zusammenhängen wirkt die Nutzung eines

ge-nerischen Femininums hochgradig aufrüttelnd. Das generische Femininum ist daher nicht wirklich für den umfassenden Gebrauch gedacht, sondern soll – gezielt eingesetzt – deutlich machen, dass ein Ausdruck nicht automatisch dadurch generisch wird, dass man ihn so benennt. Auch Samel (2000) formuliert diesen Anspruch des generischen Femininums in ihrer Einführung in die feministische Sprachwissenschaft:

Die Umkehrung der androzentrischen Position, indem statt des Maskulinums nun das Femininum ver-wendet wird, ist auch eine sprachpolitische Maßnahme. Wenn es für eine Übergangszeit angever-wendet wird, wird den Sprecherinnen und Sprechern die bisherige androzentrische Sprachverwendung be-wußt. (ebd.: 76)

2 . 2 Das Wör tchen man

Viele Diskussionen gibt es auch über das deutsche Wort MAN mit dem eine beliebige

Person bezeichnen werden kann. Da dieses ähnlich aussieht und ebenso klingt wie das Wort MANN, herrscht unter Sprachkritikern der Gedanke vor, dass es diskriminierend gegenüber

Frauen sei.

Folglich sind ‚man’ und ‚Mensch’ keine neutralen Bezeichnungen, sondern re_produzieren immer wie-der Vorstellungen von weißen ableisierten ‚Männern’ als prototypisch für das Allgemeinmenschliche. (AG 14/15: 40)

5 Vgl.: (ebd.: 35).

6 Vgl.: (ebd.: 16), die auch Fragepronomen wie WER oder WELCHE bzw. WELCHER von einer Geschlechtszuordnung

(11)

Deswegen wird es in vielen frauen-politischen Magazinen nicht mehr genutzt. Als eine mögliche Alternative gilt die Umkehrung in FRAU; FRAU SOLL DEN TAG NICHT VOR DEM ABEND LOBEN. Auch diese Möglichkeit – analog zum Gebrauch des generischen Femininums – ist

eine sehr auffallende Methode auf ungerechte Sprache aufmerksam zu machen. Sie ist al-lerdings ebenfalls nicht wirklich eine Methode zur gleichberechtigten Sprache, sondern setzt die Frau in die Position, die zuvor der Mann innehatte. Eine andere Option die genannt wird ist die Verwendung des Wortes MENSCH7 oder WIR/UNS.8 Darüber hinaus wird auch

vorgeschlagen Ausdrücke mit MAN vollständig zu umgehen und stattdessen andere

Formu-lierungen zu benutzen, z. B. Passivkonstruktionen oder Verwendung von direkten Anreden.9

2 . 3 Redewendungen und Ausdrücke

Auf Redewendungen soll sich in dieser Arbeit nicht fokussiert werden, sie stellen aller-dings auch einen Teil problematischer Sprachstrukturen dar, die kritisch hinterfragt werden. Redewendungen haben sich häufig über einen langen Zeitraum hinweg etabliert und tra-gen Informationen über eine nicht mehr aktuelle Getra-genwart und deren gesellschaftlichen Vorstellungen und Gesetze. Häufig ist der Ursprung nicht mehr bekannt und sie werden benutzt ohne, dass man sich ihrer historischen Strukturen bewusst ist.

Ausdrücke zeigen häufig auch Ungleichheiten innerhalb einer Gesellschaft an. Ein Kritik-punkt der häufig genannt wird ist z. B. dass es zahlreiche Ausdrücke gibt, die sexuell aktive Frauen bezeichnen, die allesamt pejorativ sind. Für sexuell aktive Männer gibt es bei weitem nicht so viele und die wenigen, die es gibt sind nicht negativ konnotiert. Im Gegenteil: Meist betonen sie die (erstrebenswerte) Männlichkeit einer solchen Eigenschaft bei Männern; SIE STOßEN SICH DIE HÖRNER AB. In eine ähnliche Richtung gehen auch Beleidigungen und

Schimpfwörter gegenüber Männern und Frauen. Männer werden beleidigt indem ihnen mangelnde Sexualität unterstellt wird (SCHLAPPSCHWANZ), Frauen indem ihnen Promiskuität

vorgeworfen wird (SCHLAMPE). Dies zeigt noch immer aktuelle Wertvorstellungen über die

Geschlechterrollen von Frau und Mann in unserer Gesellschaft.

Darüber hinaus gibt es viele Ausdrücke, die mit dem Wort MANN arbeiten, da sie aus

einer Zeit stammen, in der Männer die menschliche Norm waren und nur sie aktiv handeln

7 Bei MENSCH erkennt man, dass sich auch die Sprachleitfäden für geschlechtergerechte Sprache nicht immer

einig sind in ihren Forderungen und Vorschlägen.

8 Vgl.: WU Wien (2015: 17). Wobei hier anzumerken ist, dass das Wort MENSCH grammatisch auch maskulin ist. 9 Vgl.: AG (14/15: 40).

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konnten. Beispielsweise Ausdrücke wie ETWAS AN DEN MANN BRINGEN oder SEINEN MANN STE-HEN.

Einige Begriffe mögen auf den ersten Blick nicht sexistisch erscheinen, festigen allerdings die Dichotomie zwischen Mann und Frau und die ihnen jeweils zugeschriebenen ‚typischen‘ Attribute. So gibt es z. B. den Begriff RABENMUTTER aber nicht RABENVATER. Umgekehrt sagt

man gewöhnlich SICH MÜTTERLICH UM ETWAS SORGEN oder DU SORGST WIE EINE MUTTER FÜR UNS.

All dies stärkt die Wahrnehmung von Frauen als sorgenden, liebevollen Menschen, die aber zugleich auch die Pflicht haben, sich so zu verhalten, da sie sonst zu Rabenmüttern werden. Zugleich wird dem Mann die Fähigkeit sich zu kümmern abgesprochen, da er in keiner solchermaßen gearteten Redewendung vorkommt.

2 . 4 Argumente gegen geschlechtergerechte Sprache

So wie es Argumente für geschlechtergerechte Sprache gibt, so gibt es auch zahlreiche Positionen, die dagegenhalten. Diese nennen verschiedene Gründe, warum eine Überar-beitung des generischen Maskulinums nicht notwendig ist und kritisieren insbesondere die Vorschläge von Linguisten und Feministen für alternative Formen. Ein häufig auftretendes Argument lautet, dass das generische Maskulinum eben generisch sei und Frauen dabei mitgemeint seien. Daher wäre es nicht notwendig weibliche Formen zu benutzen. Ein an-deres Argument betrifft die Verständlichkeit von Texten. Es wird in den Kritiken immer wie-der deutlich gemacht, dass ein Text, wie-der geschlechtergerechte Alternativen verwendet schwieriger zu verstehen sei, da die Formen ungewohnt für den Leser sind und ihn vom eigentlichen Inhalt des Textes ablenken. Die typographischen Mittel wie Binnen-I oder Klammern/Schrägstrich würden den Lesefluss stören. Schlussendlich wird die mangelnde Ästhetik alternativer Formen beklagt. Sie seien nicht schön anzusehen und die typographi-schen Mittel würden das Ebenmaß des Textes behindern.10

Diese Argumente werden allesamt in einigen der folgenden vorgestellten Studien be-rücksichtigt. Es wurden Experimente durchgeführt, die genau diese Einwände gegen ge-schlechtergerechtes Deutsch untersuchen und alle Ergebnisse weisen darauf hin, dass diese Einwände unbegründet bzw. nicht haltbar sind.

(13)

3.

S

TUDIEN

Um zu verdeutlichen, dass die Übereinstimmung von grammatischem und spezifischem Maskulinum auch bei Menschen, die die Idee des Generalisierens verstehen, zu einem vor-wiegenden Denken an Männer führt, sollen im Folgenden einige Studien vorgestellt wer-den, die genau dieses Phänomen untersucht haben. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der deutschen Sprache, für vergleichende Zwecke werden aber auch Studien anderer Sprachen – sowohl mit grammatischem Geschlecht als auch ohne – vorgestellt.

Dabei liegt der Fokus auf der Perzeption des generischen Maskulinums, allerdings gibt es nicht für alle Sprachen eine passende Studie. Daher werden einige von ihnen auch ohne den Hintergrund einer Wahrnehmungsstudie vorgestellt und ihre spezifischen Besonder-heiten grammatisches und reales Geschlecht betreffend vorgestellt. Zudem ist das generi-sche Maskulinum wie bereits erläutert nicht die einzige sprachliche Struktur, die diskrimi-nierend ist.

Sprachen mit grammatischem Geschlecht sind interessant zu untersuchen, da sie der deutschen Sprache in diesem Punkt gleichen und Erkenntnisse, die zu diesen Sprachen ge-wonnen wurden, sich zu einem Teil gegebenenfalls auf das Deutsche übertragen lassen. Sprachen die kein grammatisches Geschlecht aufweisen sind deshalb interessant, weil sie aufdecken können, ob diskriminierende Strukturen am grammatischen Geschlecht festzu-machen sind oder auch auf anderen sprachlichen Strukturen basieren können. Auch Er-kenntnisse daraus können sich gewinnbringend auf das Deutsche auswirken.

3 . 1 Sprachen mit grammatischem Geschlecht

Sprachen mit grammatischem Geschlecht gibt es viele. Die Art und Weise der Ausprä-gung von grammatischem Geschlecht unterscheidet sich allerdings auch innerhalb dieser Sprachen. So unterscheiden einige Sprachen zwischen drei grammatischen Geschlechtern, andere nur zwischen zweien. Da sich in einige Sprachen das grammatische Geschlecht dem semantischen/referenziellen Geschlecht anpasst – im Deutschen und Französischen z. B. bei der Wahl zwischen: DER LEHRER, DIE LEHRERIN bzw. LE ENSEIGNANT, LA ENSEIGNANTE –

„gramma-tical gender becomes meaningful as a bearer of semantic information“ (Lévy/Gygax/Gabriel 2014: 27). Zur gleichen Zeit ist es in einigen dieser Sprachen nicht möglich auszudrücken,

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dass das Geschlecht einer Person irrelevant oder unbekannt ist. Es muss immer eine Ent-scheidung zwischen maskulin und feminin gefällt werden. Dies führt einige Probleme mit sich, die in den folgenden Studien untersucht werden.

DEUTSCH Blake/Klimmt (2010). Geschlechtergerechte Formulierungen in Nachrichtentex-ten

2010 veröffentlichten Christopher Blake und Christoph Klimmt ihre Studie, in der sie un-tersuchten, wie unterschiedliche Formen von Personenbezeichnungen die Wahrnehmung von (Zeitungs-)Artikeln beeinflussen. Dabei legten sie ihren Fokus sowohl auf die Verständ-lichkeit der Artikel, wie auch darauf, in welchem Maße die unterschiedlichen alternativen Formen den gedanklichen Miteinbezug von Frauen beeinflussen. Sie entwickelten zwei Stu-dien. In beiden wurde mehreren Gruppen unterschiedliche Versionen des gleichen Artikels vorgelegt. Nachdem die Testpersonen ihren Artikel gelesen haben, sollten sie mehrere Fra-gen beantworten. Unter anderem wurde dabei danach gefragt, wie sie den Frauenanteil der im Artikel besprochenen Gruppe einschätzen würden und für wie verständlich sie den Text halten.11 Zudem wurde für objektive Ergebnisse auch die Zeit, die die Testpersonen zum

Lesen der Artikel brauchten, gemessen. Außerdem wurden die Teilnehmenden darum ge-beten, die Ästhetik des Artikels zu beurteilen.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die alternativen Formen keinen schwerwiegenden Einfluss auf die Verständlichkeit der Artikel haben. Sowohl die persönliche Einschätzung als auch die Messung der benötigten Zeit zeigen keine große Diskrepanz zwischen Artikeln, die im generischen Maskulinum geschrieben waren und denen, die alternative Formen ver-wendeten. Lediglich der Artikel, der Gebrauch vom Binnen-I machte, zeigt eine erhöhte Lesezeit (62,4 Millisekunden Lesezeit pro Zeichen in den Texten mit Binnen-I, während in den anderen Textformen nur 57,8 Millisekunden benötigt wurden). Insgesamt bedeutet die-ses Ergebnis aber, dass alternative Formen gebraucht werden können, ohne dass man einen Verlust der Verständlichkeit hinnehmen muss. Die Ästhetik wurde von den Testpersonen ebenfalls als unproblematisch bewertet.12 Zudem macht die Studie deutlich, dass der

Ge-brauch des generischen Maskulinums zu einer Unterschätzung des Frauenanteils führt, während der Gebrauch von Ersatzformulierungen und Beidnennung zur ausgewogensten

11 Dabei ist zu beachten, dass die Autoren hier sehr expliziz sowohl nach der Einschätzung des Personenanteils,

wie auch nach der Textästhetik gefragt haben. Dies kann unter Umständen dazu führen, dass die Testpersonen die Intention der Fragen erahnen und sich dadurch ihre Antworten verändern.

12 Wobei die Autoren selbst deutlich machen, dass die verwendeten Formen nicht allzu sehr von dem abwichen,

was die Teilnehmenden von ihrem täglichen Umgang mit Texten ohnehin gewohnt sind. Es wurde kein Ge-brauch von komplizierten Formen wie ÄRTZ/INN/E/N gemacht (Vgl.: Blake/Klimmt 2010: 302).

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Einschätzung, und der Gebrauch von Binnen-I zur einer leichten Überschätzung des Frau-enanteils führt. Verglichen wurde dabei mit „dem tatsächlichen Frauenanteil unter den Mit-gliedern von Fitness-Studios, der als Referenzgröße zur Beurteilung der Realitätsnähe von Geschlechterrepräsentationsen herangezogen werden kann“ (ebd. 297). Die Ergebnisse wa-ren am deutlichsten, wenn es um Berufe ging, die typischerweise mit Männern assoziiert werden, während das generische Maskulinum den geschätzten Männeranteil in typischen ‚Frauenberufen‘ nicht erhöhte. Diese Beobachtung legt den Schluss nahe, dass das generi-sche Maskulinum in einem typisch männlichen Kontext als spezifisch wahrgenommen wird, während es in einem typisch weiblichen Kontext als generisch verstanden wird.

Man könnte daher argumentieren, dass das generische Maskulinum die Wahrnehmung einer Differenz zwischen den Geschlechtern stärkt. Rezipienten tendieren beim Gebrauch des generischen Maskulinums dazu, sich von ihrem Hintergrundwissen und Kontext leiten zu lassen. Der Gebrauch von alternativen Formen hingegen kann starre Denkmuster und Gewohnheiten aufheben und Kontext sowie Hintergrund in gewissem Maß neutralisieren.

Den Schluss den Blake/Klimmt aus diesen Ergebnissen ziehen ist, dass mithilfe einer Kombination von Ersatzformulierungen und Beidnennung Nachrichtenartikel auf eine ge-schlechtergerechte Weise geschrieben werden können ohne an Verständlichkeit und Äs-thetik einbüßen zu müssen.

DEUTSCH Stahlberg/Sczesny (2001). Effekte des generischen Maskulinums und alternati-ver Sprachformen auf den gedanklichen Einbezug von Frauen

Eine andere Studie, die den Einbezug von Frauen bei unterschiedlichen Formen unter-sucht, wurde von Stahlberg/Sczesny (2001) durchgeführt. Den Testpersonen wurden Frage-bögen vorgelegt, in denen nach Lieblingsschauspieler, -romanheld und ähnlichen Personen gefragt wurde. Eine der Gruppen bekam die Fragen im generischen Maskulinum präsen-tiert, eine andere bekam die Fragen neutral formuliert und der dritten Gruppe wurden Fra-gen gezeigt, die Beidnennung beinhalteten. Die Ergebnisse stimmen mit denen der Studien Blake/Klimmts überein: Das generische Maskulinum sorgt dafür, dass größtenteils Männer genannt werden, die Nutzung von Binnen-I resultiert im größten Einbezug von Frauen und Beidnennung scheint sowohl Männer wie Frauen zu repräsentieren. So erhöhte sich in einer Studie der Prozentsatz genannter Frauen von 3,3% auf 16,7%, wenn in der Frage explizit nach beiden Geschlechtern gefragt wurde.

Was Stahlberg/Sczesny allerdings auch feststellen ist, dass das Geschlecht der Befragten Einfluss auf die Interpretation von generischem Maskulinum/Beidnennung/Binnen-I hat.

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Die weiblichen Befragten nannten durchgehend mehr Frauen in ihrer Befragung als die männlichen Versuchspersonen. Bei den weiblichen Teilnehmern lag der Mittelwert zu Frauen bei 1.81, bei den männlichen bei .83. Dies würde zu einer Argumentation dienen, dass Kontext, Hintergrund und andere Faktoren wichtiger sind als die Sprache selbst.

In einem ihrer Experimente zeigt sich außerdem, dass die Einstellung zu geschlechter-gerecher Sprache ebenfalls Einfluss auf die Wahrnehmung unterschiedlicher Formen hat. In ihrem letzten Experiment untersuchten Stahlberg/Sczesny die Reaktionszeit von Probanden auf unterschiedliche Stimuli-Kombinationen. Ihnen wurden Gruppenbezeichnungen in un-terschiedlichen Formen präsentiert und dazu Bilder von berühmten Frauen oder Männern gezeigt. Die Probanden mussten per Knopfdruck zustimmen oder widersprechen, ob die gezeigte Person zur genannten Kategorie gehört. Weiterhin wurden die Personen gefragt, ob sie eine positive oder negative Einstellung zu geschlechtergerechter Sprache haben. Diese Einstellung schlug sich in den Resultaten nieder. Während bei Personen mit negativer Einstellung die Reaktionszeit sich zwischen männlichen und weiblichen Stimuluspersonen in den unterschiedlichen Formen kaum unterscheidet, hat eine positive Einstellung mehr Einfluss auf die Interpretation. Testpersonen mit positiver Einstellung zeigten generell lang-samere Reaktionszeiten und damit eine längere Bedenk- und Prozessionszeit. Zudem zeigt sich, dass sie das generische Maskulinum nicht als generisch, sondern eher als spezifisch sehen, da ihre Reaktionszeit bei männlichen Stimuluspersonen signifikant kürzer ausfiel als bei weiblichen. Die Variante mit Binnen-I hingegen erforderte eine längere Reaktionszeit bei Kombination mit männlichem Stimuli.

In ihrer Diskussion machen Stahlberg/Sczesny zudem deutlich, dass auch in ihrer Studie Frauen stärker dazu neigen Frauen gedanklich einzubeziehen und führen dazu (nach Pren-tice 1994)13 mögliche Gründe an: So sei es denkbar, dass Frauen sensibler mit dem

generi-schen Maskulinum umgehen, da das Verstehen als generisch oder spezifisch für sie stärkere Auswirkung hat als für Männer. Frauen können sich nur bei einer generischen Interpretation mitgemeint fühlen. Zudem sei es wahrscheinlich „daß Individuen die Neigung haben, sich eine Person allgemein aus einer egozentrischen Perspektive heraus wie sich selbst und da-mit auch als eine Person des eigenen Geschlechts vorzustellen“ (Stahlberg/Sczesny 2001: 128).

13 Prentice, D. A. (1994). Do language reforms change our way of thinking? In: Journal of Language and Social

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In ihrer abschließenden Diskussion stellen Stahlberg/Sczesny Überlegungen zu mögli-chen weiteren Auswirkungen verschiedener Formulierungen an.

Es wäre ferner denkbar, daß generisch maskuline Formen quasi als “default” relative automatisch ver-arbeitet werden, während im Falle alternativer Sprachformen kontrollierte Prozesse aktiviert werden. Sprachformen wie Beidnennung oder „Großes I“ enthielten demnach einen Hinweisreiz, der eine Re-flektion der Geschlechterverteilung initiiert. (ebd.: 138)

Diese Überlegungen spiegeln die Forderung der feministischen Sprachkritiker wieder, dass zu ‚einfach‘ wahrgenommene Formen (wie neutrale Formulierungen) nicht wirklich ge-schlechtergerecht sind, da sie eben diesen Hinweisreiz nicht auslösen und kein Nachdenken über Diskriminierung initiieren.

DEUTSCH Braun et al. (1998). Können Geophysiker Frauen sein?

Eine weitere Studie wurde von Braun et al. (1998) durchgeführt. In dieser wurden die Testpersonen erneut mit Artikeln, die verschiedene Geschlechterformen beinhalten, kon-frontiert. Im Anschluss an das Lesen des Textes wurden den Testpersonen Fragen darüber gestellt, um herauszufinden, in welchem Maße die unterschiedlichen Formen den gedank-lichen Einbezug von Frauen beeinflussen. Und auch diese Studie macht deutlich, dass das generische Maskulinum die (gedankliche) Präsenz von Frauen schwächt und dass alterna-tive Formen nötig sind, um geschlechtergerechte Sprache zu garantieren.

DEUTSCH Braun et. al. (2007). „Aus Gründen der Verständlichkeit ...“

Einige Jahre später untersuchten Braun et al. nicht die Wahrnehmung des generischen Maskulinums hinsichtlich des Evozierens von Frauen, sondern wie sich der Gebrauch der generisch maskulinen Form auf die kognitive Verarbeitung von Texten auswirkt. Da immer wieder Einwände gegen eine geschlechtergerechte Sprache erhoben werden, da „solche Formulierungen schwer lesbar seien und […] die Verständlichkeit und die sprachliche Ele-ganz von Texten beeinträchtigen würden“ (ebd.: 184), untersuchen Braun et al. inwiefern diese Einwände Recht oder Unrecht haben. Dazu präsentieren sie den Testpersonen – wie andere Studien auch – den gleichen Text in unterschiedlichen Varianten: mit generischem Maskulinum, mit neutralen Formulierungen und Beidnennung, mit Binnen-I. Überprüft wer-den sollten Erinnerungsleistung und Textqualität. Die Erinnerungsleistung wurde untersucht indem den Testpersonen im Anschluss an den Text Fragen den Inhalt betreffend gestellt wurden, um zu sehen ob unterschiedliche Formulierungen Auswirkung auf das Verstehen des Texts haben. Hier zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Formu-lierungen. Um die Textqualität zu beurteilen wurden die Testpersonen darum gebeten ver-schiedene Faktoren des Textes zu bewerten: Textverständnis, Güte der Formulierungen und

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Lesbarkeit. Auch hier zeigten sich keine größeren Ausfälle bei der Bewertung von neutralen Formen mit Beidnennung oder Binnen-I Form.

Weibliche Teilnehmende zeigten bei allen drei Textversionen eine ähnlich gute Erinnerungsleistung und bewerteten die verschiedenen Textversionen als gleichermaßen verständlich. Die männlichen Teil-nehmenden unterschieden sich ebenfalls nicht bedeutsam in der Erinnerungsleistung für die drei Textfassungen, bewerteten die generisch maskuline Textfassung jedoch als verständlicher als die ge-schlechtergerechten Textfassungen. (ebd.: 188)

Hier zeigt sich wieder, dass es Unterschiede zwischen Frauen und Männern bei der Wahrnehmung des generischen Maskulinums gibt. Zwar hatte es auf die kognitive Verar-beitung des Texts keine Auswirkung, aber Frauen scheinen eine positivere Einstellung zu geschlechtergerechter Sprache zu haben, während die männlichen Teilnehmer das generi-sche Maskulinum insgesamt als verständlicher bewerteten. Da es keinen wirklichen Unter-schied zwischen Verarbeitung des Artikels mit generischem Maskulinum und den anderen Formen gab, resultiert diese Bewertung aus den persönlichen Einstellungen der Männer und Frauen.

DEUTSCH Gabriel/Mellenberger (2004). Exchanging the Generic Masculine for Gender-Balanced Forms – The Impact of Context Valence

Auch der Kontext nimmt Einfluss auf die Wahrnehmung des generischen Maskulinums, wie Gabriel/Mellenberger (2004) herausgefunden haben. Sie untersuchten in ihrer Studie, wie der Kontext die Wahrnehmung von generischen Formen beeinflusst. Sie wollten im speziellen wissen, ob es einen Unterschied macht, ob die Formen in einem positiven oder in einem negativen Kontext vorkommen. Bis dahin wurde in den Studien, die das Deutsche untersuchten oft nur in positiven oder neutralen Kontext nach der Wahrnehmung des ge-nerischen Maskulinums gefragt. Die Testpersonen wurden z. B. darum gebeten ihre Lieb-lingsautoren oder -politiker zu nennen, wurden aber nicht nach Personen gefragt, die sie nicht mögen. Gabriel/Mellenberger sahen hier eine Lücke und lieferten die Ergebnisse nach: Die Konnotation des Kontextes scheint unterschiedliche Auswirkungen auf männliche und weibliche Teilnehmer zu haben. Während Frauen sowohl bei generisch maskulinen wie auch in geschlechtergerechten Formulierungen bei positivem Kontext eher dazu neigten mehr Frauen zu nennen, ist der Unterschied bei Männern zwischen negativem und positivem Kontext nicht so groß. Der Unterschied zwischen positivem und negativem Kontext liegt bei Frauen beides Mal bei etwa 8%, bei Männern hingegen bei nur etwa 1–2%. Deutlich wird allerdings auch wieder, dass Frauen insgesamt deutlich stärker dazu neigen Frauen auch zu benennen. Selbst bei generisch maskulin formulierten Fragen in negativem Kontext werden

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von Frauen noch zu 14% Frauen genannt. Bei Männern hingegen liegt die höchste Einschät-zung (geschlechtergerechte Formulierung; positiver Kontext) bei gerade mal 18%. Im gene-rischen Maskulinum werden von Männern nur zu 2–4% Frauen genannt. Hier zeigt sich, dass generische Formulierungen von Frauen stärker generisch wahrgenommen werden, als von Männern. Das resultiert vermutlich daraus, dass Frauen, um sich selbst einer Gruppe zugehörig zu fühle, es mehr gewöhnt sind, eine Formulierung als generisch zu verstehen. Für Männer entsteht kein Nachteil daraus eine generisch intendierte Formulierung spezi-fisch zu verstehen. Schließlich wird auch deutlich, dass geschlechtergerechte Ausdrücke da-für sorgen, dass mehr Frauen genannt werden. Die Autoren resümieren daher:

From a scientific point of view we are still far from a coherent explanation on how these effects come about, but from a pragmatic point of view it can be stated that alternatives such as gender-balancing forms are “more generic” than the masculine. (Gabriel/Mellenberger 2004: 277)

Damit schließen sie sich in ihrem Ergebnis den vorangestellten Studien an.

FRANZÖSISCH Lévy/Gygax/Gabriel (2014). Fostering the generic interpretation of gram-matically masculine forms: when my aunt could be one of the mechanics

Das Französische unterteilt ebenso wie das Deutsche zwischen Maskulinum und Femi-ninum, besitzt aber kein Neutrum. Auch im Französischen wird die gleiche maskuline Form in vielen Fällen sowohl spezifisch wie auch generisch verwendet. Sprecher des Französi-schen sind daher ebenfalls mit der Ambiguität von generischem und spezifischem Masku-linum konfrontiert.

Lévy/Gygax/Gabriel (2014) untersuchen in ihrer Studie die französische Sprache hinsicht-lich der Frage, ob generische Gruppenbezeichnungen Männer und Frauen gleichermaßen evozieren. Sie stellen die These auf, dass „readers or listeners may more likely select the specific meaning of the masculine form as a result of accentuated exposure to the implicit

masculine = male associations“ (ebd.: 28). Dies soll insbesondere daraus resultieren, dass Kinder bis zu einem Alter von sieben bis acht Jahren ausschließlich mit dem spezifischen Maskulinum konfrontiert werden und das Prinzip eines generischen Maskulinums bis zu diesem Alter weder erlernt noch verstanden haben. Außerdem wollen Lévy/Gygax/Gabriel ergründen, ob die erhöhte Aussetzung mit bestimmten Assoziationen, Einfluss auf den Ge-dankengang der Testpersonen haben kann. Ihre These ist, dass wenn durch die erhöhte Konfrontation mit Männern als generisch und spezifisch die Wahrnehmung von generisch maskulinen Formen als größtenteils männlich verstanden wird, dann müsste „implicit expo-sure to a higher frequency of occurences of female characters associated with different role nouns […] the activation of the generic interpretation“ (ebd.: 29) nach sich ziehen.

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Für die Studie wurden den Testpersonen Wortpaare vorgesetzt, die jeweils aus einer geschlechtsspezifischen Verwandtschaftsbezeichnung im Singular (SOEUR, GRAND-MÈRE, PÈRE, NEVEUX etc.; Schwester, Großmutter, Vater, Neffen) und einer Gruppenbezeichnung in

Plu-ral-Maskulinum Form bestanden. Diese Gruppenbezeichnung unterteilen sich in typisch weiblich (z.B. COIFFEURS,DANSERS;Friseur, Tänzer), typisch männlich (z.B. POLITICIENS,G OL-FEURS;Politiker, Golfer) und neutral (z.B.ECOLIERS,VOISINS; Schüler, Nachbarn). Die Frage, die

den Testpersonen zu diesen Wortpaaren gestellt wurde, war: „Can the person represented by the kinship term be part of the group represented by the role noun?“ (ebd.: 31) Gemes-sen wurde wie oft die Frage mit JA beantwortet wurde und wie viel Reaktionszeit die Test-personen benötigten.

Die Ergebnisse, die sie präsentieren, sind insofern interessant, als dass eine erhöhte Aus-setzung von weiblichen Verwandtschaftsbezeichnungen die Teilnehmer dazu bringt eine allgemeinere (generischere) Interpretation der männlichen Form vorzunehmen. Dies wurde bewiesen durch eine steigende Anzahl positiver Antworten und schnellere Reaktionszeiten bei weiblichen Verwandtschaftsbezeichnungen im Maskulinum. Das würde bedeuten, dass einem Ausgesetztsein von mehr weiblichen Verwandtschaftsbezeichnungen eine generi-schere Wahrnehmung des (generischen) Maskulinums folgt.

Somit würde die Präsenz von mehr Frauen bzw. weiblichen Bezeichnungen ausreichen, um den gedanklichen Miteinbezug von Frauen zu fördern. Und dies würde nicht nur für das untersuchte Französisch funktionieren, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei an-deren Sprachen mit einem ähnlichen System (z. B. Deutsch), wie Lèvy/Gygax/Gabriel auch deutlich machen:

Note that although these hypotheses are focused on French, we believe that they are relevant across most grammatical gender languages. (ebd.: 36)

Sie haben dieses Experiment auf ein vorheriges von Gygax/Gabriel aufgebaut, dessen wich-tigste Erkenntnisse im folgenden Kapitel kurz vorgestellt werden sollen.

FRANZÖSISCH Gygax/Gabriel (2008). Can a group of Musicians be Composed of Women? Diese Studie umfasst zwei Experimente, die jeweils in zwei Teile unterteilt wurden. Das erste Experiment war ebenso konstruiert, wie das darauf aufbauende von Lèvy/Gygax/Gab-riel (2014). Während im ersten Teil die Testpersonen nur mit der maskulinen Form konfron-tiert wurden, wurden in der zweiten Hälfte männliche und weibliche Formen abwechselnd benutzt. Das führte dazu, dass die männliche Form noch stärker als spezifisch männlich

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empfunden wurde. „We have shown that the ambiguity of the masculine form is very un-likely to be resolved in a generic way when role names in the feminine form are also pre-sented” (Gygax/Gabriel 2008: 149). Während im ersten Teil des ersten Experiments die Re-präsentation von Männern stark ausgeprägt war, da alle Rollenbezeichnungen im Maskuli-num geschrieben wurden, war sie im zweiten Teil noch stärker ausgeprägt (obwohl diesmal die Hälfte der Bezeichnungen im Femininum standen) sogar unabhängig von den Stereo-typen die mit typisch männlichen und typisch weiblichen Berufen verbunden sind.

Im zweiten Experiment wurden die Testpersonen bevor sie die Verwandtschaftsbezeich-nungen in Kombination mit den Gruppennamen sahen, mit einer Stellenanzeige konfron-tiert. Diese nutze entweder das generische Maskulinum oder eine geschlechtergerechte Form. Auch hier zeigte sich, dass Testpersonen, die zuvor einer geschlechtergerechten For-mulierung der Stellenanzeige ausgesetzt waren, im folgenden Abschnitt das generische Maskulinum wieder spezifischer verstanden, als die Testpersonen, die die Stellenanzeige im generischen Maskulinum zu sehen bekam.

This result demonstrates that, regardless of the source of communication, readers exposed to role names in the feminine form are drawn towards interpreting subsequent role names in the masculine form as being specifically composed of men. (ebd.: 149)

Das ist für eine spätere Analyse sehr interessant, da es deutlich macht, dass die Konfron-tation mit geschlechtergerechten Formen die Perzeption aller anderen Textarten beeinflus-sen kann.

NORWEGISCH Bull/Swan (2002). The representation of gender in Norwegian

Das Norwegische hat verschiedene sprachliche Ausprägungen, die unterschiedliche grammatische Geschlechter haben. Es gibt zwei offizielle Sprachen – nynorsk und bokmål – die beide eine Unterteilung in die drei Geschlechter Maskulinum, Femininum und Neut-rum aufweisen. Neben diesen offiziellen Sprachen gibt es allerdings auch eine Reihe an Dialekten (die auch an offiziellen Stellen verwendet werden dürfen) und die konserva-tive Variante des bokmål, die sich riksmål nennt. All diese Dialekte weisen nur die zwei Geschlechter Neutrum und Utrum auf.14

Weibliche Begriffe werden oft vom männlichen abgeleitet, was sich in anderen Spra-chen ebenfalls zeigt.15 Auch im Norwegischen werden maskuline Artikel sowohl mit

spe-zifisch-männlichen Wörtern gekoppelt, als auch bei Wörtern verwendet, die Männer

14 Genauer wird das Utrum im Kapitel zum Schwedischen beschrieben.

15 Im Norwegischen gibt es allerdings ein Beispiel für ein ursprünglich weibliches Wort, das durch Suffigierung

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und Frauen bezeichnen, z. B. ARVING (Erbe/Erbin), PROFESSOR oder LEGE (Arzt/Ärztin). So

können auf diese Wörter, die grammatische maskulin sind, aber auch eine Frau be-zeichnen können, sowohl von ein männliches, als auch ein weibliches Pronomen folgen

Zudem machen Bull/Swan (20022) deutlich, dass „in present-day Norwegian, femi-nine pronouns are now possible in generic contexts, too” (ebd.: 227). Der Hang zur Neutralisation zeigt sich schon hier.

Komposita betreffend ist es interessant, wenn Bull/Swan Folgendes herausstellen: Karrierekvinne [Karrierefrau] is new, replacing yrkeskvinne [arbeitende Frau], as working outside of the home became the norm, not the exception for women. All too frequently, however, karrierekvinne has acquired negative connotations, as had yrkeskvinne previously; nowadays having a job is acceptable, but “having a career” is slightly more suspicious, especially if the careerwoman in questions has chil-dren. (ebd.: 230)

Hier wurde ein neuer Begriff geschaffen, um den alten, der mit (negativen) Konnotatio-nen belastet war, zu ersetzen. Dies gelang für einige Zeit, aber bald ist auch dieser neue Begriff negativ konnotiert. Hier wird deutlich, dass gesellschaftliche Vorstellungen und Denkweisen nicht zwangsläufig an Wörter gekoppelt sind, sondern dass sie sich auch auf andere Wörter übertragen. Mit der Auslöschung eines Wortes geht also nicht immer die Auslöschung des betreffenden Gedankenguts verloren.

Auffällig ist zudem, dass einige Berufe, die traditionell von Frauen ausgeübt wurden und in denen heute auch Männer tätig sind, noch immer die weibliche Bezeichnung benutzen. So spricht man noch immer von JORDMOR (Erde + Mutter = Hebamme) und HELSESØSTER

(Gesundheits + Schwester = Krankenschwester); auch wenn von Männern die Rede ist. The disappearance of the female/feminine suffixes in Norwegian represents a case of relatively rapid language change which is clearly related to changing social conditions; social and ideological pressures have indeed come to bear on linguistic structures. (ebd.: 232)

Norwegen hat aktiv in die Sprache eingegriffen und eine Neutralisation der Sprache for-ciert. So wurden (diffamierende) weibliche Suffixe aus der Sprache herausgenommen, wäh-rend neutrale (-KVINNE) bleiben durften.

Zugleich wurden Berufsbezeichnungen, die die Komponente -MANN beinhalteten,

ange-passt um neutral zu sein. So wurde aus dem BRANNMANN (Feuerwehrmann) ein BRANNKONS-TABEL (Feuerwachtmeister), aus dem POSTMANN ein POSTBUD (Postbote) und aus dem STORT-INGSMANN (Parlamentmann) ein STORTINGSREPRESENTANT

(Parlamentsmitglied/-represen-tant). Allerdings gibt es auch weiterhin beinahe zehn Bezeichnungen mit -MANN, die bis

heute in dieser Form geblieben sind. Bull/Swan geben als Grund dafür an, dass „almost all of them refer to high-status positions, and in addition they are generally very old words,

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dating back to Old Norse times“ (ebd.: 234). Es sind Wörter die sich in Gouverneur, Offizier oder Landrat übersetzen und daher mit viel Prestige verbunden, sowie nach wie vor zum Großteil mit Männern besetzt sind.16

Darüber hinaus gibt es auch im Norwegischen zahlreiche Ausdrücke und Redewendun-gen, die MANN (man) oder -HERRE enthalten. Z. B. RETT MANN PÅ RETT PLASS (Der richtige Mann

zur richtigen Zeit) oder TA DET SOM EN MANN (Nimm es wie ein Mann). Entsprechende

weib-liche Formulierungen gibt es nicht.

Bull/Swan erläutern im Folgenden noch weitere Unterschiede in männlichen und weib-lichen Formen und kommen zu gleichen Ergebnissen wie viele andere Sprachen. Es gibt viele pejorative Begriffe für sexuell aktive Frauen und kaum welche für Männer. Es gibt viel mehr Ausdrücke, die den Mann als Norm darstellen. Und selbst wenn es ähnliche Ausdrücke für Mann und Frau gibt, unterscheiden sie sich in ihrer Konnotation: Z. B. die Bezeichnungen für ältere unverheiratete (bzw. nicht in einer Partnerschaft lebende) Männer und Frauen. Diese Frauen werden im Norwegischen GAMMELJOMFRU (Alte Jungfer) genannt, Männer UN-GKAR (Junggeselle). In ihrer Konnotation unterscheiden sie sich eben so stark wie ihre

deut-schen Pendants. Und auch im Norwegideut-schen gilt, dass Männer mit ‚weiblichen‘ Begriffen abgewertet und in ihrer Männlichkeit in Frage gestellt werden, während Frauen, die mit ‚männlichen‘ Begriffen benannt werden, als ‚dominant‘ hingestellt werden.

In conclusion it can be said that although Norwegian has undergone quite a few ideological feminist-inspired changes, asymmetries abound. However, there is every reason to expect that some of these will change over time. On the other hand, the fact that the language still may reflect a lack of equality even in a country where gender equality in fact has come a long way, is rather depressing. (ebd.: 244) Inwiefern sich diese aktiven Veränderungen der Sprache auf die Wahrnehmung generi-scher Formen ausgewirkt haben, untersucht die Studie, die im Folgenden vorgestellt wird. Insgesamt zeigt sich im Norwegischen die Bemühung einer Neutralisation. Weibliche For-men werden nicht verstärkt eingesetzt, sondern stattdessen beseitigt. Die Möglichkeit ein generisch weibliches Pronomen zu benutzen trägt ebenfalls ihren Teil dazu bei.

NORWEGISCH Gabriel/Gygax (2008). Can societal language amendments change gender representation? The case of Norway

Das Norwegische hat in den letzten 30 Jahren (vor Erscheinen des Artikels) weibliche Formen bei der Kennzeichnung von Gruppenbezeichnungen abgeschafft. In dieser Hinsicht befindet sich Norwegisch daher zwischen Englisch einerseits und Französisch, Italienisch

16 Der Global Gender Gap Report (2015) berichtet für Norwegen von einer Quote von 36% Frauen zu 64%

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und Deutsch andererseits. Gabriel/Gygax untersuchen in dieser Studie, ob dieses Degend-ering (auch: Neutralisation) zu einer tatsächlich generischen Wahrnehmung des generi-schen Maskulinums führt. Die Ergebnisse zeigen allerdings, dass das nur bedingt der Fall ist. Zwar wurde das generische Maskulinum im Zusammenhang mit weiblichen Stereotypen auch als Frau-einbeziehend verstanden, allerdings sorgten neutrale Zusammenhänge wei-terhin dafür, dass eher Männer angenommen wurden, als Frauen.17

Thus, our results suggest that the grammatical information (former masculine) has an influence on the representation of gender by biasing genderstereotypically neutral role names, by lowering the impact of the stereotypical information when reading female stereotyped role names and by generally, as hinted by the response times, inhibiting the incorporation of females into readers’ mental representa-tions. (Gabriel/Gygax 2008: 456)

Diese Studie zeigt somit, dass Kontext einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung von Texten hat. Gabriel/Gygax machen deutlich, dass es noch immer möglich ist, dass das lange benutze generische Maskulinum seine Spuren in der Wahrnehmung der norwegischen Sprache hinterlassen hat. Sie vermuten aber, dass diese Wirkung in einer nachfolgenden Studie in 20 Jahren bereits weniger ausgeprägt wäre und machen deutlich, dass das ein Zeichen dafür wäre, dass eine Neutralisation wie sie im Norwegischen vorgenommen wurde, der richtige Weg ist, um eine geschlechtergerechte Sprache zu konstituieren.

Was Gabriel/Gygax außerdem herausstellen und was im Kontext dieser Arbeit sehr wich-tig ist, ist zum einen, dass das Zurückgreifen auf Stereotypen und ein bereits gebildetes Weltwissen eventuell akkurater ist „than basing it on grammatical cues that do not hold for half of the population (masculinity)“ (ebd.: 456). Zum anderen bedeutet das auch, dass sich das Wahrnehmen von Sprache ändern kann, wenn sich die Stereotypen verändern. Wenn man beim Hören des Wortes Feuerwehr vornehmlich an Feuerwehrmänner denkt, weil diese den Großteil der Feuerwehr stellen, dann kann dieses Verständnis dadurch geändert werden, dass mehr Frauen diesen Beruf ergreifen. Hierbei muss allerdings wieder bedacht werden, dass gerade Kinder in ihren Vorstellungen eines späteren Berufs von Vorbildern beeinflusst werden.18 Es muss also für die Sichtbarkeit von Frauen in Männerberufen und

Männern in Frauenberufen gesorgt werden. Hierbei kann eine Sichtbarmachung durch Sprache wieder hilfreich sein.

17 Leider untersuchen Gabriel/Gygax hier nicht die Auswirkungen, die das Geschlecht der Testpersonen auf die

Wahrnehmung hat.

18 Vgl.: Spreng, Maria (2005). Geschlechtsrollenstereotype von Grundschulkindern. Dimensionen, Ausmaß,

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NIEDERLÄNDISCH Gerritsen (2002). Towards a more gender-fair usage in Netherlands Dutch

Das Niederländische befindet sich – das grammatische Geschlecht betreffend – zwi-schen Sprachen mit drei Geschlechtern, wie dem Deutzwi-schen, und Sprachen mit nur einem Geschlecht, wie dem Englischen. Das Niederländische unterscheidet zwischen DE und HET

Wörtern, also zwischen Wörtern, die entweder den Artikel DE oder den Artikel HET tragen.

Erstere können sowohl maskulin wie auch feminin sein, letztere sind immer neutral. Für maskuline DE Wörter und neutrale HET Wörter wird das gleiche Possessivpronomen

ge-braucht (ZIJN). Zwar wird unter maskulinen und femininen DE Wörtern unterschieden und

sie besitzen unterschiedliche Pronomen, aber nur die wenigsten Sprecher wissen, welche Wörter weiblich und welche männlich sind.19 Damit unterscheidet sich das Niederländische

in diesem Punkt vom Deutschen, da durch die Unterscheidung in die drei Artikel DER, DIE

und DAS immer eindeutig ist, welches Geschlecht ein Wort hat. Im Plural hingegen sind alle

niederländischen Wörter DE Wörter. Außer in den bereits erwähnten Pronomen ist eine

An-passung von Wörtern an das Geschlecht nur in seltenen Fällen bei Adjektiven notwendig. Grammatical gender is not expressed by other means in Dutch, neither in verb agreement as in a number of Romance languages, nor in case inflection as in German. (Gerritsen 2002: 83–84)

Bei den Berufsbezeichnungen gibt es im Niederländischen ähnliche Auffälligkeiten wie in anderen Sprachen. Gerritsen macht deutlich, dass es bei dem Vergleich von männlichen und weiblichen Berufsbezeichnungen zwei unterschiedliche Kategorien gibt. Einerseits gibt es diejenigen, in denen die Bedeutung der männlichen und weiblichen Form gleich ist und sich nur das Geschlecht unterscheidet. So z. B. bei dem Paar LERARES (Lehrerin) und LERAAR

(Lehrer) oder ACTRICE (Schauspielerin) und ACTEUR (Schauspieler). Andererseits gibt es

Paa-rungen, in denen der weibliche Begriff eine andere Bedeutungsebene hat. Beispielsweise bei der Paarung DIRECTRICE und DIRECTEUR oder CAISSIÈRE und KASSIER.

A directrice can be the head of a pre-school kindergarden, or home for the elderly, but when a woman becomes the director of a grammar school or a large organisation she calls herself directeur. The caissière works in a store, the kassier in a bank. (ebd.: 85)

Zudem zeigt sich im Niederländischen, dass bei Berufsbezeichnungen, die typischer-weise von Frauen besetzt waren, das männliche Pendant nicht durch eine Maskulinisierung des Begriffs gebildet wird. Stattdessen wird eine neue Bezeichnung etabliert. So geschehen

19 Vgl.: Gerritsen (2002: Fußnote 2: 105): „Except for some older people, speakers of Standard Dutch as spoken

in the Netherlands do not know which nouns are masculine and which are feminine, which affects their choice of pronouns.“

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z. B. bei WERKSTER (Putzfrau) wo die männliche Bezeichnung nicht *WERKER ist, sondern

statt-dessen die Bezeichnung HUISHOUDELIJKE HULP (Haushaltshilfe) eingerichtet wurde. Hier zeigt

sich bereits ein Trend, der in anderen Sprachen auch auftritt. Sobald Männer in ein typisches Frauenberufsfeld eintreten werden die Berufsbezeichnungen geändert. Zur gleichen Zeit wird von Frauen, die ein männliches Berufsfeld betreten erwartet, dass sie sich mit der männlichen Berufsbezeichnung zufriedengeben.

Im Niederländischen resultiert das auch daraus, dass – im Unterschied zum Deutschen – die Anpassung von Berufsbezeichnung schwieriger ist. Während im Deutschen an beinahe jede männliche Berufsbezeichnung das Suffix -IN gehängt werden kann und somit eine

weibliche Variante bildet, ist dies in vielen Fällen im Niederländischen nicht möglich. Dort sorgen die spezifischen weiblichen Suffixe für Ambiguität, da zum Beispiel aus INFORMATICUS

das Wort INFORMATICA würde, was allerdings bereits Informatik bedeutet. Andere Suffixe

funktionieren zwar weiterhin, aber insgesamt haben die Möglichkeiten aus Männerbezeich-nungen FrauenbezeichMännerbezeich-nungen zu machen abgenommen. Auch die Möglichkeit das Suffix -MAN (Mann) durch -VROUW (Frau) zu ersetzen ist nicht produktiv.

Die feministische Debatte hat sich in den Niederlanden erst nicht um die Sprache ge-dreht, sondern auf politische Themen fokussiert. Erst 1975 hat eine Historikerin und Expertin der niederländischen Sprache in einem Aufsatz drei Problemfelder des Niederländischen angesprochen: „gender bias in the usage of Dutch, reference to generic nouns with mas-culine pronouns and gender-specific terms for professions“ (ebd.: 90).

Gerritsen schreibt, dass diese Probleme angegangen würden und stellt fest, dass „[t]he nominal gender system of Dutch is not static, but in a progress of change, and women are becoming more visible in the language” (ebd.: 92). Tatsächlich wird im Niederländischen nicht mit dem Prinzip der Sichtbarmachung von Frauen gearbeitet, sondern eine Neutrali-sation versucht. Gerritsen stellt das insbesondere für die Nutzung für Pronomen raus. Es gibt z. B. den Versuch das Possessivpronomen ZAAR (eine Mischung aus ZIJN und HAAR;

sei-nes und ihres) zu etablieren. Zudem gibt es Tendenzen dazu nicht mehr das grammatisch korrekte Geschlecht zu benutzen, sondern das referentielle. Zwar ist dies in der Schriftspra-che offiziell noch nicht erlaubt, wird aber im tägliSchriftspra-chen sprachliSchriftspra-chen Gebrauch bereits so gehandhabt. Da sich Sprache allerdings dem Gebrauch nach verändert, könnte es durchaus

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dazu kommen, dass die grammatische Unterteilung in Maskulinum und Femininum im Nie-derländischen obsolet wird.20 So wurden bereits Wörter wie ZIEKE (Patient) oder BLINDE

(Blin-der), die zuvor nur dem Maskulinum angehörten, im niederländischen Wörterbuch Van Dale durch das Femininum ergänzt. Außerdem darf bei der Wahl von Pronomen nun auch das semantisch richtige Geschlecht verwendet werden. Ist das Geschlecht der betreffenden Person allerdings unbekannt oder nicht von Bedeutung, werden noch immer die maskuli-nen Pronomen genutzt.

Bei Redewendungen und Ausdrücken zeigen sich im Niederländischen ähnliche, prob-lematische Strukturen wie im Deutschen. So gibt es beispielsweise den Ausdruck ZIJ HEEFT DE BOOT GEMIST (Sie hat das Boot verpasst) um auszudrücken, dass eine Frau nicht geheiratet

hat. Um selbiges über einen Mann zu sagen benutzt man den Ausdruck HIJ IS DE DANS ONTSPRONGEN (Er ist dem Tanz entsprungen/Er hat nochmal Glück gehabt). Der

ges-chlechtergerechte Umgang, der mit solchen Ausdrücken von Kundigen empfohlen wurde, lautete „to not use such expressions or to use them also with the word vrouw ‚woman‘ instead of man, or with ‚he‘ instead of ‚she‘ or ‚she‘ instead of ‚he‘ if required by context and situation“ (ebd.: 96).

1982 wurde in den Niederlanden ein Leitfaden der Gruppe Work Group Modification of Names for Professions veröffentlicht – aber nie offiziell gemacht –, der sich des Problems der Berufsbezeichnungen annahm. Dort wurden Empfehlungen ausgesprochen. Interessant ist dabei vor allem, dass sich die Gruppe damals explizit gegen eine Unterteilung in Frauen- und Männerbezeichnungen aussprach mit der Begründung, dass das wahrscheinlich wieder dazu führen würde, dass die weiblichen Bezeichnungen mit der Zeit mit weniger Prestige verbunden würden.21 Analog dazu wurde, wenn kein neutraler Begriff möglich war, der

männliche als neuer ‚neutraler‘ Begriff gewählt, da dieser mehr Prestige besäße. Außerdem macht Gerritsen deutlich, dass die Gruppe der Meinung war, dass wenn erst mehr Frauen in einem Beruf tatsächlich arbeiteten, sich die Wahrnehmung des (männlichen) Begriffs oh-nehin ändern würde und auch Frauen mit dem Begriff assoziiert würden.

The choice of neutral terms is in line with the change in the Dutch language, which shows a decrease in number of productive suffixes referring to women (for example -in, -es have disappeared) from the Middle Ages on. (ebd.: 99).

20 Vgl.: Vogelaer (2010) macht deutlich, dass dies bereits der Fall ist.

21 Unterteilt man Berufsbezeichnungen in männlich und weiblich ist die Chance wahrscheinlich höher, dass eine

Separierung stattfindet, als wenn man Frauen und Männer mit dem gleichen Begriff benennt. Eine Unterschei-dung in Prestige könnte zudem schnell zu einem Lohnunterschied führen, der einfacher durchgesetzt werden kann und weniger auffällig ist, wenn Männer und Frauen unterschiedliche Bezeichnungen tragen.

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Jedoch wurde von offizieller Stelle nie eine Empfehlung ausgesprochen. 1995 „De Taaluni came to the conclusion that the choice between the two alternatives, i.e. feminisation vs. neutralisation, was so charged politically that no advice could be given at the time” (ebd.: 101). Es wurde lediglich darauf hingewiesen, dass das Thema weiter aktuell sei und die Zu-kunft zeigen würde, was der niederländischen Gesellschaft einfacher fallen würde zu be-nutzen. Um zu untersuchen, welche der Möglichkeiten mehr Anklang fand, führt Gerritsen eine Studie zu Berufsbezeichnungen in Anzeigen durch, indem sie das Vorkommen unter-schiedlicher Ausdrücke (maskulin, feminin, neutral oder gemischt) mit einer Studie von 1989 vergleicht. Dabei findet sie heraus, dass maskuline und neutrale Ausdrücke bevorzugt wer-den, sowohl 1989 als auch 1999. Dabei lässt sich aber eine kleine Tendenz von maskulinen hin zu neutralen Bezeichnungen erkennen. Feminine oder Mischformen werden so gut wie gar nicht genutzt. Gerritsen prüfte zudem genauer in welchem Verhältnis niederländische und englische Bezeichnungen gebraucht werden. Hier zeigt sich ein klarer Trend hin zu mehr Nutzung von englischen Begriffen auf dem niederländischen Arbeitsmarkt.

Not only were English terms used more frequently in 1999, but also many new ones were borrowed. […] It seems that the use of English terms is one way of achieving gender-neutral expressions in Dutch. (ebd.: 103)

Darüber hinaus hat der Zusatz von M/V (als Indikator, dass sowohl Männer wie auch

Frauen gesucht werden) von 1989 zu 1999 hin abgenommen. Während 1989 bei neutralen und maskulinen Bezeichnungen noch bei 71% dieser Zusatz verwendet wurde, war dieser in der gleichen Gruppe 1999 nur noch zu 35% vertreten. Auch das ist Hinweis dafür, dass maskuline und neutrale Formen im Niederländischen tatsächlich generischer wahrgenom-men werden und eine Neutralisation der Sprache stattfindet.

ISLÄNDISCH Grönberg (2002). Masculine generics in current Icelandic

Im Isländischen gibt es ebenfalls die drei grammatischen Genera maskulin, feminin und neutral. Diese sind den verschiedenen Nomen arbiträr zugeordnet und „even animate nouns denoting living creatures or human beings do not necessarily show a correspond-ence between grammatical gender and referential gender“ (Grönberg 2002: 165). Bei vielen Personenbezeichnungen entsprechen sich grammatisches und reales Geschlecht zwar, aber dies ist nicht immer der Fall. So ist KVENMAÐUR männlichen Geschlechts bedeutet aber

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